Rechter Putsch gegen Corbyn erreicht große Mehrheit

81 Prozent der Parliamentary Labour Party (PLP, Fraktion der Labour Party im Unterhaus) stimmten am Dienstag für den Misstrauensantrag gegen den Vorsitzenden Jeremy Corbyn. Nur vierzig Labour-Abgeordnete stimmten gegen den Antrag, ganze 172 dafür. Dreizehn gaben keine Stimme ab und vier Stimmzettel waren ungültig.

Der außergewöhnliche Umfang des rechten Putsches, der Corbyn schon den größten Teil seines Schattenkabinetts durch gezielte Rücktritte gekostet hat, sollte den Labour-Vorsitzenden zum Rücktritt zwingen. Aber in einer Erklärung unmittelbar nach Bekanntwerden des Ergebnisses erklärte Corbyn, dass er erst im letzten September „von sechzig Prozent der Labour-Mitglieder und Anhänger“ gewählt worden sei: „Ich werde sie nicht verraten, indem ich zurücktrete.“

Das Misstrauensvotum, sagte er, „hat keine rechtliche Legitimität“.

Corbyn hat recht, wenn er sagt, dass das Votum nicht bindend ist und dass es in den Statuten der Labour Party keine Bestimmung gibt, die einen Vorsitzenden zwänge, im Fall einer solchen Abstimmung zurückzutreten. Aber seinen Gegnern ist die Parteidemokratie nicht nur gleichgültig, sie verachten sie zutiefst. Ihr Ziel ist es, das Ergebnis der Wahl vom letzten September auf den Kopf zu stellen, die Corbyn mit großer Mehrheit gewonnen hatte, weil er sich gegen Austeritätspolitik und Krieg stellte.

Die jüngsten Ereignisse widerlegen Corbyns Behauptung, die Partei könne wieder dazu gebracht werden, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu vertreten. Sie machen klar, dass Labour eine rechte Partei des Staates ist, die der Arbeiterklasse und sogar ihrer eigenen Mitgliedschaft völlig feindlich gegenübersteht.

Das Erdbeben, das das Ergebnis des Referendums vom vergangenen Donnerstag verursacht hat, als die Briten mehrheitlich für den Austritt aus der Europäischen Union stimmten, war der Auslöser für diese Offensive. Gestern begann der Kampf um die Führung der Konservativen Partei. Eine vorgezogene Neuwahl im Herbst liegt im Bereich des Möglichen. Die Clique in der PLP, die die Labour Party kontrolliert, handelt im Einvernehmen mit den höchsten Stellen des Staates.

Ihr Motiv ist nicht die angebliche Befürchtung, dass Corbyn keine Unterhauswahl gewinnen könne, sondern ganz im Gegenteil, dass sie seinen Sieg sehr wohl für möglich halten. Unter den Bedingungen der schwersten Krise der britischen herrschenden Elite seit dem Zweiten Weltkrieg wird die Bourgeoisie keinen potentiellen Premierminister dulden, der offen gegen Austerität und für eine antimilitaristische Agenda eintritt. Sie wollen sicherstellen, dass Labour, seit einem Jahrhundert das größte Hindernis für den Sozialismus in Großbritannien, ein völlig verlässliches Werkzeug für den Angriff auf die Arbeiterklasse ist, der gerade vorbereitet wird.

Am 13. Juni, zehn Tage vor dem EU-Referendum, beschrieb der politische Korrespondent des Telegraph, Ben Riley-Smith, genau das Szenario, dass sich jetzt entfaltet. „Labour-Rebellen“, schrieb er, bereiteten nach dem Referendum den Sturz Corbyns mit einem 24-stündigen „Medienblitzkrieg“ vor.

„Die Flammen werden mit Rücktritten von Mitgliedern aus der Führungsriege und öffentlicher Kritik angefacht. Sie erwarten, innerhalb eines Tages genügend Unterschriften zu erhalten, um einen Kampf um die Führung lostreten zu können“, schrieb er.

Innerhalb weniger Stunden nach Bekanntwerden des Ergebnisses des Referendums preschten Dame Margaret Hodge und Ann Coffey vor und reichten einen Misstrauensantrag gegen Corbyn ein. Am frühen Sonntagmorgen informierte Schattenaußenminister Hilary Benn Corbyn, dass er kein Vertrauen mehr in seine Führung habe und zwang ihn damit, ihn zu entlassen.

Am Montagmorgen brach eine ganze Welle von Rücktritten von Mitgliedern des Schattenkabinetts herein. Sie beschuldigten Corbyn, sich für einen Verbleib in der EU nicht genügend stark gemacht zu haben, obwohl 64 Prozent der Labour-Wähler für den Verbleib gestimmt hatten. Mehr als fünfzig traten innerhalb von 48 Stunden von ihren Posten zurück. Die Stimmung in der PLP war derart aufgeheizt, dass wilde Beschuldigungen ohne Hand und Fuß aufkamen, die darin gipfelten, dass Corbyn persönlich für den Austritt gestimmt habe.

Am Montagabend verlangte die Financial Times von der Partei, „jetzt endlich zu Handeln, um Jeremy Corbyn abzusetzen“. Unabhängig von der Parteisatzung und dem Willen der Mitgliedschaft müsse die PLP „vorangehen“ und „der ganzen Arbeiterbewegung die Konsequenzen des falschen Kurses der Partei deutlich machen“.

Am Dienstagmorgen machte der Labour-freundliche Daily Mirror die erste Seite mit einem Aufruf an Corbyn auf, er solle „im Interesse der Partei und des Landes abtreten.“

Corbyn musste verzweifelt Ersatzmitglieder für sein umgebildetes Schattenkabinett suchen, doch er fand keine ausreichende Zahl von Kandidaten, um die Lücken zu füllen. Zwei Mitglieder seines umgebildeten Schattenkabinetts, Rachael Maskell und Rob Marris, hatten sich bei dem Misstrauensvotum enthalten.

Ian Murray, Ex-Schattenminister für Schottland, gehört zu denen, die ihren Platz in der ersten Reihe räumten. Er ist der einzige schottische Abgeordnete der Labour Party, nachdem die Partei dort bei den letztjährigen Wahlen regelrecht ausradiert wurde. Die Vorsitzende von Scottish Labour, Kazia Dugdale, schloss sich den Forderungen an Corbyn an, zurückzutreten. Und Lord Foulkes, der Vorsitzende der schottischen PLP, sagte, kein schottischer Politiker sei bereit, in ein Schattenkabinett unter Corbyn einzutreten.

Diese Kampagne ist zutiefst unpopulär. Mehr als 240.000 Menschen haben bisher eine Online- Petition zur Verteidigung von Corbyn unterzeichnet. Am Montagabend demonstrierten auf dem Parliament Square 10.000 Anhänger für den Labour-Führer. Aber die rechten Blair-Anhänger betonen unisono, dass diese Unterstützung illegitim sei. Sie bestehe nur aus „Trotzkisten“ und „Stalinisten“.

Alistair Campbell, Tony Blairs früherer PR-Berater, sagte, dass Labour zu einer „Corbyn-Sekte“ und einem „Kult“ mutiert sei, der aus Anhängern linksextremer Parteien bestehe. Campbell rief diejenigen auf, die Corbyn beseitigen wollten, sich als Labour-Anhänger zu registrieren, um sich für eine Neuwahl des Labour-Vorsitzenden zu wappnen. Eine Kampagne unter der Überschrift #Saving Labour wurde gegründet, um auf dieser Grundlage Anhänger zu rekrutieren.

Es wird erwartet, dass Ex-Schattenwirtschaftsministerin Angela Eagle am Mittwoch ihren Hut für den Labour-Vorsitz in den Ring wirft, falls Corbyn nicht zurücktritt. Einige auf der Rechten hoffen, dass ihre Kandidatur die Mehrheit der PLP hinter sich scharen und eine Kandidatur Corbyns praktisch unmöglich machen könnte, weil er nicht die Unterstützung der notwendigen Zahl von fünfzig Abgeordneten erreiche, um auf den Wahlzettel zu kommen. Corbyns Anhänger erklären, das wäre statutenwidrig, weil er als amtierender Vorsitzender in jedem Fall das Recht habe, auf dem Stimmzettel zu stehen.

Bis jetzt scheint Corbyn noch die Unterstützung der großen Gewerkschaften zu haben, die die wichtigste finanzielle Basis der Labour Party sind. Len McCluskey, Führer der Gewerkschaft Unite, dem größten Geldgeber der Partei, sagte, dass das Verhalten der PLP „außerordentlich“ sei. „Wer die Führung der Labour Party auswechseln will, der muss das offen und demokratisch durch eine Wahl machen, und nicht durch Rücktritte und sinnloses Gehabe.“

Aber das sind lauwarme Äußerungen. Selbst wenn diese offensichtlich anti-demokratischen Schritte fehlschlagen sollten, und Corbyn am Ende doch kandidieren kann, hat die PLP klar gemacht, dass sie nicht unter seiner Führung arbeiten wird, falls er die Wahl wieder gewinnen sollte.

Aus diesem Grund fordern die Rechten offen eine Spaltung. Ex-Innenminister David Blunkett sagte, Corbyns Anhänger sollten die Labour Party verlassen, und gestützt auf die „Basisorganisation“ Momentum ihre eigene Partei gründen. Diese Organisation war nach seinem Sieg bei der Wahl zum Vorsitzenden gebildet worden, um ihn zu unterstützen.

Abgeschirmt von solchen Forderungen finden Vorbereitungen auf eine Regierung der „nationalen Einheit“ statt. John McTernan vom Telegraph ließ durchblicken, was hinter den Kulissen diskutiert wird. Die Frage der EU-Mitgliedschaft habe das Land und alle Parteien gespalten, schrieb er. Das erfordere „eine Regierung, die sich auf die Höhe der Aufgaben schwingt, vor denen das Land steht.“ Die Lösung sei eine „große Koalition“ ähnlich wie in Deutschland.

Ideal sei es, den ultralinken Rumpf um Corbyn aus der Labour Party zu drängen und in eine eigene Partei abzuspalten.

Die Konservativen könnten dann in einen „Pro- und einen Anti-Brexit-Flügel“ gespalten werden. Das würde dazu führen, dass Tory-Modernisierer sich mit der Mehrheit der Labour-Abgeordneten zusammen tun und eine progressive Partei des radikalen Zentrums bilden würden. Darin könnten die verbliebenen Liberaldemokraten aufgehen und eine „Opposition der nationalen Einheit“ bilden.

Loading