Billiglohnarbeit am Frankfurter Flughafen

Als Verdi-Chef Frank Bsirske während des Warnstreiks am Frankfurter Flughafen vorige Woche zu seiner Rede ansetzte, skandierte eine Gruppe von Arbeitern direkt vor der Bühne: „Hört uns zu: wir sindkeine Sklaven!“ Sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift: „Gerecht geht anders! handling-counts-Beschäftigte für eine Gleichbehandlung im Lufthansa-Konzern“.

„Gerecht geht anders!“ – Beschäftigte eines Subunternehmers der Lufthansa wehren sich gegen Ungleichbezahlung, Rhein-Main Airport 2016 (Foto: WSWS)

Die WSWS berichtete über diese Gruppe von Frachtabfertigern, die den Verdi-Warnstreik am Flughafen unterstützten, obwohl sie als Lufthansa-Beschäftigte vom Abschluss im öffentlichen Dienst gar nicht profitieren konnten. Sie nahmen die Gelegenheit zum Anlass, um auf ihre eigene harte und schlecht bezahlte Knochenarbeit aufmerksam zu machen.

Zwei Tage später erreichte eine E-Mail die WSWS-Redaktion. Darin hieß es: „Wir sind Arbeiter der Tochter-Gesellschaft Lufthansa Cargo (handling counts) … Wir sind seit heute 00 Uhr wieder am Streiken. Hätten Sie wieder Interesse, über uns zu berichten?“

Wir setzten uns mit diesen Arbeitern in Verbindung, und am 4. Mai führten wir am Flughafen, diesmal im Frachtbereich Cargo City Süd, ein Gespräch mit sechs Arbeitern von handling counts – unter ihnen das Tarifkommissionsmitglied Halil Sunar, der gleichzeitig gewählter Betriebsratsvorsitzender ist. Sie berichteten über ihren eigenen, 24-stündigen Warnstreik, den sie am Freitag, dem 29. April organisiert hatten.

„Mit dem Warnstreik wollten wir Druck machen, damit sich unsere Lage endlich verbessert“, erklärte Sunar. „Seit Ende September 2015 arbeiten wir ohne gültigen Lohntarif.“ Seit einem Jahr habe der Arbeitgeber nur Angebote gemacht, die in der Praxis sogar auf eine Verschlechterung hinausliefen.

29. April 2016: 24-Stunden-Warnstreik von handling counts

Halil Sunar erklärt: „Unser Betrieb ist vor neun Jahren, im Mai 2007, aus einer Schlichtung bei Lufthansa Cargo hervorgegangen.“ Verdi und Lufthansa Cargo seien damals einer Empfehlung des bestellten Schlichters Klaus von Dohnanyi, dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister, gefolgt und hätten eine besondere Firma nur für die physischen Arbeitnehmer gegründet. „Dem haben der Lufthansa-Vorstand und die Gewerkschaft Verdi zugestimmt. Und das war dann eben die handling counts GmbH.“

Die Firma handling counts, eine hundertprozentige Lufthansa-Cargo-Tochter, sei „eine reine Leiharbeits-Firma mit der Lizenz zur Arbeitnehmerüberlassung“, erklärt Sunar. Der einzige Auftraggeber sei Lufthansa Cargo. „Und der einzige Sinn und Zweck besteht darin, dass sie weniger Geld für die Löhne ausgeben.“

„Bei uns geht es eins-zu-eins zu wie bei der Schlecker-Klausel“, wirft ein Kollege ein und bezieht sich damit auf die Insolvenz des Einzelhandelsunternehmens Schlecker. Kurz vor der Pleite waren dort Verkäuferinnen entlassen und anschließend als Leiharbeiterinnen für deutlich geringeren Lohn wieder eingestellt worden. „Der einzige Unterschied: Wir sind keine ehemaligen Lufthansa-Mitarbeiter, sondern sie haben uns neu eingestellt, als billigste Arbeiter, die man am Markt finden konnte.“

Die Arbeiter verrichten in der Halle genau dieselbe Arbeit wie ihre Lufthansa-Cargo-Kollegen zuvor, nur zu schlechterer Bezahlung. Seither seien die Lufthansa-Cargo-Kollegen sukzessive in bessere Positionen gekommen und zum Beispiel an die Waage, zur Schreibarbeit oder für leitende Funktionen abgestellt worden. Lufthansa Cargo stelle keine Frachtarbeiter mehr für die direkte körperliche Arbeit ein.

Alle Lohnforderungen würden seither unter Hinweis auf die „schlechte wirtschaftliche Lage“ des Unternehmens abgewiesen. Aber das sei ein Betrugsmanöver, das seit neun Jahren wiederholt werde. Der einzige Auftraggeber von handling counts sei die Firmenmutter Lufthansa Cargo. „Unsre Firma unterliegt einem so genannten Beherrschungsvertrag“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende. „Das bedeutet, dass alle Gewinne an Lufthansa Cargo abfließen.“ Das Betriebsergebnis bei handling counts sei dagegen „ein Minus oder die schwarze Null“.

„Einerseits sind wir eine selbständige Firma, und andererseits sind wir hundertprozentig von Lufthansa Cargo abhängig“, so Sunar weiter. Ein Arbeiter ergänzt: „Damit du ein Bild von unserer Firma bekommst: Die Geschäftsführer von handling counts, Markus Geyr und Michael Vorwerk, bekleiden gleichzeitig führende Positionen bei Lufthansa Cargo. Auftraggeber und Auftragnehmer sind identisch.“ Seit jeher stelle Lufthansa Cargo die Geschäftsführer von handling counts. „Das heißt, die verhandeln über die Aufträge mit sich selbst.“

Die Firma handling counts wurde offiziell im Mai 2007 mit 25 Arbeitern gegründet; heute arbeiten hier etwa 440 Leute, davon siebzig Aushilfen auf 450 Euro Basis oder als studentische Hilfskraft.

Der Einstiegslohn betrug am Anfang 7,50 Euro. „Das war eine richtige Beleidigung“, wirft ein Kollege ein. Das Verteilen und Umpacken der Fracht im Cargo Center ist harte Knochenarbeit, und die Schichten wechseln ganz unregelmäßig. Arbeiter wurden nur außertariflich eingestellt und individuell beurteilt, was zu völlig willkürlichen Zulagen führt: für den einen siebzig Cent, für den andern dreißig Cent, etc.

Im September 2009 wählten die handling counts-Arbeiter ihren eigenen Betriebsrat, um einen geregelten Lohntarifvertrag zu erreichen. Mit Hilfe von Verdi wurden Entlohnungsgruppen definiert und mit dem Unternehmen vertraglich vereinbart.

Dies habe sich jedoch im Rückblick sogar als Nachteil erwiesen, so die Kollegen weiter. Laut gesetzlicher Regelung müssen die Arbeiter einer Leihfirma, die selbst keinen Tarifvertrag hat, denselben Lohn erhalten wie die Arbeiter der beauftragenden Firma.

„Sie hätten uns den gleichen Lohn wie bei Lufthansa Cargo zahlen müssen! Aber das wussten wir eben nicht. Auch Verdi hat es uns nicht gesagt, und ihre Tarifexperten wussten es doch bestimmt. Uns sagten sie: Okay, machen wir einen Tarifvertrag. Und das ging ziemlich schnell.“

Am 1. Juli 2010 schloss Verdi einen Haustarifvertrag mit handling counts ab. Auch der jedoch garantiert keineswegs ein menschenwürdiges Einkommen. Der Unterschied zwischen den Löhnen bei Lufthansa Cargo und bei handling counts sei „wie Himmel und Erde“. Für den Leiharbeiter gebe es keinen Manteltarifvertrag, keine Kinderzulage und kaum eine betriebliche Altersvorsorge.

Die Löhne bei handling counts seien „reine Sklavenlöhne“, so die Arbeiter. „Uns zahlen sie Dumping-Löhne und benutzen uns auch gegen die andern Arbeiter, um sie unter Druck zu setzen.“ Wenn externe Dienstleister sagten, die Bezahlung reiche für die Arbeit nicht, dann heiße es immer: „Das macht handling counts.“

Bei handling counts erhält ein Frachtabfertiger mit Qualifikation für den Umgang mit gefährlichen Gütern einen Stundenlohn von 10,14 Euro, das entspricht einem Monatsbruttolohn von 1764 Euro. Hat er drei Jahre in der Firma gearbeitet und den Palettier-Schein erworben, und ist er vielleicht sogar als Tierpfleger qualifiziert (denn es gibt auch Tiertransporte im Flugverkehr), dann kann er die stolze Summe von 11,66 Euro pro Stunde oder knapp 2029 brutto im Monat verdienen.

Hinzu kommen Zusatzleistungen, aber „Urlaubs- und Weihnachtsgeld zusammen bringen uns maximal zusätzlich 500 Euro im Jahr“. Das alles ist viel zu wenig für das Rhein-Main-Gebiet und die Stadt Frankfurt, die zu Recht als teures Pflaster gilt. Dabei leisten die Kollegen Schichtarbeit, auch samstags, sonntags und feiertags im Wechsel. „Wir haben kaum private Zeit für uns“, so die Kollegen.

Die Arbeitszeit beträgt vierzig Stunden pro Woche, auf den Jahresdurchschnitt bezogen. Überstundenzuschlag gibt es bisher keinen, vorgeschlagen wurde ein Zuschlag ab einem Zehnstundentag oder einer 48-Stundenwoche. Der Nachtzuschlag liegt mit zwanzig Prozent des Stundenlohns deutlich unter der üblichen Mindestnorm von 25 Prozent. Die Firma habe den Arbeitern eine Verminderung der Wochenarbeitszeit auf 39 Stunden angeboten, aber verknüpft mit einer Lohnsenkung!

Einer der Kollegen verdient als verantwortlicher Vorarbeiter „am meisten von uns allen hier“, nämlich ein Monatsbrutto von knapp unter 2250 Euro. Er berichtet: „Dabei muss ich als verantwortlicher Schichtarbeiter für alles den Kopf hinhalten. Ich liege damit unter dem Niveau, bei dem die Altersarmut offiziell vorprogrammiert ist. Und für diese Einstufung musste ich sogar vor Gericht klagen.“

Die Arbeiter müssen alle Gefahrgutklassen auswendig kennen

Die Arbeit ist anspruchsvoll, und nicht nur körperlich. Die Arbeiter müssen ganze Tabellen von Frachtklassen auswendig wissen und die Gefahrgutklassen und Verträglichkeit verschiedener Stoffe miteinander sofort erkennen.

„Dazu gehört eine große Verantwortung“, erklärt der Kollege, der als Vorarbeiter tätig ist. „Bei uns werden die Bleche zusammengebaut, auf denen die Fracht in die Flugzeuge gelangt. Wir sind für diese Fracht voll verantwortlich.“ Es gebe gefährliche Stoffe, die in Reaktion auf andere Stoffe explodieren könnten. „Wenn man einen Moment nicht aufpasst, bringt man womöglich die Flugpassagiere in Gefahr.“

Jeder müsse die DGR-Regeln kennen (DGR – Dangerous Goods restrictions). Dann wieder könnten auch Tiere zur Fracht gehören. Auf alles müsse man vorbereitet sein. Der Palettier-Schein müsse regelmäßig neu erworben werden.

Die Arbeiter müssten in der Lage sein, aus dem angelieferten Frachtgut Gebilde zu bauen, die auf den Zentimeter genau in die Konturen der verschiedenen Flugzeugtypen passen. “Sonst gibt es Malus, das sind Strafzahlungen … Machst du nur einen Fehler, dann gibt es eine Abmahnung, oder du fliegst raus.“

Sunar fasst zusammen: „Jeder von uns trägt die Verantwortung mit. Dafür kriegst du zehn Euro brutto pro Stunde. Und das ist wirklich zu wenig.“

Seit einem Jahr verschleppe die Arbeitgeberseite die Verhandlungen. „Da sitzen uns jedes Mal die Manager von Lufthansa, von Lufthansa Cargo und von handling counts gegenüber – im Ganzen fünf Leute“, berichtet Sunar. Momentan gehe es vorrangig um einen Manteltarif. Für alle Zusagen, die sie mache, verlange die Unternehmerseite Zugeständnisse und Verschlechterungen an anderer Stelle zum Ausgleich.

Bei den letzten Verhandlungen habe die Tarifkommission vorgeschlagen, dass Lufthansa den Beschäftigten doch ermäßigte Flüge zugestehen solle. Viele Kollegen haben Verwandte im Ausland. „Für uns ist das sehr wichtig. Mehr als 100.000 Lufthanseaten nehmen dies als freiwillige Leistungen in Anspruch, und sogar ihre Familien erhalten 25 Prozent Ermäßigung, wenn sie zum Beispiel nach Miami oder in die Türkei fliegen. Nur wir nicht. Dabei sind wir im Grunde sogar hundertprozentige Lufthanseaten.“

Bei den letzten Lohnverhandlungen für 33.000 Bodenbeschäftigte des gesamten Lufthansa-Konzerns im vergangenen November habe die Tarifkommission vorgeschlagen, dass die handling-counts-Mitarbeiter mit einbezogen würden. „Wir wollten das gleiche Recht wie die Lufthansa-Mitarbeiter.“ Das sei abgelehnt worden.

Sunar berichtet: „Momentan zahlen sie uns 25 Euro an die Altersvorsorge. Sie haben uns angeboten, diese Summe auf 40 Euro anzuheben. Aber wir sollten es damit kompensieren, dass wir auf die ‚einseitige freiwillige Leistung‘ von 52 Euro Anwesenheitsprämie verzichten, die wir manchmal bekommen, wenn wir nicht krank sind.“

„Weil Verdi und handling counts vor sechs Jahren den Haustarifvertrag abgeschlossen haben, sind uns die Hände gebunden“, so das Fazit der Arbeiter.

Über Verdi sagen die Kollegen: „Sie haben uns geholfen, einen Betriebsrat zu gründen, als die Geschäftsführung alle unsere Briefe ignorierte. Aber das war auch das Einzige. Seither übt Lufthansa starken Druck auf Verdi aus, damit sie uns unter Kontrolle halten.“

Cargo City Süd am Frankfurter Flughafen

Nach dem Gespräch begleitet uns ein Arbeiter zurück durch die Cargo City Süd. Er weist auf die zahlreichen Firmen rings herum und sagt: „handling counts ist kein Einzelfall. Es gibt Dutzende von Billigfirmen hier am Flughafen, bei denen die Arbeiter zum Teil zu noch schlimmeren Bedingungen arbeiten als bei uns. Sie schuften zwölf Stunden am Tag und haben weder Zuschläge noch Sicherheit.“

Am ganzen Flughafen grassieren die Ausgründungen. Bei Lufthansa ist wohl am bekanntesten die Billigfluglinie Eurowings, die auch für Piloten und Kabinencrews deutlich schlechtere Konditionen als Lufthansa bietet. Zum Flughafenbetreiber Fraport gehören auch FraSec, Airport Personal Service und weitere Töchter. Was Lufthansa Cargo betrifft, selbst eine hundertprozentige Lufthansa-Tochter, so hat sie in den letzten Jahren immer neue Tochterfirmen gegründet, darunter time matters, Jettainer, Cargo Charter Agency, Cargo Counts, AeroLogic oder handling counts.

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