Ungarische Regierung geht massiv gegen Flüchtlinge vor

Die ungarische Regierung versucht, mit allen Mitteln Flüchtlinge abzuschrecken. In dieser Woche hat das Parlament in Budapest eine weitere Verschärfung des faktisch kaum mehr existenten Asylrechts beschlossen und die Sicherheitskräfte ermächtigt, Schutzsuchende ohne jedes Verfahren nach Serbien und Kroatien abzuschieben.

Flüchtlinge, die innerhalb eines acht Kilometer breiten Streifens hinter der Grenze aufgegriffen werden, werden nun direkt zurück zur Grenze gebracht und angewiesen, in den Transitzonen Röszke-Horgos oder Tompa Asyl zu beantragen. Außerdem wird der Grenzschutz massiv verstärkt. Die Anzahl der Soldaten und Grenzpolizisten wird von rund 4.000 auf bis zu 10.000 erhöht, und sie werden mit zusätzlichen Fahrzeugen, Wärmebildkameras und anderen Geräten ausgerüstet.

Mit der martialischen Abriegelung der Grenze sendet die Regierung in Budapest ein klares Signal an Flüchtlinge und an die Europäische Union, dass die Balkanroute weiter geschlossen bleibt und Flüchtlinge unerwünscht sind. Die Zahl der Flüchtlinge, die auf der Balkanroute registriert werden, liegt seit langem niedrig und ist in den letzten Wochen nur leicht gestiegen. Täglich lassen sich kaum mehr als 250 Flüchtlinge mit Hilfe von Schleusern über die geschlossenen Grenzen entlang der Balkanroute führen.

Brüssel nimmt das brutale Vorgehen Ungarns weitgehend billigend zur Kenntnis, obwohl es sich mit Abschiebungen ohne jede Anhörung von Asylgründen, Asylschnellverfahren und der Inhaftierung und Entrechtung von Flüchtlingen massiver Verletzungen des internationalen Flüchtlingsschutzes schuldig macht und gegen geltendes EU-Recht verstößt.

Leidtragende der brutalen Abschreckungspolitik sind Flüchtlinge, die seit Wochen zu Hunderten in provisorischen Camps vor den Transitzonen ausharren. Nachdem sie vor den Kriegen in Syrien, Afghanistan oder dem Irak geflohen sind, campieren sie nun in kleinen Zelten oder unter freiem Himmel im Staub und Dreck direkt vor dem steil aufragenden Stacheldrahtzaun. Erst kürzlich wurden drei mobile Toiletten aufgestellt, es gibt aber keine Duschen, keine medizinische Versorgung und nur ein Wasserhahn. Viele Menschen sind erkrankt, insbesondere Kinder. Einmal täglich bringen ungarische Polizisten winzige Essenspakte mit Brot und Fischkonserven.

Aus diesen Elendslagern gibt es praktisch kein Entkommen. Die ungarischen Sicherheitskräfte lassen täglich nur 15 bis 20 Menschen in die Transitzone, um dort einen Asylantrag zu stellen. Die Flüchtlinge müssen sich in eine Liste eintragen und wochenlang warten, bevor sie durch das Tor im Grenzzaun durchgelassen werden.

Hilfsorganisationen befürchten, dass sich mit den neuen Regelungen die Situation in den Lagern katastrophal zuspitzen wird. Seit Anfang des Jahres haben die ungarischen Sicherheitsbehörden rund 17.500 Flüchtlinge aufgegriffen, die der illegalen Einreise beschuldigt wurden. Bislang wurden sie in Aufnahmelager in Ungarn gebracht. Nun sollen sie zurück an den Grenzzaun gebracht werden, was zu einem schnellen Anwachsen der dortigen Lager führen und Ausmaße wie im griechischen Idomeni annehmen wird. Bereits in den ersten Tagen nach Inkrafttreten der neuen Regeln wurden täglich fast 150 Flüchtlinge aus Ungarn abgeschoben.

„Flüchtlinge werden auf ungarischem Territorium ohne die Möglichkeit eines Asylverfahrens und ohne jegliche Dokumentation zurück an die Grenze eskortiert, wo sie unter inhumanen Bedingungen eine willkürlich lange Zeit ausharren müssen, um Asyl zu beantragen“, sagte Márta Pardavi, die Co-Vorsitzende des ungarischen Helsinki-Komitees, Spiegel Online.

Die ungarische Regierung behauptet dagegen, die Zurückweisung sei keine Abschiebung. Die Transitzonen und ein etwa zwei Meter breiter Streifen vor dem Grenzzaun seien zwar nicht Teil des ungarischen Territoriums, gehörten aber auch zu keinem anderen Staatsgebiet. Im Niemandsland dieser rechtlichen Grauzone werden die Flüchtlinge damit ohne Chance auf Entrinnen faktisch inhaftiert.

Doch selbst für die Schutzsuchenden, deren Asylantrag in den Transitzonen angehört wird, endet die Flucht dort. Im Schnellverfahren werden die Asylanträge abgelehnt, da die ungarische Regierung im August 2015 Serbien, aus dem nahezu alle Flüchtlinge einreisen, zu einem „sicheren Drittstaat“ erklärt hat. Von den 199.000 Asylanträgen, die im letzten Jahr in Ungarn gestellt wurden, sind gerade einmal 264 genehmigt worden.

Ungarn hat die repressiven Maßnahmen gegen Flüchtlinge im Laufe der letzten zwölf Monate stetig verschärft. Nach der Einstufung Serbiens als „sicheren Drittstaat“ und der kompletten Schließung der Grenzen zu Serbien und Kroatien wurden Grenzzäune und Sperranlagen gebaut, Soldaten gingen gewaltsam mit Tränengas und Schlagstöcken gegen protestierende Flüchtlinge vor. Im September letzten Jahres wurde die „illegale Einreise“ zu einer Straftat erklärt und Flüchtlinge zu Tausenden vor Gericht gezerrt.

Nach Angaben des Sicherheitsberaters von Regierungschef Viktor Orban, György Bakondi, wurden seither 4.942 Flüchtlinge verurteilt, offiziell wegen Beschädigung des Grenzzauns. In der Regel bestand die Strafe in der unverzüglichen Abschiebung und einer Wiedereinreisesperre. 300 Flüchtlinge sitzen nach Bakondis Angaben in ungarischen Gefängnissen.

Allerdings können die angeordneten Abschiebungen oftmals nicht durchgeführt werden, da auch Serbien und Kroatien die Flüchtlinge nicht zurücknehmen. Da es in Ungarn aber keine Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge außerhalb der Internierungslager gibt, nicht einmal für anerkannte Asylbewerber, enden viele Flüchtlinge obdachlos auf der Straße, wo sie erneut staatlichen Repressionen ausgesetzt sind, da auch Obdachlosigkeit strafrechtlich verfolgt wird.

Alleinstehende männliche Flüchtlinge, die nach dem Dublin-Verfahren aus anderen EU-Mitgliedsstaaten nach Ungarn deportiert worden sind, werden dort mit der fadenscheinigen Begründung inhaftiert, sie könnten ansonsten erneut versuchen auszureisen.

Neben dieser massenhaften Kriminalisierung von Flüchtlingen wurde in der ungarischen Stadt Szeged zudem elf Flüchtlingen wegen der Beteiligung und dem Anzetteln von Massenprotesten am Grenzzaun im September 2015 ein Schauprozess gemacht. Einer von ihnen, der syrische Flüchtling A.H., wurde sogar des Terrorismus angeklagt, weil er die Menschenmenge, die versuchte den Grenzzaun zu stürmen, mit einem Megafon angestachelt habe.

Unter den Beschuldigten, die zu Gefängnisstrafen von einem bis zu drei Jahren verurteilt wurden, befanden sich eine blinde alte Frau und ein Mann, der wegen schwerer körperlicher Behinderung an einem Rollstuhl gefesselt ist. Bis heute hat es hingegen keine Untersuchung des brutalen Polizeieinsatzes gegeben, bei dem Flüchtlinge mit Tränengasgranaten beschossen und mit Wasserwerfern und Schlagstöcken auseinander getrieben wurden.

Von der ungarischen Regierung wurde der Vorfall benutzt, um eine direkte Verbindung zwischen Flüchtlingen, illegaler Einwanderung, Gewalt und Terrorismus zu konstruieren. Dazu dient auch ein auf den 2. Oktober angesetztes Referendum über die Frage, ob sich Ungarn an der von der EU beschlossenen Verteilung von Flüchtlingen beteiligen soll. Den Termin gab Staatspräsident Janos Ader diese Woche in Budapest bekannt.

Praktisch ist das Verfahren ohnehin schon gescheitert, da von den vorgesehenen 160.000 Flüchtlingen, die aus Italien und Griechenland in andere EU-Staaten gebracht werden sollen, bis heute gerade einmal 2.800 Schutzsuchende umverteilt worden sind. Dennoch will die ungarische Regierung, die nach dem Plan der EU-Kommission lediglich 1.300 Flüchtlinge aufnehmen müsste, ihren flüchtlingsfeindlichen Kurs durch ein Referendum bestätigen lassen.

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