Rot-Rot-Grün in Berlin – Müllers Sparsenat in neuer Verpackung

Gestern wurde die rot-rot-grüne Regierungskoalition in Berlin installiert. Die SPD, die am 18. September von vielen Berliner Arbeitern und Jugendlichen wegen ihrer unsozialen und undemokratischen Politik abgewählt wurde, steht erneut an der Spitze der Regierung. Lediglich die Koalitionsfarben haben sich von Rot-Schwarz zu Rot-Rot-Grün gewandelt.

Michael Müller (SPD) ist wieder Regierungschef. Auch die vier SPD-Senatoren der künftigen Regierung waren alle schon an der schwarz-roten Koalition beteiligt. So bleibt der Ex-Banker Matthias Kollatz-Ahnen Finanzsenator und wird seine Spardiktate fortsetzen, so bleibt auch Sandra Scheeres, deren Name für Schulmisere, Lehrermangel und überfüllte Kitas steht, Bildungssenatorin. Der bisherige SPD-Verkehrssenator Andreas Geisel übernimmt den Innensenat, die bisherige Arbeitssenatorin Dilek Kolat das Ressort Gesundheit.

Die SPD hält damit die Zügel fest in der Hand, was den Sicherheits- und Polizeiapparat sowie die Finanzen der Hauptstadt angeht, die nach wie vor 60 Milliarden Euro Schulden aufweisen. Kollatz-Ahnen hat während der Koalitionsverhandlungen bereits klargemacht, dass der Haushalt weiterhin dem Stabilitätspakt verpflichtet ist. Sein Haushaltsziel lautet: Schuldenabbau.

Der rot-rot-grüne Postenschacher hatte allerdings keinen Spareffekt. Grüne und Linke verlangten angemessene Beteiligung an den Futtertrögen der Macht und sorgten dafür, dass statt bisher sieben nun zehn Senatoren – samt Staatssekretären und Büros – bezahlt werden. Bündnis 90/ Die Grünen erhalten drei Ressorts (Justiz, Wirtschaft und Verkehr), die Linke ebenfalls drei (Wohnen und Bauen, Arbeit und Soziales sowie Kultur).

Zwei Senatoren der Linken, Katrin Lompscher (Wohnen) und Elke Breitenbach (Arbeit und Soziales) gehörten bereits dem rot-roten Senat an – Lompscher als Gesundheitssenatorin, Breitenbach als persönliche Referentin der PDS-Sozialsenatorin Knake-Werner. Sie sind jetzt für Schlüsselbereiche verantwortlich, die brennende Probleme der Berliner Bevölkerung betreffen und in denen es in den vergangenen Monaten zu vielen Protesten gekommen war. Klaus Lederer, der bisherige Landesvorsitzende der Linken, wird als Kultursenator die seit Jahren anhaltende Kürzungsorgie im Kulturbereich nicht stoppen, sondern sich um seine Lieblingsklientel in der Kulturschickeria kümmern.

Zum zweiten Mal seit dem Fall der Mauer und der deutschen Wiedervereinigung tritt die Linke (vormals PDS) in die Berliner Landesregierung ein. Ende 2001 war sie auf einer Protestwelle gegen den Bankenskandal in die Regierung gelangt. Sie bewies in zehn Jahren Regierungszeit, dass sie eine verlässliche bürgerliche, prokapitalistische Partei ist. Für die breite Masse der Berliner Bevölkerung bedeutete der rot-rote Senat von Wowereit einen massiven Sozialkahlschlag. Nach zehn Regierungsjahren verlor die Linke die Hälfte ihrer Wähler und der rot-rote Senat wurde krachend abgewählt.

Mit ihrer neuen Regierungsbeteiligung knüpft die Linke an diese reaktionäre Politik an, doch aufgrund der verschärften Wirtschaftskrise wird Rot-Rot-Grün noch schärfere soziale Angriffe durchführen. Arbeiterfamilien und Jugendliche müssen sich auf eine sehr rechte Regierung gefasst machen, die mit harter Hand gegen Widerstand in der Bevölkerung durchgreifen wird.

Das Mitte November beschlossene Regierungsprogramm enthält viele Nebelkerzen, die von den Medien und von pseudolinken Gruppen als „soziale Reformen“ gepriesen werden – mehr Wohnungen, ein paar Almosen für Flüchtlinge und Hartz-IV-Empfänger, bessere Radwege usw. Doch all das steht unter Finanzierungsvorbehalt und dient als Feigenblatt.

Der Charakter der neuen Berliner Regierung wird durch die rapide Verschärfung der internationalen und europäischen Krise, die immer aggressivere Außenpolitik des deutschen Imperialismus und die systematische innere Aufrüstung des Polizei- und Geheimdienstapparats bestimmt, mit der sich die herrschende Klasse auf kommende revolutionäre Erschütterungen vorbereitet.

Die neue Landesregierung übernimmt dabei die Rolle, Berlin zur Hauptstadt von Militarismus, Kriegspropaganda und Polizeistaat zu machen und jede Opposition von Arbeitern und Jugendlichen zu unterdrücken. Dies machen auch zwei, wie es heißt, „überraschende Personalien“ deutlich. Die stellvertretende Pressesprecherin von Außenminister Steinmeier, Sawsan Chebli, wechselt in die Senatskanzlei von Michael Müller und soll die Bundes- und Landesangelegenheiten „koordinieren“. Torsten Akmann, bisher Referatsleiter im Bundesinnenministerium und dessen Beauftragter im NSU-Untersuchungsausschuss, soll künftig als Staatssekretär für Innenpolitik im Berliner Innensenat tätig werden.

Für eine rechte und militaristische Agenda in Berlin bürgen nicht nur die Hartz-IV- und Kriegsparteien SPD und Grüne. Auch die Linke hat in den vergangenen Monaten signalisiert, dass mit ihr alle für den deutschen Imperialismus wichtigen Projekte vorangebracht werden können.

In der Frage der Außenpolitik haben mehrere Spitzenfunktionäre der Linken ihre Unterstützung für Auslandseinsätzen der Bundeswehr erklärt, unter anderen der vor wenigen Tagen zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahlen gekürte Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch. Sein Fraktionskollege Stefan Liebich unterstützte nach der US-Wahl von Donald Trump die Pläne einer europäischen Armee.

Die EU, die von Millionen Menschen in Europa als Instrument der Großkonzerne und Banken gehasst wird, verteidigen die Linken-Politiker Axel Troost und Harald Wolf in einer kürzlich verfassten „Streitschrift für eine andere Europäische Union“ vehement.

Auch in der Frage der Agenda 2010 und der Flüchtlingspolitik signalisierte die Linke, dass sie die offizielle Politik mit tragen wird. Bartsch findet „nicht alles schlecht“ an der Agenda 2010, Sahra Wagenknecht, ebenfalls Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, fordert eine restriktive Begrenzung der Flüchtlingszahlen.

Die Behauptung im Koalitionspapier, man wolle weniger Abschiebungen durchführen, soll Flüchtlingen und ihren Helfern Sand in die Augen streuen. In Wahrheit will die rot-rot-grüne Koalition die aktuell geplanten Massenabschiebungen verwirklichen, indem sie den Druck zur „freiwilligen Rückkehr“ erhöht.

Am deutlichsten zeigt sich der Charakter von Rot-Rot-Grün an der einmütigen Forderung von SPD, Grünen und Linken, die Polizei personell aufzustocken und mit modernsten Waffen und Straßenpanzern auszurüsten. Die etablierte Politik in Berlin, und dazu gehört längst auch die Linkspartei, rechnet mit wachsendem Widerstand gegen die Kriegspolitik und den sozialen Niedergang. Gerade in der Hauptstadt wird daher ein riesiger Unterdrückungsapparat aufgebaut.

Die Linke wird eine besondere Rolle in der Koalition übernehmen. Ihr Führungskader besteht aus Zynikern, die mit linken Phrasen rechte Politik durchsetzen. Mit radikalem Wortgeklingel versucht die Linkspartei, sich an die Spitze von Protestbewegungen zu stellen, nutzt dabei ihr Netzwerk in den Gewerkschaften, Kiez-Initiativen und sozialen Vereinen und bemüht sich, jede wirkliche Bewegung von unten in die offizielle Politik zu integrieren und abzuwürgen.

Die Linke in Berlin rekrutiert sich zum größten Teil aus der PDS und der ehemaligen DDR-Staatspartei SED und reagiert besonders empfindlich auf sozialen und politischen Widerstand gegen die herrschende Elite. Schließlich war es die SED/PDS, die Anfang der 90er Jahre für einen reibungslosen Ablauf der kapitalistischen Restauration in der DDR gesorgt hatte.

Sie war weder zurzeit der DDR noch danach dem Sozialismus, wie fälschlicherweise behauptet, sondern immer dem Stalinismus verpflichtet, der jeder unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse mit Feindschaft begegnet. Viele Berliner Linken-Politiker, die jetzt im Senat und auf verschiedenen Eben der Landespolitik den Ton angeben, kommen aus dieser stalinistischen Tradition.

Allerdings ist die Zeit des rot-roten Senats mit seiner unsozialen Politik noch gut in Erinnerung und die Linkspartei in weiten Teilen der Bevölkerung diskreditiert. Deshalb bemühen sich pseudolinke Strömungen wie Marx21 und SAV, der Partei ein linkes Mäntelchen umzuhängen.

Symptomatisch hierfür ist die Stellungnahme von Lucy Redler (SAV), die zugleich im Linken-Bundesvorstand sitzt, auf Zeit online: Die Linke dürfe „nicht Teil des Ein-Parteien-Kartells werden“, erklärte sie, weil dies „die AfD noch weiter stärken“ würde. Man müsse stattdessen „Druck von unten“ ausüben. Im nächsten Atemzug aber beteuert sie: „Ich bin dafür, dass die Linke regiert.“

Bezeichnenderweise schwärmen SAV und Marx21 von dem demokratischen US-Senator Bernie Sanders, der in den US-Vorwahlen 13 Millionen Stimmen bekam, weil er sich als Sozialist darstellte und von einem Kampf gegen Milliardäre an der Wall Street sprach. Im entscheidenden Moment rief er seine Anhänger auf, Hillary Clinton zu unterstützen und spricht jetzt sogar positiv über den halbfaschistischen Präsidenten Donald Trump. Diese Art politischer Verrat begeistert die Linkspartei.

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