Trumps Wahl verschärft Streit der Türkei mit Nato-Verbündeten

Seit der Wahl Trumps zum amerikanischen Präsidenten hat die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Präsident Recep Tayyip Erdogan ihren autoritären Kurs verschärft und eine geostrategische Wende weg von der Nato und hin zu China angedeutet.

Am 21. November ließ die AKP-Regierung den bürgerlich nationalistischen Co-Bürgermeister von Mardin, Achmed Türk, von der Demokratischen Partei der Regionen (BDP) festnehmen. Die BDP ist die Schwesterpartei der Demokratischen Volkspartei (HDP). Neun ihrer Abgeordneten, unter ihnen die beiden Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdag waren am 4. November festgenommen worden.

Nach dem gescheiterten, von der Nato unterstützten Putsch vom 15. Juli hat der Staatsanwalt von Istanbul letzte Woche Haftbefehle gegen 103 Akademiker erlassen und 73 Mitglieder der Technischen Universität festgenommen. Sie werden der „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ beschuldigt, mit anderen Worten der „Terrororganisation Fethullah“ (FETO) des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen.

Die AKP beschuldigt die Gülen-Bewegung, den gescheiterten Putsch angeführt zu haben. Seit dem 15. Juli wurden ca. 110.000 Menschen im Öffentlichen Dienst, der Armee und der Justiz entlassen oder suspendiert. 36.000 Personen sitzen im Gefängnis. Verteidigungsminister Fikri Işık teilte mit, dass 20.088 davon Mitglieder der türkischen Armee seien.

Die AKP versucht in Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Nationalistischen Bewegungspartei (MHP) die Verfassung zu ändern und ein autoritäres Präsidialregime zu etablieren. Es sollen bereits 29 Artikel entworfen worden sein, die es dem Präsidenten ermöglichen würden, Minister von außerhalb des Parlaments zu ernennen und per Dekret zu regieren. Der Präsident würde auch die Hälfte der Mitglieder des Verfassungsgerichts und des obersten Rates der Richter und Staatsanwälte sowie die Universitätsrektoren ernennen dürfen.

Die größten Veränderungen hat es allerdings in den Beziehungen Ankaras zu seinen Partnern in der Nato und der Europäischen Union gegeben. Auf der jährlichen Parlamentarischen Versammlung der Nato, die dieses Jahr am 20. November in Istanbul stattfand, kritisierte Erdogan erneut die Beziehungen der Nato-Mitgliedsstaaten zum syrischen Ableger der türkischen PKK, der PYD. Die PKK ist in der Türkei als Terrororganisation verboten.

Erdogan sagte: „Wir wollen, dass Sie verhindern, dass Mitglieder der Terrororganisationen sich frei in Ihren Ländern bewegen, Propaganda machen, Militante anheuern und durch Erpressung Schutzgelder einsammeln“. In Bezug auf den militärischen Flügel der PYD, die Volksverteidigungseinheiten YPG, sagte er, Terrorgruppen im Irak und Syrien kämpfen mit Waffen, „die sie von verbündeten Ländern erhalten“.

Erdogan soll ebenfalls am 20. November gesagt haben, dass die Türkei nicht „um jeden Preis“ der EU beitreten müsse. Sie könne sich stattdessen einem Sicherheitsblock anschließen, der von China, Russland und zentralasiatischen Ländern dominiert sei. Am 18. November hatte Erdogan die EU gewarnt, sie müsse „bis Ende des Jahres“ über die Mitgliedschaft der Türkei entscheiden. Das war ein weiteres Zeichen für die wachsende Entfremdung zwischen der Türkei und ihren Nato-Verbündeten. Er fügte hinzu, die Türkei sollte sich auch nach anderen Möglichkeiten umschauen wie die Shanghai Cooperation Organization (SCO).

Nach dieser Erklärung äußerte sich das chinesische Außenministerium am 21. November mit der Zusicherung, China werde jeden Antrag der Türkei auf Mitgliedschaft in der SCO prüfen. Die SCO unter Führung Russlands und Chinas wurde 2001 als regionaler Sicherheitsblock unter Beteiligung von Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan gegründet. Der türkische Präsident hat schon mehrfach seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, der Organisation beizutreten. Ankara hat seit 2013 den Status eines Dialogpartners.

Gespräche über eine engere Bindung an China wurden bisher meist als Bluff angesehen, um die Verhandlungsposition der Türkei gegenüber der Nato zu stärken. Angesichts globaler Entwicklungen in Richtung Krieg und autoritärer Herrschaftsformen erscheinen sie heute jedoch als eine tatsächliche Möglichkeit.

Auf NTV erklärte Işık am 18. November, dass die Türkei Gespräche mit Russland über den Kauf eines Luftabwehrraketensystems des Typs S-400 führe. „Wir verhandeln über die S-400 nicht nur mit Russland, sondern auch mit anderen Ländern, die ähnliche Systeme haben. Russlands Haltung in dieser Frage ist positiv“, sagte er und fügte hinzu: „Wir hoffen, dass die Nato-Mitglieder das ernst nehmen und unser System kompatibel mit den Erfordernissen der Allianz ist.“

Vergangenes Jahr verzichtete die Türkei auf den Kauf eines 3,4 Mrd. Dollar teuren chinesischen Langstreckenraketenabwehrsystems, nachdem die Nato starken Druck ausgeübt hatte.

Die Asylanträge von vierzig türkischen Soldaten der Nato-Stützpunkte und Hauptquartiere, die nach dem Putsch vom 15. Juli gestellt wurden, verschärften die Spannungen zwischen Ankara und seinen Bündnispartnern weiter. Am 18. November bestätigte Nato-Generalsekretär Stoltenberg die Berichte von den Anträgen. Er versuchte aber, jede direkte Konfrontation mit der Türkei zu vermeiden und sagte: „Wie immer wird diese Frage von den Nato-Verbündeten als nationale Frage behandelt und entschieden werden.“

Die Zuspitzung der Beziehungen zwischen der Türkei und der Nato und EU ist nicht neu und auch nicht das Ergebnis der Wahl Trumps. Allerdings hat Letzteres die nationalistische, autoritäre und militaristische Agenda Ankaras gestärkt und die zentrifugalen Kräfte in der Nato und der EU verschärft.

Ankara sieht Trumps Wahl als Chance, sein eigenes nationalistisches Programm voranzubringen. Die beiden EU-freundlichen bürgerlichen Oppositionsparteien, die Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Volkspartei (HDP), sowie ihre pseudolinken Anhängsel betrachten Trump jedoch mit großer Sorge.

Erdogan war einer der ersten Regierungschefs, der Trump zu seinem Wahlsieg beglückwünschte. „Mit dieser Wahl hat eine neue Ära in Amerika begonnen. Ich hoffe, die Entscheidung der amerikanischen Wähler wird zu mehr Grundrechte und Freiheit, Demokratie und Entwicklung in unserer Region beitragen.“

Die Beziehung zwischen Erdogan und Trump ist allerdings extrem fragil. Am 24. Juni verurteilte Erdogan Trumps anti-muslimische Hetze und forderte die Entfernung von Trumps Namen von dem Trump-Tower-Einkaufszentrum und Wohnkomplex in Istanbul.

Die AKP hofft, dass sie im Nahen Osten eine prominentere Rolle spielen und die Brücken zu Washington wieder schlagen kann, wenn Trump Präsident ist. Die AKP war einst der engste Verbündete des US-Imperialismus im Nahen Osten. Von Obama ist sie nun jedoch schwer enttäuscht. Dieser kam der Forderung Ankaras, die islamistischen Kräfte im syrischen Bürgerkrieg entschlossener zu stärken, nicht nach. Stattdessen stützte sich Obama auf die kurdischen nationalistischen Kämpfer, die der türkischen Regierung feindlich gegenüberstehen.

Die Differenzen zwischen Washington und Ankara haben an Schärfe zugenommen, besonders nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli, der die stillschweigende Unterstützung der Obama-Regierung und Deutschlands genoss. Seitdem hat die Türkei mehrfach die Auslieferung Gülens verlangt, aber Washington hat dem Antrag der Türkei noch nicht stattgegeben. Es sind auch keinerlei Anzeichen zu erkennen, dass Trump anders entscheiden wird.

Ebenso gibt es keine Hinweise darauf, dass er sich nicht mehr auf die kurdisch-nationalistische PKK und PYD in dem Stellvertreterkrieg gegen das syrische Regime und den Islamischen Staat (IS) stützen werde. In der New York Times erklärte Trump Ende Juli, er sei ein „Fan der Kurden“ und hoffe, dass die türkische Regierung mit ihrer kurdischen Minderheit im Land zusammenarbeiten werde.

Seit dem 24. August führt die türkische Armee in Syrien die Operation „Schutzschild Euphrat“ durch, um die türkischen Kräfte auf das Ostufer des Euphrat zurückzudrängen und die eigenen Stellvertretermilizen, die Freie Syrische Armee (FSA), zu stärken. Die türkische Armee haben zusammen mit der FSA syrisches Territorium entlang der türkisch-syrischen Grenze besetzt und versuchen nun, die strategische Stadt Al-Bab vom IS zu erobern.

Der türkische Vormarsch wird aber nicht nur von Russland und dem syrischen Regime abgelehnt, sondern auch von Washington. Gegenüber Journalisten erklärte der US-Oberst John Dorrian am 17. November, dass die US-geführte Koalition den Versuch der Türkei, Al-Bab zu „befreien“, nicht unterstütze. In einer Videokonferenz mit Reportern aus Bagdad sagte Dorrian: „Diese Entscheidung haben sie auf nationaler Ebene getroffen.“

Die Offensive gegen Al-Bab droht sich zu einem offenen Krieg zwischen den von der Türkei unterstützten FSA-Milizen und den von den USA unterstützten kurdischen Kräften auszuweiten. Letztere stehen schon jetzt unter Beschuss der türkischen Artillerie.

Loading