Türkische Truppen fallen in Nordsyrien ein

Am Samstag drangen 600 Soldaten der türkischen Armee in den Norden Syriens ein. Das war der erste türkische Einfall in dem Land seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011. Der Konvoi von fast 200 Militärfahrzeugen, darunter 39 Panzern und 57 gepanzerten Fahrzeugen, evakuierte vierzig türkische Soldaten, die das Grabmal Süleyman Schahs bewachten. Süleyman war ein Stammvater der osmanischen Dynastie, die die Türkei 500 Jahre lang beherrschte.

Am Samstag trat der türkische Ministerpräsident Achmed Davutoglu auf einer Pressekonferenz auf. Flankiert von Militärs erklärte er, die Evakuierung sei erfolgreich von statten gegangen; die Truppen seien unbeschadet zurückgekehrt. Nur ein Soldat sei bei einem Unfall ums Leben gekommen.

Die sterblichen Überreste Süleyman Schahs wurden an einen anderen Ort in Syrien unmittelbar an der türkischen Grenze verbracht, der von nun an von türkischen Truppen besetzt sein wird. Statt einer Gruppe von 40 Soldaten, die quasi als Geiseln tief in syrischem Territorium standen, hat sich das türkische Militär damit jetzt einen Brückenkopf an der Grenze zur Provinz Aleppo geschaffen, einem zentralen Schlachtfeld im syrischen Bürgerkrieg.

Die syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad teilte mit, sie sei vorher über das türkische Eindringen informiert worden, habe aber ihre Zustimmung nicht gegeben. Ein Sprecher der Regierung in Damaskus, die das Gebiet mit dem bisherigen Grabmal nicht mehr kontrolliert, verurteilte die „offensichtliche Verletzung“ syrischen Territoriums durch die Türkei.

Der Islamische Staat im Irak und in Syrien (IS), der die Stätte von Süleymans Grabmal schon seit etwa einem Jahr umzingelt hat, unternahm keinen Versuch, dem eindringenden und abziehenden Konvoi Widerstand zu leisten oder ihn anzugreifen, wie türkische Sprecher erklärten. Das türkische Militär hatte die Wachen mit Spezialtruppen verstärkt.

Das türkische Eindringen wurde durch die Erfolge der kurdischen Kämpfer ermöglicht, die von den USA unterstützt werden. Sie hatten die Grenzstadt Kobane Anfang des Monats nach monatelangen Luftschlägen der USA, Saudi-Arabiens und anderer Golfscheichtümer gegen den IS zurückerobert. Bei diesen Bombardements sollen tausende IS-Kämpfer getötet worden sein. Der türkische Militärkonvoi fuhr mit Erlaubnis der syrisch-kurdischen Kampftruppe, der YPG, auf seinem Weg zum Grabmal mitten durch Kobane hindurch.

Nachdem die türkischen Truppen sämtliche „Reliquien“ aus dem Grabmal herausgeholt hatten, sprengten sie das ganze Gebäude in die Luft und hinterließen nur noch Trümmer. Bei ihrer Rückkehr zur türkisch-syrischen Grenze hissten die türkischen Truppen über einem Teil des syrischen Grenzdistrikts Eschme, der als neuer Standort für das Grabmal ausersehen ist, die türkische Flagge. Diese Aktion wurde in einem Medienbericht als „in höchstem Maße symbolische Aktion“ bezeichnet.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte: “Unsere Flagge wird an einem neuen Ort wieder wehen und wird das Gedächtnis unserer Vorfahren lebendig erhalten.“

Das Grab von Süleyman Schah, der offiziell im Jahr 1236 starb, war im Vertrag von Ankara (1921) zu einer türkischen Enklave in der französischen Kolonie Syrien erklärt. Dieser Vertrag war eins von mehreren Abkommen, in denen nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen neu festgelegt wurden.

Der jüngste Militäreinfall ist nicht nur von geschichtlicher oder zeremonieller Bedeutung. Es war nicht nur die erste türkische Militäroperation in Syrien, sondern sie wurde auch gemeinsam mit kurdischen Kräften in Syrien koordiniert. In der Türkei unterstützt die Regierung diese Kräfte bisher in keiner Weise, weil sie Beziehungen zu der verbotenen kurdisch-nationalistischen Partei PKK unterhalten.

Die syrischen YPG begannen am Samstagabend zeitgleich mit dem Einfall der türkischen Streitkräfte – dessen Größe und Ausmaß sicherlich die Aufmerksamkeit der IS-Kräfte ablenkte – eine Offensive mit dem Ziel, ihre Kontrolle über die nordöstliche Provinz Hassakeh auszuweiten und die IS-Truppen rund um die Stadt Tal Hamis zurückzudrängen.

Pro-kurdische Medien behaupteten, die YPG hätten im Verlauf ihrer Offensive mehr als zwanzig Dörfer, Bauernhöfe und Marktflecken in der Gegend eingenommen. Kampfflugzeuge der USA und ihrer arabischen Verbündeten flogen Angriffe gegen IS-Stellungen, die mit der Offensive der YPG koordiniert wurden.

Während kurdische Kräfte in Syrien einen Vorstoß nach Osten unternahmen, sind irakische Kurden nach Westen vorgestoßen, erzielten Geländegewinne gegen IS und konnten Berichten zufolge die Hauptfernstraße zwischen Mossul und dem Hauptquartier der islamischen Fundamentalisten im syrischen Raqqa unter Kontrolle bringen. Mossul ist die größte Stadt, die IS im Irak besetzt hält.

Ende Januar nahmen irakisch-kurdische Peschmerga-Truppen die Stadt Kiske westlich von Mossul an der Fernstraße nach Raqqa ein. Sie hatten anfangs versucht, Sindschar, eine weitere Stadt an der Fernstraße, einzunehmen, was jedoch scheiterte. Daraufhin stießen sie weiter nach Westen vor.

Associated Press meldete am Freitag, dass IS-Truppen die Stadt al-Bab in der Provinz Aleppo räumen mussten, und dass es nahe dem Luftwaffenstützpunkt Deir el-Zour, dem letzten großen Vorposten des Assad-Regimes im Osten Syriens, zu schweren Kämpfen zwischen IS und Truppen der syrischen Armee kam.

Die Washington Post meldete am Sonntag, IS-Truppen seien auch um die Stadt Tikrit unter Druck geraten. Tikrit ist der Geburtsort von Saddam Hussein, der lange Zeit als Hochburg des sunnitischen Widerstands gegen den amerikanischen Einmarsch und die Eroberung des Irak galt. Etwa 10.000 schiitische Milizionäre und Soldaten der regulären irakischen Armee hätten sich am Samstag südlich und östlich von Tikrit versammelt und eine Großoffensive vorbereitet.

Die Post schrieb: "Laut lokalen Behörden hielt sich auch Kassim Soleimani, der Anführer der iranischen al-Quds-Eliteeinheit, in der Stadt auf, um die Operation zu überwachen." Der Iran hat den schiitischen Milizen, die die Hauptlast der aktuellen Kämpfe gegen IS im Irak nördlich und nordöstlich von Bagdad tragen, Militärberater und begrenzte Luftunterstützung zukommen lassen.

Sowohl der Einfall türkischer Truppen als auch das Vorgehen der kurdischen, schiitischen und irakischen Truppen deuten darauf hin, dass große, von den USA unterstützte Militäroperationen vorbereitet werden. Die bekannt gewordenen Pläne für einen koordinierten Angriff auf Mossul im April oder Mai, über die ausführlich berichtet wurde, könnten eine vorsätzliche Fehlinformation sein, um von Offensivoperationen abzulenken, die viel früher als erwartet, unter anderem in Form von Flächenbombardements und Angriffen mit Bodentruppen, beginnen könnten.

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