Schweden will WikiLeaks-Gründer Assange in London befragen

Nach jahrelanger Weigerung haben schwedische Staatsanwälte nun offiziell angeboten, WikiLeaks-Gründer, Julian Assange, zu den Vorwürfen sexueller Nötigung in London zu befragen.

Der Anwalt Assanges, Per Samuelson, begrüßte diesen Schritt als einen kleinen „Sieg“. „Das Einzige, was uns daran irritiert“, fuhr er fort, „ist der späte Zeitpunkt, denn dadurch saß Julian Assange mehr als zweieinhalb Jahre lang in der [ecuadorianischen] Botschaft fest.“

An der Tatsache, dass der Antrag so lange verschleppt wurde, kann man sehen, dass Assange das Opfer eines politisch motivierten Komplotts ist. Nachdem er die Verbrechen des US-Imperialismus aufgedeckt hatte, wurde er in Großbritannien quasi zum Gefangenen erklärt und gezwungen, sich zu verstecken.

Anfang 2010 begann WikiLeaks, 400.000 „streng geheime“ Dokumente zu veröffentlichen, die die kriminellen Operationen des US-Militärs in Afghanistan und im Irak aufdeckten. Darunter war auch das Video „Collateral Murder“, das zeigte, wie im Irak eine Gruppe von Zivilisten, darunter zwei Jounalisten der Nachrichtenagentur Reuters, von einem amerikanischen Hubschrauber aus erschossen wurden.

Als sich Assange im August desselben Jahres in Schweden aufhielt, hatte er Sex mit zwei Frauen. Obwohl beide Frauen zugaben, der Sex sei einvernehmlich gewesen, wurden die Vorfälle sofort zum Anlass erfundener Vergewaltigungsvorwürfe genommen.

Diese Anschuldigungen wurden zunächst von der Stockholmer Chefanklägerin, Eva Finne, zurückgewiesen. Kurz darauf griffen allerdings der Rechtsanwalt, Claes Borgstrom, und die Staatsanwältin, Marianne Ny, beide Anhänger der regierenden Sozialdemokratischen Partei, die Vorwürfe wieder auf.

Obwohl es bis heute keinerlei formelle Anklage gibt, erließ Ny im November 2010 einen Europäischen Haftbefehl (EAW). Sie forderte von Großbritannien die Auslieferung Assanges, der weiterhin WikiLeaks-Dokumente enthüllte, nach Schweden. Zur selben Zeit wurde in den USA die Bildung einer geheimen Grand Jury beschlossen, die all jene zum Schweigen gebracht und wegen Spionage angeklagt werden sollen, die es wagten, die mörderischen Verbrechen der USA ans Licht zu bringen.

Bereits im Juli 2010 war die US-Gefreite Chelsea (vormals Bradley) Manning verhaftet worden. Sie wurde angeklagt, durch Weitergabe von Material an WikiLeaks dem Feind “geholfen und Vorschub geleistet” zu haben. Chelsea wurde einen Großteil der Zeit in Einzelhaft gehalten und schließlich im Juli 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt.

Zu Recht befürchtete Assange, die Auslieferung an Schweden wäre nur ein Vorwand, um seine Überstellung in die USA in die Wege zu leiten. Dort hätte er mindestens eine gleiche oder noch schlechtere Behandlung zu erwarten. Vor den britischen Gerichten kämpfte Assange gegen seine Abschiebung, während er gleichzeitig 17 Monate de facto unter Hausarrest stand.

Nachdem er alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, sah sich Assange im August 2012 gezwungen, in der ecuadorianischen Botschaft um politisches Asyl zu bitten. Seitdem musste er dort verharren, weil die Botschaft rund um die Uhr von der Polizei überwacht wird (was bisher Kosten von über zehn Millionen Pfund für den Steuerzahler verursacht hat). Assange droht jeden Moment die Verhaftung und Auslieferung nach Schweden, falls er nur einen Schritt vor die Tür setzt.

Während der gesamten Zeit, die sich jetzt auf über vier Jahre beläuft, haben die schwedischen Behörden Assanges Vorschlag, in London befragt zu werden, konsequent abgelehnt. Und dies, obwohl Schweden bereits in zahlreichen Fällen Beschuldigte im Ausland vernommen hat. So richtete sich das gesamte Stockholmer Bezirksgericht Jahr 2012 wochenlang in Kigali ein, um Augenzeugen des Völkermordes in Ruanda zu befragen.

Was nun offenbar zur veränderten Vorgehensweise führt, ist der Umstand, dass mehrere Vorwürfe gegen Assange im August verjähren, wenngleich die Frist für die angebliche Vergewaltigung bis zum Jahr 2020 läuft. Ny еrklärte die Kehrtwende mit den Worten: „Zeit spielt eine maßgebliche Rolle“.

Assange hatte seinen Fall zuvor vor das Oberste Gericht Schwedens gebracht, welches nur wenige Tage vor der neuen Vernehmungsanfrage zusagte, die Beschwerde gegen den Europäischen Haftbefehl zuzulassen. In dem Zusammenhang hatten Assanges Anwälte auf die Weigerung der Staatsanwaltschaft, Assange in London zu befragen, verwiesen. Dies sei eine „starke Einschränkung“ seiner Freiheit, denn eine solche Vernehmung sei der erste wesentliche Schritt, um festzustellen, ob sich der WikiLeaks-Gründer überhaupt einer Befragung stellen müsse.

Assange schwebt weiterhin in großer Gefahr. Samuelson sagte, der Antrag Schwedens beinhalte die Bedingung, dass die ecuadorianischen und die britischen Behörden das Interview genehmigen müssten. Zudem wird eine DNA Probe von Assange gefordert, obwohl bereits im Jahr 2010 eine Probe genommen worden war.

Nys eigene Aussage macht deutlich, dass sich keines der Probleme gelöst hat. Nachdem sie zuvor die „Qualität“ einer in London durchgeführten Vernehmung in Frage gestellt hatte, sagte Ny nun, sie halte es für „notwendig, diese Mängel zu akzeptieren und das Risiko einzugehen, dass die Vernehmung den Fall nicht voran bringt“.

Die US-Behörden lassen keinen Zweifel daran, dass sie Assange nach wie vor im Visier haben.

Am 4. März lehnte die US District Court Richterin Barbara Rothstein einen Antrag des Electronic Privacy Information Center ab, Dokumente auf der Grundlage der Informationsfreiheitsgesetze freizugeben. Eine solche Freigabe beeinträchtige eine „breitgefächerte Untersuchung“ von WikiLeaks, welche „noch immer aktiv ist und arbeitet“, entschied sie. Dadurch könnten „Umfang und Methoden der Untersuchung“ bekannt werden und „Verdächtige und andere ermittlungsrelevante Personen gewarnt werden“.

Im Dezember gab Google bekannt, die Plattform sei Opfer eines Maulkorberlasses geworden, der der Firma verbiete, Mitarbeiter von WikiLeaks darüber zu informieren, dass ihre E-Mail-Aufzeichnungen seit fast zwei Jahren an die US-Behörden weiter geleitet würden. Google hatte dem amerikanischen Staat den gesamten Inhalt der Mail-Konten von WikiLeaks Mitarbeitern (Sarah Harrison, Joseph Farrell und Kristinn Hrafnsson) ausgehändigt, nachdem die Staatsanwaltschaft im März 2012 Durchsuchungsbefehle gegen die Plattform ausgestellt hatte.

Im November 2013 wurde Jeremy Hammond zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil er die private Geheimdienstfirma Stratfor gehackt und Material über WikiLeaks frei zugänglich gemacht hatte.

Im Januar 2015 wurde der ehemalige Anonymous Aktivist, Barrett Brown, von einem Gericht in Dallas zu 63 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, weil er das Material von Hammond verlinkt hatte.

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