Joschka Fischer ruft nach nationaler Aufrüstung

Wer wissen will, was in den tonangebenden politischen Kreisen Deutschlands gedacht wird, muss die Kolumnen Joschka Fischers lesen. Der ehemalige Sponti und Straßenkämpfer, der bei den Grünen politische Karriere machte und als Außenminister die ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr durchsetzte, zeichnete sich nie durch eine eigenständige Meinung aus. Er ist aber ein empfindliches Messinstrument für politische Trends. Er dreht seine Fahne nach dem vorherrschenden Wind, bevor andere diesen überhaupt wahrnehmen.

Fischer sprach lange für den Teil der deutschen Bourgeoisie, der eine starke Europäische Union und ein enges militärisches Bündnis mit den USA im Rahmen der Nato für unverzichtbar hält. Die Koalition von SPD und Grünen war 2003 nicht zuletzt deshalb vorzeitig auseinandergebrochen, weil Fischer das enge Verhältnis von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zum russischen Präsidenten Wladimir Putin ablehnte.

Umso bemerkenswerter ist, dass Fischer nun für eine „Sicherheitsoption auf der Grundlage des Nationalstaats“ eintritt und die Zukunft der Nato in Frage stellt. Er zieht aus einer möglichen Annäherung Moskaus und Washingtons unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump den Schluss, dass Deutschland militärisch massiv aufrüsten müsse – und zwar unabhängig von der EU, wenn auch möglichst in Zusammenarbeit mit Frankreich.

Am Montag veröffentlichte er in der Süddeutschen Zeitung eine „Außenansicht“ mit dem Titel: „Europas Agenda 2017: Eingezwängt zwischen den Präsidenten Trump und Putin kann die EU nicht weiter ‚Soft Power‘ bleiben.“ Darin bezeichnet er die Amtsübernahme Trumps am 20. Januar als „dramatische Zäsur“ für Europa, die die EU tiefgehend erschüttern werde. Er entwirft ein Szenario, in dem der russische Präsident Wladimir Putin und Trump versuchen, „die EU durch die Förderung nationalistischer Kräfte und Bewegungen in deren Mitgliedstaaten zu destabilisieren“.

Noch weiterreichende Konsequenzen für die EU, so Fischer, habe „die Ankündigung des neuen amerikanischen Präsidenten, die amerikanische Sicherheitsgarantie für Europa überprüfen und das Verhältnis der USA zu Russland auf eine neue Grundlage zu stellen“. Gehe diese „zulasten der Nato, würde dies die Sicherheitslage für Europa radikal verändern“.

Fischer rät zwar, das Erreichte bei der Nato und der EU „so weit wie möglich zu bewahren“, fährt dann aber fort: „Zugleich sollte sich die EU aber eine zweite Sicherheitsoption auf der Grundlage der Nationalstaaten eröffnen. Denn dies wird nach Lage der Dinge die auf Soft Power gegründete EU nicht können, da sie für eine solche machtpolitische Herausforderung weder vorbereitet noch konstruiert wurde.“

Als Grüner kleidet Fischer seinen Ruf nach militärischer Aufrüstung in Phrasen über den Erhalt des Friedens. Wenn Europa „eine dauerhafte Friedensordnung“ wolle, dann müsse „es vor allem ernst genommen werden“, schreibt er. Dies sei „gegenwärtig eindeutig nicht der Fall“. Deshalb werde Europa „in der Ära Trump, jenseits der amerikanischen Sicherheitsgarantie, seine eigenen [militärischen] Fähigkeiten wesentlich stärken müssen“.

Fischer schlägt dafür eine gemeinsame Anstrengung Frankreichs und Deutschlands vor: „Andere Länder, wie etwa Italien, Benelux, Spanien oder Polen sollten dabei nicht ausgeschlossen werden, aber Frankreich und Deutschland sind unverzichtbar.“ Er muss aber auch eingestehen, dass viele Diplomaten die Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich in Militärfragen für unüberbrückbar halten. Er hofft zwar, dass Berlin und Paris unter dem Druck von Trump und Putin einen Kompromiss finden, aber letztlich läuft sein Vorschlag auf eine massive Stärkung vor allem des deutschen Militarismus hinaus.

Dass Fischer damit nicht allein steht, zeigt unter anderem die deutsche Reaktion auf die amerikanischen Hacker-Vorwürfe gegen Russland. Obwohl die US-Geheimdienste bisher keinen einzigen faktischen Beweis für ihre Anschuldigung vorgelegt haben, die russische Regierung habe die US-Wahlen beeinflusst, wird sie von den deutschen Medien als unbestreitbare Tatsache hingestellt. Die anti-russische Hysterie nimmt auch hier groteske Züge an. Die Ausgabe der Süddeutschen Zeitung mit Fischers Außenansicht trägt bezeichnenderweise die Schlagzeile: „Berlin fürchtet russische Hackerangriffe“.

In der herrschenden Klasse der USA tobt derzeit ein heftiger Streit über die zukünftige Außenpolitik. Während der scheidende Präsident Obama und Teile des Sicherheitsapparats die Konfrontation mit Russland zuspitzen wollen, betrachten Trump und seine Anhänger China als vorrangigen Gegner.

Die deutschen Medien haben sich in diesem Konflikt weitgehend auf die Seite des Obama-Lagers gestellt. Hatten einige während des Ukrainekonflikts mit Rücksicht auf deutsche Wirtschaftsinteressen noch vor einer Zuspitzung der Konfrontation mit Russland gewarnt, fürchten sie nun, eine Annäherung Washingtons und Moskaus werde auf Kosten der Europäischen Union und vor allem Deutschlands erfolgen.

Sie reagieren darauf, indem sie die Kampagne für die Wiederbelebung des deutschen Militarismus verstärken, die bereits vor drei Jahren begonnen hat, als Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen das „Ende der militärischen Zurückhaltung“ verkündeten. Die Rückkehr des Militarismus geht einher mit einer massiven Aufrüstung des Polizei- und Überwachungsapparats, um jede soziale und politische Opposition zu unterdrücken. Die Grünen spielen bei beidem eine führende Rolle.

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