Perspektive

Nach Selbstmordanschlag in Manchester: Britische Regierung holt Armee auf die Straßen

Die britische Regierung hat vorgestern die Terrorwarnstufe auf „kritisch“ und damit auf das höchste Niveau heraufgesetzt. Premierministerin Theresa May erklärte, es bestehe die unmittelbare Gefahr weiterer Anschläge. Am Montagabend hatte ein Selbstmordattentäter während eines Auftritts der Popsängerin Ariana Grande eine Bombe vor der Veranstaltungshalle Manchester Arena gezündet.

Nun werden bis zu 5000 Soldaten eingesetzt, um die Polizei im ganzen Land zu verstärken. May setzt damit die „Operation Temperer“ um, die bereits 2015 von David Cameron als Premierminister und ihr selbst als Innenministerin ausgearbeitet worden war. Der zunächst geheime Einsatzplan war an die Presse lanciert worden.

Die Parlamentswahlen am 8. Juni werden nun buchstäblich unter vorgehaltener Waffe stattfinden.

Der Anschlag in Manchester war ein furchtbares Verbrechen. Der Attentäter, der 22-jährige Salman Ramadan Abedi, hatte seine selbstgebaute Bombe mit Nägeln, Schrauben und Bolzen befüllt, um eine möglichst verheerende Wirkung zu erzielen. 22 Menschen wurden getötet und beinahe 120 zum Teil schwer verletzt. Da die Fangemeinde von Ariana Grande sehr jung ist, waren zwölf der Todesopfer Kinder und das jüngste, Saffie Rose Roussos, gerade einmal acht Jahre alt.

Doch Wut und Trauer über diese barbarische Tat machen es umso dringender, das jetzige Vorgehen der Regierung mit kritischem Verstand zu betrachten. Die Maßnahmen gehen viel weiter als jemals zuvor. Wie stets in solchen Fällen wird der Terroranschlag benutzt, um für eine reaktionäre Politik zu werben, und wieder stellt sich die Frage, was der Staat vorher über die geplante Tat wusste und inwieweit er vielleicht sogar aktiv daran beteiligt war.

Abedis Name wurde am Dienstagabend veröffentlicht, nachdem bewaffnete Polizei in seinem Wohnviertel Fallowfield im Süden Manchesters Razzien, Evakuierungen und eine kontrollierte Explosion durchgeführt hatte. Mittlerweile wurde bestätigt, dass er den Sicherheitsdiensten bekannt, aber nicht als Gefährder eingestuft worden war.

Diese Ausrede, dass die Tragödie nicht hätte verhindert werden können, ist nicht glaubwürdig. Ähnliche Behauptungen gab es auch nach früheren Anschlägen, insbesondere dem Angriff islamistischer Terroristen auf das Veranstaltungszentrum Bataclan und weitere Orte in Paris, bei dem 130 Menschen starben. Einige Zeit später deckte die Presse auf, dass es Verbindungen zwischen den Attentätern von Paris und den Selbstmordanschlägen gab, die im März 2016 am Flughafen und in der U-Bahn von Brüssel verübt wurden, und dass der Polizei viele der Täter bekannt waren.

Erst diese Woche enthüllte der Informant Claude Hermant Hinweise auf eine Verwicklung des Staats in den Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo vom Januar 2015. Auch die Urheber des bislang schlimmsten Terrorangriffs in London am 7. Juli 2005 waren der Polizei bekannt gewesen und eindeutig von den Sicherheitskräften gedeckt worden.

Selbst nach solchen Enthüllungen bleibt immer vieles undurchsichtig und die Ermittlungen verlaufen im Sande – kein Wunder, wurden die Terrorgruppen doch stets aus politischen Gründen von den imperialistischen Mächten selbst aufgebaut. Sie dienen dazu, im Ausland räuberische Interessen zu verfolgen und im Inneren im Namen des „Kriegs gegen den Terror“ Unterdrückungsmaßnahmen zu legitimieren.

Das Anwachsen islamistischer Terrorgruppen ist ein Nebenprodukt der imperialistischen Kriege, die seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 ununterbrochen geführt und seit dem Einmarsch im Irak 2003 kontinuierlich verstärkt wurden. Afghanistan, Irak, Libyen und zuletzt Syrien sind zu Brutstätten erbitterter Ressentiments geworden, die von den Islamisten aufgegriffen und in zutiefst reaktionäre Bahnen gelenkt werden.

Oftmals werden diese Gruppen aus Verbündeten zu Feinden. Zu dem Anschlag in Manchester hat sich der Islamische Staat bekannt. Seine Ursprünge liegen im Einmarsch der USA und Großbritanniens im Irak 2003. Er geht auf den sunnitischen Aufstand nach dem Sturz von Saddam Hussein zurück und nannte sich ursprünglich al-Qaida. 2011 begab sich der IS nach Syrien, wo unter der Führung der USA islamistische Milizen bewaffnet und finanziert wurden, um das Regime unter Baschar al-Assad zu destabilisieren und zu stürzen.

Die Eltern des Attentäters, Abedi, waren als Gegner Gaddafis aus Libyen geflohen und sollen dorthin zurückgekehrt sein, nachdem Gaddafi gestürzt und brutal ermordet worden war. Auch dieser Regimewechsel wurde durch ein Bündnis der imperialistischen Mächte mit islamistischen Gruppen einschließlich al-Qaida herbeigeführt.

Im Zusammenhang mit den Kriegen seit 1991 haben die britischen Geheimdienste MI5 und MI6 umfassende Informationen über die Anhänger islamistischer Terrororganisationen in Großbritannien gesammelt und sind in ihre Kreise eingedrungen.

Vor dem Hintergrund dieser Verbindungen wäre es naiv, die offizielle Darstellung der Ereignisse vom 22. Mai für bare Münze zu nehmen. Die Ziele, für die der Anschlag ausgenutzt wird, sind allerdings auch erkennbar, ohne dass eine direkte Verwicklung des Staats erwiesen ist.

Noch am Montag steckten May und ihre verhasste Regierung in einer politischen Krise. Die Premierministerin hatte geplant, sich bei ihrer Kampagne zu den vorgezogenen Parlamentswahlen am 8. Juni als „starke und stabile“ Führungspersönlichkeit zu präsentieren und Jeremy Corbyn von der Labour Party als Gefahr für die nationale Sicherheit abzustempeln. Allerdings schlug ihr aus der Bevölkerung eine Welle der Abscheu entgegen, nachdem bekannt geworden war, dass Rentner zum Verkauf ihrer Häuser gezwungen werden sollen, um für ihre Pflegekosten aufzukommen.

Nach dem Selbstmordanschlag wurde der Wahlkampf bis auf weiteres ausgesetzt und May kann sich ungehindert als Hüterin der Sicherheit des Landes darstellen. Wie die Boulevardzeitung Sun offen verkündete, „ist der Terror zum zentralen Wahlkampfthema geworden. Er wird den wahren Charakter derjenigen, die dieses Land führen wollen, ans Tageslicht bringen.“ May wird als „ehemalige Innenministerium mit der nötigen Erfahrung und Autorität“ bezeichnet, Corbyn dagegen als „rotznäsiger kleiner IRA-Jünger“.

Welche Gefahren diese Entwicklung mit sich bringt, wurde durch eine Kolumne von Katie Hopkins unterstrichen, die sich nicht scheute in der Daily Mail im Nazi-Vokabular eine „Endlösung“ des Terrorismusproblems zu fordern. Die Kolumnistin des Telegraph, Allison Pearson, twitterte: „Wir brauchen einen Ausnahmezustand wie in Frankreich. Zum Schutz unserer Kinder müssen Tausende Terrorverdächtige sofort eingesperrt werden.“

Die Ereignisse in Großbritannien folgen in der Tat dem Muster Frankreichs, wo seit 2015 der Ausnahmezustand herrscht. Erst vor vier Wochen wurden dort aus Anlass der Präsidentschaftswahlen mehr als 50 000 Polizisten und Soldaten mobilisiert. Zur Begründung wurde auf den Mord an einem Polizisten verwiesen, den der Berufsverbrecher Karim Cheurfi angeblich auf Geheiß des IS verübt hatte. Obwohl Cheurfi den Sicherheits- und Geheimdiensten wohlbekannt war, konnte er seine Tat ungehindert begehen.

Die Parallelen zu Manchester stechen ins Auge. Der Angriff in Frankreich fiel mit einer wachsenden Antikriegsstimmung zusammen. Auf den Luftschlag vom 7. April gegen Syrien hin stiegen die Umfragewerte des „linken“ Kandidaten Jean-Luc Mélenchon. Nach dem Mord an dem Polizisten wurde mithilfe einer hysterischen Kampagne, vor der Mélenchon kläglich kapitulierte, die politische Debatte ganz auf den „Kampf gegen den Terrorismus konzentriert. Auf diese Weise gelangten der rechtsgerichtete Kandidat Emmanuel Macron und die Neofaschistin Marine Le Pen in die Stichwahl.

Die beschleunigte innenpolitische Repression in Großbritannien hängt mit der Vorbereitung neuer imperialistischer Verbrechen zusammen. US-Präsident Trump benutzte den Anschlag in Manchester als Vorwand für eine aggressive Rede in Israel, in der er forderte, dass „Terroristen und Extremisten und ihre Hintermänner und Helfer“ für alle Zeiten „vertrieben“ werden sollten.

Das bedeutet in der Praxis, dass die USA den Krieg in Syrien im Bündnis mit Saudi-Arabien, Katar und anderen Unterstützern sunnitisch-terroristischer Bewegungen weiterführen. May ist tief in diese Pläne verstrickt. Als erste Amtshandlung einer neu gewählten konservativen Regierung hat sie in Aussicht gestellt, das Parlament über ein weiteres militärisches Vorgehen gegen Assad abstimmen zu lassen.

Am heutigen 25. Mai reist May zum Nato-Gipfel in Brüssel, wo erstmals Trump vor der Nato sprechen wird. Der US-Präsident hat die europäischen Mächte bereits aufgefordert, ihre Militärausgaben zu erhöhen, und weitere US-geführte „Antiterrormaßnahmen“ angekündigt. Er wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Unterstützung für ein regionales sunnitisches Bündnis einzufordern, das unter Führung der USA und Israels gegen den schiitischen Iran vorgeht.

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