Neuwahl in Spanien

Am 3. Mai löste der spanische König Felipe VI den Kongress auf und setzte eine Neuwahl für den 26. Juni an. Seit der Wahl am 20. Dezember, bei der keine Partei eine klare Mehrheit erzielen konnte, waren mehrere Versuche gescheitert, eine Regierungskoalition zu bilden.

Der amtierende Ministerpräsident Mariano Rajoy von der Partido Popular (PP, Volkspartei) erklärte: „Was in den letzten viereinhalb Monaten passiert ist, darf sich nicht wiederholen. Vetos sind schlecht für die Demokratie.“

Erste Umfragen deuten darauf hin, dass die beispiellose, langwierige Krise andauern wird. Da 40 Prozent der Wähler noch unentschlossen sind, ist das Ergebnis einer Neuwahl schwer vorauszusagen. Allerdings wird ein ähnliches Ergebnis wie bei der letzten Wahl prognostiziert, d.h. keine Partei wird auch nur ansatzweise die benötigte Mehrheit von 176 von 350 Sitzen erhalten.

Die PP liegt bei etwa 29 Prozent (127 Sitze), die PSOE bei einundzwanzig Prozent (82 Sitze). Die pseudolinke Podemos kommt in Umfragen auf etwa zwanzig Prozent der Stimmen bzw. 79 Sitze, die rechte Bürgerpartei auf fünfzehn Prozent bzw. 42 Sitze. Das Wahlbündnis Unidad Popular (UP) unter Führung der stalinistischen Izquierda Unida (Vereinigte Linke, IU)kommt auf etwa fünf Prozent und würde aufgrund der Funktionsweise des spanischen Verhältniswahlsystems nur ein paar Sitze erhalten.

Auch das Referendum in Großbritannien über den Austritt aus der EU am 23. Juni, nur drei Tage vor der Wahl, könnte sich auf das Ergebnis auswirken.

Der Abgeordnete Antonio Roldan erklärte, ein Austritt Großbritanniens könnte bedeuten, dass „die Länder an der Peripherie besonders empfindlich reagieren. Spanien wird dann als das einzige Land ohne Regierung, aber mit einem großen Defizit dastehen… Es wäre eine sehr prekäre Lage.“

Die politische Pattsituation ist beispielhaft für die Krise des traditionellen bürgerlichen politischen Systems in Europa seit dem Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise 2008. Parteien, die jahrzehntelang die Regierung gestellt haben (die PP und die PSOE kamen zusammen auf bis zu 80 Prozent der Stimmen), sind zusammengebrochen, während mehrere rechtsextreme Regierungen in Europa an die Macht gekommen sind.

Auch die griechische Koalition der Radikalen Linken (Syriza), die letztes Jahr an die Macht kam, verfolgt ein arbeiterfeindliches Programm und unterstützt den Sparkurs.

Ebenso wie Griechenland wurde Spanien von der Finanzkrise und der Sparpolitik verheerend getroffen. Obwohl das Wirtschaftswachstum mit 3,4 Prozent eines der höchsten in Europa ist, profitieren die Arbeiter nicht davon. Die Arbeitslosenquote stieg im ersten Quartal 2016 auf über 21 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit auf 46,5 Prozent. Sofern Arbeitsplätze geschaffen werden, sind sie prekär und schlecht bezahlt. Etwa 90 Prozent der neu abgeschlossenen Arbeitsverträge sind befristet. Die weit verbreitete Langzeitarbeitslosigkeit zwingt immer mehr Familien, Armenspeisungen in Anspruch zu nehmen. Mehr als ein Drittel aller Kinder sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.

Unabhängig davon, welche Regierung an die Macht kommt, wird sich diese soziale Katastrophe noch verschärfen. Die Europäische Kommission erwähnte diese Woche die steigende Verschuldung Spaniens und warnte, ohne weitere Etatkürzungen würde es die Zielvorgabe einer Neuverschuldung von unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2018 nicht erreichen.

Als Reaktion auf diese politische Krise versuchte Podemos, der EU und den Finanzinstituten zu versichern, dass sie den Widerstand der Arbeiterklasse abwürgen und die Forderungen der EU durchsetzen könne. Anfang des Jahres veröffentlichte sie ein 98-seitiges Dokument mit dem Titel „Regierung für Wandel“. Darin erklärte die Partei, ihr Ziel sei es, die Schulden in Übereinkunft mit der EU „umzustrukturieren“ und das Defizit auf unter drei Prozent zu reduzieren, wie es die europäischen Institutionen fordern.

Letzten Monat bot der Podemos-Vorsitzende Pablo Iglesias weitere zwanzig „Zugeständnisse“ an, um die PSOE endlich dazu zu bewegen, ihr Bündnis mit der Bürgerpartei aufzugeben und eine „Regierung des Wandels“ zu bilden, an der die IUund die nationalistische Partei Compromis aus Valencia beteiligt sein sollte. 92 Prozent der Podemos-Mitglieder stimmten für eine „Regierung des Wandels“, 88 Prozent sprachen sich gegen das Bündnis zwischen PSOE und Bürgerpartei aus.

Iglesias' Appelle an die PSOE blieben jedoch erfolglos. Seither hat Podemos versucht, den Druck auf die PSOE zu verschärfen, indem sie einen gemeinsamen Wahlkampf mit der IU ankündigte. Im Dezember hatte sie dies aufgrund des sinkenden Einflusses der IU und ihrer früheren Unterstützung für Austeritätsmaßnahmen noch abgelehnt. In Andalusien hatte eine Regionalkoalition aus PSOE und IU den Haushalt um 2,6 Milliarden Euro gekürzt; in der Extremadura unterstützte die IU eine rechte PP-Regierung, die ähnliche Maßnahmen umsetzte.

Wenn Podemos und die IU zusammen antreten, könnten sie die Zahl ihrer Abgeordneten im Kongress um etwa vierzehn steigern und wären damit stärker als die PSOE. In der letzten Wahl hätten Podemos und IU zusammen 6,1 Millionen Stimmen erhalten. Die PSOE hatte 5,5 Millionen, und die PP 7,2 Millionen Stimmen erhalten.

Diese Woche gab die IU das Ergebnis eines Referendums unter ihren 20.000 Mitgliedern über ein Bündnis mit Podemos bekannt. 84,5 Prozent waren dafür, 13,1 Prozent dagegen, 2,4 Prozent enthielten sich. IU-Parteichef Alberto Garzon erklärte: „Ich gehöre zu denen, die glauben, wir könnten [bei der bevorstehenden Wahl] zumindest zweitstärkste Kraft werden, vielleicht sogar stärkste Kraft.“ Iglesias antwortete: „Alberto repräsentiert die Zukunft. Ich kann mir vorstellen, zusammen mit Alberto eine Zukunft aufzubauen.“

Podemos umwirbt den PSOE-Vorsitzenden Pedro Sanchez, doch ein Großteil der PSOE-Führung, allen voran die andalusische Parteivorsitzende Susana Diaz und der ehemalige Ministerpräsident Felipe Gonzalez würden eine große Koalition mit der PP vorziehen. Daher hat Gonzalez die lächerliche Behauptung verbreitet, Podemos wolle „unsere demokratischen Grundlagen der Koexistenz“ und die PSOE-Führung zerstören.

Was Podemos angeht, könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein. Ihre Führung verbreitet einerseits populistische Parolen gegen die herrschende „Kaste“, betont aber andererseits, sie sei weder links noch rechts. Gleichzeitig appelliert sie an nationale Einigkeit und den spanischen Patriotismus. Die Partei vertritt die Interessen des Kleinbürgertums sowie der Unternehmer, Selbständigen und Akademiker. Sie verteidigen den Kapitalismus und werden alle Forderungen der herrschenden Elite umsetzen.

Die spanische herrschende Klasse versteht natürlich, dass die Klassengegensätze die Grenze des Vertretbaren überschreiten. Gonzalez hysterische Behauptungen, Podemos wolle die PSOE-Führung und die spanische Demokratie zerstören, kommen einer Drohung gleich, mit offener Gewalt gegen sozialen Widerstand der Arbeiterklasse vorzugehen.

Die wichtigste Frage für die Arbeiterklasse in dieser Krisensituation ist es, wie sie unabhängig eingreifen und ihre eigenen Interessen vertreten kann. Dazu muss sie die politischen und strategischen Lehren aus der Erfahrung mit Syriza ziehen.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale schrieb am 13. November: „Nur eine wirklich revolutionäre Politik, welche die Arbeiterklasse in Griechenland und international im Kampf mobilisiert, bietet eine Perspektive. Das erfordert einen direkten Angriff auf die kapitalistische Klasse, die Beschlagnahme ihres Vermögens, der großen Banken und der Produktionsstätten, um sie unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter zu stellen, sowie die Errichtung von Arbeiterstaaten überall in Europa und der Welt. Solche Kämpfe erfordern den Aufbau marxistischer Parteien, die der Arbeiterklasse eine politische Führung geben und einen schonungslosen Kampf gegen Parteien wie Syriza führen.“

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