Zahl der Wohnungslosen dramatisch gestiegen

Bei Eiseskälte und Minusgraden lässt eine Zahl aufhorchen: Immer mehr Menschen in Deutschland haben kein Dach über dem Kopf. Die Zahl der Wohnungslosen ist in vier Jahren bundesweit um mehr als ein Drittel gestiegen.

Wie die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage antwortete, hat die Zahl der Obdachlosen von 2010 bis 2014 um fast neunzigtausend Menschen zugenommen. Hatten 2010 noch 248.000 Menschen keine Wohnung, waren es 2014 schon 335.000. Neun Prozent der Wohnungslosen waren Kinder und minderjährige Jugendliche, deren Zahl 2014 fast 30.000 betrug. Der Frauenanteil lag bei 28 Prozent (86.000). Schätzungen zufolge könnte die Zahl der Menschen ohne Wohnung bis 2018, also bis in zwei Jahren, in Deutschland auf über eine halbe Million ansteigen.

Diese erschreckenden Zahlen, die heute zweifellos noch höher als 2014 liegen, sind vermutlich untertrieben, denn eine verlässliche Wohnungslosenstatistik gibt es in Deutschland nicht. Das Bundessozialministerium stützt sich bei Nachfragen auf Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W), einer Arbeitsgemeinschaft verschiedener sozialer Träger.

Die BAG W hat ihren Schätzungen eigene Umfragen und regionale Statistiken zugrunde gelegt, wobei sie Veränderungen am Wohnungs- und Arbeitsmarkt, bei der Zuwanderung und der Sozialhilfebedürftigkeit berücksichtigt. Als wohnungslos gelten Menschen, die auf der Straße leben oder die in staatlichen Wohnheimen, Notunterkünften und bei Verwandten unterkommen. Flüchtlinge ohne Asylberechtigung werden dabei noch gar nicht mitgerechnet.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft weist seit Jahren darauf hin, dass die Straßenobdachlosigkeit verhältnismäßig besonders stark ansteigt. Vor allem in den Städten Berlin, Köln, Hamburg, Frankfurt oder Leipzig leben zehntausende Menschen auf der Straße. Betroffen sind Menschen mit und ohne Pass. In Frankfurt am Main werden zurzeit über 2500 Wohnungslose registriert, ein Anstieg um dreißig Prozent seit 2008. Ähnlich ist der Anstieg in Köln, während Dresden einen Zuwachs von 53 Prozent und Hamburg sogar von siebzig Prozent verzeichnet.

Die Hauptursachen sind erstens die zunehmende Verarmung infolge der wachsenden Arbeitslosigkeit und des überhandnehmenden Niedriglohnbereichs. Eine vernünftig bezahlte, sichere Arbeit zu finden, wird immer schwieriger. Zweitens kommt der gesteigerte Wohnungsmangel hinzu, weil die Zahl der Sozialwohnungen ständig schrumpft. Jedes Jahr verlieren nach Angabe der BAG W bis zu 80.000 Wohnungen ihre Sozialbindung, und kaum jede vierte wird durch Neubauten ersetzt.

Kommunen, Länder und Bund vernachlässigen die Wohnungsfrage seit Jahren und verkaufen ihre Wohnungsbestände systematisch an private Investoren. Als Folge davon steigen die Mieten in den Ballungsgebieten stetig an. Laut Angabe der BAG W fehlen mindestens 2,7 Millionen bezahlbare Kleinwohnungen. Neugebaut werden vor allem Eigentumswohnungen und Eigenheime, die sich kaum ein Mensch mit Durchschnittseinkommen mehr leisten kann.

So wundert es nicht, dass die Obdachlosigkeit auch vor den vergleichsweise wohlhabenden Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg nicht Halt macht. Wie in Köln kommt auch in München mittlerweile auf zweihundert Einwohner ein Wohnungsloser. Laut einer Recherche von Spiegel Online kann sich in München selbst die Mittelschicht die Wohnungsmieten kaum noch leisten.

Ein älterer Spiegel-Artikel, „Wenn das Dach überm Kopf zum Luxus wird“, berichtet über ein „Rentnerpaar im zentrumsnahen Glockenbachviertel“: „Weil ihr Mietshaus einem Neubau weicht, mussten sie vor kurzem ihre Wohnung verlassen – nach beinahe fünf Jahrzehnten. Obwohl der Mann sein Leben lang bei einem Autobauer am Band geschuftet hatte und der alte Vermieter eine ordentliche Abfindung zahlte, fanden sie keine Ersatzwohnung.“ So oder auf ähnliche Weise laufen hunderttausende Mieter, die noch arbeiten, heute Gefahr, in die Obdachlosigkeit abzurutschen.

Die Wohnungslosigkeit gehört zu den schlimmsten Symptomen der kapitalistischen Krise. Das elementare Recht auf ein Dach über dem Kopf und einen geheizten Rückzugsraum im Winter ist nur noch zu verwirklichen, indem das Profitsystem abgeschafft wird. Erst wenn die arbeitende Bevölkerung die Kontrolle ausübt, werden die Ressourcen einer modernen Gesellschaft dazu verwendet, jedem Menschen das Recht auf ausreichenden, sauberen und bezahlbaren Wohnraum zu verschaffen.

Die etablierten Parteien benutzen diese Zahlen indessen, um die Arbeiterklasse zu spalten, die Wohnungssuchenden gegen Flüchtlinge und Einwanderer auszuspielen und die aktuellen Abschiebungen zu rechtfertigen. Vor allem die AfD hetzt gnadenlos gegen die Immigranten. An der Misere am Wohnungsmarkt sei die „Masseneinwanderung“ schuld, sagte AfD-Fraktionschef Heiner Merz im Landtag in Stuttgart.

Aber auch die Linkspartei, die die Anfrage nach der Anzahl der Wohnungslosen im Bundestag gestellt hat, ist von dieser rechten Hetze keineswegs frei. Wo sie mit in der Regierung sitzt, hat sie keine fortschrittliche Lösung für die Wohnungsfrage, sondern trägt wie in Berlin aktiv dazu bei, sozialen und genossenschaftlichen Wohnraum in privates Eigentum umzuwandeln.

Die Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht greift Kanzlerin Angela Merkel von rechts an, sie habe zu viele Flüchtlinge unkontrolliert ins Land gelassen. In einem langen Interview für Russia Today kritisierte Wagenknecht am 5. Dezember Merkels Flüchtlingspolitik als „wirklich fahrlässig“ und sagte: „Frau Merkel hat tatsächlich damals das Signal ausgesandt, dass wir sehr, sehr viele Menschen willkommen heißen, und das hat auch mit dazu beigetragen, dass sich so viele Menschen auf den Weg gemacht haben...“ Das habe die AfD stark gemacht. „Ich muss sagen, das ist einfach keine verantwortungsvolle Politik, die da gemacht wurde.“

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