Krise zwischen Indien und Pakistan verschärft sich

Die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan sind weiterhin extrem angespannt. Die beiden rivalisierenden südasiatischen Atommächte stehen so kurz vor einem offenen Krieg wie zuletzt in der zehnmonatigen Periode von 2001 bis 2002, in der Indien fast eine Million Soldaten entlang der Grenze zu Pakistan mobilisiert hatte.

Der Waffenstillstand entlang der Line of Control (LoC) zwischen dem indisch kontrollierten und dem pakistanisch kontrollierten Teil von Kaschmir, der nach der Kriegskrise von 2001-2002 ausgehandelt wurde, ist offenkundig gescheitert. In den letzten zwei Monaten haben sich indische und pakistanische Truppen entlang der LoC fast täglich heftige Schusswechsel mit Artillerie und Feuerwaffen geliefert. Die Militärführung und die Regierungen der beiden Länder behaupten zwar weiterhin, sie wollten keinen Krieg, stoßen aber regelmäßig beängstigende Drohungen gegeneinander aus.

Nur ein Beispiel für die kriegslüsternen Äußerungen aus der letzten Woche war die Erklärung des pakistanischen Verteidigungsministers Khawaja Asif am 25. November. Er erklärte im Parlament, das pakistanische Militär werde „für jeden pakistanischen Soldaten, den sie [d.h. das indische Militär] ausschalten, drei indische Soldaten töten.“ Weiter erklärte er, Indien müsse mit „schrecklichen Folgen“ rechnen, „wenn es einen Krieg gegen Pakistan wagt“. Einen Tag später erklärte Asifs indischer Amtskollege Manohar Parrikar in einer Rede in Goa: „Wir wollen keinen Kampf, aber wenn jemand das Land mit einem bösen Blick anschaut, werden wir ihm die Augen herausreißen und ihm in die Hände geben. Wir sind stark genug dazu.“

Parrikar hat in der Vergangenheit mehrfach stolz erklärt, Neu-Delhi sei militärisch stark genug und mutig genug, um Islamabad seinen Willen aufzuzwingen. Vor kurzem forderte er, Indien solle sich von dem Versprechen distanzieren, keinen atomaren Erstschlag zu führen. Auf diese Weise sollte Indien mehr strategischen Druck ausüben und seine Gegner einschüchtern können.

Am letzten Dienstag verschärften sich die Spannungen noch weiter. Islamistische anti-indische Sezessionisten aus Kaschmir hatten einen indischen Militärposten bei Nagrota angegriffen und dabei sieben Angehörige der indischen Armee getötet, darunter zwei Offiziere. Der Posten liegt in der Nähe von Jammu, der Winterhauptstadt des Bundesstaates Jammu und Kashmir, dem einzigen mehrheitlich muslimischen Bundesstaat Indiens. Pakistan unterstützt in diesem Staat einen Aufstand, der seit einem Vierteljahrhundert anhält.

Laut der Tageszeitung The Hindu ist die Zahl der Sicherheitskräfte, die seit September in Kaschmir durch Beschuss von jenseits der pakistanischen Grenze oder bei Gefechten mit Aufständischen getötet wurden, mit dem Angriff vom Dienstag auf 27 angestiegen. Ende September hatten indische Spezialkräfte angeblich als Vergeltung für einen früheren Angriff von Aufständischen auf die indische Militärbasis in Uri mit „chirurgischen Präzisionsschlägen“ in Pakistan begonnen.

Indien behauptet, es habe genauso viele pakistanische Soldaten getötet. Dazu wurden auf beiden Seiten der Grenze des geteilten Kaschmir mindestens 40 Zivilisten durch grenzübergreifenden Beschuss getötet.

Anonyme Informanten aus dem indischen Militär erklärten den Medien, es gebe Beweise für eine Mitverantwortung Pakistans für den Angriff am Dienstag. Doch bisher hat die indische Regierung unter der hindu-chauvinistischen Bharatiya Janata Party (BJP) Islamabad noch nicht die Schuld für den Angriff in Nagrota gegeben – das steht in deutlichem Gegensatz zu ihrer Reaktion auf den Vorfall in Uri am 18. September.

Allerdings könnte sich das schnell ändern.

Premierminister Narendra Modi und seine BJP-Regierung haben sich strategisch und politisch stark dafür eingesetzt, einen deutlichen Vorteil in der Konfrontation mit Pakistan zu erzielen.

Das Großkapital zeigte sich hellauf begeistert von der immer wiederkehrenden Behauptung der BJP, sie habe Indien von den Fesseln der „strategischen Zurückhaltung“ befreit, die frühere Regierungen angeblich hinsichtlich Pakistans gewahrt hätten.

Die BJP-Regierung hat zudem die Kriegskrise mit Pakistan schamlos ausgenutzt, um ihre Gegner als schwach und sogar illoyal hinzustellen. Sie hat angekündigt, sie wolle ihre aggressive Haltung gegenüber Pakistan zu einem wichtigen Thema bei der bevorstehenden Wahl in Uttar Pradesh machen, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Indiens.

Die indische Bourgeoisie hatte Modi vor zweieinhalb Jahren angesichts der Weltwirtschaftskrise an die Macht gebracht, um das Tempo der investorenfreundlichen sozioökonomischen „Reformen“ zu beschleunigen und ihre Großmachtambitionen auf der Weltbühne aggressiver zu vertreten.

Zu diesem Zweck hat Modi Indien in einen regelrechten Frontstaat in Washingtons militärisch-strategischer Offensive gegen China verwandelt. Er rechnete damit, dass Indien mit den strategischen Gefälligkeiten, die es im Gegenzug dafür von den USA erhalten wird, die „Spielregeln“ im Umgang mit Pakistan ändern und sich zur regionalen Hegemonialmacht Südasiens aufschwingen kann.

Im August präsentierte Modi eine Strategie für eine neue harte Linie gegen Pakistan und kündigte an, Neu-Delhi werde sich diplomatisch dafür einsetzen, das Land zum „staatlichen Terrorfinanzierer“ zu erklären. Außerdem deutete er an, Indien werde den nationalistisch-separatistischen Aufstand in Belutschistan unterstützen und damit Pakistans Zerstückelung fördern.

Ende September beendete die BJP-Regierung die seit langem betriebene Politik Indiens, seine Militäroperationen in Pakistan nicht öffentlich bekanntzugeben. Der Grund für diese Politik war die Furcht, dass andernfalls eine Dynamik entstehen könnte, bei der beide Seiten Angriffe und Gegenangriffe durchführen, die schnell in einen offenen Krieg ausarten könnten.

Seither besteht Neu-Delhi darauf, dass es erst wieder auf höchster Ebene Kontakte mit Islamabad aufnehmen werde, wenn Pakistan den „grenzübergreifenden“ Terrorismus als wichtigstes Problem der indisch-pakistanischen Beziehungen anerkennt und verhindert, dass der Aufstand in Kaschmir logistische Unterstützung vom pakistanischem Staatsgebiet aus erhält.

Modi und seine BJP wurden in dieser harten Haltung durch die Unterstützung Washingtons für den illegalen und hoch provokanten Angriff in Pakistan am 28. und 29. September bestätigt. Die Obama-Regierung hat zwar zur Vorsicht gemahnt, ist aber bestrebt, Neu-Delhi zu zeigen, dass es Gegenleistungen für Indiens Einbindung in Washingtons gegen China gerichteten „Pivot to Asia“ erwarten kann. Daher sind die USA bereit, Indien mehr Freiraum im Umgang mit Pakistan zu lassen.

Indien hat außerdem bemerkt, dass der designierte US-Präsident Donald Trump Indien immer wieder als einen von Washingtons wichtigsten strategischen Partnern anerkennt und Pakistan vorwirft, es verhalte sich nicht wie ein Verbündeter der USA. Neu-Delhi hofft, noch mehr Druck auf Islamabad ausüben zu können, wenn Trump sein Amt antritt.

Pakistan ist derweil von seiner strategischen Isolation erschüttert. Nach dem Anschlag in Uri konnte Indien die meisten anderen Staaten der Region für einen Boykott der Südasiatischen Vereinigung für regionale Kooperation (SAARC) gewinnen, die letzten Monat in Pakistan stattfand. Islamabads Forderung nach internationaler Kritik an Indiens illegalen „chirurgischen Präzisionsschlägen“ stieß auf taube Ohren.

Um die Krise zu entschärfen, gab Islamabad bekannt, dass Premierminister Nawaz Sharifs wichtigster außenpolitischer Berater, Sartaj Aziz, am 3. und 4. Dezember nach Indien reisen wird. Am Rande der Heart of Asia (HoA)-Konferenz über das Thema Afghanistan, die an diesen beiden Tagen stattfindet, soll er für „umfassenden und bedingungslosen Dialog“ mit indischen Regierungsvertretern zur Verfügung stehen.

Indien hat jedoch weder für Aziz' Teilnahme an der HoA-Konferenz, die in Amritsar nur zwanzig Kilometer von der pakistanischen Grenze entfernt stattfindet, noch für Islamabads Einladung zu Verhandlungen die geringste Begeisterung gezeigt. Am 29. November zitierte die Times of India anonyme indische Regierungsvertreter mit der Aussage, Pakistans Angebot eines Dialogs sei angesichts der anhaltenden Terroranschläge von ihrer Seite der Grenze aus bedeutungslos.

Die langwierige und gewaltsame Konfrontation entlang der Grenze und die kriegslüsternen Erklärungen der Modi-Regierung, u.a. die Forderung von Verteidigungsminister Parrikar, einen atomaren Erstschlag nicht auszuschließen, lassen einige Teile der etablierten Medien jedoch innehalten.

Am 24. November schrieb die Zeitung The Hindu aus Chennai in einem Leitartikel mit dem Titel „Rettet den Waffenstillstand“, Indien und Pakistan müssten „aufpassen, dass der Kreislauf der Vergeltung nicht außer Kontrolle gerät“ und „müssen auf der Hut sein vor Abenteurertum.“ Weiter forderte sie Neu-Delhi zu sofortigen Schritten zur Wiederaufnahme des Dialogs mit Pakistan auf. Die Zeitung erklärte: „Angesichts von Indiens Status in der Region und Premierminister Narendra Modis unangefochtener Kontrolle über die politische Macht liegt es an ihm, Schritte zur Wiederherstellung des Waffenstillstands zu unternehmen, der mehr als zehn Jahre gut funktioniert hat.“

Die Economic Times ging am 25. November in einem Leitartikel mit dem Titel „Gleitet nicht in einen Krieg ab, den keiner will“ ausdrücklich auf die Möglichkeit ein, dass die „hochriskante Strategie“ „begrenzter Konfrontation“ mit dem Ziel, Kriegsbegeisterung für politische Ziele zu missbrauchen, in einem Krieg zwischen den beiden südasiatischen Atommächten enden könnte.

Die Zeitung schrieb weiter: „Selbst wenn dabei keine Atomwaffen zum Einsatz kommen – und das ist angesichts der bevorzugten Denkweise der politischen Führungen in Indien und Pakistan nicht mehr auszuschließen – würde ein Krieg sehr viel Geld und Menschenleben kosten.“

Die beiden Leitartikel bilden zwar einen deutlichen Kontrast zu der kriegslüsternen Stimmung, die in einem Großteil der indischen Medien geschürt wird, doch beide unterschätzen, wie nahe Südasien vor einem Krieg steht. Zeitgleich mit der Kriegskrise zwischen Indien und Pakistan gab es auch eine deutliche Verschärfung der indisch-chinesischen Spannungen.

Peking ist über das Ausmaß von Indiens strategischer Annäherung an Washington beunruhigt. Beispielhaft hierfür ist die Ratifizierung eines Abkommens zwischen Neu-Delhi und Washington von Ende August, das amerikanischen Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen die routinemäßige Nutzung indischer Militärbasen und Häfen erlaubt. Indien ist verärgert, dass Peking zwar Islamabad zur Zurückhaltung drängt, seinem langjährigen Verbündeten aber in der derzeitigen Krise beigestanden hat und als Reaktion auf das aufkeimende indisch-amerikanische Bündnis seine Partnerschaft mit Pakistan verstärkt hat.

Diese Entwicklungen zeigen, dass der indisch-pakistanische Konflikt mit der zunehmenden Konfrontation zwischen dem US-Imperialismus und China verwoben ist. Damit werden beide noch gefährlicher und die Wahrscheinlichkeit wächst, dass die internationalen Großmächte in einen Krieg zwischen Indien und Pakistan einbezogen werden könnten.

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