EU verschärft Militäreinsatz im Mittelmeer

Die Europäische Union verschärft ihren Militäreinsatz im Mittelmeer. Am gestrigen Mittwoch begann offiziell die zweite Phase der Operation „European Union Naval Force – Mediterranean“ (Eunavfor Med), die von nun an „Sophia“ heißen wird.

Die Umbenennung ist ein durchschaubarer Versuch, den wirklichen Charakter des Militäreinsatzes zu verschleiern. Sophia ist der Name eines Flüchtlingsmädchens, das am 24. August von ihrer aus Somalia stammenden Mutter auf der deutschen Fregatte „Schleswig-Holstein“ geboren wurde. Seitdem wird das Ereignis propagandistisch ausgeschlachtet.

So kam die Initiative für den neuen Namen direkt von Federica Mogherini, die als EU-Außenbeauftragte wie kaum eine Zweite für das militärische Vorgehen der EU gegen Flüchtlinge im Mittelmeer steht. Es verfolgt im Kern zwei Ziele: die Stärkung der Festung Europa zur Abwehr von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen, und die Vorbereitung einer neuen, viel umfassenderen Militärintervention in Nordafrika unter dem Deckmantel der „Bekämpfung der Flüchtlingsursachen“.

Mit der Ausweitung des Militäreinsatzes ist es den seit Juni im Mittelmeer aktiven Kriegsschiffen nun erlaubt, Flüchtlingsboote zu stoppen und vermeintliche Schlepper festzunehmen. In einer dritten Phase sollen dann „alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, [um] die Boote und Einrichtungen der Schlepper zu beseitigen und zu zerstören“, wie es auf der Website der Bundeswehr heißt. Die erste Phase der Militäroperation war bislang auf das Sammeln von Informationen über die Netzwerke der Schleuser begrenzt.

Bereits Mitte September hatte der Europäische Rat die zweite Phase der Operation beschlossen. Während die Militäroperationen zumindest offiziell „nur“ in internationalen Gewässern zwischen Italien und Libyen stattfinden, strebt die EU ein Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (UN) und die Zustimmung Libyens an, um ihr Eingreifen auch auf die libyschen Hoheitsgewässer auszuweiten.

Der italienische Konteradmiral Enrico Credendino, der am Mittwoch in Rom den offiziellen Startschuss für die zweite Phase der Mission gab, machte deutlich, dass in Wirklichkeit bereits jetzt die militärische Bekämpfung von Flüchtlingsbooten auf der Tagesordnung steht. Das Ziel sei es, „Schiffe funktionsuntüchtig zu machen, auch schon bevor sie von den Schlepperbanden eingesetzt werden können“, so Credendino.

Der Admiral weiß, wovon er spricht. Bevor er die Koordination von „Eunavfor Med“ bzw. „Sophia“ übernahm, führte er das Kommando der Operation „Atalanta“, des Militäreinsatzes der EU vor Somalia. Dort jagten Kriegsschiffe der EU-Mitgliedsstaaten vermeintliche Piraten. Sie griffen dabei nicht nur Schiffe, sondern auch angebliche Piratenlager auf dem Land an. Offensichtlich soll nun auf die gleich Art und Weise gegen Flüchtlingsboote vorgegangen werden.

Allein das Ausmaß von „Sophia“ gibt einen Eindruck vom martialischen Charakter der Mission. Es werden sich vierzehn europäische Länder mit Kriegsschiffen, U-Booten, Flugzeugen, Kampfhubschraubern und Drohen daran beteiligen, darunter Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, die Niederlande und Schweden. Das Hauptquartier der Mission befindet sich in einem Militärflughafen in Rom.

Die offizielle Propaganda in Politik und Medien hatte lange versucht, die Operation als „humanitäre“ Mission zur Rettung von Flüchtlingen darzustellen, die sich auf die tödliche Route durch das Mittelmeer begeben. In Wirklichkeit dient sie im Kern der militärischen Verfolgung von Menschen, die die Nato-Mächte mit ihrer Kriegspolitik in der Region überhaupt erst zu Flüchtlingen gemacht haben.

Der militärische und unmenschliche Charakter der Mission ist mittlerweile so offensichtlich, dass selbst einige bürgerliche Blätter eingestehen müssen, dass es bei dem Einsatz nie um Seenotrettung ging, sondern dass er die Todeszahlen weiter nach oben treibt.

Am Wochenende veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Kommentar unter dem Titel „Kanonenboot-Politik“ von Ingo Werth, dem ehemaligen Kapitän von „Sea-Watch“, einer privaten Initiative, die sich die Aufgabe gestellt hat, Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten. Der Artikel ist eine entlarvende Anklage der gesamten europäischen Flüchtlingspolitik.

Werth schreibt, dass die Schiffe, seit sie der EU-Mission Eunavfor Med unterstellt sind, „kaum noch jemanden gerettet oder überhaupt aktiv nach Seenotfällen gesucht“ haben. Er berichtet von den eigenen dramatischen Erfahrungen. Am 28. August hätten er und seine Crew beispielsweise „gleich fünf Schlauchboote in Seenot auf einmal“ identifiziert und Hilfe bei der Leitstelle in Rom angefordert. Trotzdem sei erst nach acht Stunden die italienische Küstenwache aufgetaucht, aber „keine Schiffe der Mission Eunavfor Med“.

Werths Schlussfolgerung ist eindeutig. Er halte Aussagen, wie die von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, „Seenotrettung hätte auch im Rahmen der Eunavfor-Med-Mission absolute Priorität“, für „nicht mehr nachvollziehbar“. Es habe sich nicht nur am 28. August, „sondern auch bei vielen Einsätzen vorher gezeigt“, dass „offenbar das Gegenteil wahr ist“.

Insgesamt sei der proklamierte „Kampf gegen Schleuser in erster Linie ein Kampf auf dem Rücken der Flüchtenden“, so Werth. „Je mehr die Schleppernetzwerke bekämpft werden, desto mehr Tote wird es an Europas Grenzen geben.“ Das zeigten „nicht nur die sich wiederholenden Bootskatastrophen auf dem Mittelmeer, das zeigt auch die Tragödie des Schlepper-Lkws in Österreich“.

Deutschland spielt bei diesem „Kampf gegen Schleuser“, der in Wirklichkeit „ein Kampf gegen Flüchtlinge“ ist, eine führende Rolle. Hatte sich die Bundeswehr bislang mit der Fregatte „Schleswig-Holstein“, dem Versorgungsschiff „Werra“ und 320 Soldaten an der Mission beteiligt, beschloss das Bundeskabinett bereits Ende September, den Einsatz massiv auszuweiten. So sollen sich laut Verteidigungsministerium zukünftig bis zu 950 deutsche Soldaten an der zweiten Phase beteiligen.

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