Massenpanik in Saudi-Arabien

Bei einer Massenpanik unter muslimischen Pilgern nahe Mekka wurden über 700 Menschen getötet. Diese schreckliche Katastrophe ist symptomatisch für die wachsende Krise der saudischen Monarchie, einer wichtigen Stütze der Reaktion und der Politik der USA im Nahen Osten.

Bei der Katastrophe am Donnerstag wurden laut saudischen Behörden mindestens 717 Menschen getötet und weitere 863 verletzt. Allerdings hieß es, dass die Zahl der Todesopfer mit großer Wahrscheinlichkeit weiter steigen werde. Der Vorsitzende der iranischen Haddsch- und Pilgerorganisation erklärte, die Zahl der Todesopfer werde vermutlich auf über 1.500 steigen. Damit wäre es schlimmste bekannte Katastrophe in der Geschichte des Ortes. Vor 25 Jahren waren bei einem ähnlichen Unfall 1.426 Pilger ums Leben gekommen.

Die saudische Monarchie reagierte darauf instinktiv, indem sie den Pilgern vorwarf, sie hätten, „die Zeitpläne nicht beachtet“, wie Gesundheitsminister Khaled al-Falih in den lokalen Medien erklärte. Prinz Khaled al-Faisal, der Vorsitzende des zentralen Haddsch-Komitees, ging noch einen Schritt weiter und gab die Schuld an der Massenpanik „einigen Pilgern afrikanischer Herkunft“. Ein eindeutiger Versuch, reaktionäre, fremdenfeindliche und rassistische Stimmungen zu schüren.

Der saudische König Salman ibn Abd al-Aziz al-Saud erklärte in einer öffentlichen Stellungnahme, die Katastrophe diskreditiere in keiner Weise die Sicherheitskräfte des Landes.

Abgesehen von dem generellen Wunsch, die offensichtliche Schuld der Sicherheitskräfte zu leugnen, die dafür verantwortlich waren, die Massen zu kontrollieren, scheint es noch einen viel naheliegenderen Grund für König Salmans Erklärung gegeben zu haben, der seinen Sohn und Erben, Vize-Kronprinz Mohammad ibn Salman al-Saud betrifft.

Wie die libanesische Tageszeitung al-Diyar am Donnerstagabend berichtete, wurde die Massenpanik durch die Ankunft eines großen Militärkonvois ausgelöst, in dem der dreißigjährige Vize-Kronprinz und Verteidigungsminister des Landes saß.

Die Zeitung schrieb: „Der große Konvoi von Mohammad ibn Salman al-Saud, Sohn des Königs und Vize-Kronprinz, der von über 350 Angehörigen der Sicherheitskräfte eskortiert wurde, darunter 200 Soldaten und 150 Polizisten, bahnte sich seinen Weg über die Straße und durch die Pilger, die auf dem Weg zur rituellen 'Steinigung des Teufels' waren. Dabei kam es unter den Millionen Pilgern, die aus der Gegenrichtung kamen, zu einer Massenpanik.“

Der König von Saudi-Arabien trägt den formellen Titel „Hüter der heiligen Stätten“. Kurz vor der Katastrophe am Donnerstag war es bereits am 11. September zu einem Unfall mit 107 Todesopfern gekommen, als ein Kran an der Großen Moschee in Mekka einstürzte. Die beiden Katastrophen werden die Monarchie unweigerlich politisch beschädigen. Und wenn der Sohn des Königs wirklich direkt für das Blutbad verantwortlich sein sollte, könnte dies zu einer massiven Destabilisierung des Landes führen.

Tatsächlich tauchte kurz vor der jüngsten Katastrophe ein Brief auf, der von einem anonymen Enkel von King Abd al-Aziz ibn Saud, dem Gründer von Saudi-Arabien, verfasst wurde. Darin rief er die Königsfamilie zu einem „Krisentreffen“ auf, bei dem es im Wesentlichen darum gehen sollte, den König und seine wichtigsten Anhänger abzusetzen.

In dem Brief werden die saudischen Interventionen im Jemen und in Syrien als „völlige Fehlgriffe“ bezeichnet, die „das Vertrauen unseres Volkes untergraben und andere gegen uns aufgebracht haben.“

Weiterhin weist der Brief auf die zunehmende Wirtschaftskrise des Landes hin. Sie wurde vom Zusammenbruch der Ölpreise ausgelöst, der zum Großteil auf die Entscheidung der Monarchie zurückgeht, weiterhin uneingeschränkt zu produzieren, um so dem Iran und Russland zu schaden. Durch diese Entscheidungen sind die Steuereinnahmen stark gesunken, und das Haushaltsdefizit könnte in diesem Jahr auf bis zu zwanzig Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen. In Saudi-Arabien leben bereits jetzt schätzungsweise 40 Prozent der Bevölkerung in Armut, 40 Prozent der Arbeiter zwischen zwanzig und vierundzwanzig Jahren sind arbeitslos. Wenn die Monarchie unter diesen Umständen zur Umsetzung von Sparmaßnahmen, d.h. Kürzungen der Sozialausgaben, gezwungen wird, könnte dies eine heftige Revolte auslösen.

Der Brief endet mit einer Aufforderung an das Haus al-Saud, „den unfähigen König Salman, den extravaganten und eingebildeten Kronprinzen Mohammed ibn Naif und den verkommenen Dieb, Vize-Kronprinz Mohammed ibn Salman, zu isolieren.“

Als Verteidigungsminister sind dem Vize-Kronprinzen Massenmorde und die Verachtung gegenüber Menschenleben nicht fremd. Im Krieg gegen den Jemen, der seit sechs Monaten andauert, ist er der wichtigste Mann der saudischen Monarchie. In dem Krieg kämpft eine Koalition der monarchistischen Diktaturen der reichsten Länder der arabischen Welt gegen die Bevölkerung des ärmsten Landes der arabischen Welt.

Saudische Kampfflugzeuge, die vom Pentagon ausgerüstet, bewaffnet und betankt werden, haben durch ununterbrochene Luftangriffe tausende von Zivilisten getötet, Schulen, Krankenhäuser, Fabriken, Wohngebiete und Welterbestätten zerstört. Mehr als 1,5 Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben, mindestens einundzwanzig Millionen Menschen, d.h. 80 Prozent der Bevölkerung des Landes, benötigen dringend humanitäre Hilfe.

Der Krieg ist Teil einer aggressiven außenpolitischen Wende der saudischen Monarchie seit der Amtsübernahme von König Salman zu Beginn des Jahres. Sie richtet sich in erster Linie gegen den Iran und alle, die sie als Teil des iranischen Einflussbereiches betrachtet. Dazu gehören nicht nur die Huthi-Rebellen im Jemen, sondern auch die syrische Regierung. Im syrischen Bürgerkrieg spielen Geld und Waffen aus Saudi-Arabien, sowie die Koordination und Unterstützung durch die USA, eine entscheidende Rolle im Krieg für einen Regimewechsel, der vor allem von mit al-Qaida verbündeten Milizen geführt wird.

Die Kriegspolitik geht einher mit der Verschärfung der grausamen Unterdrückung im Inland. Das saudische Regime ist bereits dabei, die Zahl der Hinrichtungen im Vergleich zum letzten Jahr zu verdoppeln. Laut einer Schätzung von Amnesty International von Ende August hat das Regime in den letzten zwölf Monaten mindestens 175 Menschen zum Tod durch Enthauptung oder Erschießung verurteilt. Das waren mehr als dreimal so viele staatliche Morde wie im gleichen Zeitraum in den USA, deren Bevölkerung zehnmal so groß ist wie die von Saudi-Arabien.

Die saudische Monarchie bereitet trotz internationaler Empörung die Hinrichtung von Ali al-Nimr vor, der 2011 als siebzehnjähriger Schüler verhaftet wurde, weil er an Protesten teilnahm. Er soll enthauptet werden, danach wird seine kopflose Leiche öffentlich gekreuzigt. Genau wie die meisten Hinrichtungskandidaten wurde er von einem Standgericht verurteilt und sein Geständnis wurde durch Folter erpresst.

Unglaublicherweise wurde Saudi-Arabien vor kurzem zum Vorsitzenden eines UN-Menschenrechtsgremiums ernannt. Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte diese Woche, Washington „begrüße“ diese groteske Entscheidung, da Saudi-Arabien ein „enger Verbündeter“ sei.

Das Sprichwort lautet: „Sage mir, wer deine Freunde sind, und ich sage dir, wer du bist“. Dass Saudi-Arabien Washingtons engster Verbündeter in der arabischen Welt ist, enthüllt deutlich den räuberischen und kriminellen Charakter der jahrzehntelangen Intervention des US-Imperialismus im Nahen Osten.

Diese Tatsache widerlegt auch unleugbar alle Propagandabehauptungen, mit denen die USA ihre Angriffskriege gerechtfertigt haben. Washington hat einen angeblichen „Krieg gegen den Terror“ geführt, während es gleichzeitig mit dem saudischen Regime verbündet war, das der wichtigste Förderer islamistischer Ideologie und der Hauptgeldgeber der islamistischen Milizen in der Region ist. Washington behauptet, seine Stellvertreterkriege mit dem Ziel eines Regimewechsels in Libyen und Syrien, im Namen von „Menschenrechten“ und „Demokratie“ zu führen, unterstützt aber bedingungslos eine der letzten absoluten Monarchien der Welt, die für ihre Enthauptungen, Auspeitschungen und Folterungen berüchtigt ist.

Letzten Endes zeigt die Tatsache, dass Washington Saudi-Arabien als eine wichtige Stütze seines Strebens nach Hegemonie im Nahen Osten betrachtet, dass die Politik des US-Imperialismus am ehesten einem Kartenhaus gleicht, das angesichts der unausweichlichen Krisen und wachsenden sozialen Kämpfe in einem neuen und noch größeren Debakel enden wird.

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