Perspektive

Gefährliche Wende zum Wirtschaftsnationalismus

Am Montag erschien in der Financial Times ein Kommentar des ehemaligen US-Finanzministers Lawrence Summers unter dem Titel „Wähler verdienen verantwortungsbewussten Nationalismus statt reflexhaftem Globalismus“. Er verdeutlicht zwei Entwicklungen, die sich in den herrschenden Kreisen abzeichnen: Ratlosigkeit angesichts der Lage der Weltwirtschaft und eine Hinwendung zu Protektionismus und Wirtschaftsnationalismus.

Das Bedeutsame an dem Artikel ist, dass Summers in seiner Zeit als Minister unter Präsident Clinton als ein Wortführer des „freien Markts“ auftrat und die Vorzüge der kapitalistischen Globalisierung pries.

Angesichts des Scheiterns aller Versuche, nach der Finanzkrise von 2008 wieder einen Aufschwung herbeizuführen, warnt Summers in jüngster Zeit vor den Gefahren einer „säkularen Stagnation“. Sie bedeutet, dass die globale Nachfrage weiter sinkt, obwohl sich die Zinsen auf einem historischen Tiefststand befinden, was wiederum zu dauerhaft niedrigem Wachstum und Rezession führt.

Summers zufolge haben das Brexit-Votum und der Sieg von Donald Trump bei den Vorwahlen der Republikaner gezeigt, dass „die Wähler gegen die relativ offene Wirtschaftspolitik rebellieren, die in Großbritannien und den USA seit dem Zweiten Weltkrieg die Norm war“. Dies gehe einher mit dem Anwachsen von populistischem Widerstand gegen das Zusammenwachsen der Weltwirtschaft in einem Großteil Europas und Lateinamerikas.

Diesem Widerstand sei man bisher im Allgemeinen entgegengetreten, indem man „die wirtschaftlichen Folgen der internationalen Integration in den höchsten Tönen gepriesen“ habe. Doch nun „scheint die Bereitschaft der Menschen erschöpft, sich um kosmopolitischer Erfolge willen von Experten einschüchtern zu lassen“.

Fortan, so Summers, sollte man von dem Gedanken ausgehen, „dass die grundlegende Pflicht einer Regierung darin besteht, den Wohlstand ihrer Bürger zu mehren, anstatt abstrakten Vorstellungen vom Heil der Welt nachzujagen“.

In den 1990ern und dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts galt die Doktrin, der „freie Markt“ und die Globalisierung würden zu stetigem Wirtschaftswachstum führen und den Lebensstandard der Weltbevölkerung erhöhen, als eine Art säkulare Religion der Bourgeoisie. Doch diese Perspektive greift nicht mehr. Auch das Wall Street Journal schrieb vor einiger Zeit, die US-Präsidentschaftswahl 2016 sei geprägt von den „gebrochenen Versprechen der amerikanischen Wirtschaft.“

Summers gibt zu, dass die frühere Perspektive gescheitert ist: „Die letzten eineinhalb Jahrzehnte haben sich als so turbulent und enttäuschend erwiesen, dass sie grundlegende Annahmen über die moderne Wirtschaft und unser politisches System auf den Kopf stellten. Diese Kette von Enttäuschungen mündete in eine der unberechenbarsten und ungewöhnlichsten politischen Situationen der modernen Geschichte, in der Donald Trump und Bernie Sanders aufstiegen.“

Er verweist auf eine Reihe von Statistiken über die USA, die die Auswirkungen der verschlechterten wirtschaftlichen Lage illustrieren: das Sinken des Medianeinkommens um sieben Prozent seit 2000; den Rückgang des Anteils der Arbeiter am Nationaleinkommen von 66 auf 61 Prozent; den Verlust von Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe, das Ausbleiben neuer Arbeitsplätze infolge neuer Technologien und die „Aushöhlung“ qualifizierter Arbeitsplätze in verschiedensten Berufen, vom Bibliothekar bis hin zum Ingenieur.

Diese wirtschaftlichen Veränderungen haben zu einer Entfremdung der großen Masse der Bevölkerung vom gesamten politischen und wirtschaftlichen Establishment geführt. Laut Umfragen glauben sieben von zehn Amerikanern, das Land entwickle sich in eine falsche Richtung. Etwa 61 Prozent von Trumps Anhängern und 91 Prozent von Sanders' Anhängern sind der Ansicht, das Wirtschaftssystem „begünstige die Interessen der Mächtigen“.

Summers Konzentration auf die Phänomene Trump und Sanders verdeutlicht die beiden größten Befürchtungen des politischen Establishments. Einerseits ist es beunruhigt über den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse gegen den derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Kurs, der sich in der Unterstützung von Millionen, vor allem Jugendlichen, für den selbst ernannten „demokratischen Sozialisten“ Sanders geäußert hat. Andererseits ist es auch über den Aufstieg rechtsextremer nationalistischer und halbfaschistischer politischer Tendenzen besorgt, wie sie Trump verkörpert.

Zum Ende seines Kommentars weist Summers auf die Gefahr hin, dass Rechtsextreme von der aktuellen Lage profitieren: „An die Stelle von reflexhaftem Internationalismus muss ein verantwortungsbewusster Nationalismus treten. Andernfalls werden wir noch weitere erschreckende Referenden und populistische Demagogen erleben, die für hohe Ämter kandidieren.“

Die von ihm propagierte Hinwendung zu einem „rationalen“ Wirtschaftsnationalismus bietet jedoch keinen Schutz vor rechtem Populismus, sondern stellt lediglich eine theoretische Rechtfertigung für eine ganz ähnliche Politik dar. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass der „progressive“ Demokrat Sanders für eine protektionistische Handelspolitik plädiert, die sich kaum von Trumps Vorschlägen unterscheidet.

Tatsache bleibt, dass Summers trotz seiner Kritik an den katastrophalen Folgen des wirtschaftlichen Kurses der letzten drei Jahrzehnte – den er selbst eifrig propagiert hat – keine Vorschläge hat, wie sich diese Folgen ungeschehen machen lassen können. Auch sonst hat niemand im politischen und wirtschaftlichen Establishment eine Lösung anzubieten.

Die Hinwendung zu Wirtschaftsnationalismus, ob „verantwortungsbewusst“ oder nicht, hat eine historische Parallele. 1934, inmitten der Großen Depression, schrieb Trotzki in seinem Artikel „Nationalismus und Wirtschaftsleben“, die Bourgeoisie habe jahrzehntelang von den Vorzügen des Handels und der internationalen Arbeitsteilung geschwärmt, nun aber die Parole „zurück an den nationalen Herd“ ausgegeben.

Man sollte wissen, dass diese Perspektive nicht nur von offen rechten und faschistischen Kräften wie Adolf Hitler propagiert wurde. Sie war auch die Doktrin von „Progressiven“ wie John Maynard Keynes, der als einer der Gründer der „modernen“ bürgerlichen Wirtschaftslehre gilt. Summers hatte sich bei seinen Warnungen vor einer „säkularen Stagnation“ auf ihn berufen.

Das Ergebnis des Wirtschaftsnationalismus der 1930er Jahre – ob in faschistischem oder in „progressivem“ Gewand – war der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939. Nur 25 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg kam es zum barbarischsten Ereignis der Weltgeschichte. Wie immer deutlicher hervortritt, hat der Wirtschaftsnationalismus von heute dieselben Folgen.

Die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, warnte vor kurzem in einem Interview mit der Financial Times vor der Gefahr eines Krieges. Sie schrieb, die Welt erlebe aufgrund der zunehmenden nationalistischen und protektionistischen Maßnahmen in der Weltwirtschaft „einen Moment wie im Jahr 1914“.

Dass Vertreter des Establishments wie Summers offen Wirtschaftsnationalismus propagieren, wirft fundamentale Fragen der politischen Perspektive für die internationale Arbeiterklasse auf.

Der Grund für die Angriffe auf den Lebensstandard, für die Entstehung zunehmend autoritärer Herrschaftsformen und die wachsende Kriegsgefahr liegt nicht in der Globalisierung, sondern darin, dass diese im Grunde fortschrittliche Entwicklung in das reaktionäre und veraltete kapitalistische Gesellschaftssystem eingezwängt ist, das auf privatem Profitstreben und der Aufteilung der Welt in rivalisierende Großmächte und Nationalstaaten beruht.

„Jedoch in der gegenwärtigen Epoche“, um mit Trotzki zu reden, „steht die kapitalistische Entwicklung als Ganzes vor unüberwindlichen Hindernissen und Widersprüchen und rennt wie besessen gegen sie an.“

Die internationale Arbeiterklasse ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die diese historische Krise lösen kann. Die Arbeiter müssen alle Formen von wirtschaftlichem und politischem Nationalismus ablehnen und stattdessen den Kampf für das Programm des internationalen Sozialismus aufnehmen, um die von ihnen selbst geschaffenen Produktivkräfte aus den reaktionären Fesseln der kapitalistischen Produktionsweise zu befreien. Erst dann können diese Mittel benutzt werden, um durch den Aufbau einer weltweiten sozialistischen Planwirtschaft die Bedürfnisse der Menschheit zu erfüllen.

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