Flüchtlingsfeindliches Referendum in Ungarn gescheitert

Das Referendum zur Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union (EU) ist ungültig. Laut Angaben der ungarischen Wahlbehörde nahmen an der Abstimmung am Sonntag nur 39,9 Prozent statt der erforderlichen 50 Prozent der 8, 3 Millionen Wahlberechtigten teil. Nach Auszählung fast aller abgegebener Stimmen votierten 98,3 Prozent für die Position der rechten Fidesz-Regierung und gegen von der EU vorgegebene Flüchtlingskontingente.

Der Abstimmung war eine extrem nationalistische und ausländerfeindliche Regierungskampagne geführt vom ungarischen Premierminister Viktor Orbán vorausgegangen. Die Frage beim Referendum lautete: „Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?“

Auch bei einem Erfolg hätte das Referendum keine unmittelbaren juristischen Auswirkungen gehabt. Hintergrund war ein EU-Beschluss aus dem letzten Jahr, wonach einmalig 160.000 Flüchtlinge auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen, 1300 davon nach Ungarn. Die Regierung Orban hat zusammen mit der slowakischen Regierung gegen die EU-Quote vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt, jedoch offiziell erklärt, den Ausgang abzuwarten und die rechtskräftige Entscheidung zu akzeptieren.

In Brüssel galt die Verteilung ohnehin schon länger als nicht mehr umsetzbar, nachdem sich der Slowakei und Ungarn auch die anderen Visegrád-Staaten Polen und Tschechien angeschlossen hatten. Auf ihrem letzten Gipfel in der slowakischen Hauptstadt Bratislava hat die EU die extrem flüchtlingsfeindliche Politik der rechten osteuropäischen Regierungen dann de facto übernommen.

Die sogenannte „Bratislava-Erklärung“ ruft dazu auf, die Festung Europa zu verstärken, spricht Kriegsflüchtlingen das Recht auf Asyl ab und verlangt wie Orban selbst Massendeportationen von Flüchtlingen. Der Abschnitt unter dem Titel „Migration und Außengrenzen“ fordert den „vollkommene[n] Ausschluss einer Wiederholung der unkontrollierten Migrationsströme des letzten Jahres und [eine] weitere Verringerung der Anzahl irregulärer Migranten“ sowie das „Sicherstellen der vollständigen Kontrolle über die Außengrenzen“.

Das ungarische Referendum ist der widerwärtige Höhepunkt einer politischen Kampagne, die Orbán und die EU bereits seit längerem führen. Die ungarische Regierung ist Vorreiter in der EU, wenn es darum geht, Flüchtlinge, die vor den verheerenden Folgen von Krieg und Zerstörung fliehen, abzuwehren. Dazu hat Orban einen Zaun an der Grenze zu Serbien errichten lassen und die Asylgesetzgebung drastisch verschärft. Amnesty International und Human Rights Watch machen regelmäßig auf massive Menschenrechtsverletzungen der Flüchtlinge in Ungarn und im Grenzgebiet aufmerksam.

Berichte in den Medien warfen ein Schlaglicht auf das reaktionäre politische Klima im Vorfeld des Referendums. Die österreichische Presse zitierte einen Jordanier, der seit 30 Jahren in Ungarn lebt: „Es ist Hetze, eine Hasskampagne“. Seinen Namen wolle er nicht nennen, aus Sorge vor möglichen Reaktionen. „Wir haben Angst. Angst vor etwaigen Tätlichkeiten auf der Straße. Angst, etwas Politisches auf Facebook zu posten.“ Einige seiner Bekannten, die mit Ungarinnen verheiratet seien, wagten „nicht einmal, in der Familie das Thema anzusprechen.“ „Alle, die hier in der Innenstadt arbeiten“ würden „sich nicht trauen“ über des Referendum zu sprechen.

Um mindestens die Hälfte der Wahlberechtigten zu mobilisieren, stützte sich Orbans Regierungspartei Fidesz auf ihren gesamten Apparat. Gemeindebedienstete und Ministerialbeamte wurden verpflichtet nach einer vorgegebenen Liste Wahlberechtigte anzurufen und zur Teilnahme am „vaterländischen Akt“ zu überreden. Ärmeren Gemeinden wurde die Streichung der Sozialhilfen angedroht, sollte das Referendum scheitern und Ungarn die Flüchtlingsquoten erfüllen müssen.

In eigens eingerichteten Bürgerbüros wurde wochenlang offen rassistische, anti-muslimische Hetze initiiert. Eine landesweite Plakatkampagne behauptete unter anderem, dass Migranten Krankheiten einschleppen, Frauen vergewaltigen und die Terrorgefahr erhöhen würden. Außerdem hieß es, „islamische Horden“ seien der „Untergang“ der europäischen Völker. Orban hatte die Linie für die Kampagne selbst vorgegeben. Vor dem Referendum erklärte er in einem Interview, die Flüchtlinge die nach Europa kämen seien ein „Gift“, welches er „nicht schlucken werde“. Der ungarische Schriftsteller Rudolf Ungváry warf ihm daraufhin „rassistische Demagogie“ vor.

Ein zentrale Rolle in Orbans abstoßender Kampagne spielte die faschistische Partei Jobbik, die ebenfalls zu einem „Nein“ aufrief. Sie mobilisierte ihre rechtsradikalen Banden für die Anti-Flüchtlingskampagne der Regierung. Bereits seit den letzten Wahlen, aus den Jobbik als drittstärkste Kraft hervorgegangen war, arbeitet Fidesz eng mit der offen faschistischen Partei zusammen.

Dieser extreme politische Rechtsruck ist stark innenpolitisch motiviert. Die Fidesz-Regierung steht wachsender Opposition in der Bevölkerung gegenüber und setzt alles daran, diese in extrem rechte und nationalistische Kanäle lenken. Im Gesundheits- und Bildungswesen demonstrierten Ende 2014 Zehntausende. Fidesz verlor mehrere wichtige Lokalwahlen und ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die wirtschaftliche und soziale Lage ist dramatisch. Ungarn gehört zu den ärmsten Ländern in Europa und verzeichnet laut UNICEF die höchste Kinderarmutsrate in der gesamten EU.

Brüssel ist in der Bevölkerung verhasst. Der EU-Beitritt 2004 brachte keine Verbesserung für Arbeiter und Jugendliche. Die Löhne befinden sich noch auf dem gleichen Niveau wie vor dem Beitritt, in machen Regionen sogar darunter.

Aus Brüssel kam teilweise verhaltene Kritik an dem Referendum. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) bezeichnete das Referendum in der Welt als „ein gefährliches Spiel“. Gleichzeitig drohte er damit, Finanzhilfen für Ungarn zu kürzen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hatte vor kurzem sogar den Ausschluss Ungarns aus der EU ins Spiel gebracht. Auch er forderte Sanktionen gegen Ungarn.

Die Äußerungen sind Ausdruck wachsender Spannungen innerhalb der EU, haben aber nichts mit einer angeblich progressiveren oder menschlicheren Flüchtlingspolitik in Brüssel zu tun. In Wirklichkeit ist die rechte Politik Orbans nur der schärfste Ausdruck der EU-Politik insgesamt, die sich immer brutaler gegen Flüchtlinge richtet.

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) warnte mit Blick auf das Referendum vor einer Verurteilung der Politik Orbans. Die EU solle trotz bestehender Beschlüsse nicht länger an einer Umverteilung von Flüchtlingen auf alle Mitgliedstaaten festhalten, so Kurz in der Welt am Sonntag. Zuvor hatte sich bereits der sozialdemokratische Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ähnlich geäußert. Auch er ist ein vehementer Befürworter einer radikalen Abriegelung der „Festung Europa“.

Genau das ist die offizielle Politik der EU. Auf dem Wiener Flüchtlingsgipfel Ende September wurde die rigorose Abschottung der sogenannten Balkanroute beschlossen, um die Zahl der nach Europa kommenden Flüchtlinge möglichst auf Null zu senken. Rücknahmeabkommen, wie der schmutzige EU-Türkei-Deal sollen mit weiteren Staaten Nordafrikas, Afghanistan und Pakistan geschlossen werden. Orban selbst forderte ein riesiges Lager an der Küste Libyens einzurichten und alle Flüchtlinge, die in Europa ankommen, dorthin zu deportieren.

Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel machte in Wien deutlich, was von ihrer angeblichen „Willkommenskultur“ zu halten ist. Sie beklagte, dass trotz der Schließung der Grenzen entlang der Balkanroute im Frühjahr immer noch 50.000 Flüchtlinge auf diesem Weg nach Deutschland gekommen seien. Diese müssten nun gestoppt werden. „Unser Ziel muss es sein, die illegale Migration so weit wie möglich zu stoppen“, forderte Merkel. Bereits zuvor hatte sie „Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung“ zur wichtigsten Aufgabe der nächsten Monate erklärt.

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