Kurz vor Beginn der Olympischen Spiele in Rio:

Demonstranten löschen olympische Fackel

Mitte vergangener Woche hielten demonstrierende Arbeiter und Jugendliche in der Küstenstadt Angra dos Reis, etwa 160 Kilometer südlich von Rio de Janeiro, den olympischen Fackellauf auf. Bevor sie von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen zurückgetrieben wurden, löschten sie die olympische Fackel.

Brasilien ist das erste Land Lateinamerikas, das eine Olympiade ausrichtet. Der Protest in Angra dos Reis ist sinnbildlich für die extreme wirtschaftliche und politische Krise und wachsende soziale Spannungen in Brasilien.

Anlass für die Proteste waren ausstehende Löhne für städtische Beschäftigte, Kürzungen beim städtischen Busverkehr und die Schließung eines dringend benötigten Gesundheitszentrums. Diese Kürzungen sind Teil eines noch umfangreicheren Kürzungspakets. Der Bundesstaat Rio de Janeiro steht am Rande des Bankrotts und die rechte Regierung von Übergangspräsident Michel Temer hat umfassende Spar- und Privatisierungsmaßnahmen angekündigt.

Die Demonstranten errichteten Straßensperren aus brennenden Mülltonnen. Auf den Transparenten der Demonstranten war zu lesen: „Die Arbeiter in Angra dos Reis zahlen nicht für die Krise“ und „Fackel der Schande.“

Konkreter Auslöser der Aktion gegen die Olympiade war die Meldung, die Stadt werde für eine Olympia-Veranstaltung zahlen, obwohl sie ihre Beschäftigten und ihre Lehrer nicht bezahlen kann.

Bei Angra dos Reis befinden sich teure Ferienanlagen und Strandhäuser der Reichen aus Brasilien und der ganzen Welt. In der Nähe ist auch die Ölraffinerie von Petrobras und ein Atomkraftwerk. Die Mehrheit der Einwohner sind Arbeiter und Arme. Sie leben in armseligen, instabilen Häusern an Berghängen, wo es in der Vergangenheit immer wieder verheerende Schlammlawinen gab.

Doch die Ablehnung gegenüber den Olympischen Spielen ist nicht auf eine einzelne Stadt beschränkt. Laut einer aktuellen Umfrage lehnt mehr als die Hälfte der brasilianischen Bevölkerung die Spiele ab, 63 Prozent glauben, sie würden dem Land mehr schaden als nutzen.

Anfang letzter Woche veröffentlichte die Regierung einen Bericht, der die anhaltende Verschlimmerung der brasilianischen Wirtschaftskrise veranschaulichte. Die offizielle Arbeitslosenquote stieg im zweiten Quartal 2016 auf 11,3 Prozent, d.h. sie stieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 38,7 Prozent an. Gleichzeitig sind die Durchschnittslöhne seit letztem Jahr um 4,2 Prozent gesunken. Die Wirtschaftskrise ist damit die schwerste seit der Großen Depression der 1930er Jahre.

Die wachsende Wut der Arbeiterklasse über diese Bedingungen könnte auch die Olympischen Spiele behindern. In Rio de Janeiro drohten die Arbeiter der Verkehrsbetriebe, kurz vor Beginn der Spiele in den Streik zu treten, wenn ihre Forderung nach einer Lohnerhöhung um fast zehn Prozent nicht erfüllt wird.

Rio de Janeiro wurde im Vorfeld der Spiele in ein Militärlager verwandelt: 88.000 bewaffnete Soldaten, Militärpolizei und weiteres Sicherheitspersonal wurden in der Stadt stationiert.

Die Wirksamkeit solcher Sicherheitsmaßnahmen wurde kürzlich in Frage gestellt, als ein neuseeländischer Jiu-Jitsu-Athlet entführt wurde. Er kam erst wieder frei, nachdem er umgerechnet mehr als 600 Dollar von verschiedenen Banken abgehoben hatte. Mittlerweile hat er das Land verlassen. Wie sich herausstellte, waren seine Entführer Mitglieder der Militärpolizei.

Im Vorfeld der Spiele gab die Regierung die Verhaftung einer Reihe von Personen bekannt, denen Beziehungen zu ausländischen Terrororganisationen vorgeworfen wurden. Scheinbar sind diese Vorwürfe äußerst dürftig belegt. Einige von ihnen haben lediglich eine bestimmte Webseite besucht. Die Zielpersonen für die „präventiven“ Verhaftungen wurden scheinbar aus Listen ausgewählt, die das amerikanische FBI und der israelische Mossad zur Verfügung gestellt haben.

Diese künstliche Antiterror-Kampagne hat der Temer-Regierung die Möglichkeit gegeben, ein vor kurzem verabschiedetes drakonisches Antiterrorgesetz anzuwenden.

Die Spiele werden von dem Amtsenthebungsverfahren gegen die ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff überschattet, die im Mai durch ein Votum des Kongresses suspendiert worden war. Letzte Woche gab sie bekannt, dass sie nicht an der Eröffnungsfeier der Spiele teilnehmen wolle, weil Temer zuvor erklärt hatte, sie dürfte nicht zusammen mit ihm in einer VIP-Loge sitzen. Rousseffs Amtsvorgänger und Gründer der Arbeiterpartei (PT) Luiz Inacio Lula da Silva, dessen Regierung Brasilien vor sieben Jahren die Olympiade gesichert hatte, wird der Eröffnung aus dem gleichen Grund fernbleiben.

Der Sonderausschuss für das Amtsenthebungsverfahren des brasilianischen Senats wird vermutlich dafür stimmen, den Prozess gegen die PT-Präsidentin in der gleichen Woche zu beginnen wie die Spiele. Bis Ende August wird mit dem endgültigen Urteil des Senats gerechnet. Laut Umfragen wird er vermutlich dafür stimmen, Rousseff endgültig abzusetzen und den ehemaligen Vizepräsidenten Michel Temer für die restlichen zwei Jahre ihrer Amtszeit zum Präsidenten zu erklären.

Das Amtsenthebungsverfahren war ein abgekartetes Spiel. Das wurde durch die Veröffentlichung des Berichts von Staatsanwalt Ivan Marx Anfang Juli deutlich. Er erklärte dem Senat, einer der Hauptanklagepunkte gegen Rousseff, nämlich dass sie den Etat manipuliert und Zahlungen an Banken verzögert habe, um ein Defizit zu vertuschen, sei rein rechtlich kein Verbrechen.

Das Amtsenthebungsverfahren wurde von einer Gruppe korrupter Politiker in Gang gesetzt, die selbst bis zum Hals in den Petrobras-Skandal um Bestechungsgelder in Milliardenhöhe verwickelt sind. Das Verfahren zielt in erster Linie darauf ab, eine gewählte Präsidentin abzusetzen und radikale Sparmaßnahmen durchzusetzen, durch die die Arbeiterklasse die volle Last der Krise tragen muss.

Obwohl Rousseff und die PT bereits mit der Umsetzung solcher Maßnahmen begonnen hatten und sie auch fortsetzen wollten, verlangten brasilianische und ausländische Investoren einen Regimewechsel.

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