Bundestag beschließt im Eilverfahren Militäreinsatz in Syrien

Der Bundestag hat am gestrigen Freitag mit großer Mehrheit die deutsche Beteiligung am Krieg in Syrien beschlossen. Obwohl es sich um den derzeit größten Militäreinsatz der Bundeswehr mit weitreichenden und unabsehbaren Konsequenzen handelt, wurde der Beschluss im Eilverfahren durch das Parlament gepeitscht.

Am Dienstag hatte das Kabinett beschlossen, 1.200 Soldaten, sechs Tornado-Aufklärungsjets und eine Fregatte im Syrienkrieg einzusetzen. Erst danach wurden die Abgeordneten informiert. Bereits am Mittwoch folgte die erste Lesung im Bundestag, bei der die Zeit für die Befragung der Regierung auf insgesamt 30 Minuten beschränkt wurde. Am Freitag folgten die zweite und dritte parlamentarische Lesung in einer Sitzung, die nur zwei Stunden dauerte. Bereits um 11 Uhr begann die Abstimmung.

Für den Kampfeinsatz in Syrien votierten 445 Abgeordnete, dagegen stimmten 146, sieben enthielten sich. Die Ja-Stimmen kamen fast ausschließlich aus dem Lager der Großen Koalition von SPD und Unionsparteien. Linkspartei und Grüne stimmten mehrheitlich dagegen.

Nie zuvor seit Kriegsende wurde die Entscheidung über eine Kriegsteilnahme derart überstürzt getroffen. Die Regierung konnte sich dabei auf ein willfähriges Parlament stützen, dessen Abgeordnete sich als ihre Erfüllungsgehilfen verstehen. Die Überrumpelungstaktik diente in erster Linie dazu, jede öffentliche Diskussion über die wirkliche Bedeutung des Syrieneinsatzes, seine Risiken, seine Folgen und seine fehlende völkerrechtliche und verfassungsmäßige Grundlage zu unterdrücken.

Die Regierung weiß, dass die Opposition gegen Krieg und Militarismus in der Bevölkerung tief verwurzelt ist. Die Verbrechen der deutschen Armee im Ersten und vor allem im Zweiten Weltkrieg sind nicht vergessen, sonder haben sich ins gesellschaftliche Bewusstsein eingebrannt.

Wie vor hundert Jahren, als die SPD im August 1914 den Kriegskrediten zustimmte, spielen auch heute die Sozialdemokraten eine Schlüsselrolle, um Kritiker am Kriegskurs der Regierung mundtot zu machen.

Vor Beginn der Debatte wies SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann Kritik an der schnellen Bundestagsentscheidung zurück. Das parlamentarische Eilverfahren sei gerechtfertigt und notwendig, erklärte Oppermann. „Frankreich hat uns um Hilfe gebeten“, da könne man nicht endlos debattieren. Die Diskussionen in den letzten Tagen seien sehr intensiv gewesen, „so dass wir in der Lage sind, eine verantwortliche Entscheidung treffen zu können“.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) verteidigte die Entscheidung der Großen Koalition und wies rechtliche Bedenken am Militäreinsatz zurück. „Die Deutschen können sicher sein: Der Syrien-Einsatz der Bundeswehr verstößt weder gegen das Völkerrecht noch gegen das Grundgesetz“, hatte er bereits am Donnerstag dem Berliner Tagesspiegel erklärt.

Zur Begründung verwies Maas unter anderem auf die vom Bundesverfassungsgericht 1994 getroffene Entscheidung, wonach Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit möglich seien. „Es gibt drei Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gegen den IS, die das vorliegende Mandat abdecken. Nach dem EU-Grundlagenvertrag kann sich Frankreich zudem mit vollem Recht auf die Beistandsverpflichtung seiner EU-Partner berufen“, sagte Maas.

Maas weiß, dass er lügt. Selbst die erzkonservative Neue Zürcher Zeitung schreibt: „Eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats gibt es nicht, die den Einsatz legitimieren würde.“ Und der EU-Grundlagenvertrag erlaubt keinen Militäreinsatz in Syrien, wo Frankreich, die USA, die Türkei und andere Länder seit Jahren erklärtermaßen einen Regimewechsel anstreben und einen Stellvertreterkrieg gegen Russland und Iran führen.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzender der SPD, Rolf Mützenich sagte, wer behaupte, der Bundeswehreinsatz erhöhe das Anschlagsrisiko in Deutschland, der verschließe die Augen vor den Tatsachen. „Deutschland ist längst im Fadenkreuz des Terrors.“ Gerade deshalb sei das militärische Eingreifen der Bundeswehr im Kampf gegen den IS so wichtig und richtig.

Auch das ist unwahr. Das beweist schon die Erfahrung der bisherigen Kriege, die unter dem Vorwand des Kampfs gegen den Terror geführt wurden. „Der Krieg gegen den Terror hat nicht nur die Zahl der Terroristen potenziert“, kommentiert die Frankfurter Rundschau. „Er hat auch ihre geografische Basis vergrößert.“ Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass sich das Anschlagsrisiko in Deutschland mit dem Kriegseintritt massiv erhöht.

Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold beantwortete den Vorwurf der Linken-Fraktion, das Bundeswehr-Mandat werde im „Schweinsgalopp“ durch die parlamentarischen Gremien gepeitscht, mit der Frage: „Haben wir nicht vielleicht viel zu lange gewartet und alles ist bereits zu spät?“ Demagogisch rief Arnold: „Wir können stundenlang darüber reden, dass ein Militäreinsatz Risiken trägt. Das will ich nicht beschönigen. Aber es ist kein Abenteuer, in das wir unsere Soldaten schicken.“ Der größte Fehler und das größte Risiko bestehe darin, weiterhin Nichts zu tun.

Die Grünen und die Linke spielen dieses Spiel mit. Sie sind nicht grundsätzlich gegen eine Militärintervention und unterstützen selbst seit Jahren unterschiedliche Fraktionen im syrischen Bürgerkrieg. Ihre „Opposition“ dient vor allem dazu, den Schein zu erwecken, es gäbe so etwas wie eine ernsthafte öffentliche Debatte.

Am deutlichsten wurde dies am Beitrag von Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Er betonte, dass die Ablehnung des Mandats durch die Grünen nicht bedeute, dass man nicht militärisch handeln wolle. Man lehne lediglich das inkonsequente und undurchdachte Vorgehen der Regierung ab.

„Legen Sie doch erst mal ein klares Mandat vor!“, rief Hofreiter. Alle wichtigen Fragen seien offen: „Wer hat den genauen Oberbefehl? Wie gehen Sie mit Russland um? Wie gehen Sie mit Assad um?“ Er könne da „keine klare Strategie“ erkennen, zumal Verteidigungsministerin von der Leyen ihre Standpunkte ständig ändere und sich fortlaufend widerspreche.

Die Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht beklagte das Eiltempo, mit dem die Entscheidung durchgedrückt werde, und rief: „Krieg macht doch alles nur noch schlimmer!“ Sie sagte, der Terror des Krieges bringe nur neuen Terror hervor und fragte, ob sich der Westen wirklich in einen Wettstreit mit dem IS begeben wolle, wer mehr Menschen töte. Sie wurde deshalb von den anderen Fraktionen heftig angefeindet.

Gleichzeitig machte Wagenknecht deutlich, dass sich ihre Ablehnung des Kriegseinsatzes vor allem gegen die USA und ihre Dominanz im Nato-Bündnis richtet. „Es ist ein großes Versagen der europäischen Politik, den USA bei ihren Kriegen viel zu lange die Hand gereicht und den Rücken freigehalten zu haben“, erklärte sie.

Die Debatte zeigt, dass der Kampf gegen Krieg eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend erfordert. Keiner der Abgeordnete sprach die offensichtliche Tatsache aus, dass das militärische Eingreifen Deutschlands im Nahen Osten seit Jahren vorbereitet wird.

Die Anschläge von Paris boten lediglich den willkommenen Anlass, vorhandene Pläne in die Praxis umzusetzen. Bereits vor zwei Jahren hatten Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen das „Ende der militärischen Zurückhaltung“ verkündet. Deutschland sei „zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“, und müsse „bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen“.

Alle Bundestagsparteien unterstützen diese Wiederkehr des deutschen Militarismus und deutscher Großmachtpolitik. Ungeachtet taktischer Differenzen bilden sie eine regelrechte Kriegsverschwörung gegen die Bevölkerung.

Die World Socialist Web Site und die Partei für Soziale Gleichheit warnen seit langem vor der wachsenden Kriegsgefahr. Im September 2014 verabschiedete eine Sonderkonferenz der PSG eine Resolution gegen Krieg, in der es heißt: „Unter dem Vorwand des Kampfs gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die von den USA und ihren Verbündeten Saudi-Arabien, Katar und Türkei aufgebaut und gefördert wurde, hat eine weitere Runde der gewaltsamen Neuaufteilung der rohstoffreichen Region begonnen, die noch blutiger und verlustreicher zu werden droht, als die bisherigen Kriege im Irak, Libyen und Syrien.“

Nun beteiligt sich auch Deutschland militärisch an dieser gewaltsamen Neuaufteilung der rohstoffreichen Region, wie die PSG gewarnt hatte. Der Kampf dagegen gewinnt große Bedeutung.

In der Resolution der PSG-Sonderkonferenz schrieben wir: „Nur eine internationale Antikriegsbewegung, die die Arbeiterklasse für ein sozialistisches Programm mobilisiert, kann die Gefahr eines dritten, nuklearen Weltkriegs verhindern, die sich im Nahen Osten und anderen Weltregionen anbahnt. Der Kampf gegen Krieg und der Kampf gegen Kapitalismus sind untrennbar miteinander verbunden. Die Partei für Soziale Gleichheit und das Internationale Komitee der Vierten Internationale kämpfen dafür, eine solche Bewegung aufzubauen.“

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