Der Putsch gegen Corbyn und die Forderung nach einem zweiten Brexit-Referendum

Der Putschversuch gegen den Führer der Labour Party, Jeremy Corbyn, geht von rechten Kräften aus, die eng mit den britischen und amerikanischen Geheimdiensten zusammenarbeiten. Ihr wichtigstes Propagandaorgan ist der Guardian. Das Ziel ist die Umkehrung des Ergebnisses des Referendums vom 23. Juni und der Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union (EU). Das soll durch die Wahl einer neu aufgestellten Labour Party oder ihre Einbindung in eine Koalitionsregierung erreicht werden.

Fast alle wichtigen Figuren, die an der Operation gegen Corbyn beteiligt sind, die unmittelbar nach dem Sieg des Austrittslagers ihre Arbeit aufnahm, gehören dem Blair-Flügel der Partei an. Das betrifft nicht nur die aktuellen Labour-Abgeordneten und Schattenminister, sondern auch den inneren Kreis um den Ex-Premierminister Tony Blair wie Alastair Campbell, David Blunkett, Jack Straw und andere. Diese nicht angeklagten Kriegsverbrecher verfügen über enge Verbindungen zu den britischen Geheimdiensten MI5 und MI6 und nehmen ihre Anweisungen von der CIA entgegen. Sie wurden beauftragt, Corbyn zu stürzen und seine Anhänger aus der Partei zu vertreiben.

Corbyns offene Ablehnung von Austeritätspolitik und Militarismus wird von den Blair-Anhängern nicht akzeptiert. Seit den 1980er Jahren haben sie die Partei in ein Instrument zur Durchsetzung von Thatchers Wirtschaftspolitik verwandelt. Der Höhepunkt dieses Prozesses war die Wahl von „New Labour“. Sie verpflichteten die Partei auf ein bedingungsloses Bündnis mit den Vereinigten Staaten bei ihren neokolonialen Eroberungskriegen in Afghanistan und dem Irak.

Sie sehen Corbyns Wahl im letzten Jahr als Folge einer fehlerhaften Parteireform, die eine Urwahl des Vorsitzenden durch Mitglieder und Anhänger ermöglichte. Spätestens seit dem Ergebnis des Referendums erachten sie Corbyns Absetzung als zwingend. Die strategischen Interessen Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, besonders hinsichtlich der Nato und ihrer militärischen Provokationen gegen Russland, verlangen die Umkehrung des Ergebnis. Da die Konservative Partei inzwischen von Brexit-Befürwortern beherrscht wird, ist die Labour Party das Instrument für diese reaktionäre Politik.

Washingtons Forderungen wurden klar und deutlich von US-Außenminister John Kerry formuliert, der am Mittwoch vor Reportern durchblicken ließ, dass das Ergebnis des Referendums gekippt werden könnte. „Ich denke, es gibt mehrere Möglichkeiten“ das zu arrangieren, sagte er. „Aber ich will da jetzt nicht näher drauf eingehen.“

Am nächsten Tag veröffentlichte der Guardian einen Kommentar von Robert Hunter. Die Leser wurden nicht darüber informiert, dass Hunter ein hochrangiger Vertreter der amerikanischen herrschenden Klasse ist. Der Ex-Präsident der Atlantic Treaty Association (Deutsche Atlantische Gesellschaft) und US-Botschafter bei der Nato und Inhaber zahlreicher anderer Positionen im militärischen Establishment der USA, wird auf Wikipedia als jemand beschrieben, der „sich bemüht, die Nato zu ‚erneuern’ und die Barrieren zwischen Nato und der Europäischen Union einzureißen“.

Hunter legt Wert auf die Feststellung, dass das Referendum ein Beispiel für die „Herrschaft des Mobs“ sei und missachtet werden sollte. Das Parlament solle das Ergebnis durch die Wahl „einer neuen Führung und einer neuen Regierung“ kippen.

Die Anhänger Blairs haben diese Anweisung in politische Aktion umgesetzt. Sie haben das Misstrauensvotum gegen Corbyn herbeigeführt und das mit dem Vorwurf begründet, der Labour-Vorsitzende habe die pro-europäischen Bestrebungen der jungen Generation „verraten“. In der gleichen Ausgabe des Guardian befindet sich ein Artikel von Jonathan Powell, Blairs früherem Stabschef. Er erklärt, dass Labour „jetzt für die 48 Prozent des Landes sprechen muss, die in der Europäischen Union bleiben wollen“. Corbyn könne auf keinen Fall diese Person sein. Es werde also ein neuer Vorsitzender gebraucht, „der eine Unterhauswahl mit dem ausdrücklichen Versprechen bestreitet, mit unseren Partnern über die Rettung unserer Position in Europa zu verhandeln…“ Falls Labour gewählt werden sollte, wäre es dann die erste Aufgabe der Regierung, ein zweites Referendum durchzuführen.

Gestern brachten der Labour-Politiker Geraint Davies und Jonathan Edwards von Plaid Cymru (Walisische Partei) einen Antrag ins Parlament ein. Sie fordern ein zweites Referendum über die ausgehandelten Bedingungen eines Austritts von Großbritannien aus der EU.

Die Socialist Equality Party verurteilt diese Manöver. Sie erinnern an das Vorgehen der Syriza-Regierung in Griechenland, die letztes Jahr ein Referendum über eine weitere Runde von Kürzungsmaßnahmen in der Erwartung veranstaltete, dass ihnen zugestimmt würde. Als sie mit großer Mehrheit abgelehnt wurden, setzte sich Syriza-Führer Alexis Tsipras über das Ergebnis hinweg und machte einfach weiter, als wenn nichts gewesen wäre.

Um die Brexit-Abstimmung wird enorme Verwirrung verbreitet, vor allem von den rechten und fremdenfeindlichen Kräften des Austrittslagers. Sie hat sich durch die Sorge über die wirtschaftlichen Folgen eines Austritts aus der EU verstärkt. So konnten Davies und Edwards auf eine Petition für ein zweites Referendum verweisen, dass jetzt schon über vier Millionen Unterschriften erhalten hat.

Aber der Versuch, die Abstimmung zu ignorieren oder zu kippen ist undemokratisch und zielt darauf ab, die Bedingungen für eine Verschärfung der Offensive gegen die Arbeiterklasse zu schaffen. Deswegen wird er von einer widerwärtigen politischen Propaganda begleitet, die Millionen Arbeiter, die für den Austritt gestimmt haben, als „dumm“, „ignorant“ und „rassistisch“ hinstellen. Diese Beschimpfungen sind Ausdruck der gesellschaftlichen Perspektive einer Schicht der oberen Mittelklasse, welche die EU als Garant für ihren privilegierten Lebensstil und in vielen Fällen auch ihres unmittelbaren hohen Einkommens sehen.

Im Unterschied dazu ist die Feindschaft der arbeitenden Bevölkerung gegen die EU völlig gerechtfertigt, die als Instrument der Großmächte und der Wirtschaftsinteressen fungiert und Austerität, Handelskriegsmaßnahmen und Kriege zu verantworten hat.

Im Referendum wurde das Brexit-Lager von einer rechten Fraktion der Tories und der UK Independence Party angeführt und stellte Nationalismus und fremdenfeindlichen Chauvinismus in den Mittelpunkt. Unter diesen Bedingungen konnte die Ablehnung der EU keinen fortschrittlichen Ausdruck finden. Dazu kam noch, dass das pro-EU-Lager von einer bei Millionen wegen ihrer brutalen Sparpolitik verhassten Regierung geführt und von der Labour Partei unter Corbyn unterstützt wurde.

Jetzt wird ein systematischer Versuch unternommen, die öffentliche Meinung zu manipulieren und die Bestrebungen weiter Teile der Bourgeoisie zu promoten, die Großbritannien in der EU halten wollen. Das erfordert vor allem, dass Labour die Rolle der führenden Pro-EU und Anti-Brexit Partei einnimmt und eine angeblich „progressive“ und „global orientierte“ Allianz u.a. mit der Sottish National Party, Plaid Cymru und Teilen der Tory Partei bildet.

Die professionellen Propagandisten von Identitätspolitik und Postmoderne beim Guardian werden ins Spiel gebracht, um jede Opposition gegen dieses Projekt in der Arbeiterklasse als Ausdruck von „rückständigem Nationalismus“ zu verdammen, während der Angriff auf Arbeitsplätze, Löhne und Sozialleistungen mit voller Kraft weitergeht. Aber dieses Projekt hat Unterstützung im ganzen offiziellen politischen Spektrum. Phillip Stephens schrieb in der Financial Times: „Viele gemäßigte Tories haben mehr mit ihren Kollegen in der Labour Party gemein, als mit den nationalistischen Brexit-Anhängern. Und gemäßigte Labour-Anhänger stehen pro-europäischen Tories näher, als Corbyns 70er-Jahre-Staatssozialismus. Es ist vielleicht genug Platz für eine neue pro-europäische, wirtschaftlich liberale und soziale Alternative zu verkniffenem Nationalismus hartem linkem Sozialismus.“

Stephens erläuterte, was die „soziale Alternative“ für die Arbeiterklasse bedeuten würde: „Das Warten würde die ehemaligen europäischen Partner natürlich erzürnen. Europa kann sich keine einjährige Ungewissheit leisten. Aber zumindest haben Berlin, Paris und die anderen die Erfahrung mit Griechenland gehabt.“

Die SEP hat zu einem aktiven Boykott des Referendums aufgerufen, weil es weit und breit keine bedeutsame Kraft gab, die eine fortschrittliche Opposition gegen die EU geboten hätte und unter diesen Bedingungen ein Austritt nur die Rechten stärken konnte. Jetzt warnen wir davor, dass die Bemühungen, das Ergebnis zu kippen, nicht nur zur Verbreitung gefährlicher Illusionen in die EU führen könnten, sondern rechte Kräfte stärken würde, die sich als Verteidiger des „Volkswillens“ gegen die „Eliten“ präsentieren.

Nur eine Perspektive, die alle Pläne durchkreuzt, die Arbeiter unterschiedlichen Teilen der herrschenden Klasse unterzuordnen, weist einen Weg vorwärts. Eine wirkliche Einigung Europas kann nur von unten erreicht werden und nicht von oben. Notwendig ist der Aufbau einer Massenbewegung in ganz Europa gegen Austerität, Militarismus und Krieg, der Sturz der EU und ihrer Regierungen und der Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

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