SPD im freien Fall

Die SPD stürzt regelrecht ab. Am Mittwoch ist sie bei der jüngsten Forsa-Umfrage auf 19 Prozent gesunken. Das ist ein Rückgang um zwei Prozentpunkte gegenüber dem Vormonat und ein historisches Umfragetief für die SPD.

Im Bericht des „Stern-RTL-Wahltrends“ von Forsa heißt es: „Nur 14 Prozent sagen, dass die SPD ihre persönlichen Interessen am besten vertritt.“ Forsa-Chef Manfred Güllner kommentierte die Zahlen mit den Worten: „Die arbeitende Klasse bildet noch immer die Mehrheit der Gesellschaft, fühlt sich von der gegenwärtigen SPD aber nicht mehr vertreten.“

Der Absturz der Sozialdemokraten in den Umfragen ist ein direktes Ergebnis der rechten, unsozialen und militaristischen Politik, die die SPD seit Jahren betreibt. Sie ist als „Hartz-IV-Partei“ bekannt, die mit der „Agenda 2010“ vor zehn Jahren einen verheerenden sozialen Niedergang einleitete. Die Hartz-Gesetze der rot-grünen Bundesregierung (1998–2005) unter Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer hatten katastrophale Auswirkungen.

Entlassene Arbeiter verlieren seitdem spätestens nach einem Jahr alle sozialen Ansprüche und werden zu Bittstellern degradiert. Wer in Hartz IV landet, hat kaum mehr eine Chance, der Armut wieder zu entkommen. Dreiviertel aller Betroffenen bleiben laut einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtverbands dauerhaft im Hartz-IV-Bezug. Allein der drohende Absturz in Hartz IV zwingt Entlassene, so schnell wie möglich eine neue Arbeit zu niedrigen Löhnen, oft befristet und als Teilzeit-Job, anzutreten.

So entstand durch die Agenda 2010 ein zweiter Arbeitsmarkt, geprägt von Leiharbeit, Werksverträgen, Billiglohnjobs jeder Art, ohne soziale Absicherung und Rechte. Die Legalisierung derartiger prekärer Jobs hat zu einem dramatischen Ansteigen der Armut geführt. Im jüngsten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtverbands werden 15,4 Prozent der Bevölkerung oder 12,5 Millionen Menschen als arm eingestuft. Darunter sind rund 3,4 Millionen Rentner und über 2,5 Millionen Kinder.

Vor zwei Wochen beschloss die Bundesregierung auf Antrag von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ein neues Gesetz zur Regelung von Leiharbeit und Werkverträgen, das die extremen Ausbeutungsbedingungen festschreibt. Gleichzeitig wird die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften verstärkt, um jeden Widerstand im Keim zu ersticken.

Die soziale Konterrevolution der SPD ist zum Modell sozialdemokratischer Politik in ganz Europa geworden. Die SPD war führend daran beteiligt, der griechischen Bevölkerung ein Sparprogramm nach dem anderen aufzuzwingen und das Land im Interesse der deutschen und internationalen Banken zu erpressen und auszuplündern. Weil die sozialdemokratische PASOK deshalb zusammenbrach, arbeiten SPD-Chef Sigmar Gabriel und der Präsident des Europaparlaments Martin Schulz (SPD) jetzt eng mit Syriza zusammen, um die sozialen Angriffe voranzutreiben.

Seit Jahren bemüht sich die SPD, die „Agenda 2010“ auch auf Frankreich auszuweiten. Vor zwei Jahren besuchte der Architekt und Namensgeber der Hartz-Gesetzte, Peter Hartz, den französischen Präsidenten François Hollande und dessen Regierung im Elysée-Palast, um sie bei ihrer Arbeitsmarktreform zu beraten. Das Ergebnis ist das El-Khomri-Gesetz, das die sozialistische Regierung von Manuel Valls nun per Notverordnung gegen Massenproteste durchsetzt.

Mitte März, zum Auftakt der heißen Phase der französischen Agenda-Politik, trafen sich Europas sozialdemokratische Spitzenpolitiker in Paris, um Präsident Hollande den Rücken zu stärken. Neben Gabriel und Schulz nahmen der italienische Ministerpräsident und Vorsitzende der Demokratischen Partei (PD) Matteo Renzi, der damals noch amtierende österreichische Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende Werner Faymann, der portugiesische Ministerpräsident und Vorsitzende der Sozialistischen Partei (PS) Antonio Costa sowie die EU-Außenbeauftragte und Vize-Präsidentin der EU-Kommission Federica Mogherini teil.

Auch bei den Kriegsvorbereitungen spielt die SPD eine Schlüsselrolle. Sie stellt mit Frank-Walter Steinmeier den Außenminister, der die außenpolitische Wende und die Wiederkehr des deutschen Militarismus vorantreibt. In enger Zusammenarbeit mit Verteidigungsministerin Ursula von der leyen (CDU) organisiert er die militärische Aufrüstung. Hunderte Millionen Euro, die durch Sparprogramme und Schuldenbremse aus der Arbeiterklasse herausgepresst werden, fließen direkt in Rüstungs- und Militärprogramme.

Diese reaktionäre Politik stößt in der Bevölkerung auf wachsenden Widerstand. Bei den Landtagswahlen im März brach die SPD regelrecht zusammen. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt kam sie knapp über 10 Prozent und landete hinter der AfD. Auch die Mitglieder laufen der SPD in Scharen davon. Seit 1990 hat sie über die Hälfte verloren.

Die Finanzstruktur der SPD ist inzwischen weitgehend unabhängig von den sinkenden Mitgliedsbeiträgen. Ihr bürokratischer Apparat arbeitet nach unternehmerischen Gesichtspunkten und verfügt über ein umfassendes Netz kommerzieller Unternehmen. Zusätzlich erhält sie große Summen aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Im vergangenen Jahr beliefen sich die staatlichen Zuschüsse auf über 50 Millionen Euro. Die SPD ist eine Staatspartei, die die Interessen des deutschen Imperialismus und der führenden Wirtschaftsverbände ohne Rücksicht auf Verluste gegen den Widerstand der Bevölkerung durchsetzt.

Dass sie an Einfluss verliert, löst in der herrschenden Elite Besorgnis aus. Das jüngste Wochenmagazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte dazu einen Leitartikel unter der Überschrift: „Niedergang einer Volkspartei“. Er beginnt mit den Worten: „Die SPD liegt am Boden“, und fährt voller Anerkennung fort: „Die SPD ist die älteste Partei Deutschlands. Sie hat den Nazis widerstanden, drei große Bundeskanzler gestellt und den deutschen Staat geprägt wie sonst nur die CDU. Doch wenn Sonntag Bundestagswahl wäre, erhielte sie nach jüngsten Meinungsumfragen nur noch zwanzig Prozent der Stimmen. ... Im Osten läge die AfD gar fünf Punkte vor den Sozialdemokraten. Ein Horrorszenario für die altehrwürdige Partei.“

Der fortschreitende Zusammenbruch der Sozialdemokraten ist ein internationales Phänomen. In Österreich, Griechenland, Großbritannien und vor allem in Frankreich, aber auch in vielen anderen Ländern, findet eine ähnliche Entwicklung statt. Sie ist mit einer wachsenden Radikalisierung der Arbeiterklasse verbunden.

In Griechenland fanden Massenstreiks gegen die brutalen Sparmaßnahmen der Syriza-Regierung statt. In Frankreich gehen seit Wochen Arbeiter und Schüler gegen Sozialkürzungen und die Arbeitsmarktreform der Hollande-Regierung auf die Straße. In Deutschland nehmen Streiks und betriebliche Proteste deutlich zu. Die offizielle Zahl der Streiktage überschritt im vergangenen Jahr erstmals seit langem wieder die Millionengrenze.

Auch in den USA, China und Indien branden Streikwellen auf. In den USA streiken seit über vier Wochen 40.000 Beschäftigte des Telekommunikationsriesen Verizon. Diese wachsende weltweite Radikalisierung von Arbeitern und Jugendlichen kommt in der wachsenden Opposition gegen die SPD zum Ausdruck.

Die Arbeiterklasse steht vor der Aufgabe, sich endgültig von diesen reaktionären, nationalistischen Bürokratien zu befreien. Das erfordert aber mehr als eine Abwendung durch Stimmverweigerung und Parteiaustritt. Die Gefahr, dass rechte Parteien wie die AfD und der Front National in das politische Vakuum vordringen, ist groß.

Die Arbeiterklasse muss sich politisch neu aufstellen, sie braucht eine neue politische Perspektive. Nicht ein einziges Problem, mit dem Arbeiter heute überall auf der Welt konfrontiert sind, kann im Rahmen des Nationalstaats und des Kapitalismus gelöst werden. Die Arbeiterklasse braucht ein internationales, sozialistisches Programm und eine revolutionäre Partei.

Darin besteht die Bedeutung der Teilnahme der Partei für Soziale Gleichheit an der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im September. Andres als die Linkspartei, die das Ziel verfolgt, die SPD an der Macht zu halten und zu stützen, rufen wir alle, die gegen Krieg, Unterdrückung, Nationalismus und soziale Ungleichheit kämpfen wollen, auf, den Wahlkampf der PSG nach Kräften zu unterstützen. Wir verfolgen das Ziel, das kapitalistische System – die Ursache für Ungleichheit, Armut und Krieg – abzuschaffen und eine politische Massenbewegung auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms zu entwickeln.

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