Britische Regierung will Streiks und Proteste kriminalisieren

Am Montag fand im Unterhaus die zweite Lesung des drakonischen Gewerkschaftsgesetzes (Trade Union Bill) statt, das das Streikrecht angreift. Es wurde mit 33 Stimmen Mehrheit angenommen; die Labour Party unter ihrem neuen Vorsitzenden Jeremy Corbin stimmte dagegen.

Das Gesetz ist das Werk des früheren Investmentbankers und neuen Wirtschaftsministers Sajid Javid. Es kriminalisiert Arbeitskämpfe und die politische Betätigung von Arbeitern.

Einige der repressiven Bestimmungen des Gesetzes gab es vorher nur unter diktatorischen Regimen. Mit Blick auf die Bestimmung, dass Streikposten ihren Namen der Polizei nennen müssen, meinte David Davis, früher Innenminister in einem Schattenkabinett der Konservativen, ähnliche Gesetze hätten im Spanien General Francos gegolten.

Urabstimmungen müssen nach dem neuen Gesetz viel restriktiveren Kriterien genügen und „bei jeder Art von Arbeitskampf” stattfinden, „der zu erwarten ist“. Werden die Voraussetzungen nicht erfüllt, wird die Abstimmung für illegal erklärt.

Eine Urabstimmung für einen Streik wird für ungesetzlich erklärt, wenn an einer brieflichen Abstimmung weniger als 50 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder teilnehmen und weniger als 40 Prozent aller Beschäftigten in „wichtigen Bereichen öffentlicher Dienstleistungen“ für Kampfmaßnahmen stimmen. Laut Gesetz sind das der Gesundheitssektor, die Ausbildung von unter 17-Jährigen, die Feuerwehr, Transport und Verkehr, die Stilllegung nuklearer Anlagen und die Entsorgung radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente sowie die Grenzsicherheit.

Erfüllt eine Abstimmung all diese Erfordernisse, sieht das Gesetz eine Ausdehnung der Anzeigefrist von sieben auf 14 Tage bis zum Beginn von Streiks vor, damit die Unternehmer genügend Zeit haben, einen Streikbruch vorzubereiten.

Die Gewerkschaften sind verpflichtet, einen Streikpostenleiter zu „ernennen”, der „ein Abzeichen, Armband oder ähnliches tragen muss, das ihn sofort als Streikpostenleiter kenntlich macht“. Seine Rolle: „Der Polizei mitteilen – a) den Namen des Streikpostenleiters; b) wo die Streikposten stehen werden; c) wie man zum Streikpostenleiter Kontakt aufnehmen kann. Die Gewerkschaft muss dem Streikpostenleiter schriftlich bestätigen, dass sie ihn mit dieser Aufgabe betraut hat. Der Streikpostenleiter muss diese Bescheinigung vorlegen, und zwar a) jedem Polizisten, der danach fragt und b) jeder anderen Person, die begründet danach fragt.”

In vorhergehenden Beratungen versuchte man „Anhaltspunkte” zu finden, ob es weitere Dinge gebe, „die man per Gesetz regeln könnte”. Dabei wurde vorgeschlagen, dass diese Prozedur für jeden Streikposten gelten solle.

Der Certification Officer (CO) der Regierung, zuständig für gesetzliche Fragen im Hinblick auf die Gewerkschaften, wird erweiterte Untersuchungsbefugnisse erhalten. Dazu gehört das Recht, Verstöße gegen das Anti-Gewerkschaftsgesetz untersuchen zu lassen, auch wenn es keine diesbezüglichen Beschwerden gibt.

Der CO kann von jeder „Abteilung einer Gewerkschaft” verlangen, „unverzüglich wichtige, vom CO genannte Unterlagen vorzulegen”. Genannt werden hier „das Namens- und Adressverzeichnis” der Mitglieder, das für „Ermittlungen bei Straftaten und für Strafprozesse” genutzt werden kann.

Für Verstöße gegen das Gesetz kann der CO eine Geldstrafe von 20.000 Pfund gegen Einzelpersonen verhängen, sowie weitere „Geldstrafen bei Zahlungsverzug”.

Zu den weiteren Maßnahmen in der Diskussion gehört es „Beschränkungen” zu streichen, „die es Unternehmen verbieten, für die Dauer des Streiks Fremdangestellte zu verpflichten, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.”

Im Beratungspapier „Tackling intimidation of non-striking workers” (Maßnahmen gegen die Einschüchterung nicht streikender Arbeiter) heißt es: „Wir sind interessiert an Argumenten für einen neuen Straftatbestand: Der Einschüchterung durch Streikposten.”

Wenn Gewerkschaften dem Gesetz zuwider handeln, „können Unternehmen die Gerichte anrufen, um eine einstweilige Verfügung zu erlangen und Schadensersatzansprüche zu stellen.” Dann „steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gericht eine einstweilige Verfügung ausspricht, um Streikposten zu verbieten, oder das Gericht wird der Fortsetzung des Streiks nur unter Auflagen zustimmen.”

In dem Papier wird auch die Kriminalisierung von Protesten im Zuge eines Streiks erwägt: „Die größere Sorge hinter diesen Beratungen ist, dass Arbeitskämpfe zunehmend mit Methoden geführt werden, die weit über den traditionellen Streik hinausgehen.”

Gegenwärtig, so wird im Papier beklagt, „wird jede Form von Demonstration im Zusammenhang mit einem Arbeitskampf, die nicht am Sitz des Unternehmens stattfindet, als Protest bewertet.“

Die Tories wollen solche Proteste unter Strafe stellen. Dazu gehören auch Proteste vor Wohnungen von Managern, Proteste von „anderen Organisationen/Dritten, die manchmal nur lose mit dem Arbeitskampf zu tun zu haben scheinen“, und an denen „andere Personen” beteiligt sind, „die keinen direkten Bezug zum Arbeitskampf haben“.

Der Gesetzentwurf schlägt vor, von Gewerkschaften zu „verlangen“, dass sie ihre „Streik- und Proteststrategie“ dem Unternehmen, der Polizei und dem CO im Einzelnen darlegen. Weicht die Gewerkschaft von dieser Strategie ab und versäumt sie es, das Unternehmen, den CO und die Polizei über Änderungen zu informieren, könnte das eine „Anzeige wegen Belästigung oder Hausfriedensbruch“ nach sich ziehen.

Das Beratungspapier verlangt sogar, dass Gewerkschaften Auskunft erteilen müssen, ob sie „soziale Medien, insbesondere Facebook, Twitter oder Blogs nutzen und Webseiten einrichten wollen, und welche Inhalte diese Blogs und Webseiten haben werden“. Gewerkschaften müssten alle Mitteilungen, die sie auf Twitter oder Facebook posten wollen, zwei Wochen im Voraus bekanntgeben.

Außerdem regt es an, dass die Jahresberichte der Gewerkschaften an den CO die Namen von allen Personen enthalten müssen, die festgenommen wurden oder „einschüchterndes” und „gesetzeswidriges Verhalten” gezeigt haben.

Ebenfalls erwogen werden Strafen für „antisoziales Verhalten” für Streikende. Gleichzeitig sollen bestehende gesetzliche Maßnahmen „effektiver” gegen Streiks eingesetzt werden.

Auf dem jährlichen Gewerkschaftskongress (TUC), der diese Woche stattfand, bezogen mehrere hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre Position gegen das Gesetz. Einer von ihnen, der kürzlich geadelte Sir Paul Kenny, behauptete gar, er würde notfalls auch ins Gefängnis gehen.

Dabei ist es gerade die jahrzehntelange Kapitulation dieser Organisationen – die Tatsache, dass sie seit Beginn der 1980er Jahre jedes Gesetz gegen die Gewerkschaften hingenommen haben – die die konservative Regierung ermutigt hat, diese drakonischen Gesetzesvorschläge einzubringen.

Opposition gegen das Gesetz beschränkt sich bislang auf die einzige Protestveranstaltung des TUC, die dieses Jahr am Rande des Parteitags der Konservativen am 4. Oktober stattfindet. Am Dienstag sah sich der TUC schließlich gezwungen, doch noch einen allgemeinen „Aktionstag” anzukündigen.

Angela Eagle (Labour), die von Corbyn ernannte Schatten-Wirtschaftsministerin, sagte in der Debatte im Parlament, die Regierung solle „mit den Gewerkschaften im Geiste der Sozialpartnerschaft zusammenarbeiten, um die Wirtschaftsleistung und Produktivität in unserem Lande zu verbessern“, anstatt „die Gewerkschaften anzugreifen“.

Hauptsorge der Gewerkschaftsbürokratie und der weitsichtigeren Vertreter der herrschenden Elite ist, dass das Verbot von Streiks, die in der bewährten Art und Weise organisiert würden, zu Kämpfen führt, die sich dem Würgegriff der Gewerkschaften entziehen. Kurz vor der Lesung des Gesetzes äußerte sich die TUC-Generalsekretärin Frances O’Grady positiv über die Position von ACAS (Advisory, Conciliation and Arbitration Service – Beratungs-, Schlichtungs- und Schiedsstelle). Das ACAS habe „auf die Gefahr hingewiesen, dass, wenn man Arbeitern, die sich ungerecht behandelt fühlen, das demokratische Recht auf Streik nimmt, sie einen anderen Weg finden werden, um ihre Unzufriedenheit auszudrücken.”

Geraint Davies von Labour warnte ebenfalls davor, das Gesetz könne „die Leute auf die Straße bringen und Konflikte erzeugen“.

Die Financial Times stimmte ihm zu. In einem Leitartikel schrieb sie, Großbritannien habe „kein Problem mit Streiks… Die Gewerkschaften derart in die Schranken zu weisen, könnte aber heftige Konflikte auslösen.“

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