Europäische Mächte vor neuer Militärintervention in Libyen

Die europäischen Mächte nutzen das andauernde Massensterben im Mittelmeer, um ihr militärisches Eingreifen im Mittelmeer auszuweiten und eine erneute Militärintervention in Libyen vorzubereiten.

Konkret will die EU ihren Militäreinsatz im Mittelmeer erweitern und bereits an den Küsten Libyens gegen Flüchtlinge vorgehen. Darauf verständigten sich die EU-Außen- und Verteidigungsminister auf einem Treffen am Montag in Luxemburg.

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz erklärte, es sei wichtig, „dass wir auch schon an der libyschen Küste aktiv werden“. Sein deutscher Kollege Frank-Walter Steinmeier (SPD) bekräftigte: „Wir haben derzeit ein Mandat, das uns die Bekämpfung des Schlepper-Unwesens erlaubt und die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer, also Seenotrettung. Dass darüber hinaus in Zukunft mehr notwendig, vielleicht auch mehr möglich sein wird, ist keine Frage.“

Mit der Ausweitung der Mission EUNAVFOR Med Sophia, die vor genau einem Jahr offiziell beschlossen wurde, wäre es den im Mittelmeer aktiven Kriegsschiffen erlaubt, auf fremdem Territorium militärisch gegen Schlepper vorzugehen. Bislang war die Operation in ihrer zweiten Phase „lediglich“ auf das Seegebiet außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer beschränkt und sah vor, Flüchtlingsboote zu stoppen und vermeintliche Schlepper festzunehmen. EU-Diplomaten zufolge soll die Ausweitung und Verlängerung des Marineeinsatzes Ende Mai oder Anfang Juni entschieden werden.

Tatsächlich werden unter dem Deckmantel des Kampfs gegen „kriminelle Schlepper“ bereits viel umfassendere Pläne für einen neuen Militäreinsatz in Libyen diskutiert. Die französische Delegation legte in Luxemburg Medienberichten zufolge ein Strategiepapier vor, laut dem die EU-Kriegsschiffe auch zur Kontrolle des gegen Libyen verhängten Waffenembargos eingesetzt werden sollen, um die Lieferung von Kriegsgerät an Milizen des Islamischen Staats (IS) in Libyen zu unterbinden. Steinmeier habe vorgeschlagen, das Thema im Rahmen einer weiteren UN-Resolution anzugehen und zu prüfen.

Der deutsche Außenminister und sein französischer Kollege Jean-Marc Ayrault berichteten in Luxemburg außerdem von ihrem Kurzbesuch bei Fajis al-Sarradsch, dem Ministerpräsidenten der von den imperialistischen Mächten aufgebauten libyschen Einheitsregierung, am Samstag in Tripolis. Ayrault bezeichnete den Besuch als „extrem wichtige Etappe“ und mahnte, die Einheitsregierung benötige nun die „Unterstützung der Libyer, des Parlaments und der internationalen Gemeinschaft“. Steinmeier erklärte: „Wir müssen behutsam vorgehen und schrittweise versuchen, diese neue Regierung in Tripolis zu ertüchtigen.“

Das Ziel der EU ist es, die Marionette Sarradsch, der bislang lediglich über eine militärisch abgesicherte „Green Zone“ in der libyschen Hauptstadt „herrscht“, im gesamten Land zu installieren und von ihm das grüne Licht für eine direkt Militärintervention zu erhalten.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb zu den Zielen Steinmeiers und der EU: „Neben wirtschaftlicher Hilfe – ein Päckchen von 100 Millionen hat die EU schon geschnürt – geht es vor allem darum, wie die Einheitsregierung in die Lage versetzt werden kann, über die Hauptstadt hinaus ein Land unter Kontrolle zu bringen, in dem Milizen das Sagen haben und die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) aktiv ist. Zur Stärkung der Sicherheitskräfte ist an eine zivile Mission im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) gedacht.“

Tatsächlich gehen die Planungen weit über eine „zivile Mission“ hinaus. Die Außen- und Verteidigungsminister beschlossen in Luxemburg, die neue Einheitsregierung beim Wiederaufbau von Sicherheitskräften zu unterstützen. Während Berlin wegen Sicherheitsbedenken vorschlug, diese Truppen in Tunesien zu trainieren, erklärte die britische Regierung, sie könne sich auch eine Ausbildung in Libyen selbst vorstellen. Der britische Verteidigungsminister Michael Fallon forderte zudem, bei der Ausbildung der Küstenwache mit der Nato zusammenzuarbeiten.

Britische Medien berichteten gestützt auf eine Quelle im Militär, dass Großbritannien bereits über Spezialkräfte in Libyen verfüge und die Ankunft von regulären Armeeeinheiten innerhalb weniger Wochen vorbereite. Laut dem Daily Star sind die Pläne „robust“ und umfassen unter anderem Apache-Kampfhubschrauber, Kriegsschiffe, Tornados und Eurofighter, die auf Zypern stationiert sind. Der britische Premierminister David Cameron habe sich „prinzipiell“ damit einverstanden erklärt, dass „britische Einheiten zusammen mit italienischen, französischen und amerikanischen Truppen in Tripolis einmarschieren und die Stadt sichern und stabilisieren“.

Tatsächlich wird eine solche Intervention seit langem hinter dem Rücken der Bevölkerung vorbereitet. Bereits Mitte März hatte die italienische Regierung, die seit langem auf einen weiteren Krieg gegen Libyen drängt, derartige Pläne bestätigt. Italien soll eine UN-Mission mit bis zu 6000 Soldaten führen, die durch Luftschläge aus den sizilianischen Militärstützpunkten Trapani und Sigonella unterstützt werden. Westliche Agenten und Spezialeinheiten sind in Libyen seit längerem im Einsatz, um Milizen auszubilden und zu bewaffnen, und aus Sigonella starten bereits regelmäßig bewaffnete Drohnen.

Die Bundesregierung, die sich beim Nato-Bombardement Libyens 2011 noch enthalten hatte, bereitet sich ebenfalls auf ein militärisches Eingreifen in Libyen vor. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte bereits im Januar mit Blick auf die Installierung der Einheitsregierung und dem Kampf gegen den IS in Libyen klargestellt: „Deutschland wird sich nicht der Verantwortung entziehen können, dabei einen Beitrag zu leisten.“ Nach dem Treffen in Luxemburg erklärte sie, entscheidend sei nun „dass Libyen selbst formuliert, welche Form von Hilfe es braucht“.

Was die deutsche Regierung unter „Hilfe“ versteht, verdeutlicht ein Interview mit Wolfgang Ischinger, dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) am Montag in der Welt. Laut Ischinger, der in der vergangenen Woche zum ersten Mal ein „Core Group Treffen“ der MSC in „Afrikas Hauptstadt“ Addis Abeba abhielt, hätte Deutschland bereits bei der Libyen-Intervention vor fünf Jahren „mitmachen müssen“. Das Bombardement, das eine ganze Gesellschaft zerstört, Zehntausenden das Leben gekostet und Millionen zu Flüchtlingen gemacht hat, sei „nicht falsch, sondern notwendig“ gewesen. Jedoch sei versäumt worden, „an den Tag danach zu denken und genauso viel Energie und Mittel aufzuwenden für die Stabilisierung des Landes“.

Ischinger ließ seinen Träumen von einer neuen und umfassenden deutschen Kolonial- und Besatzungspolitik freien Lauf. Afrika sei „kein Truppenübungsplatz“ und „die militärische Intervention“ könne „immer nur Schritt eins sein. Schritt zwei und drei sind viel wichtiger und mühseliger, weil wir große Ressourcen dafür aufwenden müssen. Es braucht Leute, die sich um Justiz und Polizei kümmern, die Verwaltung und Ordnung aufrechterhalten, Wiederaufbau und Wachstum fördern.“

Und weiter: „Die Krisen in Afrika sind der Ort, wo wir zeigen können, dass wir gelernt haben aus unseren Fehlern. Dass man nämlich Gesamtkonzepte braucht für die Beherrschung von Krisen. Und dass man dafür nicht kleckern, sondern klotzen muss.“

Ischinger ließ keinen Zweifeln daran, was er mit „klotzen“ meint. Auf die Frage der Welt, ob Europa auch „kämpfen“ müsse, antwortete er:„Wer sonst? Wir können nicht mehr darauf vertrauen, dass die 6. US-Flotte das Problem für uns regelt. Obama hat ja noch mal wiederholt, dass Amerika nicht mehr mit der Gießkanne herumläuft und Sicherheit in aller Welt verteilen kann. Eine Emanzipation europäischer Sicherheitspolitik im Sinne vorausschauender und selbstständiger Krisenprävention und -bekämpfung zur Wahrung der eigenen Interessen ist also unumgänglich.“

Was diese „eigenen Interessen“ sind und an welche Tradition die deutschen Eliten anknüpfen, die bereits im Kaiserreich und unter den Nazis von der deutschen Vormachtstellung in Afrika phantasierten, zeigt ein Blick in die einschlägigen außenpolitischen Strategiepapiere, die in den letzten Jahren in Berlin erarbeitet wurden.

Der Einstieg Deutschlands in den neuen Wettlauf um Afrika wurde von langer Hand geplant und ist Bestandteil der Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik.

Die „Afrikapolitischen Leitlinien“, die die Bundesregierung im Frühjahr 2014 verabschiedete, spricht von der „wachsenden Relevanz Afrikas für Deutschland und Europa“, die sich unter anderem aus der wachsenden, dynamischen Wirtschaft und den „reichen natürlichen Ressourcen“ des Kontinents ergebe. Die Bundesregierung wolle deshalb „das politische, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Engagement Deutschlands in Afrika gezielt“ stärken, „früh, schnell, entschieden und substanziell“ handeln und „ressortübergreifend … das gesamte Spektrum ihrer vorhandenen Mittel einsetzen“.

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