Vor 100 Jahren wurde Orson Welles geboren

Am 6. Mai 2015 wäre Orson Welles einhundert Jahre alt geworden. Er war eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten im amerikanischen Film und Theater des zwanzigsten Jahrhunderts.

Orson Welles

Welles fing mit Schauspiel und Spielleitung bereits in jungem Alter an. Nachdem er in den späten 1930er Jahren in New York City Erfolge am Theater und beim Radio verbuchen konnte, unterschrieb er als 25-Jähriger einen Vertrag mit dem Hollywood-Studio RKO und führte Regie bei Citizen Kane, seinem ersten Film. 1947 verließ Welles die Vereinigten Staaten. Vorhergegangen waren mehrere Auseinandersetzungen mit Studioleitern und das Heraufziehen antikommunistischer Säuberungen in Hollywood. Er hielt sich in Europa auf, wo er als unabhängiger Regisseur an verschiedenen Orten Filme drehte. Mitte der 1950er Jahre kehrte er nach Amerika zurück. Seine letzten Lebensjahre waren von erfolglosen und teils erniedrigenden Versuchen beherrscht, Finanzierungen für unterschiedliche Projekte aufzutreiben.

Welles starb vor dreißig Jahren. Das von ihm hinterlassene Werk umfasst 13 Spielfilme. Lässt man fünf schwächere Produktionen beiseite, davon drei aus seiner späteren Schaffenszeit, dann stellen folgende acht Filme das Herzstück seiner Lebensleistung dar: Citizen Kane (1941), Der Glanz des Hauses Amberson (1942), Die Lady von Shanghai (1947), Macbeth – der Königsmörder (1948), Othello (1952), Herr Satan persönlich (1955), Im Zeichen des Bösen (1958) und Falstaff (1965). Jedes einzelne dieser Werke kann dem Leser wärmstens empfohlen werden.

Außerdem hinterließ Welles mehrere nicht abgeschlossene Filmarbeiten und Projekte, darunter verschiedene Versionen von Moby Dick, König Lear, Der Kaufmann von Venedig und Don Quixote sowie zahllose Originalskripte oder Filmfragmente. Daneben gab es natürlich auch Welles’ Theaterarbeit (auch wenn sie hier nicht ausreichend gewürdigt werden kann). Dazu zählen berühmte Aufführungen von Julius Caesar und Macbeth, Christopher Marlowes Dr. Faustus, Georg Büchners Dantons Tod sowie viele weitere die alle in den 1930er Jahren stattfanden, außerdem noch seine Arbeiten für das Radio, die Dutzende Klassikeradaptionen und Darbietungen eigener Werke umfassen. Darüber hinaus lieferte Welles die Idee zur Story zu Charlie Chaplins bemerkenswertem Film Monsieur Verdoux (1947).

Besonders erwähnt werden muss auch die 1993 veröffentlichte Dokumentation It’s All True - Orson Welles auf einer Reise durch Brasilien (Regie: Bill Krohn, Myron Meisel und Richard Wilson) Auf vorbildliche Weise werden hier die Versuche von Welles besprochen, in den Jahren 1941-42 in Lateinamerika einen dreiteiligen Spielfilm unter dem Titel It’s All True zu drehen. Der Dokumentarfilm zeigt bemerkenswerte von Welles angefertigte Originalaufnahmen seines Filmprojekts.

Welles schuf und verkörperte den Pressemagnaten Charles Foster Kane, den Matrosen und Agitator Michael O’Hara, den undurchsichtigen Finanzier Gregory Arkadin und den brutalen Polizisten Hank Quinlan, ebenso schlüpfte er in Shakespeare’sche Figuren, um ihnen Leben einzuhauchen: in den barbarischen Macbeth, den zum Scheitern verurteilten Othello und den tragikomischen Sir John Falstaff.

Als Drehbuchautor und Regisseur erfand Welles (zusammen mit seinen Mitarbeitern) Dutzende faszinierende Haupt- und Nebenfiguren. Man könnte auch diejenigen hinzuzählen, die zwar nicht seine eigentlichen Schöpfungen waren, die aber eine Umarbeitung von seiner Hand erfuhren: zum Beispiel Lady Macbeth (Jeanette Nolan) und Iago (Micheál MacLiammóir) im Film Othello, sowie verschiedene, mehreren Shakespeare-Dramen entnommene Charaktere, die im Falstaff auftreten.

Welles in Der dritte Mann

Hinzu kommen Welles‘ eindrucksvolle Leistungen als Schauspieler in Filmen, die unter guter oder schlechter Leitung anderer gedreht wurden. Welles trat in sehr vielen von ihnen auf, unter anderem in: Von Agenten gejagt, Die Waise von Lowood, Morgen ist die Ewigkeit, Graf Cagliostro, Der dritte Mann, In den Klauen des Borgia, Moby Dick, Des Teufels Lohn, Der lange heiße Sommer, Der Zwang zum Bösen, Fähre nach Hongkong, Hotel International, Brennt Paris?, Ein Mann zu jeder Jahreszeit, Casino Royale, Nur eine Frau an Bord und Catch-22 – Der böse Trick. Sein Ansehen war so groß, dass ihm, berechtigterweise oder auch nicht, Einflussnahme auf die Regie zahlreicher dieser Filme zugesprochen wird, darunter Von Agenten gejagt, Die Waise von Lowood und Der dritte Mann.

Welles’ Regiearbeit erreicht in seinen Spitzenleistungen eine Eindringlichkeit von poetischer, sinnlicher und sozialkritischer Tragweite, wie sie im amerikanischen Kino wohl kein zweites Mal vorkommt. Der tief in Shakespeare und den Klassikern verwurzelte Welles wuchs während der Großen Depression zum Erwachsenen heran. Seine Zielgruppe war stets das breiteste Publikum und seine Filme sind durchdrungen von solcher Intensität und Intelligenz, dass sie fast unweigerlich gefallen mussten.

Vor knapp zwanzig Jahren schrieben wir: „Welles war ein außergewöhnliches Talent, vielleicht der größte Geist in der amerikanischen Schauspielgeschichte. Er hatte die unheimliche Fähigkeit, Menschen so zwischen Objekte und Dekorationen zu stellen und sie so in Bewegung zu setzen, dass die dramatischen Probleme ihres inneren Lebens, mit größter Klarheit und Kraft deutlich werden konnten.“

Es sagt viel, dass Welles, dessen letztes großes Werk ein halbes Jahrhundert zurückliegt, unserer Gegenwart näher zu sein scheint und engagierter wirkt, als die große Mehrzahl unserer heutigen Filmautoren und Regisseure.

All seinen Bestrebungen zum Trotz, gelang es Welles aber nicht, zum Shakespeare des modernen amerikanischen Lebens zu werden. Auch kann für den lückenhaften, unabgeschlossenen Charakter seines Werkes nicht einzig ein feindseliger und stumpfsinniger Studiobetrieb verantwortlich gemacht werden. Es gab etwas Unbewältigtes und Inadäquates in seinen Auffassungen, wozu auch schädliche Illusionen über die amerikanische kapitalistische Demokratie zählten. Ebenso gehört seine übermäßige Beschäftigung (selbst wenn sie kritisch gemeint sein sollte) mit „großen Männern“ hierzu. Dies alles hinderte ihn daran, die moderne Gesellschaft allseitig und umfassend zu behandeln.

Damit in Verbindung steht die Tatsache, dass Welles selten überzeugend die Bedingungen und Gefühle der Unterdrückten darzustellen vermochte. In seinem Auftreten und seinen Vorlieben bewies er stets etwas Aristokratisches und beschrieb sich selbst als „Königsschauspieler“, das heißt als jemanden, der ausschließlich für maßgebende Rollen prädestiniert ist. In der Nachkriegsepoche, die auf den Zweiten Weltkrieg folgte, haben sich manche weniger glänzende Filmemacher als er besser befähigt erwiesen, den konkreten Zustand des Lebens der Arbeiterklasse darzustellen.

Zum größten Teil bestand seine Welt aus wortgewandten und energischen Persönlichkeiten, die auf dramatische Weise mit bedeutungsvollen Fragen moralischer und sozialer Art konfrontiert werden: mit Korruption, Gier, Verrat an höchsten Stellen, mit behördlicher Brutalität, mit drohender Gewaltherrschaft. Ihre Auseinandersetzungen finden zum überwiegenden Teil höheren Orts, über den Köpfen der Durchschnittsbürger statt. Diesen wird lediglich, ist man versucht zu sagen, die reduzierte Rolle hypnotisierter Zuschauer zugewiesen. Eine ernstgemeinte Thematisierung von Menschenmassen, die durch ihr Eingreifen Geschichte machen, sucht man einfach vergeblich.

Vieles von der intellektuellen und ideologischen Unbeständigkeit in Welles’ Werk ist unseres Erachtens Folge seines etwas ungeschickten und rückschrittlichen Versuchs, Ereignisse eines Jahrhunderts, das von einem globalen Bürgerkrieg und der Bewegung gewaltiger sozialer Kräfte dominiert wurde, in gewichtige Formen persönlicher Geschichten zu zwängen.

Um die Komplexität des zwanzigsten Jahrhunderts mit „Shakespeare’scher“ Objektivität behandeln zu können, ist eine Perspektive erforderlich, die im Vergleich mit jener, die der Dramatiker aus der Elisabethanischen Epoche selbst besaß, noch präziser und weiter entwickelt sein muss.

Citizen Kane und Der Glanz des Hauses Amberson

Citizen Kane, Welles’ erster Film, ist einer der meistdiskutierten Spielfilme der Filmgeschichte. Die Tendenz, ihn heute mit einem gewissen Maß an Herablassung zu behandeln, ist möglicherweise eine Reaktion auf seine halboffizielle Bezeichnung als „größter Film aller Zeiten“. Er ist nicht notwendig Welles’ bestes Werk, dennoch ist er eine bemerkenswerte Leistung, und das nicht einfach nur deshalb, weil er die Arbeit eines Menschen verkörpert, der gerade einmal fünfundzwanzig Jahre zählte und niemals zuvor einen Spielfilm gedreht hatte.

William Randolph Hearst

Der Film schildert das Leben und die Zeitumstände von Charles Foster Kane (Welles), einem fiktiven Medienmogul. Die Figur basiert zum Teil auf dem Zeitungsverleger und Multimillionär William Randolph Hearst sowie auf einer Reihe anderer amerikanischer Großindustrieller. Der Film beginnt mit dem Tod Kanes im Jahr 1941. Kane stirbt, praktisch völlig vereinsamt, auf seinem an ein Mausoleum erinnernden herrschaftlichen Wohnsitz. Im Verlauf der Handlung versucht ein Reporter, Informationen über den Mann zusammenzutragen, indem er Gespräche mit einigen Menschen führt, die ihn gut kannten.

Der Großteil des Films wird in einander überlagernden Rückblenden erzählt. Zunächst werden wir ins Jahr 1871 zurückgeführt, wo die Handlung stattfindet, aus der sich fast alle nachfolgenden Ereignisse ergeben. Kanes Mutter (Agnes Moorehead), die eine Pension in Colorado führt und einen Grundbrief über ein sich als außerordentlich wertvoll erweisendes ergiebiges Goldbergwerk erhält. Gegen den vergeblichen Protest ihres Mannes und entgegen ihrer eigenen Herzensneigung entscheidet sie, ihren jungen Sohn an die amerikanische Ostküste fortzuschicken, wo er unter der Vormundschaft des kalten und stocksteifen Bankiers Mr. Thatcher (George Coulouris) erzogen und ausgebildet werden soll.

Laut dem französische Kritiker André Bazin habe Welles entweder an einer Kindheitsobsession gelitten oder er habe die Kindheit mit wehmütigen Augen betrachtet. Wenn dies zutrifft, dann war dies eine Obsession, die über die eigenen prägenden Jahre des Regisseurs oder diejenigen eines oder mehrerer seiner fiktiven Charaktere hinausgeht. Unserer Meinung nach kann es sich hier nur um die Kindheit des modernen industriellen und kommerziellen Amerikas handeln. Die beiden ersten Filme von Welles (Citizen Kane und Der Glanz des Hauses Amberson) beginnen ihre Handlung in den 1870er Jahren, in jenem Jahrzehnt, das auf den amerikanischen Bürgerkrieg folgte und das am Vorabend des Aufstiegs der Vereinigten Staaten als wirtschaftliche Weltmacht steht. Kane Senior (Harry Shannon) murrt zwar über „die Idee, eine Bank zum Vormund [seines Sohnes] zu machen!“, doch offenkundig ist die Schlussfolgerung des Films, dass Finanzinstitutionen zu Aufsehern und Kontrolleuren des gesamten amerikanischen Lebens wurden, und zwar mit weitreichenden Konsequenzen.

Citizen Kane

Aber trauert Welles dem Amerika, das unterging, „wehmütig“ nach? Selbstverständlich ist er sich zu sehr über den historischen Prozess im Klaren, als dass er glaubte, die Vereinigten Staaten hätten ihren halb-ländlichen Charakter beibehalten können, der vom Kleinstadtleben und dem kleinem Geschäft in Familienbesitz beherrscht wurde. Tatsächlich betonen beide Filme die Beschränktheit und Rückwärtsgewandtheit dieser Art von Existenz. Als beispielsweise der Vater des jungen Kane vorschlägt: “Was der Junge braucht, ist eine anständige Tracht Prügel”, antwortet Mary Kane unverblümt: „Deshalb soll er groß werden, wo du nicht an ihn ran kannst.”

Dessen ungeachtet zeigt sich Welles ambivalent hinsichtlich der Entwicklung der modernen Gesellschaft, was inDer Glanz des Hauses Amberson nochstärker zum Ausdruck kommt. Zu behaupten, dass das Leben im Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts, mit seinen Fabriken und Autos und „dunklen“ Städten, prinzipiell etwas sei, das Grauen erregt („ein Schritt rückwärts in der Zivilisation“) – und Welles’ Argumentation hat Züge davon –, heißt, sich über die historisch weltbewegenden und potenziell revolutionären Implikationen dieser Entwicklung entweder hinwegzusetzen oder für diese blind zu sein. Dies ist ein ungelöstes Problem im Denken von Welles, das nie verschwindet. Zu Anfang seiner Journalistenkarriere, noch als populistischer Skandalreporter, erklärt Kane dem Bankier Thatcher, dass er als Zeitungsmann sich um die Interessen der „arbeitenden Bevölkerung“ kümmere, und er setzt bedrohlich hinzu: „Ich habe Geld und Besitz. Wenn ich mich nicht um die Benachteiligten kümmere, dann wird es ein anderer tun. Vielleicht einer ohne Geld und ohne Grundbesitz. Dann wünsche ich Ihnen viel Glück.“

Später wird der aufstrebende Mogul vom betrunkenen Jed Leland (Joseph Cotten), seinem langjähriger Freund und Mitarbeiter, gewarnt: „Wenn deine Werktätigen sich wirklich ernsthaft zusammenschließen, oh, lieber Junge, dann werden die auf deinen Rechten Flöte spielen, dass du nicht mehr weißt, wofür du gelebt hast. Dann wirst du zu einer verlassenen Insel segeln, wer weiß, und die Affen bekehren.“

Citizen Kane

Auf jeden Fall wurden die emotionalen Bedürfnisse des Jungen Charles Kane auf dem Altar der Ökonomie und des Ansehens geopfert, und damit die Tonlage des gesamten Films festgelegt. Kane wird zu einem obsessiven Käufer von Objekten und er behandelt andere Menschen wie Objekte, die er erwerben kann. Am Ende verwandelt sich der von Statuen umgebene Kane in etwas, das selbst an einen Stein erinnert. Der amerikanische Traum von Erfolg und Besitz verwandelt sich in einen unerträglichen Albtraum.

Es gibt bedeutungsschwere und etwas mühselige Elemente in Citizen Kane, darunter die Eröffnungs- und Schlusssequenzen, die in Kanes Wohnsitz Xanadu spielen. Zudem wirken manche der Sequenzen unnötig gekünstelt.

Doch Citizen Kane enthält auch Szenen, die von einem außerordentlichen visuellen Gespür, wenn nicht Brillanz, zeugen. Die Bankettszene etwa, in der der Erfolg der ersten Kane’schen New Yorker Zeitung gefeiert wird, ist eine solche. Kane ist noch ein junger Mann. Er flirtet mit einer Gruppe tanzender Mädchen, die eine alberne Nummer vortragen, in der er besungen wird. Hier wirkt er am charmantesten und charismatischsten. Seine neuen Mitarbeiter, die alle einem Rivalen abgeworben wurden, bewundern ihn und die Frauen. Spaß, Gelächter und Unbeschwertheit scheinen zu dominieren, doch am Rande der Party lauert etwas Unheimliches und Niederträchtiges (Kane drängt dazu in heiterer Laune auf die Kriegserklärung an Spanien!). In einer Ecke sitzend, diskutieren Kanes Assistent Bernstein (Everett Sloane) und Leland Kanes Grundsätze beziehungsweise ihr Fehlen.

“LELAND: Bernstein, Bernstein, diese Leute, die vom Chronicle kommen, haben sie die Richtung des Chronicle nicht genauso verfochten, wie jetzt unsere? Werden sie sie genauso ehrlich verfechten? BERNSTEIN: Natürlich, sie sind genau wie alle anderen Menschen auch. Sie haben eine Aufgabe, und die erfüllen sie auch. Bloß, dass sie in ihrem Beruf die absoluten Spitzen sind. LELAND: Treten wir aber für dieselbe Richtung ein, die der Chronicle verfolgt, Bernstein? BERNSTEIN: Natürlich nicht. Hören Sie, bei Mister Kane dauert es nicht eine Woche, bis die Herren auf seine politische Auffassung einschwenken. LELAND: Es besteht aber auch die Gefahr, dass er auf ihre Richtung einschwenkt … ohne dass Mister Kane es merkt.“

Ein charakteristisches Merkmal von Citizen Kane ist die von Welles angewandte Tiefenschärfe, die es gestattet, jedes Element, ob hinten oder vorne, im Fokus erscheinen zu lassen. Der Betrachter kann die Handlungen und Haltungen verschiedener Figuren sowie die Dekorationen zugleich wahrnehmen. Theoretisch jedenfalls kann er wählen, auf welche Besonderheit er sich konzentrieren möchte, oder auch seinen Blick zwischen den verschiedenen Elementen hin- und her schwenken.

Der Film durchaus kein unsympathisches Porträt seiner Hauptfigur (Kane sagt an einer Stelle zu Bernstein: “Wenn ich nicht so verflucht reich gewesen wäre, wär ich vielleicht ein wirklich großer Mann geworden“), aber die künstlerischen und psychologischen Subtilitäten, die Hearst gelten, bleiben unverstanden. Letztgenannter erklärte Citizen Kane den Krieg und nutzte, letzten Endes erfolglos, seinen nicht unbeträchtlichen Einfluss, um zu verhindern, dass das Publikum den Film zu sehen bekam. Zur selben Zeit, im März 1941, legte das FBI eine Akte zu Welles an. In einem Bericht vermerkte die Behörde: „Die uns vorliegenden Beweise führen unvermeidlich zu der Schlussfolgerung, dass der Film Citizen Kane eine Ausdehnung der Schmutzkampagne der Kommunistischen Partei ist, die sich gegen einen ihrer wirkungsvollsten und beständigsten Gegner in den Vereinigten Staaten [d. h. Hearst] richtet.“

Citizen Kane

James Naremore (Autor von The Magic World of Orson Welles) bemerkt: “Kane war wohl kaum ein kompromissloser antikapitalistischer Angriff, aber er ging weit genug, um sicherzustellen, dass Welles niemals wieder von RKO solche Freiheiten eingeräumt bekam.“ Die Nöte, die Welles in dieser Hinsicht auszustehen hatte, sind wohldokumentiert, und sie führten dazu, dass sein folgender Film vom Studio übel entstellt wurde.

Der Glanz des Hauses Amberson basiert auf einem Roman von Booth Tarkington und schildert den Verlauf mehrerer Jahrzehnte, in denen Glück und Reichtum der Amberson-Familie, die einmal die vornehmste Familie einer Kleinstadt im Mittleren Westen gewesen war, zunehmend schwinden. Isabel Amberson (Dolores Costello) verschmähte den intelligenten und aufstrebenden Erfinder und Industriellen Eugene Morgan (Joseph Cotten) und heiratete stattdessen den passiven und farblosen Wilbur Minafer (Don Dillaway).

Zwanzig Jahre später ist Minafer tot und Morgan ist Witwer. Morgans jugendliche Tochter Lucy (Anne Baxter) ist etwa genauso alt wie Isabels Sohn George (Tim Holt). Der Automobilpionier Morgan und Isabel nehmen ihre unterbrochene Beziehung wieder auf. Doch der verzogene und unausstehliche George, der von seiner frustrierten und unverheirateten Tante Fanny Minafer (Moorehead) angestachelt wird, findet Morgan nicht gut genug für die Amberson-Minafer-Familie. Isabel stirbt unglücklich und die wirtschaftliche Situation der Ambersons verschlimmert sich rapide.

Der Glanz des Hauses Amberson

Mooreheads Verzweiflung und schließliche Hysterie sind unvergesslich, insbesondere in den Szenen, die im Treppenhaus des Amberson’schen Wohnhauses spielen. Die Schlusssequenzen des Films stammen nicht von Welles und wurden von ihm auch nicht autorisiert, man sollte sie einfach ignorieren. Im Ganzen, oder zumindest in dem, was von ihm übriggeblieben ist, ist Der Glanz des Hauses Amberson müheloser und humaner als Citizen Kane. Er fokussiert sich weniger auf eine einzelne Figur und bietet Momente außerordentlicher Intimität. Bezeichnenderweise ist es der einzige von Welles Filmen, in denen er nicht selbst auftritt, sondern lediglich die Erzählerrolle übernommen hat. Beide frühen Filme profitieren enorm von der Anwesenheit Joseph Cottons, der seine Charaktere mit Tiefe und Komplexität erfüllt.

Welles und die linke Intelligenz in den Vereinigten Staaten

Eine legitime Kritik, die an Welles’ filmisches Werk gerichtet werden darf, ist die, dass er sich niemals einer der dornigeren Fragen des amerikanischen politischen Lebens annahm: der Rolle und Entwicklung des Liberalismus und der Demokratischen Partei, und insbesondere, dass er niemals die weitverbreiteten Illusionen in Franklin D. Roosevelt thematisierte. Zum Teil war dies darum der Fall, weil Welles selbst viele dieser Illusionen teilte.

Die Frage nach Welles’ politischen Ansichten und Positionen sowie ihrer Evolution ist zu weitgehend und kann hier lediglich kurz gestreift werden. Jedenfalls sind, was die angesprochene zeitliche Phase betrifft, weniger seine persönlichen Ansichten von Bedeutung, als vielmehr jene der amerikanischen linken Intelligenz im Ganzen.

In den Jahren 1937-38 stand Welles Personen der Kommunistischen Partei (KP) und ihrer Politik recht nahe. Im September 1937 stellten er und John Houseman im Daily Worker, der Zeitung der KP, unter dem Titel „Theater und die Volksfront“ ihr neues Mercury Theatre vor. Die neue Theatergruppe, erklärten die beiden, sei „ein weiterer Schritt … zu einem wahren Volkstheater in Amerika.“

Michael Denning schreibt in The Cultural Front (eine Quelle nützlicher Informationen, aber ein höchst verfehltes Buch, das die Rolle und den Einfluss des Stalinismus beschönigt): „Im Frühjahr und Winter 1938 beteiligte sich Welles regelmäßig an Volksfrontveranstaltungen: im Februar eröffnete er ein New Masses-Konzert [New Masses war ein Kulturmagazin der Kommunistischen Partei]; im März traten er und [der Komponist Marc] Blitzstein [The Cradle Will Rock] auf einem Symposium des Workers Bookshop anlässlich der ‚Kultur der Volksfront‘ auf; im April erschien er auf dem Friedensball der American Student Union.“

Die 194 Seiten umfassende Akte, die das FBI kurz vor der Premiere von Citizen Kane, im März 1941, zu Welles angelegt hatte, listet eine Vielzahl von Organisationen auf, die „als kommunistisch gelten“ und mit denen er in Verbindung stand, darunter das Negro Cultural Committee, den Workers Bookshop, den American Youth Congress, das Volksforum, die Hollywood-Liga für demokratische Aktion und viele weitere.

FBI Direktor J. Edgar Hoover

Eine Aktennotiz des FBI vom November 1944 vermerkt unmissverständlich: “Welles ist ein konsequenter Anhänger der Linie der Kommunistischen Partei.“ Eine weitere Aktennotiz, die einen Monat später angefertigt wurde, berichtet vom „Gruß an das Young Americans Dinner“, das von der American Youth for Democracy finanziert wurde, „der Nachfolgerin der Young Communist League.” Laut dieser Aktennotiz „schloss Welles seine Ausführungen mit der Bemerkung, dass Faschismus in den Vereinigten Staaten solange möglich sein werde, bis alle gierigen Leute dieses Landes umgebracht wurden.“

Obwohl sie keine Mitgliedschaft von Welles in der Kommunistischen Partei nachweisen konnten, vielleicht weil er niemals in sie eingetreten war, setzten im Jahr 1944 hochrangige FBI-Beamte seinen Namen auf den geheimen Sicherheitsindex des Geheimdienstes. Diese Liste enthielt „die Namen jener Personen, die als Gefahr für die innere Sicherheit“ der Vereinigten Staaten betrachtet wurden, und die im Falle eines nationalen Notstandes ermittelt und verhaftet werden würden. Im September 1949 wurde Welles von dem Index gestrichen, nachdem er mehrere Jahre in Europa zugebracht hatte

Es ist nicht schwer nachzuweisen, dass Welles während der Kriegsjahre und vielleicht sogar am Ende des Krieges ein Mitläufer der Kommunistischen Partei war, doch was genau heißt das? „Zu verschiedenen Zeiten“ schreibt James Naremore, “nannte er sich selbst einen Sozialisten und verblieb entschieden anti-faschistisch, freilich ohne über das ‚pragmatische‘ Ethos des New Deal hinauszugehen.“

In Sozialismus, historische Wahrheit und die Krise des politischen Denkens in den Vereinigten Staaten erwähnt David North die tiefgreifenden Auswirkungen des Wall-Street-Krachs auf die amerikanische Intelligenz. Er schuf „innerhalb dieses sozialen Milieus einen gewissen Handlungsdruck, ein erhöhtes Interesse an sozialen Problemen und sogar bis zu einem gewissen Maße Sympathie für radikale Politik.“

Diese Stimmungen übersetzten sich oft in eine generelle Sympathie für die Sowjetunion. Als die stalinistische Kommunistische Internationale 1935 die Politik der „Volksfront“ einschlug, wurde dies noch verstärkt. Die verschiedenen kommunistischen Parteien sollten sich gemäß dieser politischen Linie mit liberalen und progressiven Parteien verbünden und sie in jeder Weise unterstützen. Die Stalinisten bezeichneten diese Parteien als Vertreter der „demokratischen“ Bourgeoisie.

North erläutert: “Parteien, Politiker und Regierungen wurden nicht mehr auf Grundlage der Klasseninteressen, denen sie dienten, definiert und analysiert, sondern entweder als ‘faschistisch’ oder ‘antifaschistisch’ eingeschätzt. Die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und das Ziel des Sozialismus mussten Interessen geopfert werden, die in Wirklichkeit ein Erfordernis der sowjetischen Außenpolitik waren.“

Die Bewunderung unter Liberalen für die sowjetischen Errungenschaften und ihre Unterstützung für das sowjetische Regime, bemerkt er, „wiesen nicht im geringsten auf Unterstützung für revolutionären Wandel in den Vereinigten Staaten hin. Weit entfernt. Vielmehr neigten viele liberale Intellektuelle dazu, ein Bündnis mit der UdSSR als Mittel zu betrachten, ihre eigene beschränkte Agenda für soziale Reformen in den Vereinigten Staaten zu stärken sowie den Faschismus in Europa in Schach zu halten.“

Im Jahr 1938 bemerkte der russische Revolutionär Leo Trotzki in Kunst und Revolution: “Eine ganze Generation der ‘linken’ Intelligenz hat während der letzten zehn oder fünfzehn Jahre ihre Augen nach Osten [auf die UdSSR] gewandt und ihr Schicksal mehr oder weniger eng, wenn nicht mit dem revolutionären Proletariat, so wenigstens mit der siegreichen Revolution verknüpft. Das ist nicht dasselbe.“ In der siegreichen Revolution, stellt Trotzki fest, gab es nicht nur die Revolution, sondern auch jene neue privilegierte Schicht, die stalinistische Bürokratie, die sich auf den Schultern der Revolution erhoben hat. „In Wirklichkeit hat die ‘linke’ Intelligenz versucht, ihren Herrn zu wechseln. Hat sie dabei viel gewonnen?“ [Leo Trotzki: Literaturtheorie und Literaturkritik, UTB, Wilhelm Fink Verlag, München 1973, S. 146]

Ende der 1930er Jahre umwarben die Stalinisten in den Vereinigten Staaten höchst intensiv liberale und radikale Intellektuelle. North schreibt: „Die Tagespolitik der Kommunistischen Partei erhielt in vielfacher Beziehung ein zunehmend liberales Kolorit, besonders hervorstechend war die fast vollständige Unterstützung der amerikanischen KP für Roosevelt und den New Deal.“ Für viele linke Intellektuelle „schien ihre persönliche Identifikation mit der Sowjetunion sie, zumindest in ihren eigenen Augen, dafür zu entschädigen, dass sie über kein unabhängiges Programm für radikale Aktionen in den Vereinigten Staaten verfügten.“ KP-Mitglieder und Unterstützer in Hollywood präsentierten sich lediglich als die leidenschaftlichsten und politisch weitestgehenden Unterstützer von Roosevelt. In vielen Fällen hielten sie sich wohl auch tatsächlich dafür.

Bei der Einschätzung von Ereignissen wie den Moskauer Prozessen, bei denen die Führer der Oktoberrevolution als Konterrevolutionäre und Agenten des Faschismus denunziert und zum Tode verurteilt wurden, sowie der gesamten, zu einem Genozid an Sozialisten und Revolutionären führenden Kampagne, die das stalinistische Regime in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre in der UdSSR führte, ließ sich das linke intellektuelle Milieu in den Vereinigten Staaten von seinen eigenen beschränkten sozialen Interessen und allgemein kleinlichen Belangen leiten.

Der Komponist Marc Blitzstein

Gewiss ist es ein Schandfleck im Ansehen solch großer Künstler wie Charlie Chaplin, Theodore Dreiser und Richard Wright sowie weniger herausragender Persönlichkeiten wie Marc Blitzstein, Dorothy Parker, Nathaniel West, Henry Roth, Ring Lardner Jr., Rockwell Kent, Dashiell Hammett, Lillian Hellman, John Garfield, Morris Carnovsky, usw. dass sie die Verleumdungen, die in den Moskauer Prozessen gegen Trotzki und weitere bolschewistische Revolutionäre vorgebracht wurden, öffentlich unterstützten.

Eine dieser elenden öffentlichen Stellungnahmen, der sich eine Anzahl Schauspieler, Schriftsteller und „Bildungsbürger“ anschlossen, und die im April 1938 im Daily Worker veröffentlicht wurde, verteidigte die angeblichen sowjetischen Bemühungen, „heimtückische innere Gefahren zu eliminieren“. Sie griff die „trotzkistisch-bucharinschen Verräter“ an und unterstützte die Position der amerikanischen KP, laut der die Prozesse und Exekutionen verhinderten, dass „die Faschisten die Rechte des Volkes erdrosselten.“

Welles’ Name erscheint nirgendwo, doch Blitzstein, ein enthusiastischer Stalinist und damals Mitarbeiter von Welles, unterzeichnete offenbar jede verleumderische Stellungnahme auf die er stieß.

Ob Welles sich von der Kampagne distanzierte, die für die Moskauer Prozesse geführt wurde, oder ob er noch nicht prominent genug war, um den Stalinisten von Nutzen zu sein, bleibt ungewiss. In jedem Falle aber waren dies jene Kreise, in denen Welles sich aufhielt. Und das hatte sowohl kurz- als auch langfristig Konsequenzen für ihn.

Wie wir bereits in einer Besprechung von Reynold Humphries’ Hollywood’s Blacklists darlegten, sind die nachfolgenden verheerenden Auswirkungen auf die Hollywood-Linke – und Welles Schicksal ist ein Bestandteil dieser umfassenderen Tragödie – untrennbar verbunden mit ihrer katastrophalen Missdeutung der politischen und sozialen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten, des Charakters der Roosevelt-Regierung und der Demokratischen Partei, des Weltkrieges sowie der Aussichten in der Nachkriegsperiode.

Wir schrieben: “Obwohl Millionen Menschen vom Wunsch beseelt, Hitler und den Faschismus zu besiegen, in den Zweiten Weltkrieg zogen, blieb dieser in seinem sozialen und wirtschaftlichen Wesen ein imperialistischer Krieg, ein Kampf zwischen Großmachtblöcken um die Aufteilung und Neugliederung der Welt. Die Vereinigten Staaten mit ihrer kolossalen industriellen Stärke und ihren Reserven konnten sich in den 1930er Jahren Roosevelts reformistische Experimente leisten, doch das machte die Kriegsziele der amerikanischen herrschenden Elite oder ihre Pläne für die Nachkriegswelt nicht weniger räuberisch oder kriminell.“

Die Kommunistische Partei und ihr Umfeld verschlossen die Augen vor der unglaublichen Brutalität der alliierten Streitkräfte, darunter den Bombardierungen deutscher und japanischer Städte. Sie begrüßten die Einäscherung von Hiroshima und Nagasaki im August 1945 durch Atombomben, wobei Hunderttausende Zivilisten getötet und verkrüppelt wurden, mit Beifallsrufen. Es ist beschämend, dass sich auch Welles in einer Radioübertragung diesem Jubel anschloss.

Die Hollywood-Linke war auf die Ereignisse, die auf sie zurollten, vollkommen unvorbereitet. Die KP hatte eine Wiedergeburt der Demokratie versprochen, einen New Deal von größerem und sozialistischerem Ausmaß. Sie hatte ihre Anwerbungen auf Grundlage von Unterstützung für den Krieg und für „Amerikanismus“ vollzogen. Nun aber, da das Kriegsbündnis mit der UdSSR beendet war und die Stalinisten ihren Zweck erfüllt hatten, der darin bestand, öffentliche Unterstützung für den Krieg zu gewinnen, „fiel die Maske herab und die hässliche Visage des amerikanischen Imperialismus kam zum Vorschein, der zur dominierenden kapitalistischen Macht aufgestiegen war.“

In seiner kurzlebigen Kolumne aus dem Jahr 1945, die in der damals noch liberalen Tageszeitung New York Post erschien, waren Welles’ Hauptthemen laut James Naremore „die Notwendigkeit, die Sozialgesetzgebung des New Deal dauerhaft zu machen sowie die Unumgänglichkeit einer Verwandlung des Sieges über Deutschland in eine Weltdemokratie. Er sprach sich für eine faire Beziehung zwischen Arbeit und Kapital aus, nahm allerdings an, dass staatliche Preisregulierungen auch nach dem Krieg fortgesetzt werden müssten; er schimpfte über eine ‘bestimmte Sorte von Geschäftsleuten’, die ‘sich offen für einen gewissen Prozentsatz Arbeitslosigkeit nach dem Krieg aussprechen’ und sagte, solche Leute ‘wollen nicht ein Prozent staatlicher Kontrolle über ihre Angelegenheiten. Sie wollen ungezwungene Freibeuter sein, so frei, eine kleine bequeme Arbeitslosigkeit anzuregen.’ Er unterstützte die Grundstruktur der amerikanischen Staatsgewalt und das Zwei-Parteien-System, hoffte lediglich damals laut, dass Henry Wallace [Roosevelts Vizepräsident während seiner dritten Amtszeit 1941-45 und Präsidentschaftskandidat der Progressiven Partei, der 1948 von den Stalinisten unterstützt wurde] der nächste Präsident werden würde.“

“Welles nahm die zunehmende Propaganda wahr, die sich gegen die Russen richteten“, schreibt Naremore. Die Kolumne in der Post kommentierte: „Wir errichten immer noch unsere Bollwerke gegen den Bolschewismus. Die falsche Furcht vor dem Kommunismus vernebelt die wirkliche Gefahr, die vom wiederauflebenden Faschismus ausgeht.“

Welles ging, wie auch viele andere ihm gleichgesinnte Radikale und Liberale, von der utopischen und falschen Perspektive aus, dass auf die „progressiven“ Elemente innerhalb der amerikanischen herrschenden Elite, die von der Demokratischen Partei repräsentiert werden, Druck ausgeübt werden könne, damit sie gegen die „kleine Wall-Street-Kamarilla“ und ihre angeblich exklusive politische Agentur, den rechten Flügel der Republikanischen Partei vorgeht und im Interesse breiter Schichten der Bevölkerung handelt.

Welles und Shakespeare: Macbeth, Othello und Falstaff

Welles in den 1980er Jahren

Eine der intellektuell und künstlerisch einflussreichsten Persönlichkeiten für Orson Welles’ Leben und Werk war fraglos William Shakespeare. Welles’ intensive Beschäftigung mit dem Werk des Dramatikers begann bereits in frühem Alter. Ein Kommentator bemerkte: „Als Kind beanspruchte Welles Shakespeare ganz für sich selbst.“ Als Achtzehnjähriger erstellte Welles gemeinsam mit seinem Mentor Roger Hill die Bearbeitung Everybody’s Shakespeare – Schauspielausgaben dreier Dramen, die für Unterricht und Aufführungen an Schulen konzipiert waren.

Als er später für Bühne, Radio, Fernsehen und Film arbeitete, übernahm er Rollen oder führte Regie in Inszenierungen von Macbeth, Was ihr wollt, Julius Caesar, Der Kaufmann von Venedig sowie König Lear und Othello. Seine Fünf Könige basierten auf Richard II, Heinrich IV, Teile 1 und 2, und Heinrich V. Er bannte Macbeth und Othello auf die Leinwand und übernahm Bestandteile aus den Teilen 1 und 2 von Heinrich IV, Richard II, Heinrich V und Den lustigen Weibern von Windsor für seine Filmversion vonFalstaff– Glocken um Mitternacht.

Trotz seiner Hochschätzung für die Originalfassung der Dramen, fand Welles’ Zugang zu Shakespeare, indem er sein Werk als Rohmaterial für aktuelle Themenstellungen nutzte. Unserer Auffassung nach sind seine filmischen Interpretationen Shakespeares die besten, die jemals gedreht wurden. Aber nicht, weil sie übermäßig originalgetreu wären, obwohl sie dies im tieferen Sinne bis zu einem gewissen Grad auch sind, sondern weil sie danach streben, lebensnah und realistisch zu sein.

Welles’ Affinität zu Shakespeare und zu den Klassikern ganz allgemein (Marlowe, Büchner, Hugo, Charlotte Brontë, Dickens, Thackeray, Stevenson und andere) hat verschiedene Facetten. Sie lieferten ihm die nötige Bildungssprache und Eloquenz für seine Ergründung der modernen Gesellschaft. Auch ermöglichten sie eine kritische Haltung gegenüber der Vulgarität und Dummheit, die in vieler Hinsicht die zeitgenössische Kultur und das öffentliche Leben prägten.

Macbeth

Insbesondere Shakespeare wird für ihn zu einem unverzichtbaren Vorbild, zum Eingangstor in die Welt hoher dramatischer Kunst und Leidenschaften. Dem Künstler, der es vermag, Shakespeares Werk in sich aufzunehmen und zu meistern, bietet es Sprache, Dramatik, Darstellung, Unterhaltung, Zauber, Geschichte, sprühenden Witz, Körperkomik sowie persönlichen und politischen Triumph und vernichtende Niederlage, mit einem Wort: ein künstlerisches Universum.

In einem 1976 erschienenen Essay kommentierte der Kritiker Robin Wood: “Von wesentlicher Bedeutung ist Welles’ offensichtlich starke Identifikation mit Shakespeare. Sie drückt sich in seinen Versuchen aus, eine visuell-dichterische Welt zu erschaffen, die der ‘Welt’ der Shakespeare’schen Tragödie entspricht; in seinem unaufhörlichen Bestreben, tragische Bedeutsamkeit und dramatische Größe zu erreichen; sowie in seiner Suche nach einem filmischen Stil, der eine kreative Funktion analog zu Shakespeare's Versen erfüllt.“ (Robin Wood, Personal Views: Explorations in Film)

Gelang Welles diese “Entsprechung”? Eine Entsprechung nicht nur im formalen Sinne, sondern in dem Sinne, dass ihm trotz nötiger Änderungen eine Welt gelang, die Shakespeares Begriffen von Objektivität und Komplexität entsprach? Wenn seine Zielsetzung so ehrgeizig war, und das ist sehr wahrscheinlich, dann verdient er einen ähnlich hochstehenden Maßstab zu seiner Beurteilung.

Welles’ Macbeth (1948), eine der filmischen Shakespeare-Interpretationen ersten Ranges, will beweisen, dass die Gegenwartspolitik ebenso von Mord und krisenhafter Tyrannei geprägt ist, wie dies Shakespeares Schauspiel darstellt. Der Film wurde im Sommer 1947 gedreht, als Krieg und Holocaust noch frisch in Erinnerung waren, und als sich die herrschende Elite Amerikas in einem scharfen Schwenk nach rechts befand.

Verschwörung und Intrige sind allgegenwärtig in jedem Augenblick des Films. Das Angst einflößende Werk bedient sich düsterster Dramatik in höchst ästhetischer Form, um die Barbarei jener Barbaren zu offenbaren, die sich im Besitz der Macht befinden. Die heimtückischen Ziele, die Macbeth und Lady Macbeth zielstrebig verfolgen, sind voller Tücke. Sie sind Bestien im Pelz.

“Kommt Geister, die ihr lauscht / Auf Mordgedanken, und entweibt mich hier; / Füllt mich vom Wirbel bis zu Zeh’, randvoll / Mit wilder Grausamkeit,“ [Tiek/Schlegel-Übersetzung] sagt Lady Macbeth in einer ihrer schauervollsten Reden. In Welles’ Händen ruft diese Äußerung die monströse Unmenschlichkeit der Herrschenden ins Bewusstsein – der gestrigen und der heutigen. Der Film, der mit bescheidenstem Budget und in nur drei Wochen von einem auf Western-Streifen spezialisierten Studio gedreht wurde und von diesem als B-Film vorgesehen war, zeigt eine bemerkenswerte poetische Tiefe. Diese Tiefe verdankt sich dem Streben nach „tragischer Bedeutsamkeit und Größe“. Sie wird noch verstärkt durch das makabre Bühnenbild und insbesondere die Darbietung von Welles, einem großen Darsteller tragischer Rollen Shakespeares.

Othello

Auch in seinem Othello (1952) übernimmt Welles die Rolle der Titelfigur. Othello ist ein maurischer General in Diensten des venezianischen Militärs, der heimlich Desdemona (Suzanne Cloutier) ehelichte, die Tochter eines einflussreichen Senators. Jago (Micheál Mac Liammóir), Fähnrich in derselben Armee, hasst Othello und schmiedet ein Eifersuchtskomplott gegen ihn. Mit Erfolg verwickelt er Othellos neue Gattin in seine Intrige. Jack J. Jorgens bezeichnet Jago in seinem Buch Shakespeare on Film als Beispiel für den neuen Typus des Bourgeois, des „allgemein bekannten Machiavelli-Schülers, brutal, humor- und herzlos, gewohnt, andere Menschen auszunutzen.“

Die Geschichte der zahllosen Hindernisse, die Welles im Verlauf mehrerer Jahre zu überwinden hatte, um Othello drehen zu können, erzählt anschaulich Mac Liammóir in seinem Buch Put Money in thy Purse. Welles, mittlerweile im europäischen Exil, musste um Finanzierungen bitten oder Kredite aufnehmen, die Produktion beenden, wenn das Geld ausgegangen war, und war gezwungen, in verschiedenen Ländern und Kontinenten zu filmen. Trotz alledem ist das Ergebnis künstlerisch und intellektuell einheitlich. Mehr als in irgendeinem seiner früheren Filme spürt man, wie Welles mit jeder einzelnen Aufnahme oder Filmsequenz eine besondere Idee oder Aussage vermitteln will.

Jagos zentrale Stellung – er verkörpert Neid, Verleumdung sowie Hinterhältigkeit und intrigiert unablässig gegen seinen angeblichen Freund und Mentor, für den er bloß Hass aufbringt – ist in Welles’ Version vermutlich eine Bezugnahme auf die hysterische antikommunistische Hexenjagd, die zurzeit der McCarthy-Ära in Hollywood grassierte. (1982 bezeichnete Welles den Regisseur und Zuträger Elia Kazan als „einen Verräter, der alle seine Kollegen an McCarthy verkauft hatte … und dann in seinem Film Die Faust im Nacken den Informanten hochleben ließ.")

Falstaff – Glocken um Mitternacht

In Falstaff – Glocken um Mitternacht (1965) hat Welles seine Geschichte um Falstaff auf eine ganze Reihe von Shakespeare-Stücken gestützt, insbesondere auf die beiden Teilen von Heinrich IV. Der beleibte und landlose Ritter Falstaff (von Welles gespielt), stets ohne einen Heller in der Tasche und häufig betrunken, treibt sich gemeinsam mit dem raufsüchtigen jungen Prinzen Hal (Keith Baxter), dem Sohn König Heinrichs IV., in Tavernen herum. Der regierende König, selbst ein Usurpator und isoliert, mit einer Umgebung wie ein Gefängnis, konkurriert mit Falstaff um die Loyalität und Zuneigung von Hal. Allerdings ist der Ausgang vorhersehbar.

Nach Welles’ Meinung war Falstaff “der in jeder Hinsicht beste Mensch aller Dramen. Sein Verschulden ist so geringfügig, und er macht so großartige Witze aus kleinen Fehlern, doch seine Güte ist wie Brot, wie Wein …“ Falstaffs Gegenspieler sind König Heinrich und der Hof, sowie „das Bedürfnis der Gesellschaft nach Ordnung, Pflicht und Zwang“ (Jorgens). Um Monarch zu werden, hat Hal keine andere Wahl, als seine Freunde und seine eigene bessere Natur zu betrügen. In Welles’ Film stirbt Falstaff zurückgewiesen und vereinsamt. Sein trauriges Schicksal steht sowohl für das Ende eines wohl mythischen „glücklichen Englands aus alter Zeit“, als auch für die unvermeidliche Unterdrückung unkontrollierten menschlichen Verlangens in der aufkommenden Gesellschaftsordnung. Frühzeitig warnt Falstaff den Prinzen: „Den dicken Hans verbannen, heißt alle Welt verbannen.“

Trotz kleinerer Schwierigkeiten, die in erster Linie abermaligen Finanzierungsbeschränkungen geschuldet waren, ist Falstaff – Glocken um Mitternacht die insgesamt wohl beste Leistung von Welles. Alles in allem könnte man sagen, Welles fühlte sich bei Shakespeare ganz zuhause. Beide Feststellungen können indessen, so wahr sie auch sind, nicht ohne gewissen Vorbehalt und gewisse Kritik stehen gelassen werden.

Falstaff – Glocken um Mitternacht

Shakespeare bot Welles ein „fertiges“ künstlerisches und intellektuelles Bezugssystem. Doch die Aufgabe des Filmemachers (ebenso wie jedes anderen Künstlers) besteht darin, diese Art Bezugssystem für sich selbst zu erschaffen und eine vollständig ausgearbeitete Konzeption sowohl des Lebens als auch der Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts zu entwickeln. Es wäre jedoch falsch und irreführend zu glauben, dass Welles dies jemals tat, oder dass die Bedingungen für solch eine künstlerische Leistung in der Nachkriegsperiode überhaupt existierten. Dazu würde ein umfassenderes Verständnis des historischen und sozialen Prozesses gehören, als es Welles oder irgendeiner seiner Zeitgenossen in der Nachkriegszeit besaßen.

Auf die eine oder andere Weise hätte hierfür der authentische Marxismus -- in der Tradition Trotzkis und des sowjetischen Kritikers und Mitglieds der Linken Opposition Alexander Woronski, und nicht des stalinistischen „sozialistischen Realismus“ oder des Pessimismus und Subjektivismus der Existenzialisten oder der Frankfurter Schule -- einen weit größeren Einfluss auf das intellektuelle Leben und die Massen der Menschen haben müssen, als dies der Fall war.

Es bleibt eine Ironie und ein ernsthaftes Problem, dass Welles mit größerer Zuversicht das Universum von Macbeth oder Falstaff wiedererschaffen konnte, als die Realität der Nachkriegszeit in Amerika oder in Europa darzustellen. Zwar zeigte er einige scharfsinnigen Einsichten und faszinierende Eindrücke von der Nachkriegsrealität in den Filmen Die Lady von Schanghai (1947), Herr Satan persönlich! (1955) und Im Zeichen des Bösen (1958), doch Brüche und Ungereimtheiten, wie auch der unangenehme Zynismus seiner Adaption von Franz Kafkas Prozess (1962), bringen einige Schwierigkeiten zum Ausdruck.

Falstaff – Glocken um Mitternacht

Warum war Welles unfähig, von seinen Shakespeare-Produktionen zu einer ähnlich allumfassenden Beschäftigung mit dem modernen Leben sozusagen „durchzustoßen“?

Wir sollten uns zunächst einige Filme von Welles in der Nachkriegsperiode anschauen und dann zu dieser Frage zurückkehren.

Die Spur des Fremden, Die Lady von Schanghai, Herr Satan persönlich! und Im Zeichen des Bösen

Die Spur des Fremden, gedreht Ende 1945, ist eines der schwächeren Werke von Welles. Der Regisseur selbst übernimmt die Rolle des Franz Kindler, eines Nazi-Kriegsverbrechers (basierend auf Martin Bormann), der sich unter dem Namen Charles Rankin in einer idyllischen Stadt in Connecticut verborgen hält. Er wird von dem Nazi-Jäger Mr. Wilson (Edward G. Robinson) aufgespürt. Der Wendepunkt des Films wird erreicht, als Kindler-Rankin mit der Aussage herausplatzt: „Marx war kein Deutscher. Marx war Jude.“ Tatsächlich zerstört er damit seine Tarnung.

Der Film enthält Dokumentaraufnahmen von den Gräueln aus den Konzentrationslagern – ein Novum für einen Spielfilm. Der Film, obwohl er Welles’ konventionellste Arbeit darstellt, ist nichtsdestoweniger eine ernsthafte Warnung vor der Gefahr einer Wiederbelebung des Faschismus in der Nachkriegswelt. Dieser Bedrohung steht eine selbstgefällige, sich Banalitäten hingebenden amerikanischen Gesellschaft gegenüber, die scheinbar unberührt von der europäischen Katastrophe blieb.

Anfang 1946 übernahm Welles die Bühnenspielleitung in Cole Porters Musical Around the World, einer Adaptation von Jules Vernes In achtzig Tagen um die Welt. Die aus der Reihe fallende Produktion bestand aus 38 Bühnenbildern und enthielt laut dem Welles-Biographen Bret Wood „eine authentische japanische Zirkustruppe, einen lebenden Elefanten, einen Zug, der durch die Rocky Mountains fährt sowie einen Soldatentrupp.“ Als der deutsche Dramatiker Bertolt Brecht, der auf der Suche nach einem Regisseur für sein Leben des Galilei war, das Musikstück im April 1946 sah, war er schwer beeindruckt. Er sagte zu Welles und seinem Mitarbeiter Richard Wilson: „Das ist die größte Sache, die ich im amerikanischen Theater sah. Das ist wundervoll. Das ist, wie Theater sein sollte.“ (James K. Lyon: Bertolt Brecht in America)

Nachdem der Produzent Mike Todd sich zurückgezogen hatte, steckte Welles sein eigenes Geld in die Show, die nach 75 Aufführungen in New York eingestellt wurde. Dies trug ihm einen Verlust von 320.000 Dollar ein; er brauchte Jahre, um die Schulden zurückzuzahlen. Welles lieh sich außerdem Geld von Harry Cohn, dem Präsidenten von Columbia Pictures, wofür er im Gegenzug einen Film für Columbia drehte. Dieser Film war Die Lady von Schanghai, er basierte auf einem zweitklassigen Kriminalroman: If I Die Before I Wake (1938) von Sherwood King. Während der Roman dabei Schiffbruch erleidet, die „Poesie des Boulevardblattmordes“ nach Art von James M. Cain zu kopieren, nutzt der Film nur Weniges aus Kings Buch, ausgenommen das elementare Handlungskonzept.

Die Lady von Schanghai ist einer der schillerndsten und aufregendsten Filme, den Welles je gedreht hat. Im Zentrum der Handlung steht Michael O’Hara (Welles), ein Veteran des Spanischen Bürgerkriegs, Mörder eines Franco-Spions und Seemann. Der „Schwarze Ire“ O’Hara, der Polizisten aus dem Weg geht und als “berüchtigter Hafen-Agitator” gilt, wird in ein Komplott verstrickt, in welchem er als Sündenbock für einen Mord hinhalten soll.

Als Köder, der ihn in das Komplott lockt, dient die unwiderstehliche Elsa Bannister (Rita Hayworth, Welles‘ damalige Ehefrau, von der er sich gerade trennte), die Gattin des ehrlosen und kriminellen Anwalts Arthur Bannister (Everett Sloane). „Wenn ich mich einmal in eine unsinnige Idee verrannt habe, dann gibt es kaum etwas, das mich davon wieder abbringen kann,“ teilt uns O’Hara im Off-Ton mit. Er nimmt die Arbeit bei den Bannisters an und hilft auf ihrer Jacht als Matrose aus, während sie von New York über den Panama-Kanal zur Westküste segeln.

George Grisby (von Glenn Anders mit bemerkenswertem Genuss am Makabren gespielt), ein ehemaliges Mitglied eines Pro-Franco-Komitees und Partner von Arthur Bannister, dabei nicht weniger abstoßend als dieser, macht O’Hara ein seltsames (und unglaubwürdiges) Angebot: Er bietet ihm 5.000 Dollar für seine Hilfe bei der Vortäuschung seines (Grisbys) eigenen Todes und Verschwindens. Natürlich geht bei der Sache alles schief für O’Hara …

Sehr kunstvoll werden die menschenverachtenden und raffgierigen Reichen an den Pranger gestellt. (O’Hara: “Ich fand es immer gesund, pleite zu sein.”) Welles kehrt immer wieder zu dem Bild der Haie zurück. Die Szene mit den gigantischen Haien im Aquarium, die im Hintergrund schwimmen, ist fabelhaft. Doch die menschlichen Haie, die Profitmacher in der Gesellschaft, „die sich im Blutrausch gegenseitig zerfleischen“, sind noch tausendfach gefährlicher.

Herr Satan persönlich!

In Die Spur des Fremden versteckt sich ein deutscher Nazi in Amerika im Untergrund. In Die Lady von Schanghai jedoch brauchen die einheimischen Sympathisanten der Faschisten sich nicht zu verstecken, sie sind vielmehr ganz der Herr im Haus. Grisby, Bannister und Broome (Ted de Corsia), ein von Bannister beauftragter Detektiv, der schließlich zum Erpresser wird – sie alle verströmen etwas äußerst Widerwärtiges. Elsa schließlich erweist sich als die niederträchtigste aller Verschwörer. Das berüchtigte Finale des Films ist eine Katz-und-Maus-Sequenz, die im Spiegelsaal eines Vergnügungsparks spielt. Die Lady von Schanghai ist einer jener Filme der späten 1940er Jahre, der noch vor der Säuberung Hollywoods von linken Filmschaffenden gedreht wurde. Er wirft einen Blick auf das Leben im Nachkriegsamerika und zeigt dabei etwas ziemlich Hässliches und Verstörendes.

Ende November 1947 verließ Welles die Vereinigten Staaten, als in Hollywood die Schwarze Liste zu kursieren begann. Ob nunseine „politischen und kulturellen Aktivitäten" sozusagen den offiziellen "Grund für seinen Eintrag auf die Schwarze Liste“ lieferten, wie Joseph McBride leidenschaftlich in What Ever Happened to Orson Welles? ausführt, oder seine Abreise eher durch seinen Ekel angesichts des immer ekelhafter werdenden Klimas begründet war, sei dahingestellt. Zweifelllos wurde Welles Ende der 1940er Jahre aus der amerikanischen Filmindustrie gejagt, und er war anschließend niemals wirklich in der Lage, in ihr wieder heimisch zu werden.

Welles’ Filme der späten 1940er und bis in die 1950er Jahre hinein wurden zunehmend unbeständiger und fragmentarischer, sie passten nicht mehr zusammen. Damit widerspiegelten sie sowohl den allgemeinen Zustand, in dem sich die Welt befand, als auch die immer unsicherer werdende Situation des exilierten Regisseurs, der zum Nomaden geworden war.

Herr Satan persönlich!

Trotz seiner zahlreichen Probleme ist Herr Satan persönlich! in seiner delirierend-taumelnden Gestalt ein Meisterwerk. Welles spielt den sagenhaft reichen und geheimnistuerischen Tycoon Gregory Arkadin, dessen äußere Erscheinung auf seltsame Art an eine Mischung aus dem Meeresgott Neptun und Stalin erinnert, der 1953, ein Jahr vor dem Dreh des Filmes, gestorben war.

Obwohl Arkadin über „das größte private Spionagenetz der Welt“ verfügt, heuert er den amerikanischen Zigarettenschmuggler und Glücksritter Guy Van Stratten (Robert Arden) an, um „seine Vergangenheit wiederzufinden“. Arkadins Tochter Raina (Paola Mori), die unter seinem zwanghaften Bedürfnis sie zu beschützen leidet, bezeichnet ihren Vater als einen Unhold, „zu allem fähig“. Arkadin behauptet, für die Jahre vor 1927 unter Gedächtnisverlust zu leiden und sein damaliges Leben nicht zu kennen, doch seine wahre Absicht ist es, jeden zu vernichten, der etwas über seine früheren kriminellen Aktivitäten weiß – hierzu zählt schließlich auch der Nachforschungen betreibende Van Stratten, der sich in seine Tochter verliebt hat.

Welles setzt einen unheildrohenden Soundtrack ein und verwendet barocke Kulissen. Sein Film ist eine Aufeinanderfolge von Begegnungen mit exzentrischen Charakteren, darunter dem Betreiber eines Flohzirkus’ (Mischa Auer), einem heruntergekommenen Antiquitätenhändler und Hehler (Michael Redgrave), einem sterbenden Ex-Sträfling (Akim Tamiroff) und der ehemaligen Chefin eines Mädchenhändler-Rings (Katina Paxinou).

Eine düstere Vorahnung ist allgegenwärtig, ebenso wie die Bedrängnis, in der sich die Figuren befinden. Jede von ihnen ist gezwungen, sich vor dem rachsüchtigen Titanen zu verstecken. In einer bemerkenswerten Szene befindet sich Mily (fabelhaft gespielt von Patricia Medina), Guys Freundin und Kollegin, gemeinsam mit Arkadin auf einer Jacht bei bewegter See. Betrunken torkelt sie in ihrer schwankenden Kabine hin und her, während der Finanzier ihr auf dem Fuß folgt. Sie plaudert die ganze Zeit Informationen aus, die die Schlinge um ihren eigenen Hals immer enger ziehen.

Welles bezeichnete das Schicksal von Herr Satan persönlich!, den er „im Geiste von Dickens“ gestalten wollte, als die „größte Katastrophe“ seines Lebens, weil der Film ihm aus den Händen genommen und in verschiedenen Versionen veröffentlicht wurde, von denen er keine autorisiert hatte. Jonathan Rosenbaum dokumentierte diesen Vorgang in „Die sieben Arkadins“ (Discovering Orson Welles).

Ende 1955 kehrte Welles in die Vereinigten Staaten zurück. Anfang 1957 führte er für Universal Pictures Regie bei Im Zeichen des Bösen, einer Verfilmung von Unfehlbarkeit kann tödlich sein (Badge of Evil - 1956) von Whit Masterson. Der Film spielt auf beiden Seiten der amerikanisch-mexikanischen Grenze und handelt von der Untersuchung eines Mordes an einem amerikanischen Paar, in dessen Auto auf amerikanischem Boden eine Bombe explodiert, die kurz zuvor in Mexiko angebracht worden war.

Mike Vargas (Charlton Heston), ein mexikanischer Drogenfahndungsbeamter, und seine Frau Susie (Janet Leigh) befinden sich in der Nähe, als die Bombe hochgeht. Vargas wird in die Nachforschungen mit einbezogen, obwohl er keine rechtliche Zuständigkeit in den Vereinigten Staaten hat. Die Untersuchung wird von dem Polizeioffizier Hank Quinlan (Welles) geleitet, um den sich einige Legenden ranken. Weil Vargas in einen Drogenfall gegen die kriminelle Grandi-Familie ermittelt, werden er und seine Frau, die gerade frisch verheiratet ihre Flitterwochen beginnen, bedroht und erleiden Gewalt.

Quinlan, von Vargas in Wut gebracht und bedroht, verbündet sich mit „Onkel Joe“ Grandi (Tamiroff), um den guten Ruf des mexikanischen Beamten zu schädigen. Er konstruiert ein Drogendelikt gegen dessen Frau und beschuldigt beide, drogenabhängig zu sein. Die Intrige wird aufgedeckt, vor allem weil Quinlans vertrauter Assistent, Sergeant Pete Menzies (Joseph Calleia), von den Methoden seines langjährigen Freundes und Mentors angewidert ist.

Im Zeichen des Bösen

Im Jahr 1998 schrieben wir: „Im Zeichen des Bösen ist zurecht wegen einer Reihe von Besonderheiten berühmt. Das gilt vor allem für seine aus einem Kranwagen gedrehte Anfangssequenz, die sich über mehrere Minuten erstreckt, und in der die Kamera sowohl dem Kabriolett, in welchem die Zeitbombe tickt als auch dem verheirateten Paar folgt, während sie sich alle, noch auf der mexikanischen Seite, auf den amerikanischen Grenzübergang zubewegen. Die Kamera, die dieser Bewegung folgt, gibt den Blick frei auf eine kitschige, heruntergekommene Stadt… Diese Kameraeinstellung ist mehr als ein technisches Meisterstück. In der lang ausgedehnten Einstellung, die so viele Elemente visuell vereint, entsteht ein einziges, unteilbares Universum, in welchem sich eine Schicht der Korruption praktisch über alles und jeden legt.“

Der Film handelt außerdem von Rassismus und amerikanischem Chauvinismus, von den Besitzenden und Habenichtsen, von Polizeikorruption und Machtmissbrauch. In einer berühmt gewordenen Sequenz verhöhnt Quinlan Vargas: „Unser Freund Vargas hat da ein paar besondere Vorstellungen bezüglich der Polizeiprozedur. Er findet es egal, ob ein Mörder gehängt wird oder nicht, solange wir das Kleingedruckte beachten.“ Vargas unterbricht ihn: „In jedem freien Land sollte der Polizist dem Gesetz Geltung verschaffen, und das Gesetz schützt den Schuldigen genauso wie den Unschuldigen." Quinlan knurrt: „Unser Job ist schon hart genug“, worauf Vargas erwidert: „Das muss er wohl auch sein. Nur in einem Polizeistaat ist der Job des Polizisten leicht.“

Diese drei Filme, Die Lady von Schanghai, Herr Satan persönlich! und Im Zeichen des Bösen, sind lebendige und oft mitreißende Schwarzweißarbeiten. In ihnen wird meisterhaft Gebrauch von Licht und Schatten gemacht; sowohl die Kameraführung als auch die Einstellungen decken die Wahrheit hinter der konformistischen Oberfläche auf. Ihre schneidende Kritik geht oftmals tief unter die Haut. Spürbar und authentisch ist die Verachtung für die Mächtigen, für die finanziellen Ausbeuter, für die Polizeischurken, für die Speichellecker. Sie reflektieren die Desillusionierung über die Versprechen des amerikanischen Kapitalismus und fast einenZustand von Verwirrung und Benommenheit angesichts des moralischen und politischen Terrors in der Periode des Kalten Krieges.

Doch kann man wirklich behaupten, dass diese Werke die Epoche auf bedeutsame und erschöpfende Weise zusammenfassen? So brillant die drei Filme auch sind, so sind sie doch unzweifelhaft auch einseitig. Sie tendieren zur Groteske, zur Betrachtung der Defekte, die die reaktionäre und stillstehende Zeit bei gewissen verletzbaren Persönlichkeiten erzeugt hat. Grisby, Bannister, O’Hara, Van Stratten, Raina, Menzies, Suzie Vargas, Grandi und der Rest sind faszinierend, aber entsprechen ihre Schwierigkeiten der allgemeinen Erfahrung breiterer Schichten der Bevölkerung? Registrierte der Filmemacher überhaupt diese „allgemeineren Erfahrungen“?

Und um ehrlich zu sein, bleibt Welles’ Aufmerksamkeit (was ein wenig an Nietzsche erinnert) vielfach auf seine „großen Männer“ wie Arkadin und Quinlan und ihre speziellen Nöte fixiert. Und das ist ein Problem.

Um der Shakespeare des amerikanischen Lebens zu werden, hätte es eines anderen Blickwinkels und einer anderen historischen Perspektive bedurft. In Literatur und Revolution führt Trotzki im Schlusskapitel („Die Kunst der Revolution und die sozialistische Kunst“) ein Argument an, das hier von entscheidender Bedeutung ist.

Er betont zunächst die welterschütternden Veränderungen, die Folge der aufstrebenden bürgerlichen Gesellschaft waren. Diese „atomisierte die menschlichen Beziehungen, indem sie ihnen eine nie dagewesene Elastizität und Beweglichkeit verlieh.“ Trotzki betrachtet Shakespeare in Zusammenhang mit diesen Entwicklungen. In den Tragödien des elisabethanischen Dramatikers „werden das antike Schicksal und die mittelalterlichen Leiden Christi durch die individuellen menschlichen Leidenschaften verdrängt: Liebe, Eifersucht, Rache, Gier und seelischen Zwiespalt.“ [Leo Trotzki: Literatur und Revolution, Essen 1994, S. 239]

Diese großen Leidenschaften, bemerkt Trotzki, werden bei Shakespeare zu solch einem intensiven Spannungszustand geführt, dass sie ihren individuellen Charakter verlieren, „überpersönlich“ werden und sich in eine Art Schicksal verwandeln. „So beschaffen sind die Eifersucht Othellos, der Ehrgeiz des Macbeth, die Habgier Shylocks, die Liebe zwischen Romeo und Julia, der Hochmut Coriolans und das seelische Schwanken Hamlets.“ [Ebd.]

Die bürgerliche Gesellschaft hatte in ihrer revolutionären Phase, zur Zeit ihres Aufstiegs, „ein großes Ziel, das Befreiung der Persönlichkeit hieß. Aus ihm wuchsen die Dramen Shakespeares und Goethes Faust. Der Mensch betrachtet sich als Mittelpunkt des Weltalls und damit auch der Kunst. Dieses Thema reichte für Jahrhunderte. Im Wesentlichen war die ganze neue Literatur der Durcharbeitung dieses Themas gewidmet“. [Ebd., S. 240]

Die Lady von Shanghai

Mit dem Niedergang und der Fäulnis des Kapitalismus indessen verliert dieses individualistische Thema seine Stärke und seinen Zweck und wird mehr und mehr in die Sphäre einer neuen Mythologie, "ohne Seele oder Geist", abgedrängt. Bei Ibsen, einem der interessantesten Dramatiker des späten neunzehnten Jahrhunderts, ist dieser Prozess, möchte man sagen, bereits sehr weit fortgeschritten. Ein weit fortgeschritteneres Stadium der Degeneration zeichnet die Kunst der vergangenen Jahrzehnte aus, wo vielfach nur noch nachgeahmt wird, weil eine Erhöhung des Individuums als nicht mehr aktuell, als langweiliges Thema gilt.

Das einstige "große Ziel" wird endgültig mit einer Kunst begraben, die sich auf Identitätspolitik orientiert, das heißt, auf die selbstbezogene aggressive Förderung der gehobenen Mittelklasse auf Kosten von jedem und jedermann.

Die Tragödie, die auf den Leidenschaften des Individuums basiert, stellt Trotzki fest, ist „zu fade“ für unsere Zeit. „Aber weshalb? Weil wir in einer Epoche der sozialen Leidenschaften leben. Die Tragödie unserer Epoche ist der Zusammenstoß der Persönlichkeit mit dem Kollektiv oder der Zusammenprall zweier feindlicher Kollektive in einer Persönlichkeit. Unsere Zeit ist wieder eine Zeit der großen Ziele. Durch sie ist sie geprägt.“ [Ebd.]

Hier scheitert Orson Welles, und natürlich viele andere, weniger talentierte Filmemacher auch. Unabhängig von der Frage, ob Shakespeare mit Erfolg gedehnt und gestreckt werden kann, tut es gut, einen Julius Caesar mit Bezug auf den Faschismus oder einenMacbeth zu haben, der im postrevolutionären Haiti angesiedelt ist, wie die Filme von Welles in den 1930er Jahren. Sie waren zu einem gewissen Grad dringend benötigte Experimente und auf ganzer Linie zu begrüßen. Welles sprengte damit die Fessel der Mittelmäßigkeit, in der normalerweise Shakespeare gefangen gehalten wird.

Allerdings ist es etwas anderes, wenn man versucht, das moderne amerikanische oder europäische Leben zu dehnen und zu strecken und in die muffige Form individueller Leidenschaften und Dramen zu gießen. Das Problem ist auch dann nicht zu lösen, wenn man alle möglichen kunstvollen Mittel der Wiederbelebung anwendet: ungewöhnliche Kamerabewegungen und Einstellungen, ausgefallene schauspielerische Darbietungen und dergleichen. Welles’ Filme der Nachkriegszeit sind zu ungleichmäßig, sie schwanken bisweilen und bieten kein umfassendes Bild. Obwohl er wahrscheinlich erfolgreicher als jeder andere Aspekte subjektiver Erfahrungen der Nachkriegsepoche darstellen konnte, erreichte er in Die Lady von Schanghai, Herr Satan persönlich! und Im Zeichen des Bösen nicht die Ausgewogenheit seiner Shakespeare-Adaptionen.

Die Lady von Shanghai

Der „Zusammenstoß der Persönlichkeit mit dem Kollektiv“ und „der Zusammenprall zweier feindlicher Kollektive in einer Persönlichkeit“ verschwanden in den 1950er Jahren nicht, auch wenn es vielen so schien. Es war jetzt notwendig geworden, diese Prozesse unterhalb der Oberfläche einer temporären wirtschaftlichen Prosperität und psychischen Angepasstheit (oder Zerstörung) ausfindig zu machen. Was das anging, wählte Welles den Weg des geringsten Widerstands.

Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Einfluss des allgemeinen kulturellen Niedergangs sowie der Zunahme höchst subjektiver und pessimistischer, anti-sozialistischer Stimmungen unter den Intellektuellen der Nachkriegsjahre. Der persönlich und künstlerisch temperamentvolle Welles war entschlossen, das Publikum zu unterhalten und aufzuklären, und gab sich solchen Stimmungen niemals vollständig hin. Doch die Schluss- und Stichworte, die er 1964 an einen Interviewer richtete, sollten als Hinweis auf die allgemein vorherrschenden Schwierigkeiten betrachtet werden: „Ich lehne vollständig diese Kunstwerke, diese Romane, diese Filme ab, die heutzutage von Verzweiflung sprechen. Ich glaube, ein Künstler sollte nicht totale Verzweiflung zu seinem Thema wählen; wir sind ihr im täglichen Leben zu nahe.“

Seine Version von Kafkas Prozess, eine Reihe brillant inszenierter, aber (mit den Worten des Kritikers Andrew Sarris) „gehässiger“ und „abstoßender“ Versatzstücke, die immer tiefer in Hoffnungslosigkeit versinken und mit einem Miniatur-Atompilz enden, unterstreicht diese "Nähe" zur Verzweiflung. Welles stellte sich einer solchen Situation schon einmal mit Shakespeare und Falstaff – Glocken um Mitternacht, allerdings gelang es ihm hier, seine Ängste und Freuden in das späte Mittelalter zu versetzen.

Seit den späten 1960er Jahren, nachdem Falstaff – Glocken um Mitternacht zu einemkommerziellen Misserfolg geworden war (zu dem der Kritiker Bosley Crowther von der New York Times hilfreich beisteuerte, indem er den Film als „unverständlich“ und als ein „konfuses Flickwerk von Szenen und Figuren“ bezeichnete), scheint bei ihm eine gewisse Demoralisierung Einzug gehalten zu haben, obwohl Welles weiterhin aktiv zahlreichen Projekten nachging. Die letzten fertiggestellten Filme (Stunde der Wahrheit [1968], F wie Fälschung [1974] und Erinnerungen an 'Othello' [1978]) zeichnen sich trotz amüsanter oder nachdenklicher Momente durch einen mehr resignierenden und passiven Ton aus.

F wie Fälschung, ein unterhaltsamer, dokumentarischer Filmessay über „Tricks, Betrug und Schwindel”, handelt von Elmyr de Hory, dem „größten Kunstfälscher der Welt“, einem „wahren Paganini der Palette“, und seinem Biographen Clifford Irving, der selbst aufgrund einer Fälschung zweifelhaften Ruf hatte -- der gefälschten Autobiographie des in Zurückgezogenheit lebenden Moguls Howard Hughes.

Welles will hier die Quacksalberei der Kunstexperten ins Visier nehmen, „die neuen Orakel – ein Gottesgeschenk für den Fälscher.“ Obwohl die Ansicht, dass die „Kunstwelt ein großer Schwindel“ sei, ein Körnchen Wahrheit enthält, so hat Welles, falls er ernst genommen werden will, Unrecht mit der Behauptung, der Künstler sei im Grunde ein Schwindler und Lügner, wenn auch von besonderer Art. Selbstverständlich ist das Kunstwerk nicht dasselbe, was es repräsentiert. Nichtsdestoweniger vermittelt es eine relative objektive Wahrheit. Unglücklicherweise tendiert F wie Fälschung in seiner gesamten Einstellung dazu, die objektive Realität als Grundlage eines Kunstwerks infrage zu stellen und sogar aufkeimenden postmodernistischen Auffassungen das Wort zu reden.

Fazit

Welles war ein bemerkenswerter Künstler, einer der höchstbegabten, die die Vereinigten Staaten jemals hervorbrachten. Mit seiner hohen Kultur, seinem dramatischen Sinn und seinem Verständnis der Geschichte und Gesellschaft hatte er prägenden Einfluss in seiner Zeit und der Welt, in der er lebte, und hinterließ ein poetisches und bewegendes Werk, auch wenn es nicht vollkommen ist. Seine Filme zu sehen, gehört zu den großen Vergnügen und geistigen Herausforderungen des Kinos.

Er war ein Mann, der sich die meiste Zeit seines Lebens weit vorgewagt hat. Seine Kunst reflektierte sowohl seine starke Faszination und Sorge um die Menschheit als auch seinen Protest gegen die Bedingungen, unter denen sie lebt.

Dass Welles wiederholt betonte, die vordringlichste Aufgabe eines Filmemachers bestehe darin, etwas über die Welt zu wissen, muss ihm hoch angerechnet werden. Ein angehender Regisseur, so Welles in einem Interview, „sollte so viel über unsere gesamte Kultur lernen, wie wir in einer Synthese erfassen können. Synthese, nicht Spezialisierung. Um einen Film über die Welt von heute zu drehen, sollten wir danach streben, so viel wie möglich von den menschlichen Leistungen der vergangenen zwanzigtausend Jahre zu begreifen.“

Und weiter: „Halte der Natur einen Spiegel vor – das ist Shakespeares Botschaft an den Schauspieler [in Hamlet]. Um wie viel mehr gilt dies und ist wahr für den Schöpfer eines Films? Wenn du nichts über die Natur weißt, der du den Spiegel vorhältst, wie beschränkt muss da dein Werk ausfallen!“

Welles’ beste Filme argumentieren dafür, über die Komplexität des Lebens nachzudenken und in sie einzugreifen. Für ihn war Kunst nur interessant, „wenn sie den Geruch menschlichen Schweißes oder einen Gedanken enthält.“ Seine herausragenden Werke stehen dafür, dass Kunst menschliches Verhalten und soziale Beziehungen ausloten muss und dies auf poetische, kompromisslose, zugängliche und elegante Weise tun kann.

Loading