Perspektive

Trump und die Krise der Europäischen Union

Im März finden in Rom die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestags der Römischen Verträge statt, die den Grundstein zur heutigen Europäische Union legten. Sie erinnern an die Jubiläumsfeiern zum 40-jährigen Bestehen der DDR, die im Oktober 1989 mit großem Pomp in Ostberlin veranstaltet wurden. Wenige Wochen später brach die DDR zusammen. Auch die Europäische Union befindet sich in einer tödlichen Krise. Sämtliche Spannungen, Konflikte und Widersprüche, die die Römischen Verträge eigentlich für immer überwinden sollten, brechen wieder auf.

Die heftigen Angriffe von US-Präsident Donald Trump auf die EU – seine Drohung, europäische Exporte mit Strafzöllen zu belegen, seine Andeutung, er könnte sich auf Kosten Europas mit Russland einigen, und die engen Verbindungen seines Chefstrategen Stephen Bannon zu europäischen Rechtsextremen – haben deutlich gemacht, dass die EU nicht länger auf die Unterstützung der USA bauen kann, die stets eine Grundvoraussetzung ihrer Existenz war.

Die WSWS hatte bereits 2003 anlässlich des Irakkriegs darauf hingewiesen, dass das Nachkriegsbündnis zwischen den USA und Westeuropa „im Grunde eine Abweichung von der historischen Norm“ war. „Die eigentliche Tendenz des amerikanischen Kapitalismus, die aus seinem etwas verspäteten Aufstieg zu einer starken imperialistischen Macht herrührt, bestand seit jeher darin, seinen weltpolitischen Einfluss auf Kosten Europas zu steigern,“ schrieb David North damals. Das betätigt sich nun. Trump zieht lediglich radikale Schlüsse aus einer Entwicklung, die sich seit langem abgezeichnet hat.

Die Spannungen sind derart scharf, dass Washington Deutschland immer häufiger als wirtschaftlichen Gegner bezeichnet. Der Vorsitzende von Donald Trumps Nationalem Handelsrat, Peter Navarro, ging so weit, Berlin der Währungsmanipulation zu bezichtigen. Er behauptete, der Euro sei „krass unterbewertet“ und eine „implizite Deutsche Mark“, deren niedriger Kurs Deutschland einen Vorteil gegenüber seinen wichtigsten Handelspartnern verschaffe.

Bundesbankchef Jens Weidmann keilte zurück, der Vorwurf sei „mehr als abwegig“. Deutsche Unternehmen seien erfolgreich, „weil sie hervorragend auf den Weltmärkten positioniert sind und mit innovativen Produkten überzeugen“.

Berlin reagiert auf die Drohungen aus Washington, indem es wirtschaftliche und militärische Gegenmaßnahmen ergreift und sich bemüht, Europa unter seiner Hegemonie zusammenzuschließen.

Die Zeit berichtet unter der Überschrift „Gegenangriff“, die EU habe begonnen, „sich auf einen Handelskrieg gegen die USA vorzubereiten“. Sie plane, „auf Strafzölle der Amerikaner mit Vergeltungsmaßnahmen zu reagieren“, und bemühe sich um Freihandelsabkommen mit Mexiko und mehreren asiatischen Staaten: „Wo sich die Amerikaner abschotten, sollen sich stattdessen die Europäer öffnen.“

Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze rechnet in derselben Ausgabe der Zeit vor, dass Deutschland „durchaus in der Lage [wäre], sich, notfalls auch allein, strategisch unabhängig zu machen“. „Russlands Militärausgaben belaufen sich auf 75 bis 95 Milliarden Euro“, schreibt er, „das ist weniger als das, was Deutschland ausgeben würde, hätte es das Niveau von 1988 (circa 2,8 bis drei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt) beibehalten“. Tooze unterschlägt dabei, dass Russland über das zweitgrößte Atomwaffenarsenal der Welt verfügt.

Berlin versucht die Drohungen aus Washington und die Möglichkeit einer amerikanisch-russischen Annäherung gezielt zu nutzen, um Europa (oder ein Kerneuropa) unter seiner Vorherrschaft zusammenzuschweißen. In deutschen Medien wird seit langem diskutiert, man dürfe den Brexit und die Bedrohung durch Trump nicht nur als Gefahr, sondern auch als Chance begreifen.

Der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck erklärte in einer Rede zum 25. Jubiläum des Vertrags von Maastricht: „Es ist an der Zeit, dass die europäischen Staaten und besonders auch Deutschland, die sich lange unter dem Schild der amerikanischen Führungsmacht eingerichtet hatten, selbstbewusster und selbstständiger werden.“ Mit der zynischen Begründung: „Wir dürfen die Werte, auf denen das europäische Projekt beruht, nicht preisgeben“, rief er dazu auf, die „Verteidigungsbereitschaft zu erhöhen“.

Deutschlands Bemühen, sich sieben Jahrzehnte nach seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg wieder zur europäischen Vormacht aufzuschwingen, ruft scharfe Reaktionen hervor und gibt rechten, nationalistischen Kräften Auftrieb.

In den meisten europäischen Ländern ist die herrschende Klasse über diese Frage gespalten. In Frankreich spielt sie eine zentrale Rolle im Präsidentenwahlkampf. Während die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen den Austritt Frankreichs aus der EU fordert und sich an Trump und Putin orientiert, vertritt ihr möglicher Gegner in der Stichwahl, Emmanuel Macron, einen betont Deutschland- und EU-freundlichen Kurs.

Trump ist nicht die Ursache der Krise der EU. Er hat sie nur verschärft. Bereits bevor er zum amerikanischen Präsidenten gewählt wurde, befand sich die EU in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Brexit, Eurokrise, Staatsverschuldung, Flüchtlinge, Spannungen zwischen Osten und Westen, Norden und Süden sowie der Aufstieg rechter, chauvinistischer Parteien drohten sie zu sprengen.

Unter der Oberfläche schwelen explosive soziale Spannungen. Jeder zehnte Einwohner Europas ist offiziell arbeitslos, jeder vierte – das sind 188 Millionen – von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. In den ärmsten Ländern Osteuropas liegt der monatliche Durchschnittslohn bei 400 Euro, und auch in den reicheren Ländern arbeiten Millionen in prekären Verhältnissen am Rande des Existenzminimums.

Die herrschende Klasse hat auf diese Krise nur eine Antwort: Militarismus, Staatsaufrüstung, Abschottung der Grenzen und mehr Austerität. Die europäische Arbeiterklasse steht vor einer doppelten Gefahr, die sich bei näherem Hinsehen als zwei Seiten einer Medaille erweist: Der Verwandlung der EU aus einer Wirtschafts- in eine Militärunion, die – wie in Frankreich, wo seit 15 Monaten Ausnahmezustand herrscht – auch im Innern aufrüstet, um sozialen und politischen Dissens zu unterdrücken; und der Zersplitterung Europas in Nationalstaaten unter rechten, autoritären Regimen. Beides bedeutet den Rückfall in Krieg und Barbarei.

Die weltweite Krise des Kapitalismus, die im Aufstieg Trumps und dem Niedergang der EU ihren schärfsten Ausdruck findet, schafft aber auch die objektiven Voraussetzungen für eine Offensive der Arbeiterklasse. Sie ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die eine Wiederholung der Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts verhindern kann.

Die Vereinigung Europas auf einer fortschrittlichen Grundlage ist nur in Form Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa möglich. Um erfolgreich gegen Krieg, Nationalismus und soziale Ungleichheit zu kämpfen, braucht die Arbeiterklasse eine unabhängige revolutionäre Führung, die auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive allen Vertretern der herrschenden Klasse entgegentritt. Diese Führung ist das Internationale Komitee der Vierten Internationale.

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