Ein Brief aus Griechenland

Wachsende Wut über Syrizas Verrat

Den folgenden Brief erhielt die World Socialist Website von Evel Ekonomakis, einem Leser aus Athen.

„Ich werde nie wieder wählen, sch…drauf!”

„Wir sind alle in einem verdreckten Netz gefangen, in einer Orgie mitten in der Kloake!“

„Wir sagten Revolution, Mensch, verbrennt die verdammten Brücken und schaut nicht zurück … aber Schafe bleiben Schafe und werden zur Hauptmahlzeit aller Wehrwölfe.”

So oder ähnlich lauten die mündlichen und schriftlichen Kommentare vieler Leute in Athen nach Syrizas schamloser Kapitulation auf dem Treffen der Eurogruppe am letzten Freitag in Brüssel. Die Leute hier schäumen vor Wut. Anders als jene, die von außen nach Griechenland schauen, haben die meisten Leute hier gemerkt, dass die, die die "Koalition der Radikalen Linken“ von Tsipras am 25. Januar gewählt haben, nicht naiv waren: „Nein, sie haben nur die Hoffnung gehabt, dass Syriza vielleicht die rechten Kollaborateure abstrafen würde, die uns all diese Jahre ausgeplündert haben.“

Übereinstimmend sagen die Linken hier mit einem bitteren ironischen Lächeln auf den Lippen: Syriza denkt genauso wie die früheren bürgerlichen Regierungen. Der Kern davon ist: „Wenn Du nichts sagst, sag ich auch nichts.“ Oder: „Wenn ich dich jetzt reinwasche, dann tust Du das später, wenn Du wieder oben bist, auch für mich.“

So schnell, so plötzlich! Syriza hat den Weltrekord im politischen Rollback gebrochen, als sie ihre früheren Wahlversprechen im Schreiben an die Gerichtsvollzieher der Troika zurücknahm. Hatte sie doch versprochen, sich um die blutende, notleidende Nation zu kümmern, eine Nation, die unaussprechliche Leiden und Ungerechtigkeit erduldet, in der in Rekordzeit 7.000 Menschen Selbstmord begingen – sollte am 26. Januar, am Tag nach den Wahlen nicht all das zu Ende sein?

Aber der Ausdruck “Rollback” ist nicht wirklich angemessen für das Niveau, auf das Syriza … in weniger als ein paar Wochen gesunken ist. Man sollte besser Ausdrücke aus der Welt der Weich- oder Schneckentiere benutzen, um es präziser zu benennen. Ein Freund von mir fluchte auf Tsipras: „Er ist wie eine Schnecke – er leckt und schleckt und schleimt sich vorwärts.“ Ein anderer postete: „All das F…en und Lutschen, was da im Parlament abgeht, da sollten nur 69 Abgeordnete sein und nicht 300 Nichtsnutze.“. (In der Vouli, dem griechischen Parlament gibt es 300 Sitze.)

Zu den harmloseren Bemerkungen über Varoufakis und Tsipras gehört diese: „Satan war ein Engel, sogar ein Erzengel. Und wenn ein Engel zum Teufel wird, heißt das, dass sogar in den Augen der Religion niemand vollkommen ist.“

Ein anderer Linker schrieb: „Syriza, eine Partei, die behauptet, sie akzeptiere nicht die bürgerlichen korrupten Verfahrensweisen, sollte die Immunität aufheben, die Parlamentarier genießen. Eine ganze Reihe von Abgeordneten, besonders von der Nea Demokratia, gehören hinter Gitter angesichts der Verbrechen, die sie am griechischen Volk begangen haben.“

Was die Nazis hier angeht, so weiß jeder, wer Menschen angegriffen und ermordet hat. Aber so geht es zu in dem verfaulten „linken“ Königreich „Syrizaland“. Offenbar konnte nur die extrem rechte Regierung von der Nea Demokratia des früheren Premierministers Antonis Samaras die rassistischen Fanatiker ins Gefängnis sperren (natürlich aus eigenen Gründen), aber die „linke“ Regierung von Alexis Tsipras wird sie (ebenfalls aus ihren eigenen Gründen) für unschuldig halten.

Die Kommentare des Journalisten Nikos Boyopoulos, einem Mitglied der KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) waren besonders deutlich. Anders als viele andere in der Führung dieser ältesten griechischen Partei ist dieser Mann weder träge, noch eigennützig, konservativ, oder … Na ja, ihr werdet schon verstehen, worum es geht. Er ist nicht der typische Stalinist. Boyopoulos tippte einen wunderbaren, ätzenden und aufschlussreichen Artikel in seine Tastatur mit der Überschrift: “Varoufakis … in Brest Litowsk”.

In diesem Artikel wandte sich Boyopoulos an all die Unterstützer von Syriza, die sich nicht mit der Tatsache konfrontieren wollen, dass ihre Partei sie getäuscht hat. Er sprach zu all den Unglücklichen, die sich davon zu überzeugen versuchen, dass es eine Parallele zwischen der Unterschrift von Varoufakis in Brüssel am letzten Freitag und der bolschewistischen Regierung gibt, die am 3. März 1918 den Friedensvertrag von Brest-Litowsk unterzeichnet hat.

Boyopoulos macht diese Parallele lächerlich, die viele „linke” Heuchler zwischen der sogenannten „taktischen“ Hinwendung Syrizas zu ihren „Partnern“ und Lenin ziehen, der dem Vertrag von Brest-Litowsk zustimmte, um seine Strategie besser verfolgen zu können. „Leute, meint ihr das ernst?“ fragte er, „Soweit wir wissen, war Lenin ein Kommunist und kein Freund sanfter Sozialdemokratie oder ein Unterstützer moderater Keynsianischer Politik.“

„Die Bolschewiki“, so fuhr er fort, führten eine soziale Revolution mit … dem klaren Ziel, alle Klassenschranken des alten Regimes einzureißen“ und nicht diese Schranken (die Troika) einfach in „Institutionen“ umzutaufen. „Zum Beispiel redete Lenin“, so schrieb er weiter, „als die junge Sowjetunion den Vertrag unterzeichnete, nicht von ‘Freunden’, ‘Partnern’ und ‘Verbündeten’.

Lenin wandte sich an das Volk und sprach von ‘Imperialisten’ und ‘Dieben’. Er redete nicht wie Tsipras oder Varoufakis von ‘Sieg’ oder ‘Triumph’ oder ‘erfolgreichen Verhandlungen’. Lenin sprach klar von Erpressung. Er unterzeichnete den Vertrag aus einem einzigen Grund: Wenn er es nicht getan hätte, hätte die imperialistische Armee Deutschlands den jungen Sowjetstaat in der Wiege erwürgt. Indem er das schändliche Papier unterzeichnete, erhielt Lenin die Flamme der Revolution am Leben.“

Was genau hat der Vertrag von Brest-Litowsk geschützt und bewacht? Einfach, wie Boyopoulos aufzeigt, eine Reihe äußerst wichtiger Dekrete, angefangen mit dem Dekret zum Frieden und Land, das am Tag nach dem 26. Oktober unterzeichnet wurde, dem Tag, als Trotzkis Rote Garden das Winterpalais erstürmt und Kerenskis Streitkräften die Kontrolle über Petrograd entrissen hatten. Dieses erste Dekret zog Russland aus dem imperialistischen Spiel der Großmächte und dem Ersten Weltkrieg zurück.

Mit anderen Worten, Lenin hat – anders als Varoufakis – kein Dokument unterzeichnet, das Russlands Anwesenheit im „gemeinsamen europäischen Haus“ mit den Imperialisten anerkannt hätte. Lenin griff nicht zur Feder, um die russische Innenpolitik unter der „Supervision“ oder „Kontrolle“ der Imperialisten zu lassen. Ähnlich war es mit dem Dekret über das Land, das die Enteignung des Grundbesitzes der russischen Pomeschchiki, der adligen Landbesitzern, einschließlich der Besitztümer der Zarenfamilie und der Kirche, verfügt hatte.

Boyopoulos ist präzise und bringt es auf den Punkt: „Lenin .. unterzeichnete niemals ein Stück Papier, das grünes Licht für Privatisierungen gab. Alexis Tsipras im Gegenteil hat hingenommen, dass der Hafen von Piräus weiterhin im Besitz von COSCO, dem riesigen chinesischen Reedereikonzern bleibt.“

Auf die beiden genannten Dekrete folgte eine Reihe anderer wichtiger Gesetze zur Arbeit, zur Verstaatlichung der Banken und der Handelsflotte sowie zur Annullierung aller In- und Auslandsschulden.

Das alles hat Lenin durch den Vertrag von Brest-Litowsk gesichert! Lenin, Trotzki und die Bolschewiki weigerten sich, den Imperialisten nachzugeben. Sie befahlen den inneren und ausländischen Dieben, Räubern und Wucherern, ihre Sachen zu packen. Jetzt ist es an der griechischen Bevölkerung, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und sich von Syriza zu befreien. Erst wenn wir das erledigt haben, können mit dem äußeren Feind verhandeln. Aber das können wir nicht allein schaffen.

Evel Ekonomakis

25. Februar 2015

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