Berlin: Weitverbreitete Solidarität mit griechischen Arbeitern

Das brutale Vorgehen der Bundesregierung in Griechenland stößt unter Arbeitern in Deutschland auf Ablehnung. Das ist die Erfahrung vieler Teams der Partei für Soziale Gleichheit, die in den letzten Tagen in Berlin für die Veranstaltung „Solidarität mit den griechischen Arbeitern!” am kommenden Dienstag warben.

Naci Karakas

Am Daimlerwerk in Marienfelde treffen wir Naci Karakas, der über das Vorgehen der Bundesregierung empört ist. „Was die EU in Griechenland macht, das ist die Politik der Banken. Man kann es nur als Gaunerei bezeichnen. Die Art und Weise, wie das Kreditwesen an den Börsen aufgebläht wurde, hat eine riesige Blase geschaffen. Das Loch in Griechenland ist nicht zu stopfen, selbst wenn sie jeden einzelnen Einwohner von Griechenland pfänden. Es kann nicht sein, dass die Arbeiter diese ganzen Schulden abbezahlen müssen.“

Naci arbeitet schon seit 35 Jahren bei Daimler. Er weist darauf hin, dass hier eine ähnliche Klassenpolitik im Interesse der Aktionäre betrieben werde wie in Griechenland. Er zeigt uns die Nachrichten des Tages auf seinem Smartphone. „Daimler hat den Gewinn um 54 Prozent auf 3,8 Milliarden Euro steigern können,“ sagt Naci, „und doch lassen sie hier immer mehr Leiharbeiter für schlechten Lohn schuften, um die Löhne zu drücken und die Arbeiter gegeneinander aufzubringen. Es wird wirklich Zeit, dass die Arbeiter die Augen aufmachen!“

Ein anderer Arbeiter sagt: „Die Griechen müssen sich doch jetzt total verarscht vorkommen. Da haben sie so ein klares Votum abgegeben, und die EU macht genau das Gegenteil davon.“ Eine Arbeiterin aus Osteuropa ergänzt: „Schlimm, was die mit den Menschen machen. Ich kann mir gut vorstellen, wie das jetzt ist; mit uns haben sie nach der Wende genau dasselbe gemacht.“

Norbert

Beim Mittagsschichtwechsel treffen wir auch Norbert, der sein ganzes Leben lang in der Autoindustrie gearbeitet hat. Er glaubt nicht, dass die griechischen Rentner an der Verschuldung Griechenlands Schuld sind, wie es in den Medien behauptet werde. „Die Reichen, zum Beispiel die Reeder, können sich komplett vor der Steuer drücken und ihr Geld außer Landes schaffen, das muss doch nicht sein. Wenn die Reichen ihre Steuern zahlen würden, dann dürfte es gar keine Probleme geben. Ich frage mich, warum die griechischen Rentner eigentlich weniger bekommen sollen als alle andern.“

Norbert ist schon 71 Jahre alt. Er arbeitet über eine Leihfirma bei Daimler, weil er „wieder unter die Leute kommen“ möchte. „Ich kann nicht nur zuhause sitzen.“ Was ihn jedoch beunruhigt, ist die Zunahme von Leiharbeit in den traditionellen Produktionswerken. „In so einer Leihfirma verdient ein Arbeiter nur acht Euro fünfzig für die gleiche Arbeit, für die die normalen Arbeiter bestimmt 22 oder 23 Euro bekommen“, sagt er.

Bei diesem Schichtwechsel ergibt sich ein differenziertes Bild: viele Arbeiter nehmen die Handzettel mit, um sich „selbst ein Bild zu machen“, aber es gibt auch Reaktionen, die zeigen, dass die extrem einseitige Medien-Berichterstattung und offene Hetze gegen die griechische Bevölkerung nicht ganz ohne Wirkung bleibt. Mehrere Arbeiter sprechen von „den Griechen“, die „über ihre Verhältnisse gelebt“ hätten, auch wenn solche Auffassungen meist nicht besonders tief sitzen.

Zwischen den Sozialbauten am Halleschen Tor in Berlin-Kreuzberg ist die Stimmung eindeutiger. Das Thema Griechenland ist hier allgegenwärtig und wird breit diskutiert. Arbeiter, Angestellte, Rentner, Jugendliche, Studenten und Arbeitslose lassen erkennen, dass sie das EU-Spardiktat und speziell das Auftreten der deutschen Regierung strikt zurückweisen.

Die etwa 40-jährige Blanca ist entsetzt über die Entwicklungen in Griechenland. „Es ist ein absolutes Unding was da abgeht. Ich habe einen Freund in Athen, der muss sich auch jeden Tag in die Schlange vor der Bank stellen, um sechzig Euro abzuheben. Eine richtige Katastrophe. In Griechenland steigt jetzt auch die Selbstmordrate“, berichtet sie.

„Aber es ist nicht nur in Griechenland so“, fügt Blanca hinzu, „auch in Deutschland und Berlin: Was da in Griechenland stattfindet und das Volk bluten lässt und an seine Grenze bringt, das haben wir hier bald auch bei uns. Schauen wir uns doch nur Berlin an, diese ganze Stadt wird ausverkauft. Die ‚Locals’, die hier seit Jahren wohnen, haben gar keine Rechte mehr, wenn sie kein Geld haben. Da kommen die Reichen an, kaufen sich ein günstig gelegenes Appartement und dann werden die Leute zwangsgeräumt.“

Sie kenne selbst eine Familie mit zwei Kindern, die das gerade erlebt habe. „In Athen ist ganz offen geworden, was in ganz Europa abläuft. Hier steht es nur nicht so stark im Rampenlicht“, meint Blanca. „Es ist natürlich eine Klassenfrage, es geht um Arm und Reich. Das sind ganz dunkle Zeiten, die da auf uns zukommen.“

Ähnlich wie Blanca sehen viele Arbeiter Griechenland als Auftakt für soziale Angriffe auf dem ganzen Kontinent. Die teils chauvinistische Propaganda der Medien stößt auf breite Ablehnung. „Was mich besonders nervt: Zu Griechenland wird nur eine Meinung zugelassen. Jeder, der eine etwas andere Meinung hat, wird als Spinner abgetan“, sagt ein Student.

Ein Pärchen auf dem Fahrrad hält auf dem Nachhauseweg an, und beide nehmen einen Flyer. Sie hören der Diskussion einen Moment zu und berichten: „Was die Deutschen im Namen der EU da in Athen veranstalten, das erinnert uns stark an die Treuhand hier nach der Wende. Auch damals haben sie alle öffentlichen Einrichtungen gezwungen, zu privatisieren und alles an die Meistbietenden zu verkaufen. Das Ergebnis war, dass sich seither alles nur noch nach Profit richtet. Die Menschen bleiben komplett auf der Strecke.“

Immer wieder erklären Arbeiter ihre Opposition zur Politik der Bundesregierung und vergleichen ihr Vorgehen mit den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. „Warum müssen sie sich überall einmischen?“ fragt Dragan, ein Berliner aus Jugoslawien. „Serbien haben sie sich damals auch schon geholt.“

Dragan war selbst im Balkankrieg dabei und leistete Militärdienst, als Jugoslawien aufgebrochen und in den Krieg gestürzt wurde. „Ich bin jetzt fünfzig Jahre alt,“ sagt er, „kenne Jugoslawien noch unter Tito. Das nannte man ‚moderner Kommunismus’, da ging’s den Leuten auf jeden Fall besser als heute. Aber die deutsche Regierung muss sich überall einmischen. In diesem Punkt können sie den Amerikanern die Hand reichen.“ In der Geschichte seien schon zwei Weltkriege von deutschem Boden ausgegangen, mahnt Dragan. „Man sollte sie wirklich stoppen.“

„Schäuble legt ein koloniales Verhalten an den Tag“, erklärt ein älterer Herr kategorisch. „Anders kann man das nicht bezeichnen. Vor siebzig Jahren waren die Deutschen schon einmal als Besatzungsmacht in Athen. Dies ist nun die Neuauflage, zwar nicht Eins zu Eins, aber als finanzielle Erpressung und erzwungene Verarmung.“

Der Mann, der sich als Micha vorstellt, erläutert: „Es ist der Versuch von Leuten wie Schäuble und seiner Clique, in ganz Europa Einfluss zu nehmen, um ihre Schäfchen im Trockenen zu halten. Ob andere ausbluten oder nicht, ist ihnen ganz egal.“ Das betreffe nicht nur Griechenland, sondern auch die europäischen und nordafrikanischen Nachbarstaaten. „Darin ähnelt es natürlich dem Gebaren Deutschlands während des Faschismus.“

Vom griechischen Premier Alexis Tsipras war Micha zunächst schwer beeindruckt. „Man hatte den Eindruck, er wolle mit seinem Referendum die Gesellschaft einbinden und ein allgemeines Vorgehen aller Bürger auslösen. Er ist dann offenbar wieder zurückgeschreckt, da hat er wohl Fehler gemacht.“

An dieser Stelle mischt sich Ralf, der von der Arbeit kommt, in die Diskussion und sagt: „Ich finde, das ist schon ein Rückschlag. Die Leute waren doch mit dem Referendum schon gegen das Spardiktat mobilisiert. Syriza hat sich aber nicht konsequent darauf gestützt.“ Tsipras müsse endlich offen über seine Pläne reden. „Das kann man einfach nicht machen: erst links blinken und dann rechts abbiegen.“

Die deutsche Griechenlandpolitik kritisiert Ralf scharf: „Mit Sparpolitik kann man keine Wirtschaft sanieren, weil man erst mal investieren muss, damit der Rubel wieder rollt. Man müsste im Gegenteil der Bevölkerung mehr Geld geben. Wer Geld hat, kann es auch ausgeben. Man muss den Inlandskonsum stärken.“

Weshalb Syriza mit diesem Programm in Griechenland gerade gescheitert ist, kann Ralf nicht beantworten. Insgesamt hinterlässt der Verrat Syrizas, die sich über das eindeutige Nein-Votum hinweggesetzt hat, oftmals Ratlosigkeit.

Im Aufruf zur Veranstaltung der PSG heißt es dazu, „dass Syriza keine linke und schon gar keine sozialistische Partei ist, sondern eine pseudolinke Organisation wohlhabender, egoistischer Mittelschichten, die vor allem um ihren eigenen Vorteil bedacht sind und für die Arbeiterklasse nur Verachtung übrig haben“. Ihr Verrat unterstreiche gerade die Notwendigkeit, einer internationalen Perspektive der Vereinigten Sozialistisch Staaten von Europa. Das erfordere den Aufbau revolutionärer Parteien.

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