Perspektive

Deutsche Luftwaffe tritt in Syrienkrieg ein

Am Dienstag wurden vier Tornado-Kampfflugzeuge der deutschen Luftwaffe auf den türkischen Luftstützpunkt Incirlik verlegt, um den Krieg gegen den IS in Syrien zu unterstützen. Laut der offiziellen Webseite der Bundeswehr werden die Tornados ihre ersten Einsätze noch in dieser Woche fliegen. Am 12. Januar sollen zwei weitere Kampfflugzeuge folgen.

Die Tornados verfügen über hochsensible Kameras, die in der Lage sind, jede Bewegung am Boden zu überwachen und feindliche Kämpfer aufzuspüren. Die Bilder werden live an die Streitkräfte der USA, Frankreichs, Großbritanniens und einiger arabischer Staaten übertragen, die sie zur Bestimmung ihrer Ziele nutzen. Offiziell beschränkt sich die Aufgabe der Tornados auf Überwachung, aber sie sind auch mit hochmodernen infrarotgelenkten Luft-Luft-Raketen vom Typ IRIS-T und mit 27-Millimeter-Mauser-Bordkanonen ausgerüstet, die gegen Ziele am Boden wie auch in der Luft eingesetzt werden können.

Die historische und politische Bedeutung dieser Entwicklung kann gar nicht überschätzt werden. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind erst siebzig Jahre vergangen. Die deutsche Luftwaffe spielte eine zentrale Rolle in der Kriegsmaschinerie der Nazis, die in ganz Europa, der Sowjetunion und Nordafrika wütete. Mit ihrem charakteristischen Geheule verbreiteten die Stukas (Sturzkampfbomber) der Luftwaffe Angst und Schrecken unter den zahllosen Opfern der deutschen Blitzkriege im Westen und Osten und zerstörten Städte wie Warschau, Stalingrad, Rotterdam und London.

Noch vor dem Flächenbombardement Warschaus 1939 zeigte die Luftwaffe ihre Fähigkeit zum Massenmord, als sie 1937 im spanischen Bürgerkrieg Guernica in Schutt und Asche legte.

Nach dem Krieg und dem Bekanntwerden des vollen Umfangs der schrecklichen Verbrechen des deutschen Imperialismus war die offizielle Position der deutschen Eliten, militärische Gewalt zu vermeiden. Nach der Auflösung der Sowjetunion und der Wiedervereinigung Deutschlands vor 25 Jahren begann diese Fassade immer mehr zu bröckeln. In den letzten beiden Jahren hat die deutsche Bourgeoisie die relative Zurückhaltung der Nachkriegszeit dann vollends aufgegeben und ist zu ihrer lange vergangen geglaubten Real- oder besser Kriegspolitik zurückgekehrt.

Der Eintritt der Luftwaffe in den Krieg in Syrien, begleitet von 1.200 Soldaten und einer Fregatte, eröffnet ein neues, bedrohliches Kapitel im Wiederaufleben des deutschen Militarismus. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar 2014 hatten Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) „das Ende der militärischen Zurückhaltung“ Deutschlands verkündet. Steinmeiers provokative Bemerkung, Deutschland sei „zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“, hatte die neuen deutschen Großmachtansprüche auf den Punkt gebracht.

Die aktuellen Kommentare führender Politiker, Journalisten und Akademiker machen die weitreichenden Konsequenzen der außenpolitischen Wende immer klarer. Der Kriegseinsatz in Syrien ist nur der Anfang. Die Forderungen reichen von der massiven Aufrüstung der Bundeswehr, der Ausweitung der deutschen Kriegseinsätze im Nahen Osten und in Afrika bis hin zur Entsendung deutscher Bodentruppen nach Syrien und der Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Zum Jahreswechsel sprach sich Finanzminister Wolfgang Schäuble in einem langen Interview in der Bild am Sonntag für „mehr Einsätze, mehr Geld für die Bundeswehr und mehr Soldaten“ sowie die Schaffung einer „europäischen Armee“ aus.

Er erläuterte die Pläne der Bundesregierung für 2016: „Meine Vorhersage für das nächste Jahr lautet: in Europa wird sich die Einsicht durchsetzen, dass wir die Flüchtlingskrise nur gemeinsam meistern. Für Deutschland bedeutet das dann aber auch, dass wir in der Außen- und Sicherheitspolitik stärker gefordert werden, als uns vielleicht lieb ist. Den Nahen und Mittleren Osten werden wir nicht stabilisiert bekommen ohne ein stärkeres europäisches Engagement. Das Gleiche gilt für Afrika.“

Um die Worte Trotzkis zu paraphrasieren: nicht jeder bürgerliche deutsche Politiker ist ein Hitler, aber ein Stückchen Hitler steckt in jedem von ihnen.

Was steckt hinter dieser schnellen und ungestümen Wiederkehr des deutschen Militarismus?

Wie in den 1930er-Jahren reagieren die deutschen Eliten auf die globale Krise des Kapitalismus und des Nationalstaatensystems, auf dem er beruht, mit Großmachtpolitik und Krieg. Als Trotzki 1932 die objektiven Triebkräfte untersuchte, die damals zum erneuten Aufstieg des aggressiven deutschen Imperialismus führten, bezeichnete er Deutschland als „den fortgeschrittensten Kapitalismus unter den Bedingungen der europäischen Ausweglosigkeit“. „Je größer die innere dynamische Kraft der Produktivkräfte Deutschlands ist“, schrieb er, „desto mehr wird sie durch das europäische Staatensystem erdrosselt, das dem Käfigsystem einer zusammengeschrumpften Provinzmenagerie gleicht.“

Die Folgen des Versuchs der deutschen Eliten, aus diesem „Käfigsystem“ auszubrechen, sind bekannt. Hitler wurde 1933 zum Kanzler ernannt und der Versuch Nazi-Deutschlands, „Europa zu erobern, um die Welt zu beherrschen“, endete in der Zerstörung ganzer Länder und kostete Millionen Menschen das Leben.

Siebzig Jahre nach der vollständigen militärischen Niederlage Deutschlands ist klar, dass die Nachkriegsordnung keines der Probleme gelöst hat, die im zwanzigsten Jahrhundert zu zwei Weltkriegen geführt haben.

Obwohl Deutschland gegenwärtig im Rahmen der Nato aufrüstet und die Luftwaffe als Teil der von den USA geführten Koalition gegen den IS operiert, besteht kein Zweifel, dass der Krieg um die Neuaufteilung des Nahen Ostens und der Kampf um die Kontrolle über Osteuropa und Eurasien zu wachsenden Spannungen und Konflikten zwischen den USA und Deutschland führen werden.

Die deutschen Eliten arbeiten schon seit längerem an Plänen, ihre nationalen Interessen eigenständig durchzusetzen. Ein 2001 veröffentlichtes Strategiepapier der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung definiert das „grundlegende deutsche Interesse“ im Nahen Osten wie folgt: „Es richtet sich primär auf eine Stabilisierung der betroffenen Staaten und Gesellschaften, um eine Gefährdung der eigenen Sicherheit und derjenigen der europäischen Partnerländer zu verhindern, eine reibungslose Rohstoffversorgung zu gewährleisten und Exportmöglichkeiten für die deutsche Wirtschaft zu schaffen.“

Die Studie verweist auf die Bedeutung der „Exportmärkte der Kernstaaten der Region (Ägypten, Türkei, Iran), vor allem aber der solventen Golfstaaten“ für die deutsche Exportwirtschaft. Es gelte daher „einen Beitrag zur Sicherung der Absatzmärkte zu leisten, einen möglichst ungehinderten Marktzugang zu gewährleisten und sich der Konkurrenz der USA, der osteuropäischen Staaten, aber auch der ostasiatischen Industrieländer zu stellen“.

In den letzten Monaten haben vor allem die wachsenden Spannungen zwischen der von Deutschland dominierten Europäischen Union und der rechten nationalistischen Regierung in Polen, die eng mit dem US-Imperialismus zusammenarbeitet und dessen Kriegskurs gegen Russland unterstützt, die Differenzen zwischen den Großmächten deutlich gemacht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beklagte jüngst die polnische „Vision“ eines „Intermariums“, eines Staatenbunds „von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer als Gegengewicht zu Russland – und zu Deutschland, dem neuen Hegemon in Europa“.

Der Eintritt der deutschen Luftwaffe in den Krieg in Syrien markiert ein neues gefährliches Stadium in der Militarisierung des Weltkapitalismus.

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