Goodyear-Reifenwerk in Philippsburg mit 890 Beschäftigten soll geschlossen werden

Anfang letzter Woche haben die 890 Mitarbeiter der Goodyear Dunlop Tires Germany GmbH in Philippsburg (Baden-Württemberg) vollkommen überraschend erfahren, dass das Werk spätestens Ende 2017 geschlossen werden soll.

Das Reifenwerk des US-amerikanischen Konzerns Goodyear hätte nächstes Jahr sein 50-jähriges Bestehen gefeiert. Nun soll der Stellenabbau bereits im Januar 2017 beginnen.

In Deutschland beschäftigt Goodyear 7600 Menschen an sieben Standorte in Fulda, Fürstenwalde, Hanau, Philippsburg, Riesa, Wittlich und in Köln als Vertriebsstandort. Des Weiteren gibt es in Frankreich zwei und in Polen, Türkei, Slowenien, Luxemburg und in Südafrika jeweils einen Standort. Weltweit betreibt Goodyear 49 Reifenfabriken mit ca. 66.000 Mitarbeitern. Der Hauptsitz befindet sich im US-amerikanischen Akron, Ohio. Goodyear ist der drittgrößte Reifenhersteller der Welt.

Nicht nur für die unmittelbar betroffenen Arbeiter und ihre Familien, sondern auch für den Ort Philippsburg mit seinen nur rund 12.000 Einwohnern wäre die Schließung des Reifenwerks eine Katastrophe. Das Reifenwerk von Goodyear ist der größte Arbeitgeber. Die Stuttgarter Zeitung schreibt bereits von einem finanziellen „Super-Gau“. Goodyear ist mit Abstand der größte Gewerbesteuerzahler und Bürgermeister Stefan Martus (parteilos, bis Anfang 2016 CDU) sieht die „ganze Struktur einer Stadt“ wanken. Bereits im Jahr 2011 fielen durch die Abschaltung des Kraftwerksblocks 1 des Energiekonzerns EnBW die Gewerbesteuereinnahmen dieses Konzerns weg. Erst kürzlich wurde auch bekannt, dass in der Nachbarstadt Waghäusel der Autozulieferer Johnson Controls sein dortiges Werk mit rund 200 Beschäftigten schließen wird.

Jean-Claude Kihn, Präsident des Konzerns für die Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika begründete die Entscheidung für die Schließung, sie stünde im „Einklang mit dem strategischen Fokus von Goodyear“ und der „wachsenden Nachfrage in den hochwertigen Segmenten“. Mit hochwertigen Segmenten sind die Premium-Reifen mit großen Zollgrößen in 17 Zoll und größer gemeint. Mit kleineren PKW-Reifen ist immer weniger Profit zu erzielen. Insider sprechen von etwa fünf Euro Gewinn für einen PKW-Reifen.

In Philippsburg werden zu 70 Prozent Reifen in kleineren Zollgrößen gefertigt, das ist unter den deutschen Goodyear-Werken der höchste Anteil. In Deutschland werden jährlich rund 30 Millionen Reifen produziert, davon entfallen auf Philippsburg ca. fünf Millionen.

Die Badischen Neuesten Nachrichten berichtete in einer ersten Reportage über die Wut der Goodyear-Arbeiter. Für Christian Jurgeleit gehe es einzig und allein um Kostenersparnis. „Kein Reifenproduzent hat sechs Werke in Deutschland.“ Auf die Begründung der Werksschließung reagieren alle Arbeiter wütend. „Wir können hier alles produzieren, auch Reifengrößen von 17 Zoll und mehr“, sagt Jurgeleit. „Wenn man uns nur lässt.“

Um die Wut der Arbeiter abzufangen und unter Kontrolle zu halten, fanden bereits zwei Betriebsversammlungen und eine „Spontan-Demonstration“ von mehreren hundert Beschäftigten vor den Werkstoren statt. Gleichzeitig hat der Betriebsrat unter der Leitung von Horst Haag und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) gemeinsame Gespräche mit den örtlichen Parlamentariern sowie Vertretern des Rathauses geführt, um „noch zu retten, was zu retten ist“.

Karsten Rehbein, Bezirksleiter der IG BCE Karlsruhe erklärte kurz nachdem die Schließung bekannt gegeben wurde: „Als ich am Montag davon gehört habe, hat es mir die Schuhe weggezogen.“

Es ist nur schwer vorstellbar, dass sowohl der Betriebsratsvorsitzende des Werks in Philippsburg, Horst Haag, als auch Vertreter der IG BCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie) nichts von den bevorstehenden Schließungsplänen wussten. Sechs Betriebsräte, darunter Haag, und zwei Vertreter der Gewerkschaft sitzen im Aufsichtsrat der deutschen Goodyear-Muttergesellschaft.

Dass ein massiver Arbeitsplatzabbau bevorstand, hatte sich außerdem bereits im letzten Jahr abgezeichnet. Bereits im Mai 2015 wurde der Standortsicherungsvertrag zum 31. Dezember 2015 einseitig vom Reifenhersteller für alle sieben Standorte gekündigt. Diese Betriebsvereinbarung beinhaltete unter anderem eine Erhöhung der Arbeitszeit auf eine 40 Stunden-Woche. Im Gegenzug verpflichtete sich der Konzern, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Wie jeder Arbeiter weiß, können so zwar dennoch Arbeitsplätze abgebaut werden, indem frei werdende nicht neu besetzt werden. Doch einem gewaltigen Kahlschlag innerhalb kürzester Zeit, etwa in Form von Werksschließungen, sind gewisse Grenzen gesetzt. Die Kündigung des Standortsicherungsvertrags vor eineinhalb Jahren hat also die jetzige Schließungsabsicht bereits angekündigt.

Doch wahrscheinlich haben hinter den Kulissen die jeweiligen Betriebsräte versucht die eigene Haut zu retten und die einzelnen Standorte gegeneinander auszuspielen versucht. So schreibt die Sächsische Zeitung nur drei Tage nach der Schließungsankündigung in Philippsburg: „Entsetzen in Baden-Württemberg, Aufatmen in Sachsen“. Der Standort Riesa mit 650 Mitarbeitern könne „sogar von einer Neuausrichtung des Unternehmens“ – gemeint ist die Werksschließung in Philippsburg – profitieren.

Trotz gegenteiliger Ankündigungen werden Betriebsräte und Gewerkschaft versuchen, einen Kompromiss mit der Konzernführung anzustreben. Gewerkschaftsfunktionär Rehbein erklärte: „Wir wollen Goodyear ein Konzept vorlegen, mit dem sie auch an diesem Standort lukrativ arbeiten können und so die Arbeitsplätze retten.“

Rehbein argumentiert wie ein Unternehmensberater und erklärt, die Schließung der Produktion sei „unsinnig“. Der Standort gehöre nicht nur wegen seiner strategischen Lage zu vielen Absatzmärkten zum „Tafelsilber“. Die notwendigen Investitionen zur Fertigung von Premium-Reifen sollten freigegeben werden, „damit in diesem Werk noch profitabler gearbeitet werden kann“.

Dem widersprach eine Unternehmenssprecherin. Philippsburg sei „die geeignetste Option, vorhandene Überkapazitäten zu reduzieren“, sagte sie. Man stehe „unter einem hohen Wettbewerbsdruck durch Billigimporte aus Drittländern“. Eine Modernisierung des Standorts Philippsburg „wäre nicht die richtige Lösung“. Es gebe zudem „ausreichende Fertigungskapazitäten für Reifen in größeren Zollgrößen in unserem europäischen Produktionsverbund“.

Dass die Gewerkschaft nicht von Beginn an in die Schließungspläne einbezogen worden ist erregt Rehbein: „Das ist typisch US-amerikanisch, aber wir haben hier deutsches Recht.“

Die Pressestelle von Goodyear sprach derweil von „einem eröffneten Konsultationsverfahren mit der zuständigen Arbeitnehmervertretung“. Mit anderen Worten: Betriebsratsvorsitzender Haag und Kollegen beginnen mit der Ausarbeitung von Sozialplänen, um die Schließung durchzusetzen. Gleichzeitig schüren Gewerkschaft und Betriebsrat Illusionen in den Erhalt der Arbeitsplätze durch „Alternativkonzepte“.

Die Reaktion der Gewerkschaft und ihrer Vertreter im Betrieb auf die angekündigte Werksschließung beweist einmal mehr, dass sie den Rahmen des Marktes vollständig anerkennen und damit die Interessen der Belegschaft denen der Kapitaleigner unterordnen. Doch dieses Co-Management hat bislang noch keinen einzigen Arbeitsplatz gerettet, dafür immer die Mechanismen ausgehandelt, wie diese vernichtet werden.

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