Perspektive

Obama vor den Vereinten Nationen

Washington plant aggressiveres Vorgehen gegen Damaskus und Moskau

US-Präsident Barack Obama stellte in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen sich und seine Regierung als entschiedenste Fürsprecher von Völkerrecht und Diplomatie dar. Und das in einer Situation, in der die schrecklichen Auswirkungen der von ihm zu verantwortenden illegalen Aggressionskriege in Afghanistan, dem Irak, Libyen, Syrien und dem Jemen, den größten Flüchtlingsstrom seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hervorbringen und Washington weitere Schritte unternimmt, ganz Osteuropa zu militarisieren und einen Krieg gegen Russland vorzubereiten.

Mit der ihm eigenen Heuchelei pries Obama „ein internationales System, das denjenigen, die für Konflikt statt Kooperation eintreten, einen Preis abverlangt“. Er erklärte seine Unterstützung für die „internationalen Prinzipien, die größere Länder davon abhalten, kleineren ihren Willen aufzuzwingen“ und griff die an, die für „das Recht des Stärkeren eintreten, die meinen, dass starke Staaten den Schwächeren ihren Willen aufzwingen müssen, dass die Rechte des Individuums nichts zählen, und dass in einer Zeit schneller Veränderungen die Ordnung mit Gewalt durchgesetzt werden muss.“

Das sagt ein Präsident, der für seine Regierung das Recht beansprucht, „Präventivkriege“ gegen jedes Land und jede Gruppierung zu führen, die als Gegner von Washingtons Streben nach Hegemonie über den ölreichen Nahen Osten und den Rest der Welt angesehen wird; ein Mann, der Tausende von Menschen mit Drohnen töten ließ, einen Angriffskrieg gegen Libyen führte, Muammar Gaddafi ermorden ließ, und im syrischen Bürgerkrieg mit al-Qaida verbündete islamistische Milizen als Stellvertretertruppen aufbaute und finanzierte.

Zentrales Thema seiner Ausführungen war Syrien. Dort hat das Debakel der US-Politik ein derartiges Ausmaß erreicht hat, dass Obama die ursprüngliche Forderung der USA nach sofortiger Ablösung und Entmachtung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad fallen lassen musste. Er hat Gespräche mit Russland und Iran, den wichtigsten Verbündeten des Assad-Regimes, über einen „geordneten Übergang“ vorgeschlagen.

Am Montagabend sprach Obama mit Putin über die Möglichkeit, den seit viereinhalb Jahren dauernden Krieg auf diese Weise zu beenden. Es war das erste persönliche Aufeinandertreffen der beiden Präsidenten seit 2013, als die US-Regierung geplante Gespräche mit Russland auf Eis legte, nachdem Russland dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter und Whistleblower Edward Snowden Asyl gewährt hatte. Gespräche auf Regierungsebene schlossen die USA in der Folgezeit auf unbegrenzte Zeit aus, nachdem sie den von faschistischen Kräften angeführten Putsch in der Ukraine gegen den prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch unterstützt hatten. Seit Washington das ultranationalistische und faschistische Regime in Kiew installiert hat, hat es massive Angriffe auf prorussische Separatisten in der Ostukraine unterstützt, bei denen Tausende umkamen und ganze Städte zerstört wurden.

Obwohl der Bürgerkrieg von den USA und ihren regionalen Verbündeten, der Türkei und den halbfeudalen Scheichtümern Saudi-Arabien und Katar entfacht wurde und bereits etwa 200.000 Menschen das Leben kostete, ist die Position der USA in Syrien und der Region deutlich geschwächt. Die Nachricht vom Sonntag, dass der Irak eine Vereinbarung mit Syrien, dem Iran und Russland unterzeichnet hat, auf Geheimdienstebene und mit gemeinsamen Sicherheitsmaßnahmen gegen den IS in Syrien und im Irak zu kämpfen, hat Washington wohl überrascht.

Zuvor war durch eine Reihe von Entwicklungen Washingtons Unfähigkeit deutlich geworden, eine sogenannte „gemäßigte“ Rebellentruppe aufzubauen, die gleichzeitig gegen den IS und gegen Assad kämpfen sollte. Zunächst trat der höchste Kommandeur im Krieg gegen den IS zurück, dann räumte ein führender General vor dem Kongress ein, dass die USA nach mehr als einem Jahr und Kosten von Hunderten von Millionen Dollar nur „vier oder fünf“ Kämpfer ausgebildet hätten. Hinzu kommen Berichte, dass der IS stärker geworden ist, obwohl er von den USA und der Anti-IS-Koalition seit Monaten bombardiert wird. Nicht zu vergessen sind die Meldungen, dass von den USA in der Türkei ausgebildete Kräfte abtrünnig geworden sind und ihre Waffen der al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger von al-Qaida, übergeben haben.

Auch hat das Assad-Regime in den letzten Wochen zusätzliche militärische Unterstützung von Russland erhalten, ohne dass Washington dies verhindern konnte.

Im Ergebnis hat Washingtons mörderischer Krieg für einen Regimewechsel in Syrien das Land in einen weiteren geopolitischen Krisenherd verwandelt. Dort stehen nun amerikanische und mit den USA verbündete Kräfte russischen Truppen gegenüber, was die Gefahr eines bewaffneten Zusammenstoßes und eines größeren Kriegs zwischen den Nuklearmächten weiter erhöht. Kurz vor Beginn der UN-Versammlung startete Frankreich eigene Bombardements in Syrien und machte damit deutlich, dass es bereit ist nicht nur den IS sondern auch mit Assad verbündete Kräfte, also auch russische, zu anzugreifen. Großbritannien plant zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls Bombardierungen.

Es wäre ein gefährlicher Trugschluss zu glauben, die Entscheidung Washingtons, Gespräche mit Russland zu suchen, bedeute, dass die USA von der Anwendung militärischer Gewalt Abstand nehmen. Die Schwächung seiner ökonomischen und diplomatischen Position wird den amerikanischen Imperialismus vielmehr dazu bewegen, seine militärischen Aggressionen noch weiter zu verstärken.

Obamas Rede zeigte dies deutlich. Er nannte Assad einen „Tyrannen“, beschuldigte Russland der Verletzung „der Souveränität und territorialen Integrität“ der Ukraine, erklärte, dass China „die Grundsätze der Freiheit der Meere und des freien Handels“ im Südchinesischen Meer angreife und kritisierte den Iran, weil dieser weiterhin „gewalttätige Stellvertreter nutze, um seine Interessen voranzubringen“.

In Wahrheit sind es natürlich die USA, die im Nahen Osten „Tyrannen“ unterstützen, die nationale „Souveränität und territoriale Integrität“ in der Ukraine verletzen, die „Freiheit der Schifffahrt“ in Ostasien bedrohen und „gewalttätige Stellvertreter“ einsetzen, um ihre imperialistischen Interessen zu verteidigen.

Während seines zynischen Lobgesangs auf das Völkerrecht und die Diplomatie stieß Obama eine unzweideutige Drohung gegen jede Nation aus, die sich Amerika in den Weg stellen sollte. Er erklärte: „Ich führe die stärkste Militärmacht, die die Welt je gekannt hat. Ich werde niemals zögern, mein Land und unsere Verbündeten zu schützen, wenn nötig auch einseitig und unter Anwendung von Gewalt.“

Die Vorbereitungen auf eine militärische Eskalation gegen Syrien und Russland sind weit fortgeschritten. Letzte Woche berichtete David Ignatius von der Washington Post über Diskussionen zwischen US-Militärs und Führern der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien über verstärkte militärische Unterstützung, auch Luftunterstützung für YPG-Kämpfer auf dem Boden.

Mächtige Fraktionen der herrschenden Elite der USA lehnen Gespräche mit Russland oder dem Iran kategorisch ab und fordern die Schaffung so genannter „Sicherheitszonen“ in Syrien, die von amerikanischen und mit ihnen verbündeten Truppen kontrolliert werden, und einen radikalen Regimewechsel.

Das Pentagon und die CIA treiben gleichzeitig ihre Kriegsvorbereitungen gegen Russland voran. Das bevorstehende US-Nato-Großmanöver Trident Juncture 2015, die größte Militärübung in Europa seit der Auflösung der Sowjetunion, soll westliche Truppen auf hybride Kriegsführung im Baltikum und darüber hinaus vorbereiten.

Letzte Woche erschien in der außenpolitischen Fachzeitschrift Foreign Policy ein Artikel unter dem Titel „Das Pentagon arbeitet neue Kriegspläne für eine militärische Auseinandersetzung mit Russland im Baltikum aus”. Darin hieß es: „Zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion überarbeitet und aktualisiert das US-Verteidigungsministerium seine Krisenpläne für einen bewaffneten Konflikt mit Russland.“

Die USA planen auch die Aufstockung ihres nuklearen Arsenals in Europa durch modernste Atombomben vom Typ B61-12, von denen jede einzelne die dreifache Sprengkraft einer Hiroshima-Bombe besitzt.

Seit Jahrzehnten versucht der US-Imperialismus seinen ökonomischen Niedergang zu kompensieren, indem er seine militärische Überlegenheit ausspielt. Auf die jüngsten Rückschläge im Nahen Osten wird er mit noch größerer Brutalität und Rücksichtslosigkeit reagieren.

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