Indische Stalinisten im Streit über Bündnis mit Kongresspartei

Die Führung der maoistisch-stalinistischen Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten), kurz KPM, hat in der vergangenen Woche die Behauptung dementiert, ihre Partei wolle zur Parlamentswahl in Westbengalen im Frühjahr zusammen mit der Kongresspartei antreten. Die Kongresspartei ist die traditionelle Regierungspartei der indischen Bourgeoisie.

Der KPM-Generalsekretär, Sitaram Yechury, erklärte am Montag in einem Interview mit dem Indian Express, Wahlbündnisse seien derzeit nicht geplant. Auf die Frage des Express nach einer möglichen Verbindung mit der Kongresspartei erklärte er, die Richtlinie der Partei sehe „keine Front und kein Bündnis mit dem Kongress vor“.

Brinda Karat, KPM-Politbüromitglied, äußerte sich gegenüber der Presse ähnlich: „Die Behauptungen über ein Wahlbündnis mit dem Kongress in Westbengalen sind Spekulationen ohne Wahrheitsgehalt.“

Diese Dementis sind durch und durch scheinheilig. Zuvor hatten KPM-Funktionäre auf Führungs- und Bundesstaatsebene wochenlang offen über die Möglichkeit eines Wahlbündnisses mit der Kongresspartei diskutiert. Am vorletzten Samstag rief der frühere westbengalische Regierungschef, Buddhadeb Bhattacharjee (KPM), auf einer Parteiversammlung in Singur die Kongresspartei dazu auf, sich mit der KPM und ihrer Linksfront zu verbünden. Bhattacharjee erklärte: „Wir fragen den Kongress: Auf welcher Seite steht er? Wir müssen zusammenhalten, um Westbengalen zu retten.“

Yechury versuchte in seinem Interview mit dem Indian Express, diese Aussage auf dreiste Weise umzudeuten. Ohne eine Miene zu verziehen, behauptete er, Bhattacharjee habe nur die „Entschlossenheit“ der KPM hervorheben wollen, die westbengalische Staatsregierung zu entmachten. In Westbengalen regiert zurzeit Mamata Banerjee, Parteiführerin des Trinamul-Kongresses (zu Deutsch: Graswurzel-Kongress). Yechury betonte, Bhattacharjees Äußerungen seien in keiner Weise ein Appell an den Kongress gewesen, ein Wahlbündnis einzugehen.

Der KPM-Generalsekretär behauptete, die Partei sei der politischen Linie treu, die letztes Jahr auf ihrem 21. Parteitag beschlossen worden war. Dort wurde erklärt: „Unser Angriff richtet sich hauptsächlich gegen die BJP (Bharatiya Janata Party), sofern sie an der Macht ist, was jedoch nicht bedeutet, dass wir uns bei Wahlen mit der Kongresspartei zusammenschließen.“

Doch wie die World Socialist Web Site schon in ihrer Berichterstattung über den KPM-Parteitag erklärte, haben sich die Stalinisten für ihre Beziehung zur Kongresspartei, einer Partei des Großkapitals, ein „Schlupfloch“ offengelassen. Mittlerweile haben das auch zahlreiche Artikel in der bürgerlichen Presse festgestellt.

Schon in der Parteirichtlinie, aus der Yechury zitierte, heißt es an anderer Stelle: „Es kann zu schnellen Änderungen in der politischen Lage kommen. Neue Widersprüche zwischen den bürgerlichen Parteien und innerhalb der Parteien selbst könnten aufbrechen … Für diese Situation sollten flexible Taktiken entwickelt werden.“

In den letzten Wochen haben zahlreiche Mitglieder der KPM-Führung, darunter Yechury selbst, mehrfach das Schlagwort von den „flexiblen Taktiken“ bemüht, wenn sie über die Herangehensweise der Partei an die Wahl in Westbengalen gesprochen haben.

Yechurys Vorgänger als Generalsekretär, Prakash Karat, deutete am 30. Dezember zum Abschluss eines viertägigen Parteiplenums über Organisationsfragen vor der Presse an, dass ein Wahlbündnis mit dem Kongress alles andere als ausgeschlossen sei. Karat erklärte: „Die Stimmung ist stark für eine Ablösung der TMC [Trinamul-Kongresspartei]-Regierung. Was ein Bündnis mit dem Kongress angeht, so werden wir es berücksichtigen, wenn wir über Wahltaktiken diskutieren.“

Karat brachte den formvollendeten Opportunismus der KPM zum Ausdruck, als er sagte: „In der Politik gibt es kein 'Ja' oder 'Nein' … Taktiken können sich ändern, wenn sich die Situation im Lauf der Zeit ändert.“ Er betonte, Westbengalen befinde sich in einer „außergewöhnlichen“ Lage, und die KPM werde dies bei der Entwicklung ihrer Wahlstrategie berücksichtigen.

Im Gegensatz zu Yechury gilt Karat als Vertreter der „Hardliner“-Fraktion in der KPM, die es allgemein ablehnt, sich mit der Kongresspartei offiziell zu verbünden, und stattdessen „Dritte Front“-Bündnisse mit regionalen und kastenbasierten Parteien bevorzugt. Doch auch unter Karats Führung unterstützten die Stalinisten und ihre Linksfront die von der Kongresspartei geführte United Progressive Alliance (UPA)-Regierung, die von 2004 bis 2008 an der Macht war. Damals baute die UPA eine „strategische Partnerschaft“ zu den USA auf und forcierte „neoliberale“ Reformen.

Dass die KPM-Führung ein Wahlbündnis mit der Kongresspartei erwägt, ist Ausdruck ihrer tiefen Krise und ihrer Entfremdung von der arbeitenden Bevölkerung in Indien, für die sie nur Verachtung übrig hat.

Die Kongresspartei stand im letzten Vierteljahrhundert an vorderster Front, als die Bourgeoisie Indien in einen Sweatshop für den Weltkapitalismus und einen Juniorpartner des US-Imperialismus verwandelt hat. Heute befindet sie sich in einer beispiellosen Krise. In großen Teilen Indiens hat sie ihren Status als wichtige politische Kraft verloren, bei der Wahl im Jahr 2014 konnte sie nicht einmal genügend Sitze gewinnen, um als offizielle Opposition anerkannt zu werden.

Die KPM hat aufgrund ihrer – wie sie es nennt – „investorenfreundlichen“ Politik in Westbengalen und ihrer Unterstützung für die UPA-Regierung in Neu-Delhi seit 2009 eine Reihe von Wahlniederlagen erlitten. Im Jahr 2009 verlor sie in Westbengalen die Macht, nachdem sie 34 Jahre lang die Staatsregierung gestellt hatte. Bei der indischen Parlamentswahl 2014 gewann sie nur zwei der 42 Sitze für Westbengalen.

Warum ist die KPM-Führung, zumindest für den Moment, von einem offiziellen Wahlbündnis mit der Kongresspartei für die Wahl in Westbengalen abgerückt? Dafür gibt es zwei Hauptgründe.

Zum einen ist die KPM-Führung im indischen Staat Kerala stark gegen ein solches Bündnis. Kerala ist der einzige andere Staat, in dem die KPM jemals an der Regierung war.

In Kerala finden im Frühjahr ebenfalls Parlamentswahlen statt. Der wichtigste Rivale der KPM-geführten Left Democratic Front (LDF) ist dort die United Democratic Front (UDF), eine Organisation der Kongresspartei.

Die UDF, die in Kerala seit 2011 an der Macht ist, wurde von einer Reihe von Skandalen erschüttert und hat sich durch ihre rechte Wirtschaftspolitik diskreditiert. Die KPM in Kerala hofft, davon zu profitieren und wieder ins Amt zu kommen. Aus diesem Grund nimmt sie weiterhin Überläufer aus der Kongresspartei in ihrer Left Democratic Front auf und strebt Bündnisse mit anderen rechten Kräften an.

Dennoch befürchtet sie, dass ein Wahlbündnis zwischen Kongresspartei und KPM in Westbengalen ihren Angriff auf die UDF schwächen könnte. Davon könnte die rechtskonservative Bharatiya Janata Party (BJP) profitieren, die sich dann als „wahre Opposition“ gegen den Kongress in Kerala darstellen könnte. „Welche wahltaktische Linie wir auch immer in Kerala oder Westbengalen einschlagen, wir dürfen uns nicht widersprechen oder gegenseitig Schaden zufügen“, erklärte der KPM-Parteivorsitzende in Kerala, M.A. Baby.

Der zweite Grund, warum die KPM-Führung scheinbar davon abrückt, sich öffentlich für einen Wahlblock mit dem Kongress einzusetzen, ist die Tatsache, dass dessen Parteiführung unter Sonia und Rahul Gandhi ein solches Bündnis zurzeit ablehnt.

Laut Presseberichten schrieb die Führung der Kongresspartei in Westbengalen Ende letzten Jahres an die nationale Vorsitzende Sonia Gandhi und bat um die Erlaubnis, ein Wahlbündnis mit der KPM und ihrer Linksfront einzugehen. „Wahlabsprachen zwischen dem Kongress und der Linksfront mit einem offiziellen gemeinsamen Minimalprogramm würden die Trinamul-Kongress-Regierung entthronen und ein Bündnis zwischen Kongress und Linksfront in Westbengalen ermöglichen“, schrieb der Kongress-Generalsekretär von Westbengalen, O.P. Mishra, an Gandhi.

Doch bisher hat die Parteiführung dies nicht zugelassen. Stattdessen traf sich die westbengalische Regierungschefin Mamata Banerjee vor kurzem während eines Neu-Delhi-Aufenthaltes mit Sonia Gandhi zu einem „freundschaftlichen Austausch“, wie es im Deccan Herald heißt.

Laut Medienberichten ist die Führung der Kongresspartei bestrebt, sich mit der Trinamul-Kongresspartei zu einigen, um bei der Wahl 2019 in einer besseren Position zu sein, um Premierminister Narendra Modi und die amtierende BJP abzulösen.

Die nationale Führung der Kongresspartei hat sich ebenfalls mit den Stalinisten beschäftigt, mit denen sie zwischen 2004 und 2008 eng zusammengearbeitet hat. Damals hatte die Linksfront der UPA die notwendigen Stimmen verschafft, um an der Macht zu bleiben. Die oberste Führung der Kongresspartei rechnet vermutlich damit, dass sie diese Unterstützung wieder erhalten könnte, wenn sie zu dem Schluss käme, dass es ihr im Kampf gegen die BJP nützen würde. Die Stalinisten stellen die Kongresspartei bis auf den heutigen Tag als „säkulares“ Bollwerk gegen den Hindu-Nationalismus der BJP dar.

Was die drei wichtigsten Verbündeten der KPM aus der westbengalischen Linksfront anbetrifft, so ist zur Peinlichkeit der KPM nur eine von ihnen, die Revolutionary Socialist Party, überhaupt bereit, ein Bündnis mit der Kongresspartei zu unterstützen. Sowohl die Kommunistische Partei Indiens (KPI), die zweite große stalinistische Partei im Parlament, als auch der All India Forward Block (AIFB) lehnen es ab, mit dem Kongress zusammenzuarbeiten. Zweifellos ist einer der Gründe dafür, dass sie durch ein solches Bündnis Einfluss und Sitze im Parlament verlieren könnten.

Die Wahlen zum westbengalischen Staatsparlament werden im Frühjahr in einer Situation stattfinden, in der sich der Klassenkampf zusehends verschärft.

Für die indische Wirtschaft ist keine Rückkehr zu den hohen Wachstumsraten des letzten Jahrzehnts in Sicht. Deshalb verlangt das nationale und internationale Kapital von Modi, dass er seine investorenfreundlichen Reformen noch aggressiver gegen den Widerstand der Bevölkerung durchsetzt.

In der Arbeiterklasse wächst der Widerstand gegen die Modi-Regierung. Im letzten September nahmen Millionen an einem eintägigen Proteststreik teil, zu dem die Gewerkschaften aufgerufen hatten, um die Wut der Arbeiter über die Angriffe der BJP-Regierung abzulenken. Auch die von den Stalinisten kontrollierten Gewerkschaften unterstützten die Aktion.

Das derzeitige Liebäugeln der KPM mit der Kongresspartei in Westbengalen veranschaulicht, dass die KPM daran arbeitet, die Arbeiterklasse hinter die Parteien des Großkapitals zu zerren, zu denen auch eine ganze Reihe von regionalen und Kastenparteien gehören. Viele von ihnen, wie die Janata Dal (United) aus Bihar, waren früher enge Verbündete der BJP.

Die KPM verteidigt und propagiert weiterhin die so genannte „Industrialisierungspolitik“, die sie in Westbengalen betrieben hatte, als Bhattacharjee Regierungschef war. Im Namen dieser Politik hatte die KPM-geführte westbengalische Regierung massive Steuerzugeständnisse an das Großkapital gemacht und Streiks im Umfeld der IT-Branche unterdrückt. Als die Bauern den Kampf aufnahmen, um ihr Land vor Enteignungen für kapitalistische Großprojekte zu schützen, schickte die Regierung Polizei und Schlägerbanden gegen sie.

Das Hauptthema der Versammlung vom Samstag, auf der Bhattacharjee den Kongress zur Zusammenarbeit mit der KPM aufforderte, war die Notwendigkeit einer Rückkehr der Stalinisten in die Regierung, um ihre investorenfreundliche Kampagne zur „Industrialisierung“ wieder aufzunehmen.

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