Was steckt hinter dem Streit über die Fusion von Edeka und Tengelmann?

Am Dienstag, den 12. Juli, stoppte das Düsseldorfer Oberlandesgericht die Übernahme der Einzelhandelskette Kaiser’s Tengelmann durch Edeka und erklärte eine diesbezügliche Ministererlaubnis von Sigmar Gabriel für Null und Nichtig.

SPD-Chef Gabriel hatte in seiner Funktion als Wirtschaftsminister im März einer Entscheidung des Bundeskartellamts widersprochen und, gestützt auf den Paragraphen 42 der Wettbewerbsbestimmungen, die Fusion Edeka-Tengelmann unter strengen Bedingungen erlaubt. Dagegen klagten Rewe und Markant, zwei Rivalen im Einzelhandelssektor. Ihnen gaben die Richter am Düsseldorfer Oberlandesgericht nun am Dienstag in einer Eilentscheidung Recht und setzten die Ministererlaubnis außer Kraft.

Fast gleichzeitig erhob sich in den Medien ein lautes Kesseltreiben gegen Gabriel, das bis zu Rücktrittsforderungen und dem Ruf nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss reichte.

Ein ARD-Kommentar von Frank Wahlig (SWR) begann zum Beispiel mit den Worten: „Minister sind schon wegen anderer Sachen und wegen Kleinigkeiten zurückgetreten.“ Schon „ein erster Blick in die Akten des Wirtschaftsministeriums“ habe dem Gericht genügt, um die Übernahme für ungültig zu erklären. Der Vizekanzler habe handwerklich schlecht gearbeitet, sei befangen gewesen und habe den Gewerkschaftsbossen einen Gefallen tun wollen. Zum Schluss bedauerte der Kommentator, bis zum Herbst werde der ganze Fall „wohl wieder vergessen sein. Schade eigentlich, wirklich schade.“

Michael Bauchmüller von der Süddeutschen Zeitung schrieb in einem Kommentar mit der Überschrift „Eine schallende Ohrfeige für Sigmar Gabriel“, der Wirtschaftsminister habe sich „von der Lesart der Gewerkschaften leiten lassen; als SPD-Chef tut er das leider allzu oft …“ Sein Kollege Nico Fried bescheinigte Gabriel, er habe sich als „schludrig, eigenmächtig und beratungsresistent“ erwiesen.

Marc Beise, Wirtschaftsredaktor ebenfalls bei der Süddeutschen Zeitung, kommentierte: „Die Fusion war von Anfang an verkorkst.“ Von Anfang an sei klar gewesen: „Tengelmann geht’s nicht gut, Tengelmann braucht Reformen. Aber bei dem Deal der da ausgemacht worden ist, war ja festgelegt worden: Es dürfen keine Arbeitsplätze verloren gehen.“ Beise machte klar, dass seiner Meinung nach die notwendigen „Reformen“ auf jeden Fall bedeuten müssen, dass Arbeitsplätze verloren gehen: „Entweder sie würden woanders verloren gehen, oder sie würden später verloren gehen.“ Davor habe der Minister die Augen verschlossen; aber: „Gottseidank gibt es in Deutschland noch Richter, die ein solches intransparentes Gemauschel stoppen können.“

Die Faktengrundlage ist folgende: Vor zwei Jahren wurde bekannt, dass die Einzelhandelskette Kaiser’s-Tengelmann mit Verlusten arbeitet und nach einem neuen Käufer sucht. Betroffen waren 451 Supermärkte der Marken Tengelmann und Kaiser’s mit rund 16.000 Verkäuferinnen, Lagerarbeitern, Gabelstaplerfahrern sowie Beschäftigten der Fleischverarbeitung Birkenhof. Ihnen allen droht die Zerschlagung des Konzerns, was den Verkauf oder die Schließung einzelner Filialen und damit verbundene Lohnsenkung und Arbeitsplatzverluste bedeuten würde.

Ende 2014 gab Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub bekannt, er wolle die Tengelmann- und Kaiser’s-Filialen an Edeka verkaufen. In dieser Situation gingen die Betriebsräte in den Filialen davon aus, dass es zu einer Entlassungswelle kommen werde und Lohnsenkungen drohten, da Edeka die neuen Filialen an selbständige Edeka-Kaufleute ausgliedern wollte, die zum großen Teil ohne Tarifverträge arbeiten.

Hinzu kam, dass das Bundeskartellamt im April 2015 sein Veto gegen eine Fusion Edeka-Tengelmann einlegte. Das Kartellamt warnte vor der Übernahme, da eine zu große Marktmacht entstehen würde. Edeka gilt als größter Lebensmittelhändler in Deutschland, der jährlich rund 48 Milliarden Euro erwirtschaftet.

Die vier führenden Lebensmitteleinzelhändler Edeka, Rewe, Aldi und Schwarz (mit Lidl und Kaufland) kontrollieren zusammen 85 Prozent des deutschen Marktes. Kaiser‘s-Tengelmann deckt dagegen weniger als ein Prozent des Marktes ab.

In dieser Situation wandten sich Tengelmann und Edeka an Minister Gabriel und beantragten eine Ministererlaubnis, um trotz des Kartellamtsurteils zu fusionieren. Der Minister ließ sich fast ein Jahr Zeit, ehe er im März 2016 zwar die Erlaubnis für eine Fusion erteilte, diese aber an strenge Auflagen knüpfte.

Diese Auflagen besagen, dass Edeka die Kaiser's-Tengelmann-Filialen fünf Jahre lang nicht zerlegen oder an selbstständige Händler übergeben darf – es sei denn, die Gewerkschaften stimmten ausdrücklich zu. Betriebsbedingte Kündigungen sollen ausgeschlossen sein, alle Tarifverträge sollen fünf Jahre lang weiter gelten, die Betriebsratsstrukturen sollen erhalten bleiben. Erst nach diesen fünf Jahren gehen die Filialen endgültig an Edeka, und auch danach genießen die Beschäftigten noch weitere zwei Jahre Kündigungsschutz. Der Fleischzulieferer Birkenhof – den Edeka stilllegen wollte – soll modernisiert und weitergeführt werden.

Der Edeka-Vorstand stimmte zähneknirschend zu, weil es die einzige Möglichkeit war, das Verbot des Kartellamtes zu umgehen. Rewe indessen klagte vor Gericht auf der Grundlage, Edeka könnte einen zu großen Vorsprung in Berlin und München gewinnen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat dieser Klage nun stattgegeben und geht in seinem Urteil sogar noch darüber hinaus.

Die Hauptkritik des Gerichts unter Leitung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Kühnen lautet, Minister Gabriel habe die Erhaltung von Tariflöhnen und Arbeitsplätzen als ausreichend dafür angesehen, dass das Gemeinwohl betroffen sei. Gabriel habe „den Gemeinwohlbelang der Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherung bei Kaiser’s-Tengelmann nicht unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte bewertet“, urteilten die Richter.

In der Presseerklärung des Gerichts wird erläutert: „[D]en Angaben von Edeka bis zum Ende des Verhandlungstermins am 16. November 2015 sei deutlich zu entnehmen, dass der geplante Unternehmenszusammenschluss aus Sicht von Edeka bei kaufmännisch vernünftigem Handeln mit einem erheblichen Personalabbau verbunden sein müsse.“ Das bedeutet, dass in den Augen der Richter ein „erheblicher Personalabbau“ für jeden, der „kaufmännisch vernünftig“ vorgeht, auf der Hand liegt und alternativlos ist.

Nach Bekanntgabe der Gerichtsentscheidung brach der Wirtschaftsminister seinen Sommerurlaub ab und rief am vergangen Mittwoch eilig eine Pressekonferenz ein. Er wies die Vorwürfe von „Geheimverhandlungen“ entschieden zurück und sagte, durch eine kurze Rückfrage im Ministerium hätten die Richter die Sachlage klären können. Das Bundeswirtschaftsministerium habe sich strikt an die gesetzlichen Regeln gehalten. Deshalb bestehe er auf seinem Recht, diese Ministererlaubnis auszusprechen, sagte Gabriel und kündigte seinerseits juristische Maßnahmen an.

Der Wirtschaftsminister wies auf die Bedeutung des Gerichtsurteils für die Tengelmann-Beschäftigten hin, „die auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade die beste Situation haben“. Sie verdienten im Allgemeinen zwischen tausend und zweitausend Euro brutto, und viele von ihnen arbeiteten nur in Teilzeit. Jetzt bestehe die Gefahr, dass Tengelmann doch noch zerschlagen werde, was den Verlust von bis zu 8000 Arbeitsplätzen bedeute. „Genau das sollte die Ministererlaubnis verhindern.“

Gabriels Versuch sich als Arbeiterführer und Interessenvertreter der Beschäftigten im Einzelhandel darzustellen, ist absurd. Natürlich ist die Gerichtsentscheidung reaktionär und von rücksichtslosen Wirtschaftsinteressen geprägt. Aber Gabriel und die SPD sind dazu keine Alternative. Die SPD ist und bleibt die Hartz-IV-Partei, unter deren Agenda 2010 mehr Arbeiterrechte abgebaut wurden als unter allen anderen Regierungen der Bundesrepublik und als deren Folge Millionen Arbeiter verheerende Verschlechterungen hinnehmen mussten.

Gabriel ist nicht am Wohlergehen der Einzelhandelsbeschäftigten interessiert, sonder hat den kommenden Bundestagswahlkampf im Blick. In Kürze bestimmt die SPD ihren Kanzlerkandidaten, und das ist mit heftigen Auseinandersetzungen verbunden. Gabriel vertritt einen Flügel, der auf ein so genanntes rot-rot-grünes Regierungsbündnis von SPD, Linkspartei und Grünen hinarbeitet.

Angesichts der tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise in Europa, die durch die Brexit-Entscheidung deutlich verschärft wurde, warnen Teile der herrschenden Elite vor den Konsequenzen einer Fortsetzung der starren Spar- und Austeritätspolitik von Finanzminister Schäuble. Sie wollen mit den Grünen privilegierte Schichten des städtischen Kleinbürgertums und mit der Linkspartei die Gewerkschaftsbürokratie in die Regierungsverantwortung einbinden, um die nächste Runde von Kürzungen und Sozialabbau in Angriff zu nehmen. Schon Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte die Agenda 2010 mit Unterstützung der Grünen und der Gewerkschaften verwirklicht.

Eine rot-rot-grüne Regierung würde außerdem im Namen nationaler Interessen und größerer Distanz von den USA den deutschen Militarismus beschleunigt vorantreiben. Aber vorher müssen die Parteien die Wahl gewinnen, und daher buhlt SPD-Chef Gabriel um die Unterstützung der Gewerkschaften und der Linkspartei. Das ist der Hintergrund der Auseinandersetzung des Streits über die Fusion von Edeka und Tengelmann.

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