Tsipras agiert als Türsteher für die Festung Europa

Nachdem sich die Vertreter der Europäischen Union (EU) beim Gipfel in Brüssel am 7. März auf eine Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge geeinigt haben, setzt Griechenland jetzt die EU-Linie im eigenen Land um. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und seine Syriza-Regierung (Koalition der Radikalen Linken) spielen eine Schlüsselrolle dabei, die Festung Europa abzusichern.

Ein Tag nach dem Brüsseler Gipfel reiste Tsipras nach Izmir und traf dort seinen türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu zum „4. hochrangigen griechisch-türkischen Kooperationsrat“. Die drittgrößte türkische Stadt liegt an der Küste der Ägäis, wenige hundert Kilometer von den griechischen Inseln Chios und Lesbos entfernt und damit mitten im Zentrum der Flüchtlingsrouten.

Griechenland und die Türkei, die außenpolitisch in ständigem Konflikt stehen, übten in Izmir den Schulterschluss in Fragen der Flüchtlingspolitik und der wirtschaftlichen Kooperation. Tsipras und Davutoglu lobten in hohen Tönen ihre gemeinsame Haltung in der Flüchtlingskrise, sprachen sich wie zwei alte Kumpanen mit „lieber Alexis“ und „mein Freund Ahmet“ an und verteilten anlässlich des Weltfrauentags mit strahlenden Gesichtern rote Rosen an Journalistinnen.

Beim Blick auf die Vereinbarungen der beiden Länder verging einem jedoch rasch das Lachen. Im Mittelpunkt stand die Übereinkunft, dass „irreguläre“ Migranten schneller zurück in die Türkei überführt werden müssen. Bereits 2001 hatten Griechenland und die Türkei ein Rücknahmeabkommen abgeschlossen, das im April 2002 in Kraft trat und die Rückführung „illegaler“ Migranten in die Türkei festlegte. Doch bislang war die Türkei dem Abkommen nur sporadisch nachgekommen. 2014 lehnte sie 90 Prozent von knapp 9.700 griechischen Anträgen auf Rückführung ab.

Jetzt sollen die Rückführungen als Teil eines schmutzigen Deals mit der EU im Eiltempo abgewickelt werden. Für jeden zurückgeführten syrischen Flüchtling soll ein Syrier in die EU einreisen dürfen. In dieser Woche wird abschließend in der EU über diesen kontroversen Vorschlag beraten.

Die Türkei und Griechenland stellten auch eine mögliche Zusammenarbeit beim Kampf gegen Schlepper in Aussicht. Tsipras erklärte, es sei „inakzeptabel, dass die Länder über hochtechnologische Systeme verfügen, aber nicht die Schlepper eindämmen können“.

Hinter der Formel „Kampf gegen Schlepper“ verbirgt sich eine menschenverachtende Politik, die sich nicht primär gegen Schleuser, sondern gegen Flüchtlinge richtet. Sie dient als Rechtfertigung für den Einsatz der Nato in der Ägäisregion und im Mittelmeer, um die Fluchtrouten zu schließen, was die Flüchtlinge auf noch gefährlichere und teurere Umwege zwingt.

Wie schon im Vorfeld des Treffens warnte Tsipras auch in Izmir Menschen in Nordafrika, sich gar nicht erst auf den Weg nach Europa zu machen. Damit stellt er sich demonstrativ hinter die Versuche, Flüchtlinge der Maghreb-Region von Europa fernzuhalten. In Deutschland wurden die Maghreb-Staaten erst vor kurzem als „sichere Herkunftsländer“ eingestuft, damit man Flüchtlinge und Migranten aus diesen Ländern problemloser abschieben kann.

Tsipras wäre aber nicht Tsipras, wenn er die extrem rechten politischen Beschlüsse nicht mit humanitären Floskeln verbrämen würde. Was im Mittelmeer stattfinde, sei eine „Schande für unsere Kultur“, erklärte er, um dann Seite an Seite mit Davutoglu zu verkünden: „Griechenland und die Türkei werden weiterhin Vorbilder der Menschlichkeit und Gastfreundschaft sein.“

Tatsächlich ist das Abkommen über die Rückführung der Flüchtlinge in die Türkei so unmenschlich, dass es mittlerweile von mehreren Organisationen als Verstoß gegen internationales Recht eingestuft wird. Nach den Rechtsgutachten von ProAsyl, Human Rights Watch und Statewatch haben jetzt auch die Vereinten Nationen den Türkei-Griechenland-Deal als illegal bezeichnet.

Die griechische Regierung beginnt trotzdem, diese Politik durchzusetzen. Zacharoula Tsirigoti, seit Mitte Februar Generalleutnant und Chefin des Generalstabs der griechischen Polizei kündigte die zügige Umsetzung der Vereinbarungen von Izmir in Zusammenarbeit mit Frontex und Vertretern der türkischen Polizei an. Bereits zwischen Donnerstag und Montag sollen 240 „irreguläre“ Migranten aus Nordafrika in die Türkei überführt worden sein. Die Übergabe in Gruppen von jeweils 80 Menschen an die türkische Polizei erfolgte beim Zollamt Kipoi an der Evros-Grenze.

Zur Zeit befinden sich über 44.500 Flüchtlinge in Griechenland. Im ganzen letzten Jahr sind mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen auch die Festnahmen durch die Polizei in die Höhe geschnellt. Laut einer Statistik der griechischen Polizei wurden innerhalb eines Jahres bis Januar 2016 bereits 70.623 Menschen „wegen illegaler Einreise und illegalem Aufenthalt“ verhaftet; im Vorjahr waren es 4.002 Festnahmen gewesen. Die Mehrheit der im letzten Jahr aufgegriffenen Menschen kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak über die Ägäis nach Griechenland. Sie werden in der Statistik als „illegale Ausländer“ bezeichnet.

Neben dem Militär wird die Polizei immer stärker in die Flüchtlingspolitik eingebunden. Sie hat am Sonntag vor dem EU-Gipfel den Viktoria-Platz in Athen räumen lassen. Insgesamt 70 Flüchtlinge, die mehrere Tage auf dem Platz geschlafen hatten, wurden auf Flüchtlingsunterkünfte verteilt, die euphemistisch „Willkommenszentren“ genannt werden. Polizeikräfte bewachen ab sofort den Platz, um zu verhindern, dass neue Flüchtlinge dort campieren.

Polizeistreifen sollen auch an anderen öffentlichen Orten eingreifen, um Camps zu unterbinden. Vier Flüchtlingsfamilien, die den Viktoria-Platz verlassen hatten und im großen Park Pedion Areos bleiben wollten, wurden ebenfalls von der Polizei in das Lager Elliniko gebracht. Am Athener Hauptbahnhof Larissis stehen Polizisten und hindern die Flüchtlinge daran, Richtung Norden zu fahren. Der Bahnbetreiber OSE wurde angehalten, keine Tickets Richtung Nordgrenze an Flüchtlinge zu verkaufen.

Obwohl die Beamten bislang keine Gewalt anwenden und von Übersetzern unterstützt werden, schränkt diese Operation die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge massiv ein und erhöht die Polizeipräsenz in ganz Athen und Umgebung. Die griechische Polizei ist durchsetzt von Anhängern rechter und faschistischer Organisationen. Bei den Wahlen 2012 und 2015 hatte die Hälfte der Polizeibeamten für die faschistische Goldene Morgenröte gestimmt.

Auch die teilweise Wiedereinführung der berüchtigten Sondereinsatzkräfte DELTA ist eine Warnung an alle Flüchtlinge, Arbeiter und Jugendliche. Die DELTA-Einheiten der Polizei waren bis vergangenen Oktober in kleinen Gruppen auf Motorrädern in der Hauptstadt unterwegs und bekannt für ihre brutale Behandlung von Migranten und linken Demonstranten. Die Syriza-Regierung hatte die Gruppen aufgelöst und in die reguläre Polizei integriert. Doch im Februar begann sie, unter dem neuen Namen „Omikron“ eine Gruppe von mindestens 65 ehemaligen DELTA-Polizisten zu reaktivieren.

An der mazedonischen Grenze schreckt die Regierung bislang noch davor zurück, die Polizei für eine gewaltsame Auflösung des großen provisorischen Flüchtlingscamps einzusetzen. In den nächsten Tagen sollen die Menschen in Idomeni mit Bussen in andere Unterkünfte gebracht werden. Obwohl bereits etwa 1.000 Flüchtlinge das provisorische Lager freiwillig verlassen haben, leben noch immer über 12.000 Menschen in Schlammmassen und überfluteten Zelten.

Es spielen sich Szenen ab, wie man sie sonst nur aus Katastrophenregionen kennt. Der staatliche Nachrichtensender ERT zeigte am Freitagabend, wie sich bei der Verteilung von Lebensmittelpaketen eine Menschentraube um den Laster bildete. Verzweifelte Menschen schrien, streckten die Arme empor und kämpften untereinander um Tüten mit Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln und Milch.

Viele Flüchtlinge versuchen, der Hölle von Idomeni jetzt zu entkommen, in dem sie auf anderen Wegen den Grenzübertritt wagen. In der Nacht von Sonntag auf Montag ertranken zwei Männer und eine Frau, als sie einen Fluss an der Grenze zu Mazedonien überqueren wollten. Weitere 23 Menschen der Gruppe konnten gerettet und in ein Aufnahmelager im mazedonischen Gevgelija gebracht werden.

Über 1000 Flüchtlinge, darunter auch viele Frauen und Kinder, haben gestern Vormittag Idomeni verlassen, nachdem sich eine Nachricht über einen zaunfreien Grenzübergang nach Mazedonien einige Kilometer weiter verbreitet hatte. Sie passierten zu Fuß das Dorf Chamilo und überquerten, sich gegenseitig mit einem Seil absichernd, einen Sturzbach nahe der Grenze. Griechische Polizisten konnten die verzweifelten Menschen nicht aufhalten und folgten ihnen.

Nachdem einige an einer ungesicherten Stelle die Grenze überschritten hatten, verhafteten laut der Tageszeitung Kathimerini mazedonische Polizisten über 30 Fotoreporter, die die Flüchtlinge begleitet hatten.

Diese Männer, Frauen und Kinder, die eine gefährliche, kraftzehrende und teure Reise hinter sich haben, sollen nach den neuen Vereinbarungen der Europäischen Union in die Türkei abgeschoben werden und damit in ein Land, in dem nicht mal die Mindeststandards der Asylpolitik herrschen.

Tsipras hält die vorläufigen EU-Beschlüsse für einen Schritt in die richtige Richtung. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel betrachtet er nun als seine engste Verbündete in Europa, weil sie für eine „europäische Lösung“ der Flüchtlingskrise eintrete und Griechenland nicht mit dem Problem im Stich lasse.

Spiegel Online kommentierte: „Egal mit welchem Politiker in der von Syriza geführten Regierung man über Merkel spricht – man hört nur noch Nettigkeiten.“ Der griechische Migrationsminister Giannis Mouzalas habe gegenüber dem Spiegel erklärt: „Deutschland ist im Moment die Stimme der Vernunft in Europa.“

Was Tsipras und die Syriza-Regierung als „Stimme der Vernunft“ bezeichnen, ist ein Verbrechen. Die in Berlin und Brüssel vorangetriebene Abriegelung Europas verwehrt Tausenden Menschen aus dem Nahen Osten und anderen armen, von jahrzehntelangen Kriegen zerrütteten Regionen das Recht auf Leben.

Die Tatsache, dass Syriza Merkels Politik lobt und die EU-Beschlüsse umsetzt, spricht Bände über den Klassencharakter dieser pseudolinken Partei. Nach ihrer Wahl im Januar 2015 hatte sie eine Koalition mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (ANEL) gebildet, deren nationalen Chauvinismus zur offiziellen Politik gemacht und ihnen wichtige Posten überlassen. Seither hat sie das bisher umfassendste Sparpaket gegen den Willen der Bevölkerung ausgehandelt und den Lebensstandard weiter gesenkt. Jetzt avanciert sie als Torhüter der Festung Europa zum engen Bündnispartner der EU und der Türkei.

Die Angriffe der EU auf die Flüchtlinge gehen einher mit weiteren Angriffen auf die griechische Arbeiterklasse. Seit Beginn der Krise vor sechs Jahren haben mehrere Sparprogramme das Land an den Rand einer sozialen Explosion getrieben. Der aktuelle OECD-Bericht zu Griechenland zeigt die Folgen: stark angestiegene Kinderarmut, hohe Arbeitslosigkeit und wachsende Einkommensungleichheit. Neue Sozialkürzungen werden gegenwärtig mit den europäischen Institutionen ausgehandelt.

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