Niederlande: Grün-Linke liebäugeln mit Regierungsbeteiligung

Nach den Parlamentswahlen in den Niederlanden mehren sich die Stimmen, die eine Regierungsbeteiligung der Grün-Linken (Groen-Links) fordern. So schreibt De Volkskrant, dass die rechtsliberale VVD von Ministerpräsident Mark Rutte und der konservative Christdemokratische Appell (CDA), „um dem Wahlergebnis gerecht zu werden, nicht umhin kommen, die Grün-Linken einzubinden, die mit ihrer klaren anti-populistischen Haltung ein Rekordwahlergebnis erzielten“.

Auch der Parteichef der Grün-Linken, der dreißigjährige Jesse Klaver, liebäugelt damit, seine Partei erstmals in eine Regierungskoalition zu führen. Gegenüber dem Telegraaf erklärte Klaver, seine Partei sei nun so groß, dass es „seine Verantwortung sei, zu sehen, ob man regieren könne“. Eine Koalition mit der VVD sei zwar „schwierig“, aber Klaver wolle sie auch nicht ausschließen. Allerdings würde er eine Koalition mit „grünen und linken Parteien und zusammen mit unseren christlichen Freunden vorziehen“.

Die angestrebte Einbindung der Grün-Linken in die Regierung ist insofern bemerkenswert, als die Partei zwar zehn Sitze im Parlament hinzugewinnen konnte und nun 14 Abgeordnete stellt, aber mit 8,9 Prozent der abgegebenen Stimmen noch hinter der Sozialistischen Partei (SP) lediglich auf Platz sechs landete. In Umfragen war ihr zuvor zugetraut worden, drittstärkste Kraft im Parlament zu werden.

Der Medienhype, der um den Wahlerfolg der Grün-Linken und ihren Vorsitzenden Jesse Klaver gemacht wird, liegt vor allem darin begründet, dass sie als angeblich unverbrauchtes, frisches und „linkes“ Gesicht in Parlament und Regierung den massiven Rechtsruck aller Parteien in den Niederlanden kaschieren soll. Den Grün-Linken fiele in einer neuen Regierung die Aufgabe zu, die Opposition gegen ein rechtes Regierungsprogramm zu unterdrücken und das Aufkommen einer unabhängigen sozialistischen Bewegung zu verhindern.

Tatsächlich beruht der Stimmenzuwachs der Grün-Linken darauf, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung die extrem nationalistischen und ausländerfeindlichen Kampagnen aller etablierten Parteien als zutiefst abstoßend empfunden hat. Mit einem weltoffenen Programm und kritischen Bemerkungen über die wachsende soziale Ungleichheit konnte die Partei in Großstädten wie Amsterdam und Utrecht und unter jungen Wählern punkten.

Entstanden sind die Grün-Linken 1990 aus einer gemeinsamen Liste von vier kleinen Parteien, die für sich kaum noch Aussichten hatten, dauerhaft Parlamentsmandate zu gewinnen. Allerdings dauerte es über ein Jahr, ehe sich die Vertreter der stalinistischen Kommunistischen Partei der Niederlande (CPN), der Pazifistisch Sozialistischen Partei (PSP), die sich zwischen den Stalinisten und den Sozialdemokraten ansiedelte, der christlich-progressiven Evangelischen Volkspartei (EVP) und der linkskatholischen Politischen Partei der Radikalen (PPR) auf ein gemeinsames Manifest einigen konnten.

Es war dann der erste Golfkrieg der USA gegen den Irak, den die junge Partei als einzige in den Niederlanden ablehnte und der ihr damit den Pazifismus als gemeinsamen Nenner bescherte. Hinzu kamen als Bindemittel die Ablehnung der Kernkraft und allgemeine Umweltschutzfragen. Zum Parteiführer stieg 1994 Paul Rosenmüller auf, der als Hafenarbeiter und Gewerkschafter in Rotterdam tätig war. Rosenmüller war zwischen 1976 und 1982 Mitglied der maoistischen Gruppe der Marxisten-Leninisten / Roter Morgen und einer der Wortführer beim Streik der Rotterdamer Hafenarbeiter 1979. Rosenmüller zog sich 2002 zurück, nachdem seine Familie Morddrohungen erhalten hatte.

Das Programm der Grün-Linken wird heute von ihrem jungen Vorsitzenden Jesse Faras Klaver verkörpert, der als Kind einer indonesischen Mutter und eines marokkanischen Vaters in einer Sozialwohnung in der Provinz Brabant aufwuchs. Der rhetorisch geschulte Klaver wurde von den Medien regelrecht als Popstar aufgebaut, wegen seiner Initialen in Anspielung auf den ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy als „JFK“ bezeichnet und abwechselnd mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau und dem amerikanischen Senator Bernie Sanders verglichen.

Klaver selbst sieht seine Kampagne jedoch angelehnt an den Wahlkampf seines Idols Barack Obama. Bei seinen als „MeetUps“ bezeichneten Wahlkampfauftritten in großen Konzerthallen vor tausenden Anhängern bildete die soziale Ungleichheit und Armut ein zentrales Thema. In seiner Standardrede warf Klaver den anderen Parteien vor, „wir hören von ihnen kein Wort über die Ungleichheit, die Unsicherheit der Menschen mit befristeten Arbeitsverhältnissen oder den Klimawandel“.

Dabei nimmt Klaver selbst Begriffe wie Umverteilung oder Vermögenssteuer nicht in den Mund. Das herrschende kapitalistische System will er nicht antasten, die soziale Ungleichheit soll durch ein paar kosmetische Korrekturen bei den sozialen Leistungen und eine höhere Besteuerung von global operierenden Konzernen allenfalls etwas gedämpft werden. Klaver redet dabei immer nur von einem „fairen Miteinander“, von „Mitgefühl“, „Empathie“ und „Toleranz“ als traditionelle niederländische Werte, auf die sich Gesellschaft und Politik rückbesinnen sollten.

Im Wahlprogramm der Grünen findet sich weder die Forderung, das Renteneintrittsalter von 67 Jahren wieder zu senken, noch Sozialleistungen zu erhöhen. Wohlfahrtsstaatliche Leistungen, die die Arbeiter sich über Jahrzehnte erkämpft haben, sollen nicht verteidigt, sondern ersetzt werden durch einen „aktivierenden Sozialstaat“, der sich vor allem um Ausgeschlossene – Langzeitarbeitslose, Menschen ohne Schul- oder Berufsbildung – kümmern soll. Arbeitslose sollen in öffentlichen Beschäftigungsprogrammen für den Mindestlohn arbeiten. Volle Rentenleistungen sollen erst nach 45 Jahren Beschäftigung ausgezahlt werden.

Die Grün-Linken treten zwar für eine großzügigere Aufnahme von Flüchtlingen ein, wollen aber gleichzeitig Bürgerkriegsflüchtlinge in der Nähe ihrer Herkunftsländer festhalten, indem die dortigen Lager besser ausgestattet werden. Sie verteidigen vehement die Europäische Union und traten schon 2005 für die Annahme der EU-Verfassung ein, die bei einem Referendum in den Niederlanden mit großer Mehrheit abgelehnt wurde.

Die Nato soll nach den Vorstellungen der Grün-Linken in eine europäische Verteidigungsarmee umgebaut werden und unter dem Mandat der Vereinten Nationen weltweit an Kriegseinsätzen beteiligt werden. In der Innenpolitik soll die Polizei materiell und personell aufgerüstet werden, um der Terrorgefahr und der Kriminalität zu begegnen.

Das Wahlprogramm der Grün-Linken unterscheidet sich damit nur unwesentlich von dem der anderen Parteien. Und auch Klaver ist weit davon entfernt, ein „linker“ Führer einer Bewegung zu sein. Bevor er 2010 für die Grün-Linken in das niederländische Parlament einzog, war er Vorsitzender des Jugendverbandes des rechten christlich nationalen Gewerkschaftsverbandes CNV. Der CNV war 1909 als direkte Reaktion gegen den damals noch sozialistisch ausgerichteten Gewerkschaftsverband NVV gegründet worden und lehnte von Anfang an Streiks als Kampfmittel der Arbeiter ab. An die Stelle des Klassenkampfes setzte der CNV immer auf ein korporatistisches System der Sozialpartnerschaft.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der CNV in den Sozial-ökonomischen Rat aus Vertretern von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Wissenschaftlern einbezogen, der die Regierung in allen wichtigen Fragen berät. Bereits 2009 wurde der Politologe Klaver Mitglied in diesem Rat.

Die Grün-Linken sind auch keineswegs unverbraucht und frisch, sondern haben auch ohne Regierungsbeteiligung in ihrer 27-jährigen Geschichte ihren eigenen „Marsch durch die Institutionen“ vollzogen und sich dabei stetig nach rechts hin zu einer bürgerlichen, liberalen Partei entwickelt. So war Klavers Vorgänger als Fraktions- und Parteivorsitzender, Bram van Oijk, in mehreren Ministerien angestellt und als niederländischer Botschafter in Benin tätig.

Die Sozialwissenschaftlerin Femke Halsema, die die Partei von 2002 bis 2010 führte, beriet zuvor das Kabinett des Christdemokraten Jan-Pieter Balkenende. Halsema brachte die Grün-Linken ideologisch auf einen wirtschaftsliberalen Kurs und etablierte sie als sozialreformerische Partei. Halsema wurde dafür 2006 von der Jugendorganisation der rechtsliberalen VVD mit dem Titel „Liberale des Jahres“ geehrt.

Kämpfe innerhalb der Partei entzündeten sich vor allem um die Frage der Kriegsbeteiligung. Die erbärmliche Verlogenheit der Grün-Linken zeigte sich 1999 an der Beteiligung am Kosovo-Krieg. Während die Fraktion in der wichtigen Zweiten Kammer für eine Beteiligung stimmte und damit den deutschen Grünen beisprang, lehnte die Fraktion im unwichtigeren Senat die Beteiligung ab. Als Kompromiss einigten sich die Grün-Linken dann darauf, dass sie dem Krieg zustimmen, solange ausschließlich militärische Ziele angegriffen werden.

2001 wiederholte sich dieses Spiel bei der Frage der Beteiligung am Afghanistankrieg, wo die Parlamentsfraktion abermals einem Kriegseinsatz der niederländischen Armee zustimmen wollte.

Mit dem Rücktritt von Femke Halsema 2010 und nach schweren Wahlniederlagen entbrannte dann innerhalb der Partei, die zunehmend als elitär und wirtschaftsliberal wahrgenommen wurde, eine Debatte über die sozialpolitische Ausrichtung. Sie mündete in kleinere Korrekturen am Parteiprogramm, das nun der Bekämpfung der sozialen Ungleichheit ein wenig mehr Gewicht verleiht und der Partei als „linker“ Deckmantel dient.

Von Anfang an wurde die aus ehemaligen stalinistischen und maoistischen Kadern sowie friedensbewegten Christen gebildete Partei als Stütze des kapitalistischen Systems aufgebaut. Ihre mehr als 27.000 Mitglieder rekrutieren sich heute vor allem aus akademischen und Mittelschichten. Nicht zufällig schnitt Grün-Links in den Universitätsstädten Utrecht, Leiden, Den Haag und Amsterdam überdurchschnittlich gut ab. In Amsterdam wurde sie mit 19 Prozent der abgegebenen Stimmen sogar stärkste Kraft.

Die Grün-Linken versuchen, die weit verbreitete Stimmung gegen rechten Populismus, Nationalismus und ausländerfeindliche Hetze in die Irre zu führen, indem sie als Heilmittel eine Stärkung der Europäischen Union und der Vereinten Nationen propagieren und die Regierung auf Klimaschutzziele verpflichten wollen.

Dabei ist der Rechtsruck, den die Grün-Linken bei den etablierten Parteien anprangern, nicht als bloße Reaktion auf die rechte Demagogie eines Geert Wilders zurückzuführen, sondern Ausdruck der tiefen Krise der kapitalistischen Herrschaft. Denn während sich auf der einen Seite eine kleine Minderheit hemmungslos bereichert, wird die große Bevölkerungsmehrheit durch Kürzungen von Löhnen und Sozialleistungen in Armut und Verunsicherung gestoßen. Die dadurch entstandenen enormen sozialen Spannungen lassen sich immer weniger mit demokratischen Methoden überdecken. Die bürgerliche Herrschaft versucht sich daher mithilfe von Chauvinismus, Nationalismus und Polizeistaatsmaßnahmen zu retten.

Die staatstreuen Grün-Linken, die das kapitalistische System verteidigen, haben keine Antwort auf diese gesellschaftliche Krise und werden als Juniorpartner einer zukünftigen Regierung jede Regung der Bevölkerung gegen Sozialabbau, Ungleichheit, Nationalismus und Chauvinismus zu unterdrücken versuchen.

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