Bombardier: Arbeiter am Scheideweg

Viele Beschäftigte der Bombadier-Werke sind besorgt und wütend, denn es wird immer offensichtlicher, dass die IG Metall eine Hinhaltetaktik verfolgt, um einen ernsthaften Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu verhindern.

Anderthalb Jahre sind mittlerweile vergangen, seit die Bombardier-Konzernleitung eine neue Runde massiver Rationalisierungsmaßnahmen und den Abbau von mehreren Tausend Arbeitsplätzen angekündigt hat. Anfang letzten Jahres hieß es, 7000 Arbeitsplätze müssten weltweit abgebaut werden. Im Dezember wurde eine Reduzierung um weitere 7500 Jobs genannt. Schon im November 2015 war das Gerücht verbreitet worden, die Werke in Görlitz und Bautzen würden in den nächsten drei Jahren fusionieren, um die Produktionskosten drastisch zu senken. 2500 Stellen seien an den ostdeutschen Standorten Görlitz, Bautzen und Hennigsdorf akut gefährdet.

Die IG Metall und die Betriebsräte reagierten mit einer Mischung aus verbaler Drohkulisse und gleichzeitigem Angebot an die Geschäftsleitung, die vertrauensvolle Zusammenarbeit noch enger zu gestalten. Es folgten einige Aktions- und Protesttage, auf denen Jan Otto, der ostsächsische IGM-Vorsitzende, und Gesamtbetriebsratschef Michael Wobst radikale Reden hielten. Viele Arbeiter haben noch die Worte von Otto im Ohr, der im Februar letzten Jahres rief: „So nicht! Wenn es um den Abbau von Arbeitsplätzen geht, machen wir nicht mit. Wir greifen jetzt an.“

Was kam, ist bekannt. Im April 2016 legten IG Metall und Betriebsrat ihr so Konzept „Bombardier Fahrplan Zu(g)kunft“ vor. Auf knapp vier Seiten steht viel über Verbesserung der Fertigungskompetenz, Prozessoptimierung, Straffung der Produktions- und Managementstrukturen und Verbesserung der Führungs- und Planungskompetenz. Hinter diesen abgedroschenen Schlagworten aus dem Management-Handbuch verbirgt sich ein eigenes, von der Gewerkschaft ausgearbeitetes Rationalisierungsprogramm.

Wie die Konzernleitung fordert auch das Gewerkschaftspapier Rationalisierungsmaßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Das Gewerkschaftskonzept unterscheidet sich nur in zwei Punkten. Erstens verlangt es eine stärkere Berücksichtigung der deutschen Standorte und die „Erarbeitung einer Deutschlandstrategie“. Zweitens sollen alle Rationalisierungsmaßnahmen in enger Zusammenarbeit mit IG Metall und Betriebsrat vorbereitet und durchgeführt werden.

Auf einer turbulenten Betriebsversammlung im Januar stellten die Beschäftigten in Görlitz die IG-Metall-Funktionäre zur Rede und forderten Streikvorbereitung. Otto antwortet scharf und arrogant: „Die Kollegen, die meinen, sie müssten die IG Metall vor sich hertreiben und uns erklären, wir müssten sofort in den Streik gehen, die kann ich nur fragen, warum sie heute nicht hier sind.“ Dann warb er wieder für das „Zukunftskonzept“ der IGM und schlug vor, weiter zu verhandeln, mindestens bis Mai.

Unter starkem Beifall antwortete ein Arbeiter: „Wir in Görlitz waren letztes Jahr schon soweit, dass das Wasser überkocht, und hätten lieber heute als morgen vor dem Tor gestanden.“ Verhandlungen bis Mai „finde ich bald nicht mehr aushaltbar. Bis Mai ist die Geduld im Betrieb nicht da.“

Nun beginnt der Mai und die Bombardier-Arbeiter müssen eine Entscheidung treffen.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Hinhaltetaktik von Jan Otto & Co wird weiter hingenommen, dann beginnt ein massiver Arbeitsplatzabbau und die schrittweise Stilllegung mehrerer Werke. Das hat in den vergangenen Jahren bei Bombardier schon mehrfach stattgefunden. 2005 wurde das Werk in Halle-Ammendorf geschlossen und 2013 das Werk in Aachen, immer in enger Zusammenarbeit mit der IG Metall und begleitet von ein paar Protestaktionen. Am Ende tragen dann einige IGM-Funktionäre einen schwarzen Sarg durch die Stadt und jammern über die Verantwortungslosigkeit der Kapitaleigner.

Oder die Beschäftigten von Bombardier nehmen die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze selbst in die Hand und lassen sich nicht länger von Gewerkschaftsbürokraten und Betriebsräten bevormunden, die ein übles Doppelspiel treiben. Ein solcher Schritt ist jetzt dringend notwendig und erfordert ein klares Verständnis, warum sich die IG Metall, wie auch alle anderen Gewerkschaften, strikt weigert, einen prinzipiellen Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze an allen Standorten zu führen, und warum sie stattdessen als Co-Manager der Unternehmensleitung den Abbau der Arbeitsplätze – wie sie selbst sagt – „sozial gestaltet“.

„Sozial“ bedeutet hier, dass sie den Arbeitsplatzabbau so gestaltet, dass er möglichst reibungslos über die Runden geht und der Widerstand kontrolliert und unterdrückt werden kann.

Dabei sprechen die Gewerkschaftsfunktionäre mit gespaltener Zunge. Vor den Arbeitern wettern sie gegen das unverantwortliche und menschenverachtende Verhalten der Kapitalisten. Auf Sitzungen des Aufsichtsrats und bei Vorstandsgesprächen betonen sie ihr Verständnis für Rationalisierungsmaßnahmen und bekräftigen immer wieder, dass auch sie dafür sind, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu stärken.

Die Verwandlung der Gewerkschaften

Diese Rolle der Gewerkschaften ergibt sich direkt aus ihrer Unterordnung unter das kapitalistische Profitsystem. Ihre Verwandlung in Agenturen des Managements ist nicht nur ein Ergebnis der weit verbreiteten Korruption der Spitzenfunktionäre, sondern hat tiefe objektive Ursachen in den Veränderungen der kapitalistischen Wirtschaft.

Solange der Arbeitsmarkt und die Arbeitsbedingungen vorwiegend national geprägt waren, konnten die Gewerkschaften Druck ausüben, um höhere Löhne und soziale Verbesserungen durchzusetzen. Die Globalisierung der Produktion hat Bedingungen geschaffen, unter denen die uneingeschränkte, weltweite Konkurrenz vorherrscht. Nun üben die Gewerkschaften nicht mehr Druck auf das Management aus, um Verbesserungen für die Arbeiter zu erreichen, sondern sie erpressen die Arbeiter, um durch Lohnsenkung und Sozialabbau die Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen zu verbessern.

Das wurde erst vor wenigen Tagen wieder deutlich sichtbar, als die IG Metall mit dem zuständigen Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag über Leiharbeit abschloss, der die gesetzliche Beschränkung der Leiharbeit von 18 Monaten aushebelt und eine Erweiterung auf 48 Monate zulässt.

Im Namen der Wettbewerbsfähigkeit verlangen die Gewerkschaften von der Regierung Strafzölle und Handelskriegsmaßnahmen und spalten die Arbeiter, indem sie einen Standort gegen den anderen ausspielen. So werden die Gewerkschaften mehr und mehr zur Brutstätte von Nationalismus und borniertem Standort-Patriotismus. Als Anfang März der AfD erlaubt wurde, mit ihren Partei-Transparenten an den der gewerkschaftlichen Protestdemonstration in Görlitz teilzunehmen, war das kein Versehen, sondern ein deutliches Anzeichen für die rapide Rechtsentwicklung der Gewerkschaften.

Die Verteidigung der Arbeitsplätze erfordert daher einen bewussten Bruch mit diesem Gewerkschaftsnationalismus. Oder genauer gesagt: Die Arbeitsplätze können nicht mit, sondern nur gegen die bestehenden Gewerkschaften verteidigt werden.

Es ist notwendig, dass sich alle Arbeiter, die bereit sind, für die Verteidigung der Arbeitsplätze zu kämpfen, zusammenschließen und unabhängig von IG Metall und Betriebsrat organisieren, um geeignete Kampfmaßnahmen vorzubereiten.

Das erfordert eine politische Perspektive, die sich gegen den Kapitalismus richtet, das heißt eine sozialistische Perspektive. Die Bedürfnisse der Arbeiter und ihrer Familien müssen zum Ausgangspunkt gemacht werden. Sie stehen höher als die Profitinteressen der Wirtschaft.

Ein solch prinzipieller Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze an allen Standorten muss zum Ausgangspunkt für den Kampf für ein sozialistisches Programm gemacht werden. Wichtige internationale Unternehmen wie Bombardier und die Produktion im allgemeinen müssen der Kontrolle der Finanzaristokratie entrissen und in den Dienst der Gesellschaft als ganzer gestellt werden.

Nur im offenen Kampf gegen das kapitalistische System kann verhindert werden, dass eine privilegierte Elite ihre Macht nutzt, um Massenentlassungen, Betriebsstilllegungen und damit den Ruin ganzer Städte und Regionen durchzusetzen.

Vor allem erfordert das eine internationale Strategie. Es ist notwendig, mit Arbeitern an allen Standorten Kontakt aufzunehmen und eine Zusammenarbeit zu entwickeln. Bereits die ersten gemeinsamen Kampfmaßnahmen, die deutlich machen, dass sich die Beschäftigten von Bombardier nicht mehr von feigen und gekauften Gewerkschaftsbürokraten gängeln lassen, sondern ernsthaft für die prinzipielle Verteidigung ihrer Arbeitsplätze kämpfen, hätten Signalwirkung und würden von vielen Arbeitern begeistert begrüßt. In vielen Betrieben herrschen ähnlich Verhältnisse. Arbeiter werden entlassen oder erpresst, massive Verschlechterungen zu akzeptieren.

Darüber hinaus wäre ein solcher Kampf der Auftakt für eine politische Mobilisierung der Arbeiterklasse. In einer Situation, in der täglich neue Horrormeldungen über Kriegsvorbereitungen bekannt werden, ist das von großer Bedeutung. Denn wenn die Arbeiterklasse nicht in die politische Entwicklung eingreift, werden nicht nur Betriebe stillgelegt und Tausende in Armut und Not getrieben, auch die ständig wachsende Gefahr eines Dritten Weltkriegs kann nicht gestoppt werden.

Gerade in den drei Ost-Betrieben – Görlitz, Bautzen und Hennigsdorf – wächst gegenwärtig der Widerstand. Gerade hier, wo vor knapp drei Jahrzehnten Arbeiter schon einmal an einem politischen Umsturz beteiligt waren, ist es wichtig, die Initiative zu ergreifen und dem korrupten Gewerkschaftsapparat entgegenzutreten. Das erfordert auch politische Lehren zu ziehen.

28 Jahre sind seit dem Zusammenbruch der DDR und der Wiedervereinigung vergangen. Damals wurde die große Lüge des zwanzigsten Jahrhunderts, das stalinistische Regime sei mit Sozialismus gleichzusetzen, noch einmal mit großem Aufwand verbreitet. Sie diente als ideologischer Kitt der kapitalistischen Restauration und ebnete der Wiedereinführung kapitalistischer Ausbeutung unter dem Deckmantel von Freiheit und Demokratie den Weg. Die Auswirkungen sind bekannt.

Es gibt eine Partei, die schon damals konsequent für eine internationale sozialistische Perspektive gekämpft hat und sich auf die politischen Lehren der Vergangenheit stützt. Es ist die Sozialistische Gleichheitspartei. Wir rufen jeden Leser auf, mit der Redaktion der WSWS und der SGP Kontakt aufzunehmen.

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