Nach Informationen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind am Montag drei weitere Flüchtlingsschiffe im Mittelmeer in Seenot geraten. Dies habe ein Anrufer, der sich angeblich auf einem der Boote befand, berichtet, teilte ein IOM-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur mit. Eines der Schiffe mit über 300 Flüchtlingen an Bord sei am Sinken, 20 Menschen seien bereits gestorben.
Bei einem weiteren Bootsunglück vor der griechischen Mittelmeerinsel Rhodos starben mindestens drei Flüchtlinge, darunter ein Kind. Laut Küstenwache lief das Segelboot mit mehreren Dutzend Menschen an Bord auf Felsen und zerschellte. Mehr als 90 Flüchtlinge wurden laut Medienberichten in höchster Not vor allem mit Unterstützung der Inselbewohner gerettet. Das griechische Fernsehen zeigte Bilder des völlig zerstörten Holzboots. Einige Flüchtlinge klammerten sich am Wrack fest. Andere versuchten, zum Strand zu schwimmen.
Ersten Erkenntnissen der Küstenwache zufolge kam das Boot aus der Türkei. Über die Herkunft der Flüchtlinge wurde zunächst nichts offiziell bekannt. Augenzeugen sagten im örtlichen Rundfunksender, es seine viele Syrer, aber auch Menschen aus Eritrea und Somalia darunter gewesen.
Über die Katastrophe vom Wochenende, als bei einem Schiffsunglück wohl mehrere Hundert Menschen ums Leben kamen, wurden neue schreckliche Details bekannt. Nach Angaben der italienischen Küstenwache kenterte das völlig überfüllte Boot etwa 130 Kilometer vor der libyschen Küste. Bis zum Sonntagmittag konnten lediglich 28 Menschen gerettet und 24 Leichen geborgen werden.
Die Aussagen eines Überlebenden aus Bangladesch deuten darauf hin, dass noch wesentlich mehr Flüchtlinge auf dem Schiff waren, als bisher angenommen: „Wir waren 950 Menschen an Bord, auch 40 bis 50 Kinder und etwa 200 Frauen“, sagte er der italienischen Nachrichtenagentur ANSA. Viele seien im Laderaum des Schiffs eingeschlossen gewesen und grauenvoll ertrunken. „Die Schmuggler haben die Türen geschlossen und verhindert, dass sie herauskommen“, berichtete der Mann.
Man muss die Dinge beim Namen nennen: Was gegenwärtig im Mittelmeer stattfindet, ist Massenmord! Bereits am letzten Wochenende konnten bei einem Bootsunglück von etwa 550 Flüchtlingen nur 150 gerettet werden. Mitte der Woche sind bei zwei weiteren missglückten Überfahren mehr als 50 Menschen ertrunken. Allein innerhalb der letzten Woche fanden damit weit über tausend Flüchtlinge im Mittelmeer den Tod.
Verantwortlich für das Massensterben sind die imperialistischen Mächte – allen voran die USA und die EU – und das gleich in mehrfacher Hinsicht! Die von den USA und den europäischen Staaten geführten und unterstützten Kriege in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten haben ganze Länder zerstört und Millionen zu Flüchtlingen gemacht. Darunter fallen der Überfall der USA auf den Irak im Jahr 2003, das Nato-Bombardement Libyens im Jahr 2011, die israelischen Kriege gegen die Palästinenser im Gaza-Streifen, und die Interventionen der imperialistischen Mächte oder ihrer regionalen Stellvertreter in Syrien, Mali, Somalia, im Sudan oder jüngst im Jemen.
Amnesty International zufolge haben die eskalierenden Konflikte in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten „zur größten Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg geführt“. Laut einem Bericht zur Lage der Menschenrechte, den die Organisation im Februar veröffentlichte, sind im vergangenen Jahr etwa 57 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht gewesen. Das sind sechs Millionen mehr als noch im Jahr 2012.
Dabei rechnete die EU seit längerem damit, dass die Zahl von Flüchtlingen in diesem Jahr weiter ansteigen wird. „Unsere Quellen berichten uns, dass zwischen 500.000 und einer Million Migranten bereit sind, Libyen zu verlassen“, erklärte Fabrice Leggeri, der Direktor der berüchtigten EU-Grenzschutzbehörde Frontex, bereits Anfang des Jahres. Die Europäische Union müsse sich auf eine noch „schwierigere Situation“ einstellen als im vergangenen Jahr. 2014 habe es rund 278.000 „illegale Grenzübertritte“ gegeben. Das sind über 150 Prozent mehr als im Jahr 2013 und etwa doppelt so viele wie 2011.
Um die „schwierige Situation“ zu bewältigen und „illegale Grenzübertritte“ zu verhindern, schreckt die EU Flüchtlinge mit einer tödlichen Doppelstrategie ab. Zum einen zwingt die hermetische Abschottung der europäischen Außengrenzen (etwa 12.000 Kilometer an Land und 45.000 auf See) mit Stacheldrahtzäunen, Überwachungskameras, Hubschraubern und Drohnen Flüchtlinge, die gefährlichste Fluchtroute durch das Mittelmeer zu wählen.
Zum anderen entschied die EU mit der Einstellung von „Mare Nostrum“ im vergangenen Herbst bewusst, Flüchtlinge im Mittelmeer sterben zu lassen. Das hauptsächliche Ziel der Operation, welche die italienische Marine 2013 nach der Katastrophe von Lampedusa begann, war zwar nicht die Rettung von Flüchtlingen, sondern die Jagd auf Schleuser und das Zurückdrängen von Flüchtlingsbooten. Dennoch wurden in ihrem Rahmen mehr als hunderttausend Flüchtlinge gerettet, was den europäischen Mächten zunehmend ein Dorn im Auge war.
So erklärte etwa der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU), Mare Nostrum sei ein Anreiz für Flüchtlinge, trage zum „Schlepper-Unwesen“ bei und müsse deshalb eingestellt werden.
Nun reagiert die EU auf die jüngsten Opfer ihrer Politik, indem sie die Zahl der Schiffe und der Gelder für „Triton“ verdoppelt. „Die Kommission hat eine Verdopplung der Maßnahmen vorgeschlagen“, prahlte de Maizière nach einem Treffen der EU-Außen- und Innenminister in Luxemburg am Montag. „Wir würden das unterstützen. Wie die Operation heißt, ist eine nachrangige Frage“, so der deutsche Politiker.
Die wichtigste Aufgabe der Operation ist nicht die Suche und Rettung von Flüchtlingen, sondern die Sicherung der „Festung Europa“. Der Hauptzweck der Verdoppelung der Mittel besteht denn auch darin, noch effektiver gegen Flüchtlingsboote vorzugehen.
Details eines Zehn-Punkte-Plans, den die EU-Kommission in Luxemburg vorstellte, deuten darauf hin, dass die EU sich darauf vorbereitet, in Zukunft militärische Mittel gegen Flüchtlinge einzusetzen.
Laut de Maizière prüft die Kommission, was sie aus ihrem Einsatz vor der somalischen Küste gegen Piraterie lernen könne. Es gebe „Überlegungen, ob von Schleppern eingesetzte Boote vernichtet werden könnten, damit sie nicht erneut zum Einsatz kommen“, berichtet Spiegel Online. Eine solche Maßnahme müsse „schnell, aber sorgsam“ überlegt werden, sagte de Maizière. Im Klartext heißt das, dass die EU darüber nachdenkt, mit Kriegsschiffen gegen Flüchtlingsboote vorzugehen. Gegenwärtig sind im Rahmen der EU-Operation Atalanta zwei deutsche Fregatten am Horn von Afrika im Einsatz.
Gleichzeitig nutzen die Europäischen Mächte das Massensterben im Mittelmeer, um in der geostrategisch wichtigen und rohstoffreichen Region erneut militärisch einzugreifen. Vor allem die deutschen Eliten, die sich beim Nato-Krieg 2011 gegen Libyen noch enthalten hatten, sehen eine Chance, sich ihren Teil am Kuchen zu sichern.
So forderte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“, vor Ort gegen Schlepper anzugehen. Man müsse „mehr Stabilität nach Libyen bringen“ und den „Schlepperorganisationen das Handwerk legen“, erklärte er.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel stieß ins gleich Horn und forderte, dass „alle europäischen Polizei- und Grenzbehörden den Kampf gegen kriminelle Schleuserbanden“ aufnehmen: „Wir brauchen einen internationalen Einsatz gegen Schlepperbanden. Und wir müssen den Ländern – zurzeit vor allem Libyen – helfen, stabile Strukturen aufzubauen und mit dem Flüchtlingsstrom fertig zu werden.“
Bereits am Sonntagnachmittag hatte der italienische Innenminister Angelino Alfano für den Plan geworben, mit einem Mandat der Vereinten Nationen sowie der EU und gemeinsam mit Spezialkräften unterschiedlicher Länder eine „internationale Polizeioperation“ an der libyschen Küste und „auf den Stränden“ gegen die Schlepper zu beginnen. Italien drängt seit längerem auf einen umfassenden Militäreinsatz in seiner alten Kolonie Libyen.
Eine weitere, von den EU-Innenministern diskutierter Plan besteht darin, Flüchtlinge durch die Errichtung von Auffanglagern in afrikanischen Staaten „abzuschrecken“. Laut einem Sprecher des italienischen Innenministeriums hat Alfano seinen Kollegen in Luxemburg das Projekt von drei Lagern in Niger, Sudan und Tunesien vorgestellt.