Ein aufschlussreicher Kommentar aus der Financial Times über die griechische Schuldenkrise

Am 15. Februar, einen Tag vor dem Treffen der Finanzminister der Eurozone am Montag, erschien in der Financial Times ein Kommentar von Wolfgang Münchau, der auf ernste Differenzen über die Weigerung, vor allem Deutschlands, hindeutet, die Forderung der von Syriza geführten griechischen Regierung nach einer Umschuldung zu erfüllen.

Griechenlands Vorschlag war letzten Donnerstag bei einem Treffen der Eurogruppe zurückgewiesen worden. Jetzt, so Münchau, könne der griechische Finanzminister mit einem frostigen Empfang rechnen, wenn er seine Amtskollegen erneut vor eine richtungsweisende Entscheidung stelle.

Er schrieb weiter: "Mein Rat an Yanis Varoufakis wäre es, die erbosten Blicke und indirekten Drohungen zu ignorieren und hart zu bleiben. Er ist Mitglied der ersten Regierung der Eurozone, die demokratisch legitimiert ist, sich einer völlig widersinnigen Politik entgegenzustellen, die sich als wirtschaftlich ignorant und politisch kurzlebig erwiesen hat. Wenn die Eurozone in ihrem derzeitigen geografischen Einflussbereich fortbestehen will, muss damit Schluss sein."

Ein derart geharnischter Kommentar in einer der wichtigsten Wirtschaftstageszeitungen der Welt weist sowohl auf den beträchtlichen Widerstand in Finanzzentren gegen die Politik der Bundesregierung als auch auf die Tatsache hin, dass Syrizas Programm keineswegs eine linksradikale Agenda repräsentiert, sondern ein völlig bürgerliches Programm, das in den herrschenden Politik- und Finanzkreisen eine gewisse Unterstützung genießt.

Münchau wies darauf hin, dass es mit Risiken behaftet ist, wenn Griechenland der politischen Elite der Europäischen Union die Stirn bietet, etwa mit der Gefahr eines Finanzkollapses, mit der Folge, dass man das Land zum Austritt aus der Eurozone drängen würde, Griechenland solle dennoch hart bleiben, schreibt Münchau, und einen weiteren Kredit zur Deckung seiner Kosten für die nächsten paar Monate fordern.

Die griechische Regierung hat für die Zeit nach dem Auslaufen bestehender Regelungen Ende Februar bis zum Abschluss neuer Vereinbarungen eine „Überbrückungsfinanzierung“ gefordert. Doch die Finanzminister der Eurozone, in erster Linie Deutschland, haben darauf beharrt, dass weitere Geldmittel nur im Rahmen der bestehenden Programme ausgezahlt werden können.

Syriza hat dies zurückgewiesen, und Münchau unterstützt dies. Die griechische Regierung solle "auf ihrer Position beharren, eine Fortführung des bestehenden Programms der Finanzhilfen nicht zu akzeptieren."

Damit wäre das Land nicht mehr an "kontraproduktive Politikvorgaben gebunden, wie die vertragliche Verpflichtung, einen Primärhaushaltsüberschuss von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erreichen. Für ein Land mit Massenarbeitslosigkeit ist diese Zielvorgabe Wahnsinn. Es wäre natürlich besser, wenn dieser Unsinn aufhören würde, und Griechenland bleibt in der Eurozone. Aber das Wichtigste ist, dass Schluss sein muss mit dieser Politik."

Mit anderen Worten, das Wichtigste ist, Stellung gegen den von Deutschland diktierten Kurs zu beziehen, selbst wenn dies zu einer Finanzkrise in Griechenland und dem Ende der Eurozone führen sollte.

Münchau nannte Vorschläge mehrerer akademischen Quellen, wie Griechenland verfahren könnte, ohne vorschnell aus der Eurozone auszutreten.

Er schrieb, das "Vernünftigste" sei die Einführung einer Art Parallelwährung aus staatlich gesicherten Schuldscheinen - ein Vorschlag des amerikanischen Ökonomen Robert Parenteau, "Steuervorauszahlungsbescheide" einzuführen, deren Grundlage erwartete künftige Einnahmen sind. Laut Münchau funktionieren sie "wie ein Steuerkredit, der der Regierung ein Haushaltsdefizit erlaubt, bis sich die Wirtschaft erholt. Mit einem solchen Instrument könnte Griechenland die Austeritätspolitik beenden, ohne den Euro aufzugeben."

Er zitierte außerdem John Cochrane, einen "konservativen Ökonom von der Universität von Chicago. Auch er will, dass die griechische Regierung Schuldscheine und elektronisches Geld ausgibt, nicht notwendigerweise Bargeld, das benutzt werden kann, um Renten und andere Transferzahlungen zu finanzieren."

Münchau geht nicht darauf ein, aber Cochranes Position ist von Bedeutung. Die Universität von Chicago ist das Zentrum der rechtesten Befürworter des "freien Marktes" unter bürgerlichen Ökonomen und wird in einem Atemzug mit Milton Friedman genannt. Die sogenannten "Chicago Boys" erlangten durch die Sanierung der chilenischen Wirtschaft nach ihren Vorgaben unter General Pinochet, den die CIA 1973 beim Sturz der Regierung Allende unterstützt hatte unrühmliche Bekanntheit. Dass Vertreter dieser Tendenz über Wege nachdenken, wie Griechenland den Diktaten der EU trotzen kann, zeigt, wie stark der Widerstand gegen die Politik Deutschlands in Amerikas finanz- und wirtschaftspolitischen Kreisen ist.

Münchau erklärt weiter, wenn eine alternative Finanzierung beschlossen und diese umgesetzt würde, könne Griechenland die Rückzahlung seiner Schulden - hauptsächlich Kredite von europäischen Regierungen und Institutionen - aufkündigen. Angesichts eines drohenden Staatsbankrottes könnten die offiziellen europäischen Gläubiger Griechenland nicht aus der Eurozone werfen, da ihnen dazu die rechtlichen Mittel fehlen. Außerdem würden sie Griechenland nicht unbedingt aus der EU drängen wollen, da sie seine Unterstützung für politische Richtungswechsel brauchen, beispielsweise wenn es um neue Sanktionen gegen Russland geht.

Münchaus Fazit ist, dass Griechenland ein Verlassen der Eurozone vermeiden sollte. Trotzdem wäre ein Ausscheiden Griechenlands immer noch dem Status quo vorzuziehen. "Das Worst-Case-Szenario wäre, wenn die griechische Regierung einknickt und sich geschlagen gibt." Dann wäre die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte die einzige Partei, die den Sparkurs der EU noch ablehnt.

Münchaus Kommentar ist in verschiedener Hinsicht bedeutsam. Er zeigt den Widerstand gegen den Sparkurs, zumindest in seiner derzeitigen Form, von Teilen des amerikanischen und britischen wirtschaftlichen Establishments, der auch in einigen Teilen Europas Unterstützung findet.

In den letzten Wochen haben US-Präsident Barack Obama und Finanzminister Jack Lew erklärt, es müsse ein Weg gefunden werden, den Druck auf Griechenland zu verringern. Sie sorgen sich nicht wegen der Verarmung der griechischen Arbeiterklasse. Vielmehr unterstreicht ihre Haltung Marx' Feststellung, dass zwar jeder Kapitalist versuche, die Löhne seiner eigenen Arbeiter zu drücken, jedoch die Ausgaben der Arbeiter anderer Kapitalisten als Quelle der Nachfrage für seine Waren ansieht. Die USA fürchten in einer ganz anderen Größenordnung, dass sich Austerität und Depression in Europa - ein wichtiger Absatzmarkt für amerikanische Güter und Investitionen - negativ auf die amerikanische Wirtschaft selbst auswirken werden. Daher drängen sie darauf, Griechenland entgegenzukommen.

Wichtig an dem Kommentar ist auch, was er über die Taktik Syrizas im Konflikt mit der EU aussagt. Ihr Programm stellt beileibe keine Konfrontation mit der Finanzoligarchie im Interesse der griechischen oder gar aller europäischen Arbeiter dar, sondern einen gezielten Versuch, die Unterstützung amerikanischer und anderer mächtiger Finanzinteressen zu gewinnen, um Druck auf die deutsche Bourgeoisie auszuüben.

Deutschlands Widerstand erweist sich jedoch als hartnäckig, da er von tiefgreifenden wirtschaftlichen Interessen motiviert ist.

“Die Deutschen unterstützen die Austerität aus ideologischen Gründen", schreibt Münchau, der damit auch die Haltung vieler anderer Kommentatoren wiedergibt." Dieser Versuch, die Unnachgiebigkeit der Regierung Merkel als protestantisches Disziplinstreben, als Reaktion auf die schlimmen Erinnerungen an die Hyperinflation von 1923 oder als deutsches Ordnungsstreben darzustellen, übersieht die eigentlichen Ursachen.

Deutschlands Widerstand beruht nicht wirklich auf solchen Faktoren. Vielmehr liegt ihm die Furcht von Teilen der herrschenden Elite zugrunde, eine Lockerung der Austeritätspolitik gegenüber Griechenland könnte schließlich dazu führen, dass Deutschland auch für die Schulden Spaniens, Portugals und sogar Italiens Finanzhilfen gewähren müsste. Das würde Deutschlands globale wirtschaftliche Stellung ernstlich schädigen, vor allem gegenüber dem amerikanischen Finanzkapital, das dem deutschen Finanzsystem schon durch die Subprime-Hypothekenkrise 2007 beträchtlichen Schaden zugefügt hat.

Diese Konflikte und Spannungen werden bei dem Treffen der Eurogruppe zwar nicht unbedingt offen angesprochen werden, doch wie Münchaus Kolumne andeutet, drängen sie mit Macht an die Oberfläche.

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