Türkei und Westmächte verschärfen Kriegsdrohungen nach Anschlag in Istanbul

Der Bombenanschlag in einer belebten Touristengegend in Istanbul forderte das Leben von mindestens zehn Menschen, fünfzehn wurden verletzt. Ein 27-jähriger Selbstmordattentäter brachte inmitten einer Gruppe von Touristen, die auf dem Sultanachmed Platz die Blaue Moschee betreten wollten, einen Sprengstoffgürtel zur Explosion.

Die türkische Regierung hat eine Nachrichtensperre über den Anschlag und die Reaktion der Sicherheitskräfte verhängt. Dies ist schon das vierte Mal innerhalb eines Jahres, dass die Regierung eine generelle Nachrichtensperre über eine politische Krise verhängt. Es sei notwendig, „zu verhindern, dass die öffentliche Ordnung zusammenbricht“, heißt es aus Regierungskreisen.

Türkische und westliche Politiker und Nato-Sprecher reagierten auf den Anschlag mit den altbekannten Drohungen und moralisierenden Stellungnahmen.

„Ich verurteile den Terroranschlag auf dem Sultanachmed Platz in Istanbul in aller Schärfe“, sagte Präsident Erdogan am Dienstag. Er sei vermutlich von einem Selbstmordattentäter aus Syrien verübt worden.

Kanzlerin Angela Merkel verurteilte den Anschlag in Berlin. Sie sagte, die Terroristen seien Feinde aller freien Menschen, ja, sie seien „Feinde der Menschheit“. „Wir fühlen uns den Menschen in der Türkei in Solidarität verbunden. Ich trauere um unsere Mitbürger“, sagte Merkel.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier fiel in den Chor ein und verurteilte den „barbarischen, feigen Terroranschlag“. Er versicherte den Verbündeten Deutschlands in Ankara, dass „dies für uns schwere Stunden der Trauer und des Entsetzens sind“.

Das geheuchelte Mitleid der führenden deutschen Politiker ist Ausdruck von Bemühungen des deutschen Imperialismus, engere Beziehungen zur türkischen Elite herzustellen. Berlin bemüht sich verstärkt, eine neokoloniale Einflusssphäre in Syrien, dem Irak und darüber hinaus zu etablieren.

Auch die Obama-Regierung hat den Anschlag verurteilt und signalisiert, dass das Blutvergießen zum Anlass genommen werde, das militärische Engagement der USA in der Türkei zu verstärken.

„Wir stehen als Nato-Verbündete an der Seite der Türkei, einem starken Partner und geschätzten Mitglied der Anti-IS-Koalition gegen diesen Angriff und verpflichten uns zu weiterer Kooperation und Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus“, erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, Ned Price.

Die Heuchelei der Regierungen Deutschlands und der Türkei bei der Verurteilung des Terrorismus und des IS wird von den USA noch übertroffen. Die USA, die Türkei und die Nato-Mächte haben allesamt systematisch Terrorgruppen mobilisiert und bewaffnet, die in Syrien Krieg führen, gemeinsam mit ihren Ablegern und Unterabteilungen.

Die Südosttürkei und das Grenzgebiet zu Syrien gehören inzwischen zu den am stärksten militarisierten und überwachten Regionen des Globus. Die Türkei hat die Grenze für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien geschlossen, und die türkische Regierung hat im letzten halben Jahr entlang der Grenze immer wieder Massenfestnahmen durchgeführt.

Trotzdem ist der IS sehr wohl in der Lage, Kämpfer, Waffen und gegen Bezahlung auch Flüchtlinge über die Grenze zu schmuggeln. Immer wieder haben IS-Zellen erfolgreiche Angriffe in der Türkei durchgeführt. Bomben detonieren regelmäßig in türkischen Städten und Ortschaften.

Die Selbstmordanschläge im Juli kosteten dreißig Friedensaktivisten das Leben, die auf dem Weg nach Kobane waren. Zwei Selbstmordangriffe auf den Hauptbahnhof in Ankara forderten insgesamt 130 Menschenleben und ein Artillerienangriff im Dezember traf einen der beiden großen Flughäfen Istanbuls.

Passagierlisten des IS-„Einwanderungsministeriums“ zeigen, dass die Organisation einen umfangreichen Menschenschmuggel über die türkisch-syrische Grenze betreibt. Kurdische Kämpfer hatten die Listen entdeckt und dem Guardian zur Verfügung gestellt.

Es gibt klare Hinweise, dass die herrschende Elite der Türkei mit dem IS bei mehreren einträglichen Geschäften zusammenarbeitet, so zum Beispiel beim Handel mit großen Mengen unter IS-Kontrolle geförderten Öls.

Anfang 2015 verdiente der IS pro Monat acht bis zehn Millionen Dollar an den Ölverkäufen. In einem Monat nahm er sogar vierzig Millionen Dollar ein, wie ein ungenannter US-Beamter berichtete, der von NBC News zitiert wurde.

Ölexporte des IS in die Türkei wurden in riesigen LKW-Konvois direkt über die Grenze gebracht. Zeitweise bestanden die Konvois aus hunderten LKWs. Entlang der Grenze haben IS‑Kommandeure die „volle Kooperation“ des türkischen Militärs, wie Bemerkungen eines Ex-IS-Mitglieds zeigen, das von Newsweek zitiert wurde.

„Viele Menschen verdienen jetzt am Extremismus in der Türkei“, berichtete ein ehemaliger Terrorismusexperte des US-Finanzministeriums dem Business Insider im November.

Türkische Beamte haben mehrfach IS-Vertreter in Gebäuden der türkischen Nachrichtendienste empfangen, um al-Nusra Kampfgruppen gegen die kurdische PYD, die PKK und mit ihnen verbündete kurdische Kräfte im Nordirak zu mobilisieren. Das berichten türkische Medien.

Auch werden verwundete IS-Kämpfer nicht selten über die Grenze evakuiert und in türkischen Krankenhäusern behandelt, wie ein Bewohner der Grenzregion berichtet hat.

Angriffe wie der Selbstmordanschlag vom Dienstag sind nicht das Werk externer Terroristen, die der Machtstruktur der Türkei und im weiterem Sinn den USA und den imperialistischen Nato-Mächten unbekannt wären. In Wirklichkeit fördert und leitet der Staat sie an und ihre Führung besteht aus Kräften, die seit Jahren von Ankara und den Westmächten bewaffnet, ausgebildet und unterstützt werden.

„Der türkische Beistand für den Islamischen Staat geht über die offenen Grenzen für IS-Kämpfer hinaus“, schreibt Khairuldin Al Machzumi vom Nahost-Department der University of California (Berkeley). Wie es dort heißt, verdient der IS inzwischen bis zu zwei Millionen Dollar pro Tag an dem geschmuggelten Öl.

Jeder neue Terroranschlag liefert neue Vorwände für die Kriegspolitik des türkischen Staates. Wie seine Verbündeten in Washington ist Ankara entschlossen, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad von der Macht zu vertreiben und durch ein Regime zu ersetzen, das den Interessen der Türkei, Saudi-Arabiens und ihren Hintermännern in den USA und im Westen dient.

Ankara ist auch entschlossen, sein militärisches Vorgehen gegen die kurdischen Minderheiten sowohl in der Türkei, wie auch im Nordirak zu verstärken, wo hunderte türkische Soldaten in den vergangenen Monaten trotz Protesten des irakischen Präsidenten Haider al-Abadi Stellung bezogen haben.

Erdogan signalisierte am Dienstag erneut seine Entschlossenheit, die militärischen Operationen der Türkei im Nordirak fortzusetzen. Er sagte, der jüngste Anschlag in Istanbul beweise, wie notwendig es sei, dass türkische Truppen den IS im Irak bekämpften.

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