RISE – „Schottische Syriza“ sucht Bündnis mit Scottish National Party

Anfang Dezember machte Jonathan Shafi, der nationale Organisator von RISE, dem „Schottischen Links-Bündnis“, in einem Artikel in der Scottish Socialist Voice deutlich, dass das Ziel von RISE darin bestehe, nach den Wahlen im Mai 2016 als loyale Opposition der Scottish National Party (SNP) ins schottische Parlament einzuziehen. Umfragen zufolge steht die SNP vor einem weiteren Erdrutschsieg, der weitestgehend auf Kosten von Labour gehen wird.

Die Taktik von RISE, erläuterte Shafi, bestehe darin, bei den SNP-Anhängern um eine Stimme zu werben. Ermöglicht wird dies durch das in dieser Wahl angewandte System der Rangfolgewahl, bei dem der Wähler nicht von mehreren Kandidaten einen auswählt, sondern zwischen mehreren der Kandidaten eine Rangfolge bestimmt.

RISE stellt sich als nationalistischer hin, als es die SNP ist. Shafi stellte klar: „RISE existiert, um einen Gegendruck zu erzeugen. Wir unterstützen das SNP-Ziel der Unabhängigkeit, tatsächlich sind wir für eine vollere Unabhängigkeit, als die SNP sie in Erwägung ziehen möchten. Doch ein starkes RISE wird den neuen Radikalen in der SNP auch die Energie und die Ideen verleihen, um ihre Partei gegen Fracker, Grundeigentümer, die Nato und so weiter zu stärken.“

Mit anderen Worten, unter Voraussetzungen, unter denen die SNP-Regierung überwiegend dieselbe brutale Sparpolitik diktiert, wie die konservative Cameron-Regierung in London, wollen die Pseudolinken und Nationalisten von RISE sicherstellen, dass die Unzufriedenheit mit der SNP unter Kontrolle bleibt und entlang nationalistischer und separatistischer Bahnen kanalisiert wird.

Shafi schrieb seinen Artikel kurz vor der Gründungskonferenz der Organisation, die Ende letzen Jahres in Glasgow stattfand. Diese wurde als ein „Versuch präsentiert, die Ideen hunderter Menschen zu vereinigen“. Gemeint waren jene Menschen, die sich jüngst bei einer Tour von RISE-Aktivisten versammelt hatten. Doch die Konferenzdokumente wurden von Shafi und einer kleinen Gruppe Pseudolinker verfasst. Unter den Pseudolinken befinden sich Mitglieder der Scottish Socialist Party (SSP), des Republikanischen Kommunistischen Netzwerks, ein Syriza-Unterstützer aus Schottland sowie Unterstützer der Radikalen Unabhängigkeits-Kampagne.

Ihr Entwurf für ein Grundsatzprogramm, das von der Konferenz verabschiedet wurde, besteht weitestgehend aus wertlosen (auf Schottland beschränkten) Vorschlägen zur Eindämmung der sozialen Ungleichheit sowie einer Ausweitung des öffentlichen Sektors vermittels einer Stärkung des kapitalistischen schottischen Staates. Laut RISE soll die Lohnungleichheit durch eine Lohnobergrenze von 100.000 und einen Mindestlohn von 20.000 Pfund eingegrenzt werden. Wie um den rein symbolischen Charakter ihres Vorschlags zu unterstreichen, fügen sie hinzu, dass der landesweite Mindestlohn „insbesondere in der Gastronomie“ durchgesetzt werden müsse, während „Arbeiter des öffentlichen Sektors mindestens zehn Pfund pro Stunde verdienen sollen“. Privatschulen sollen ihren Gemeinnützigkeitsstatus verlieren, Drogen entkriminalisiert werden und „Polizeikräfte unter Kontrolle der Kommunen kommen.“

Dies alles ist aber nur Beiwerk für die wichtigste Forderung von RISE. Diese besteht darin, dass „ein Unabhängigkeitsreferendum allein eine Frage des schottischen Parlaments sein soll und keinem Veto aus Westminster unterliegen dürfe“.

Die zur Konferenz eingereichten Anträge bewegten sich in denselben Bahnen. Ein Antrag, der die pseudodemokratische und falsche Programmatik von Podemos in Spanien (die von der RISE-Führung ebenfalls bewundert wird) aufgriff, erklärte: „Wir haben nicht den Wunsch, Karrierepolitiker aufzubauen. Wir wollen viele Führer, nicht nur einen oder zwei.“

Weitere Antragsteller wollten eine Ein-Pfund-Steuer auf Whisky, eine Vermietersteuer, eine Beendigung der Körperschaftssteuerumgehung und ein neues Landregister. Aus Dundee kam der Wunsch nach einer neuen Beamtenschicht in der Lokalregierung, „auf der Basis kleiner Kommunen, die den Anwohnern direkter verantwortlich ist“.

Eine Gewerkschafts-Resolution forderte die Beendigung von Subventionen für „solche Unternehmen, die Löhne unter dem Existenzminimum zahlen“. Selbst der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn hatte einen radikaleren Vorschlag unterstützt: nämlich dass solchen Unternehmen nicht gestattet werden sollte, Dividenden an Aktienbesitzer zu zahlen. Außerdem forderte die Resolution, das Arbeitsrecht der Verantwortung Schottlands zu übertragen.

Die häppchenweisen Sozialmaßnahmen von RISE basieren ausdrücklich auf der Zersplitterung der Arbeiterklasse in Großbritannien. Eine Resolution zum National Health Service (NHS) erwähnte den NHS in England überhaupt nicht, und auch nicht die Kämpfe von jungen Ärzten in England, die in diesem Monat zum ersten Streik seit vierzig Jahren geführt hatten, oder die Zerstörung der Gesundheitsvorsorge. Ein anderer Antrag, der sich gegen „Kürzungen und Schließungen“ positionierte, rief zu einer Kampagne gegen die Schließung der Stahlfabriken in Motherwell und Cambuslang auf. Mit keinem Wort erwähnte der Antrag die von Schließung bedrohten Stahlwerke in Südwales, Yorkshire und den West Midlands, wo viele hundert Arbeiter beschäftigt sind.

Antrag 45 bezog sich auf England und stellte fest, dass „der größte Teil der britischen Arbeiterklasse in England lebt“. Doch anstelle zu einem vereinten Kampf gegen Austerität und die konservative Regierung aufzurufen, ist es das Ziel von RISE, die Verbindungen mit „sozialistischen Unionsgegnern in England, Irland und Wales“ zu stärken – das heißt zu Teilen der Pseudolinken, die ebenfalls den schottischen Nationalismus unterstützen.

Die Anträge, die sich mit internationalen Ereignissen befassten, erwiesen sich als noch tieferer Morast voller widersprüchlichem Zynismus. Antrag 24, beispielsweise, rief dazu auf, Schottland solle „dem Beispiel Irlands nacheifern und nach dem Erreichen der Unabhängigkeit ein neutraler Staat werden“.

Die Resolution erwähnte mit keinem Sterbenswörtchen, dass die irische Neutralität ein Betrug ist. Irland ist eines der Drehkreuze, wo amerikanische Kampfflieger, die sich auf dem Weg in den Nahen Osten befinden, wiederaufgetankt werden. Der Antrag jedenfalls erwähnt bereits im nächsten Satz, dass „dies nicht eine zukünftige Debatte über eine [EU-]Mitgliedschaft ausschließt.“ Auch Irland ist selbstverständlich EU-Mitglied. Das Land musste einige der brutalsten Sparmaßnahmen durchführen, um EU-„Hilfen“ für sein zusammengestürztes Bankensystem zu erhalten.

Ein weiterer Antrag (aus der Region Lothian), der keinen Kommentar über den Charakter der EU selbst verlor, bemerkte: „Die jüngste Erfahrung von Griechenland zeigt den enormen Druck, unter welchen RISE geraten kann, wenn es Gehör bei den Massen gewinnt“. Mit anderen Worten, der kolossale Verrat Syrizas war nicht das Ergebnis der Politik der Partei, die den griechischen Kapitalismus sowie Griechenlands Platz in der EU verteidigt, sondern lediglich die Reaktion der EU-Bürokratie auf Syrizas Täuschung der griechischen Arbeiter.

Der Antrag 10 mit dem Titel „Sexismus und die Linke“ war von Jack Ferguson eingereicht worden. Ferguson kommt aus einer Organisation, die infolge einer Abspaltung von der Socialist Workers Party entstanden war. Grund für die Abspaltung waren Vergewaltigungsvorwürfe gegen ein Führungsmitglied sowie eine unangemessene Reaktion auf die Vorwürfe durch den „Konfliktausschuss“ der SWP. Der Antrag, der nach „einer eindeutigen Verfahrensweise für herausfordernde Fragen zum Benehmen der Genossen untereinander verlangte“, pochte darauf, dass es unangemessen sei, dass sich führende Aktivisten gegenseitig prüfen“. Er forderte, dass „bei ernstzunehmenden Bedenken äußere Hilfe in Anspruch genommen werden sollte, entweder von Organisationen wie Rape Crisis oder falls nötig und von den Betroffenen gewünscht, von der Polizei.“

Die Rolle der Polizei wurde pauschal befürwortet, obwohl erst kürzlich die nachweisliche systematische Unterwanderung „linker“ und Protestbewegungen durch Polizeispitzel und Provokateure bekannt geworden war, von denen einige, wie Mark Kennedy, reihenweise weibliche Aktivistinnen vergewaltigten. Sie liegt auf einer Linie mit der laufenden parteiinternen Auseinandersetzung der SSP mit ihrem ehemaligen Vorsitzenden Tommy Sheridan, welcher inzwischen der Kopf der rivalisierenden nationalistischen Gruppe Solidarity Scotland ist. In diesem Streit arbeitete die SSP offen der Polizei zu, um Sheridans Inhaftierung wegen Meineids zu ermöglichen.

RISE ist ein Sammelbecken für nach rechts gehende Schichten der gehobenen Mittelklasse, die sich innerhalb diverser pseudolinker Tendenzen, im akademischen Betrieb und in den Medien tummeln. Das Bündnis soll ihnen bessere Möglichkeiten bieten, ihren Einfluss im Dunstkreis des schottischen Parlaments und den bürgerlichen Thinktanks und Organisationen zu vergrößern. Die spezifische Rolle von RISE besteht darin, das reaktionäre Programm eines unabhängigen Schottlands in pseudolinke Phrasen zu hüllen, und als fortschrittlich zu verkaufen. Damit erfüllt sie eine wichtige Funktion für die schottische Bourgeoisie.

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