Labour Party streitet über britische Intervention in Syrien

Die Führung der Labour Party ist zutiefst zerstritten über die Frage, ob sie eine britische Intervention in Syrien unterstützen soll.

Premierminister David Cameron warb am Donnerstag im Parlament für eine Militärintervention. Die britische Regierung kann es kaum erwarten, mit Einsätzen zu beginnen. Sie will damit nicht nur die demütigende Niederlage vom August 2013 ungeschehen machen, als das Parlament sein Veto gegen eine Intervention eingelegt hatte, sondern sich vor allem ihren Anteil an der Aufteilung Syriens und des Irak unter Federführung der USA sichern.

Cameron hofft, in dieser Woche eine Abstimmung über die Intervention abhalten zu können. Doch wenn er dabei Aussicht auf Erfolg haben will, muss er die Unterstützung von mindestens 30 Labour-Abgeordneten bekommen, obwohl deren Parteichef Jeremy Corbyn öffentlich erklärt hat, er lehne ein militärisches Engagement ab.

Schon vor Camerons Rede hatten mehrere Labour-Abgeordnete deutlich gemacht, die Regierung unterstützen zu wollen.

Am Montag vergangener Woche äußerten sich mehrere von ihnen öffentlich positiv über die Strategic Defence Review, die strategische Verteidigungs- und Sicherheitsplanung für die nächsten fünf Jahre. Am letzten Dienstag stimmten vierzehn Labour-Abgeordnete für die Erneuerung des britischen Trident-Atomraketensystems. Damit widersetzten sie sich Corbyns Anweisung, der Abstimmung fernzubleiben; weitere sechs Abgeordnete enthielten sich. Die Abstimmung war von der Scottish National Party mit dem ausdrücklichen Ziel einberufen worden, Spaltungen innerhalb der Labour Party zu enthüllen.

Schatten-Verteidigungsministerin Maria Eagle ist nur eine von mehreren führenden Labour-Mitgliedern, die sich öffentlich den Behauptungen der Konservativen angeschlossen haben, Corbyn sei „nicht regierungsfähig,“ weil er erklärt hatte, als Premierminister nicht den Befehl zum Einsatz von Atomwaffen zu geben. Im reaktionären Umfeld der Labour Party gilt die Bereitschaft zum Massenmord ebenso als Auszeichnung wie die Unterstützung für Sozialkürzungen, „Law and Order“ und andere politische Domänen der Rechten.

Mehrere Mitglieder von Corbyns Schattenkabinett sind angeblich aufgebracht über die Andeutungen, Corbyn könnte versuchen, einen besonders starken Fraktionszwang (three-line whip) zum Widerstand gegen Luftangriffe auf Syrien einzuführen. Schatten-Außenminister Hilary Benn erklärte sich bereit, die Regierung zu unterstützen, ebenso der stellvertretende Parteichef Tom Watson, die Schatten-Bildungsministerin Lucy Powell und der Schatten-Justizminister Lord Falconer. Damit ist Corbyn in seinem eigenen Kabinett in der Minderheit.

Die Labour-Hinterbänkler Fiona Mactaggart und John Spellar haben Corbyn öffentlich zum Rücktritt aufgefordert. Sie erklärten, sein Widerstand gegen eine Intervention sei „unhaltbar.“

Doch Corbyns Reaktion bestand wieder einmal darin, jedem Konflikt mit dem rechten Flügel seiner Partei aus dem Weg zu gehen. Gleichzeitig verharmloste er bewusst die Gefahr, dass sich der Konflikt in Syrien zu einem dritten Weltkrieg entwickeln könnte.

Bei der Debatte über die Strategic Defence Review am Montag verlor Corbyn kein Wort über die Vorbereitungen auf eine Intervention gegen Syrien, ebenso wenig über den Abschuss des russischen Militärflugzeuges durch die Türkei. Stattdessen versuchte er, sich als besorgter Verteidiger des Militärs und der nationalen Sicherheit zu inszenieren. Cameron reagierte mit Verachtung auf seine offensichtliche Kehrtwende.

Das Votum für die Erneuerung des Trident-Systems hatte für die beteiligten Labour-Abgeordneten bisher keine Folgen.

Jetzt versucht Corbyn, die Unterstützung seines Schattenkabinetts für die Position der Regierung auszuhebeln, indem er an die Parlamentsfraktion der Labour Party (PLP) appelliert. Am Donnerstagabend veröffentlichte er einen Brief an die PLP, in dem er erklärte: „Unsere nationale Sicherheit muss das oberste und zentrale Ziel sein.“ Er erklärte jedoch auch, er glaube nicht, dass „der derzeitige Vorschlag des Premierministers, Luftangriffe in Syrien durchzuführen, unserer Sicherheit dient, und deshalb kann ich ihn nicht unterstützen.“

Corbyns unaufrichtiger Protest hat nichts mit echtem Widerstand gegen imperialistischen Krieg zu tun. Ihm geht es dabei nur um die Effektivität der Militäraktion. Der Labour-Vorsitzende hat in keiner Weise die massive Antikriegsstimmung in der arbeitenden Bevölkerung mobilisiert. Ebenso wenig hat er vor den katastrophalen Folgen des derzeitigen Kriegskurses gewarnt. Stattdessen hat er alle öffentlichen Auftritte abgesagt, darunter auch den Wahlkampfauftritt bei der Nachwahl im Wahlkreis Oldham West.

Das ist kein Zufall. Corbyn lehnt es ab, die Arbeiter und Jugendlichen gegen die Tory-Regierung und ihre imperialistische Kriegs- und Kürzungspolitik zu mobilisieren. Sein größtes Anliegen ist es, sich mit seinen rechten Gegnern zu einigen, um die Autorität der Labour Party zu wahren.

Ob ihm das gelingt, ist noch unklar. Angesichts der Möglichkeit, dass mehrere Mitglieder seines Kabinetts zurücktreten, erwägt Corbyn, die Abstimmung freizugeben. Doch selbst dann ist Cameron der Sieg nicht sicher. Der Premierminister wollte am Wochenende Berichten zufolge ausloten, ob er eine sichere Mehrheit hat, bevor er sich für eine Abstimmung entscheidet.

Im August 2013 hatten 30 Tory-Abgeordnete gegen die Regierung rebelliert und damit zum Scheitern der Abstimmung beigetragen. Diesmal werden es vermutlich nur noch halb so viele sein. Dennoch ist Camerons Rechtfertigung für eine britische Intervention ein so durchsichtiger Schwindel, dass sie mit Tony Blairs Dossier über irakische Massenvernichtungswaffen aus dem Jahr 2003 verglichen wird, die aus lauter fingierten Geheimdienstberichten bestand.

Vor allem Camerons Behauptung, es gebe mehr als 70.000 „gemäßigte“ Widerstandskämpfer in Syrien, die zu zuverlässigen pro-westlichen Bodentruppen ausgebildet werden können, wird offen lächerlich gemacht.

Die USA und ihre Verbündeten haben die Entstehung des Islamischen Staates (IS) und anderer Terrorgruppen selbst begünstigt und sie als Stellvertretertruppen benutzt, um das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu stürzen und ihre geostrategischen Interessen in der Region zu sichern.

Zahlreiche Kommentatoren wiesen darauf hin, dass Camerons Einschätzung bekannte Dschihadistengruppen wie die Al-Qaida-nahe Al-Nusra-Front beinhaltet. Die Studie wurde vom Joint Intelligence Committee angefertigt, das auch für das Irak-Dossier verantwortlich war. Der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, erklärte: „Cameron hat in Westminster große Schwierigkeiten. Er hat sich mit der Behauptung übernommen, mehr als 70.000 ‚gemäßigte' Rebellen seien bereit, den Kampf gegen den IS aufzunehmen. Nicht ein einziger Abgeordneter glaubt ihm. Einige halten die Lüge für gerechtfertigt, aber selbst die wissen, dass es eine Lüge ist.“

Murray deutet an, dass Camerons Behauptung u.a. von Quellen aus dem Verteidigungsapparat angezweifelt werden.

Mehrere Tory-Abgeordnete haben dem Premierminister widersprochen. Peter Lilley tat Camerons Zahl mit dem Hinweis ab, es sei eine „zusammengeschusterte Ansammlung von Clans und Stammeskämpfern ohne Zusammenhalt“, John Baron nannte die Zahl „äußerst optimistisch.“

Der konservative Abgeordnete Dr. Julian Lewis, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, richtete eine offizielle Anfrage an den Premierminister, woher er diese „magische“ Zahl habe. Lewis machte deutlich, welche Meinungsverschiedenheiten innerhalb der britischen Bourgeoisie bestehen, vor allem hinsichtlich „zuverlässiger Bodentruppen.“

Da in dieser Frage keine Klarheit herrscht, machen sich Teile der herrschenden Elite Sorgen, sie könnten bei der Verteilung der Kriegsbeute in Syrien außen vor bleiben. Deshalb argumentieren einige von ihnen, die Interessen des britischen Imperialismus ließen sich am besten durch ein Abkommen mit dem Oligarchenregime des russischen Präsidenten Wladimir Putin durchsetzen.

Lewis argumentierte: „Tatsache ist, wenn man Isil/Daesh [den IS] besiegen will, braucht man das reguläre syrische Militär als Teil der Koalition. Da liegt für den Premierminister ein Knackpunkt, weil er sich nicht überwinden kann, sich mit den Russen und ihrer Marionette Assad zu verbünden, weil sie natürlich so... unangenehm sind.“

„Aber Churchill, der uns dauernd als Vorbild empfohlen wird, hat im Zweiten Weltkrieg genau das mit Stalin und den Bolschewiki getan. Manchmal ist es das Beste, sich für das kleinere Übel zu entscheiden.“

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