SPD und Linke unterstützen Merkels Kurs gegen die USA

Bundeskanzlerin Angela Merkels Kurs gegen die USA wird in Deutschland von allen politischen Parteien und den meisten Medien unterstützt. Sie nutzen die Empörung über das arrogante Verhalten von US-Präsident Donald Trump auf dem Nato- und dem G7-Gipfel der vergangenen Woche, um Unterstützung für eine eigenständige deutsche Großmachtpolitik zu mobilisieren.

Merkel hatte am Sonntag auf einer CSU-Versammlung in einem Münchener Bierzelt das Bündnis mit den USA, das seit der Gründung der Bundesrepublik vor 70 Jahren zur deutschen Staatsräson gehört, zur Disposition gestellt. Sie sagte: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei.“ Daraus leitete sie die Forderung ab: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“ und „selber für unsere Zukunft kämpfen“.

Merkels Koalitionspartner SPD hat sich uneingeschränkt hinter diesen Kurs gestellt. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz, der Merkel nach der Bundestagswahl im September ablösen will, wiederholte ihre Aussage sinngemäß auf Twitter. „Die beste Antwort auf Donald Trump ist ein stärkeres Europa.“

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte, die Vereinigten Staaten seien als wichtige Nation ausgefallen. Unter Präsident Donald Trump könnten die USA keine Führungsrolle mehr in der „westlichen Wertegemeinschaft“ spielen. Der G7-Gipfel sei „ein Signal für die Veränderung im Kräfteverhältnis der Welt“. „Der Westen wird gerade etwas kleiner.“

Die Linkspartei versuchte, sowohl Merkel wie die SPD zu übertrumpfen. Die Parteivorsitzende Katja Kipping forderte in der Bild-Zeitung eine härtere Gangart gegenüber Donald Trump. Deutschland müsse „mit dem Duckmäusertum gegenüber den USA“ aufhören. Das Freundlichste, was ihr zum amerikanischen Präsidenten einfalle, sei, „dass er ein infantiler Narzisst ist“. Als Antwort auf Trump müsse Europa stärker zusammenrücken.

Auch international erhielt Merkel Unterstützung. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker drängte ebenfalls auf mehr Eigenständigkeit und Geschlossenheit Europas. Die Kommission habe bereits entsprechende Ideen vorgelegt, sagte sein Sprecher Margaritis Schinas. „Dabei geht es genau darum sicherzustellen, dass Europa sein eigenes Schicksal bestimmt.“

Die französische Zeitung Le Monde, die Präsident Emmanuel Macron nahesteht, veröffentlichte ein Editorial mit dem Titel: „Man muss auf Merkels Appell antworten.“ Der Brexit und die Abkehr der Amerikaner hätten das europäische Gleichgewicht zerstört, heißt es darin. Deutschland wolle jedoch nicht einzige Kontinentalmacht sein: „Wenn Angela Merkel ‚wir Europäer‘ sagt, richtet sie einen Appell an Frankreich, ihre einzige Zuflucht, wenn sich die Amerikaner und die Briten aus dem Staub machen.“ Macron müsse diesen Appell positiv beantworten und dürfe sich nicht in gaullistischer Überheblichkeit üben.

Heftig angegriffen wurde Merkels Rede dagegen von der britischen Financial Times. „Es ist leicht und angebracht, Präsident Trump die Schuld zu geben,“ schreibt Gideon Rachman. „Aber trotz ihrer vorsichtigen Ausdrucksweise hat sich auch Frau Merkel unverantwortlich verhalten, indem sie eine Erklärung abgab, die einen gefährlichen Riss im Atlantischen Bündnis zu einem dauerhaften Bruch zu erweitern droht.“

Die Financial Times wirft Merkel vor, nicht nur den Bruch mit den USA, sondern auch den mit Großbritannien gezielt zu vertiefen. Wenn ihre Regierung „die Brexit-Verhandlungen im derzeitigen konfrontativen Stil fortsetzt – indem sie verlangt, dass sich das Vereinigte Königreich zu hohen Zahlungen verpflichtet, bevor überhaupt über ein Handelsabkommen verhandelt wird – erzeugt sie eine selbsterfüllende Prophezeiung und einen dauerhaften Gegensatz zwischen Großbritannien und der EU.“

Ein Artikel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung zeigt, dass dies tatsächlich die Pläne der deutschen Regierung sind. Sie betrachtet den britischen Rückzug aus der EU und das Zerwürfnis mit den USA als Chance, die EU als militärisches und politisches Bündnis unter deutscher Vorherrschaft neu zu organisieren und zum Ausgangspunkt einer eigenen Großmachtpolitik zu machen.

Unter der Überschrift „Geheimplan Europa“ schreibt die F.A.Z., Merkel habe nach dem Zerwürfnis mit Trump „Plan Nummer zwei: Europa“ aktiviert, der „mehrere Facetten“ umfasse. Von zentraler Bedeutung sei die Flüchtlingsfrage: „Die Flucht übers Mittelmeer zu stoppen gilt im Kanzleramt als zentral für die Zukunft der Europäischen Union.“

Als zweiten Punkt nennt die F.A.Z. die „Verteidigung“. Hier wolle Merkel „mehr Geld ausgeben“ und lasse „in aller Stille die Kooperation der Armeen vorantreiben“. Der Begriff einer „Europäischen Armee“, die Großbritannien vehement ablehnt, sei dabei bisher sorgfältig vermieden worden. Trotzdem seien bereits Fakten geschaffen worden.

Die Bundeswehr habe sich kleineren Nato-Ländern als Anker-Armee angeboten, damit die eigene militärische Schlagkraft gestärkt und so praktische Wegmarken für das Ziel europäischer Streitkräfte gesetzt. Mit den Niederlanden, Frankreich und Polen gibt es bereits gemeinsame Einheiten, mit Rumänien und Tschechien sind sie vereinbart.

Und als drittes nennt die F.A.Z. die „Wirtschafts- und Währungsunion“. Hier sei die deutsche Regierung bereit, den Forderungen des französischen Präsidenten Macron nach einer Wirtschaftsregierung der Eurozone und nach gemeinsamen Anleihen (Eurobonds) entgegenzukommen, allerdings nur unter der Voraussetzung, das letztere mit „Strukturreformen“ – d.h. massiven Angriffen auf Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen – verknüpft werden. Als Gegenleistung soll die Ernennung von Bundesbankpräsident Jens Weidmann als Nachfolger Mario Draghis an der Spitze der Europäischen Zentralbank im Gespräch sein.

Spiegel-Online geht noch weiter als die F.A.Z. und macht sich bereits Gedanken über neue geostrategische Allianzen. Kolumnist Henrik Müller, ein Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus, plädiert für ein europäisches-chinesisches Bündnis gegen die USA.

Trumps verbale Ausfälle, schreibt er, zeigten, „dass die USA kein verlässlicher Partner mehr sind“. Trumps Abkehr von Amerikas klassischer Führungsrolle wirke destabilisierend. Als Folge sortiere sich die Weltwirtschaftspolitik neu: „Die anderen beiden großen Volkswirtschaften – die EU und China – suchen neue Partner, mit denen sich internationale Probleme bearbeiten lassen.“

Als wichtigste Felder „für eine intensivierte europäisch-chinesische Zusammenarbeit“ bezeichnet Müller den internationalen Handel und die Klimapolitik. Einst hätten die USA „als Führungsmacht des Westens die weltwirtschaftlichen Institutionen der Nachkriegsära“ gestützt – den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, den WTO-Vorläufer Gatt. Nun müssten „Europa und China gemeinsam das globale Regulierungsvakuum füllen“.

Eine Zusammenarbeit in der Klimapolitik empfiehlt Müller „aus nacktem wirtschaftlichen Interesse“, und nicht aus „ökologischer Überzeugung“. Die rapiden Produktivitätsfortschritte bei erneuerbaren Energien versprächen für die Zukunft massive Wettbewerbsvorteile. Das erfordere langfristige Investitionen, deren Kalkulationsgrundlagen durch Kehrtwenden oder einen Zickzackkurs, wie ihn Trump verfolge, zerstört würden.

Sowohl die deutsche Regierung wie die EU sind eifrig dabei, ihre wirtschaftlichen und politischen Beziehungen auszubauen. Die EU nutzt die protektionistischen Kurs Trumps, um weltweit neue Handelsverträge abzuschließen. Derzeit verhandelt sie mit zwanzig Ländern darüber.

Im Berliner Kanzleramt ist heute der indische Ministerpräsident Narendra Modi in Begleitung mehrerer Minister zu Gast, und in Brüssel findet am Donnerstag und Freitag ein EU-China-Gipfel statt, zu dem Premier Le Keqiang anreist.

Die Konflikte zwischen den Großmächten und die Bildung neuer Allianzen erinnert an die Periode zwischen 1890 und 1914, als sich aus den wirtschaftlichen und politischen Rivalitäten der Großmächte die Blöcke herausbildeten, die 1914 gegeneinander in den Weltkrieg zogen. Wie damals drohen die wachsenden Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems die Menschheit wieder in eine Katastrophe zu stürzen. Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die den Kampf gegen Krieg mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbindet, kann dies verhindern.

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