Münkler und Baberowski werben für imperialistische Außenpolitik

Die Umgebung passte zum Inhalt. Vor einer vom preußischen Militarismus geprägten Kulisse sprachen der Politwissenschaftler Herfried Münkler und der Historiker Jörg Baberowski am Montagabend über Gewalt. Der Vorsitzende des Museumsvereins Peter Voß hatte die beiden Professoren der benachbarten Humboldt-Universität zum Schlüterhofgespräch ins Deutsche Historische Museum eingeladen. Das Thema lautete: „Gewalt – die Essenz der Geschichte?“

Münkler, Voß und Baberowski (v.l.)

Das Zeughaus, in dem das Museum beheimatet ist, hatte Preußen im 18. Jahrhundert als Waffenarsenal und im 19. Jahrhundert als Museum und Ruhmeshalle der Armee gedient. Im 20. Jahrhundert hielt Hitler im Schlüterhof seine jährliche Rede zum Heldengedenktag. Das Zeughaus ist in eine Umgebung eingebettet, die den Eindruck einer Rumpelkammer vergangener preußischer Größe und einer Dauerbaustelle erweckt. Der protzige Berliner Dom steht neben dem Rohbau des neuerrichteten hohenzollerschen Stadtschlosses, der Bauruine der Staatsoper und dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität, das ursprünglich dem Bruder Friedrichs II. als Wohnstätte diente.

Während die Gespenster der Vergangenheit allgegenwärtig waren, sprachen die beiden Professoren vor allem über die Gegenwart. Gewalt ist für sie nicht nur die „Essenz der Geschichte“, sondern auch – und vor allem – die Essenz der Zukunft.

Man kann nach dieser Veranstaltung besser nachvollziehen, dass sich derart viele deutsche Professoren Hitler in die Arme warfen, nachdem er 1933 die Macht übernommen hatte. Kaum ziehen deutsche Soldaten wieder in den Krieg und gewinnen rechtsextreme Parteien in Teilen Europas wieder Zulauf, lassen ihre Nachfolger auf den Lehrstühlen die spärlichen demokratischen und pazifistischen Grundsätze fallen, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg mühsam hatten erlernen müssen, und schwärmen für militärische und staatliche Gewalt.

Vom Publikum, vorwiegend älteren Jahrgängen mit akademischem Hintergrund, war kein Wort des Widerspruchs und nicht einmal ein empörtes Durchatmen zu hören. Stattdessen kam von Zeit zu Zeit dezenter Applaus auf, wenn sich ein Referent besonders drastisch ausdrückte. Ganz vorne, den Referenten direkt gegenüber, saß passend zum Anlass Thilo Sarrazin, dessen Buch „Deutschland schafft sich ab“ den Fremdenhass in Deutschland wieder salonfähig gemacht hat.

Ein Leitmotiv zog sich durch das gesamte zweistündige Podiumsgespräch: dass die Zeit vorbei sei, in der Deutschland seine Außenpolitik – und dementsprechend auch seine Innenpolitik – auf demokratische Grundsätze, völkerrechtliche Regeln und moralische Vorbehalte stützen könne. Oder, wie Voß es abschließend zusammenfasste: „dass wir von etwas zu viel Moralpolitik zu etwas mehr Realpolitik übergehen müssen“.

Münkler formulierte denselben Gedanken mit den Worten: „Wir stehen an der Schwelle einer grundlegenden Revision der Vorstellungen von Außenpolitik, die wir uns immer gemacht haben und die, glaube ich, ‚wertorientierte Außenpolitik‘ heißt. Wir sind gehalten zu einer klassischen Realpolitik zurückzukehren.“

In Bezug auf den Nahen Osten bedeute dies, dass man nicht mehr sagen könne: „Wir haben mit diesen schmutzigen Fingern, also diesen Diktatoren, nichts zu tun und wollen auch nichts mit ihnen zu tun haben“, erläuterte Münkler. Als Beispiel nannte er den ägyptischen Herrscher al-Sisi, auf den „wir“ angewiesen seien, „damit Ägypten nicht auch noch in die Luft fliegt“. Man müsse schauen, „was sind denn die stabilisierenden Regionalmächte eines Raumes und wie kommen wir mit ihnen zurecht, um mit möglichst geringen Kosten und Risiken […] und mit den vorhandenen Kräften des Raumes so etwas wie einigermaßen Stabilität herzustellen“.

Münkler umriss auch den geografischen Raum, auf den Deutschland seine „klassische Realpolitik“ ausdehnen müsse. „Wir haben zwei postimperiale Räume, die uns Sorge machen“, sagte er. „Der eine geht vom westlichen Balkan bis zum Kaspischen Meer und der andere ist tendenziell der gesamte arabische Raum.“

An anderer Stelle erklärte er, „die großen Herausforderungen der europäischen Stabilität und Sicherheit“ reichten „vom östlichen Balkan bis zum Kaukasus“ und vom „Raum zwischen Mesopotamien und Libyen, der Levante und dem Indischen Ozean“ bis an die „gegenüberliegende Küste des Mittelmeers und auf die andere Seite der Sahara“.

Studiert man die Weltmachts- und Welteroberungspläne deutscher Strategen, Wirtschaftsverbände und Generalstäbe vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, findet man weitgehend dieselben geografischen Ziele. Münkler knüpft an die traditionelle Expansionspolitik des deutschen Imperialismus an.

Münkler beschimpfte zwar Kritiker, die ihm vorwerfen, er sei ein „Kriegstreiber“, als „Hirnis“ oder „Gehirnlose“, nur um im nächsten Satz jene anzugreifen, die von vornherein erklärten: „Militärische Macht kommt überhaupt nicht in Frage und wir schicken überhaupt nirgendwo Truppen hin und wir beteiligen uns an gar nichts dieser Art“.

Münkler schloss seinen Beitrag, indem er die Überzeugung äußerte, dass sich „die politische Selbstwahrnehmung der Bundesrepublik in der nächsten Periode zutiefst verändern“ werde. „Wir werden uns in ganz anderer Weise wieder in unserer Umgebung engagieren müssen“, forderte er. „Das gefällt uns nicht, wir fanden das im Prinzip gut, uns so klein zu machen, dass uns keiner sieht. Wir sind damit genial gefahren, aber wir werden so nicht weiterspielen können.“

Die beiden Professoren spielten sich während des gesamten Abends gegenseitig die Bälle zu. Baberowski entwarf nicht so großspurige geopolitische Pläne wie Münkler. Dafür sprach er umso rücksichtsloser aus, welche brutalen Methoden die Verwirklichung einer solchen Politik erfordert.

Bereits vor einem Jahr hatte er im Schlüterhofgespräch erklärt, wenn man nicht bereit sei, „Geiseln zu nehmen, Dörfer niederzubrennen und Menschen aufzuhängen und Furcht und Schrecken zu verbreiten“, solle man die Finger vom Kampf gegen Terroristen lassen. Nun stellte er die berüchtigte russische Geheimpolizei Ochrana, die im 19. Jahrhundert jegliche Opposition gegen das autokratische Regime des Zaren brutal unterdrückt hatte, als leuchtendes Vorbild dar.

Gestützt auf die für ihn typischen Stammtischpsychologie behauptete Baberowski, soziale, politische und ideologische Gründe spielten bei der Herausbildung terroristischer Gewalt überhaupt keine Rolle. „Wenn man erklären will, wie Gewalt entsteht und wie sie auch wieder beendet wird, dann muss man sich mit dem Menschen beschäftigen“, sagte er. „Es wird immer junge Männer geben, die aggressiv sind, die gewalttätig sind, die frustriert sind, die sich von allem ausgeschlossen fühlen. … Es wird immer gewalttätige Gruppen geben, es wird immer Terrorismus geben.“

Aber auch Terroristen verhielten sich gruppenkonform. Deshalb komme es darauf an, die Anführer auszuschalten. „Wenn man so einen Anführer ausschaltet, der diese Leute zusammenbindet, dann hat man sein Ziel erreicht.“ Genau das habe die Ochrana getan. „Sie schaltete die Anführer aus.“

Dass Baberowski, ein Russland-Spezialist, die Ochrana positiv hervorhebt, sagt viel über seine politische Haltung aus. Er hätte auch die Gestapo der Nazis als Vorbild für eine erfolgreiche „Terrorbekämpfung“ nennen können. Die Ochrana unterdrückte nicht nur gnadenlos jede demokratische und sozialistische Opposition, sie war auch für ihren Antisemitismus berüchtigt und organisierte, um von sozialen Spannungen abzulenken, antijüdische Pogrome, denen Tausende zum Opfer fielen.

Die russischen „Terroristen“ hatten zudem absolut nichts mit dem Islamischen Staat von heute gemein. Die Attentate der Volkstümler richteten sich nicht gegen unbeteiligte Dritte, sondern ausschließlich gegen die Person und das Umfeld des Zaren, dessen Ermordung sie als Mittel sahen, das Volk aufzurütteln und demokratische Verhältnisse zu erkämpfen. Dieses Mittel war falsch. Das, und der Aufstieg der Sozialdemokratie, die auf die Mobilisierung der Arbeiter gegen den Zaren setzte, war der Grund für den Niedergang der Volkstümler, und nicht die Repression durch die Ochrana.

Die von Baberowski propagandierte Methode, Führer auszuschalten, gehört seit dem Ersten Weltkrieg zum Standardrepertoire aller reaktionären Organisationen und Geheimdienste, von den deutschen Freikorps und Hitlers SA bis zur amerikanischen CIA. Bevor Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht 1919 ermordet wurden, hingen in den Straßen Berlins Plakate „Schlagt die Führer tot“.

Münkler und Baberowski waren erstmals im Februar 2014 gemeinsam in Erscheinung getreten. Damals hatte Der Spiegel die beiden sowie den Nazi-Apologeten Ernst Nolte als Kronzeugen für einen „Wandel der Geschichte“ angeführt, dessen Kern darin bestand, die deutschen Verbrechen im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu verharmlosen.

Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) hatte dies damals scharf angegriffen. In einem Brief an die Universitätsleitung schrieben sie: „Die Bemühungen, ein historisch falsches Narrativ zu begründen, fallen mit einem kritischen Wendepunkt der deutschen Geschichte zusammen. … Die Wiederbelebung des deutschen Militarismus erfordert eine neue Interpretation der Geschichte, die die Verbrechen der Nazizeit verharmlost.“

Als die IYSSE und die World Socialist Web Site ihre Kritik an Münkler und Baberowski fortsetzten und Studierende auf dem Blog „Münkler-Watch“ dessen Vorlesungen kritisierten, entfachten die Medien eine wütende Hetzkampagne. Sie warfen den IYSSE und „Münkler-Watch“ Zensur, Mobbing und Ähnliches vor und stellten ihre Kritik in eine Linie mit Bombendrohungen und Mordaufrufen. Die Auseinandersetzung ist in dem Buch „Wissenschaft oder Kriegspropaganda?“ dokumentiert.

Der gemeinsame Auftritt von Münkler und Baberowski im Schlüterhof mit dem Ziel, Kriege und staatliche Unterdrückung zu legitimieren, hat die Kritik der IYSSE in vollem Umfang bestätigt.

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