Diese Woche in der Russischen Revolution

12.–18. Juni: Kongress der Betriebskomitees in Petrograd stimmt für Resolutionen der Bolschewiki

Ermutigt von den Bolschewiki und zur Verärgerung der Provisorischen Regierung und ihrer opportunistischen Verbündeten spielen die Betriebskomitees eine immer größere Rolle. Im Leben der ehemaligen zaristischen Hauptstadt übernehmen sie wichtige Funktionen: von der Kontrolle der Produktion bis zur Durchsetzung der Arbeitsdisziplin, von der Organisation Roter Garden bis zur Aufführung von Opern-Arien und Shakespeare-Dramen, von der Beschaffung von Lebensmitteln bis hin zum Kampf gegen Trunkenheit. In einem Kongress der Betriebskomitees, der in dieser Woche stattfindet, stimmen Arbeiterdelegierte, die direkt von der Werkbank kommen, mit großer Mehrheit für bolschewistische Resolutionen. Arbeiter erklären, dass sie bereit sind, ohne „Hilfe“ der Kapitalisten und Grundbesitzer zu regieren.

Auf der anderen Seite des Pazifiks mobilisiert die amerikanische herrschende Klasse unter Präsident Wilson Millionen Soldaten und die ungeheuren Produktionskapazitäten der amerikanischen Wirtschaft, um in den Großen Krieg einzugreifen. Die Wilson-Regierung steht allerdings einem mächtigen Aufschwung der Arbeiterklasse mit der größten Streikwelle der amerikanischen Geschichte gegenüber. Als Reaktion darauf erlässt die „liberale“ Wilson-Regierung das autoritäre Spionagegesetz, das Opposition gegen den Krieg praktisch kriminalisiert.

Petrograd, 12.–18. Juni (30. Mai – 5. Juni): Kongress der Betriebskomitees in Petrograd stimmt für Resolutionen der Bolschewiki

Putilow-Werke in Petrograd

Im Taurischen Palais tritt die erste Vollkonferenz der Betriebskomitees zusammen. Es ist dasselbe Gebäude, in dem sich die Provisorische Regierung während der Februaraufstände konstituiert hat. Ermutigt von den Bolschewiki, spielen die von einfachen Arbeitern gewählten Komitees im Leben der früheren zaristischen Hauptstadt eine immer größere Rolle.

Betriebskomitees kontrollieren jetzt, wer eingestellt oder entlassen wird. Sie entscheiden über die Löhne und alle Aspekte von Produktion und Verteilung in den entsprechenden Fabriken. Weil die Hauptstadt hungert, richten die Betriebskomitees Kommissionen ein, die Lebensmittel beschaffen, und organisieren Genossenschaften, wo die Arbeiter und ihre Familien essen können. Sie gründen auch Kommissionen für eine ganze Reihe weiterer Fragen: Schiedskommissionen für Konflikte mit der Betriebsleitung, für Streitfälle zwischen Arbeitern oder für die Arbeitsdisziplin, um Diebstahl, Trunkenheit oder Bummelei zu bekämpfen.

Die Betriebskomitees kümmern sich nicht nur um die Fragen, die unmittelbar den Arbeitsplatz betreffen. Weil sie kein Vertrauen in die Provisorische Regierung und deren Polizei haben, stellen sie eigene Rote Garden zusammen, rüsten sie aus und trainieren sie. Sie gründen Kommissionen für „Kultur“ und „Aufklärung“, richten Bibliotheken, Schulen und Kindergärten ein, betreiben Musikgruppen, Orchester und Shakespeare-Inszenierungen und organisieren Abendschulen und Opern-Aufführungen. Es gibt Vorlesungen in verschiedenen Sprachen über Literatur, Naturwissenschaft, Mathematik und Recht. Das Komitee der Putilow-Werke, ein wichtiges Zentrum der bolschewistischen Unterstützung, fordert Arbeiter dazu auf, die Abendvorlesungen zu besuchen: „Die Überzeugung, dass Wissen alles ist, muss tief in euer Bewusstsein sinken. Das ist das Wesen des Lebens, und nur das kann dem Leben Sinn verleihen.“

„Fragen von Kultur und Aufklärung sind heute die entscheidenden Fragen von brennender Aktualität“, schreibt das Komitee. „Genossen, versäumt nicht die Gelegenheit, wissenschaftliche Kenntnisse zu erwerben. Lasst keine einzige Stunde fruchtlos verstreichen. Jede Stunde ist uns kostbar. Wir müssen die Klassen, gegen die wir kämpfen, nicht nur einholen: Wir müssen sie überholen. Das gebietet das Leben, darauf kommt es an. Wir sind jetzt selbst die Herren unseres Lebens, und deshalb müssen wir sämtliche Waffen des Wissens beherrschen.“ (Zitiert nach S.A. Smith, „Red Petrograd“, S. 95, aus dem Englischen)

Alarmiert beobachten die Provisorische Regierung und ihre Unterstützer das Anwachsen der politisierten Betriebskomitees, die stark von den Bolschewiki beeinflusst sind, und sie registrieren auch die stolze Loyalität, die die Arbeiter diesen Komitees entgegenbringen. Im April hat die Provisorische Regierung die Fabrikkomitees in einem Gesetz für legal erklärt, doch gleichzeitig versucht sie, sie auf die Rolle von Gewerkschaften zu beschränken. Die Betriebsleitungen ignorieren das Gesetz weitgehend und tun ihr Möglichstes, jedes Streben der Arbeiter nach selbständiger Organisation zu unterdrücken. Die Arbeiter wiederum ignorieren das Gesetz, weil sie der Regierung das Recht absprechen, die Aktivität ihrer Organisationen einzuschränken.

Die Konferenz der Betriebskomitees weist die Vorstellung zurück, die Komitees sollten bloß die Rolle von Gewerkschaften spielen und sich darauf beschränken, dem Management und dem Staat bei der Organisierung der Arbeit zur Hand zu gehen. In seiner Rede an den Kongress spricht sich Lenin am 13. Juni dafür aus, die Rolle der Betriebskomitees auszuweiten. Kühn sollen sie ihre Autorität über jeden Aspekt der Produktion und Organisation am Arbeitsplatz behaupten. „Genossen Arbeiter, setzt eine wirkliche Kontrolle und keine Scheinkontrolle durch“, ruft Lenin den Arbeitern zu, „und weist alle Resolutionen und Vorschläge zur Schaffung einer solchen papierenen Scheinkontrolle aufs entschiedenste zurück.“

In der Schlussresolution, die 336 von 421 Delegierten unterstützen, werden die Betriebskomitees als demokratisch gewählte „kämpfende Organisationen“ bezeichnet, die danach streben, „dass die Arbeit eine gründliche Kontrolle über Produktion und Verteilung aufrechterhält“. Im Gegensatz zu den aufgeblasenen und langatmigen Reden, die für die Provisorische Regierung und ihre kleinbürgerlichen Unterstützer typisch sind, drücken sich die Arbeiter auf der Betriebskomitee-Konferenz ernst und direkt aus. „Indem wir die Kontrolle über die Produktion in die eigenen Hände nehmen“, sagt ein Delegierter, „lernen wir ihre praktischen Aspekte kennen und heben sie auf die Höhe der künftigen sozialistischen Produktion.“

Tokio, 12. Juni: Spannungen zwischen Japan und den USA wegen China

Die staatlich kontrollierte Presse in Japan kritisiert die Vereinigten Staaten scharf, weil diese die chinesische Regierung Anfang Juni in einer Note aufgefordert hatten, sie solle die geplante Beteiligung an den Kriegsanstrengungen der Alliierten zugunsten von Stabilität im eigenen Land zurückstellen.

Die amerikanische Note trifft in Beijing in einer Situation ein, in der sich Massenopposition gegen ein mögliches Eingreifen Chinas in den Konflikt regt, was die politische Instabilität verschärft. Das Land wird von gewaltsamen Konflikten zwischen rivalisierenden Warlords erschüttert, die sogar die Existenz einer zentralen staatlichen Autorität in Frage stellen. Japans Reaktion widerspiegelt die wachsenden Spannungen zwischen Tokio und Washington. Beide Regierungen beabsichtigen, nach dem Krieg ihren Einfluss in China auszuweiten.

Die halboffizielle Japan Times schreibt: „Das Außenministerium muss von den Vereinigten Staaten die Zusicherung erhalten, dass sie ihr Verhalten einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas, bei der sie die Existenz und die Position Japans völlig ignorieren, nicht wiederholen werden.“ Weiter wir ausgeführt, dass die US-Note im japanischen Kabinett diskutiert worden sei, weil sie die Zukunft des Kaiserreichs „schwer beeinträchtige“.

Petrograd, 13. Juni (31. Mai): Ankunft der amerikanischen Sondermission von Außenminister a.D. Root

Elihu Root

Nach einer einmonatigen Anreise trifft der frühere amerikanische Außenminister Elihu Root an der Spitze einer Sondermission in Petrograd ein. Seit seiner Landung in Wladiwostok ist Root zehn Tage lang in einem Luxuszug, der noch wenige Wochen zuvor Zar Nikolaus II. gehört hat, quer durch Russland gereist. Die neunköpfige Kommission wird im Winterpalast des Zaren luxuriös untergebracht.

Neben Root gehören der Mission zwei Armeeoffiziere, drei Industrielle, ein Vertreter des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM) und zwei „Arbeiter“-Vertreter an. Dabei handelt es sich um den sozialistischen Kriegsbefürworter Charles Russell sowie um James Duncan, Vizepräsident der Gewerkschaft American Federation of Labor (AFL), die ebenfalls für den Krieg ist.

Der amerikanische Außenminister Robert Lansing, der die „Hohe Kommission“ ankündigt, macht klar, dass ihr Zweck darin besteht sicherzustellen, dass Russland im Krieg verbleibt. „Wenn es die russische Regierung wünscht, ist diese Kommission bereit, über die besten Wege und Mittel zu beraten, wie die beiden Regierungen effektiv zusammenarbeiten und den Krieg gegen die deutsche Autokratie fortsetzen können, welche heute die ernsteste Bedrohung für alle demokratischen Regierungen darstellt […] Was dieses erhabene Ziel auch immer an Menschenleben und Finanzen kosten mag, muss und kann aufgebracht werden.“

Kerenski und die Provisorische Regierung müssen allerdings gar nicht erst überzeugt werden. „Mit der Regierung wird es keine Schwierigkeiten geben“, schreibt die New York Times. „[A]ber die Regierung ist nicht immer ihr eigener Herr und Meister.“ In Bezug auf den Petrograder Sowjet und andere mächtige Arbeiterorgane fährt der Korrespondent der Times fort: „Es gibt Organisationen, und mächtige Organisationen, [für die] Präsident Wilsons Reden und Politik nur bedeuten, dass sich der Krieg verlängert, und eine solche Verlängerung des Krieg verabscheuen sie. In der Root-Mission werden sie zweifellos einen Versuch sehen, Russland an eine harte und rasche Politik zu binden, die nichts anderes als Krieg bis zum bitteren Ende bedeuten kann.“

Unter den russischen Massen ist die Root-Mission verhasst. Ein amerikanischer Beobachter, der zur Zeit in Petrograd weilt, wird später schreiben: „Im revolutionären Russland war Root in etwa so willkommen wie die Pocken.“

Ashton-under-Lyne, 13. Juni: 46 Tote bei Explosion in britischer Munitionsfabrik

In der Chemiefabrik Hooley Hill Rubber and Chemical Works in Ashton-under-Lyne im Nordwesten Englands bricht ein Feuer aus. Der Brand bringt fünf Tonnen TNT zur Explosion. 46 Menschen sterben, darunter 23 Arbeiter der Fabrik, in der TNT zu Kriegszwecken produziert wird.

Die Fabrik befindet sich im Besitz der Hooley Hill Rubber and Chemical Company, die versucht, von der Massenschlächterei in Europa zu profitieren. Am 5. August 1914, dem Tag nach der Kriegserklärung an Deutschland, hat die Firma die britische Regierung angesprochen und angeboten, in die Kriegsproduktion einzusteigen. Anfänglich wurde das Angebot zurückgewiesen, bis die TNT-Vorräte knapp wurden. Schließlich nahm die Regierung in London die Dienste der Firma dann doch in Anspruch.

Das Werk in Ashton-under-Lyne wurde mit Hilfe eines staatlichen Zuschusses von 10.000 Pfund gebaut. Anfänglich ist das Werk auf die Produktion von fünf Tonnen TNT in der Woche ausgelegt, steigert die Produktion dann aber auf 25 Tonnen pro Woche. Dabei steht die Fabrik in einer bewohnten Gegend mit Wohnhäusern in unmittelbarer Nachbarschaft. Doch die Regierung bemüht sich, die Produktion von TNT mithilfe von privaten Auftragnehmern stark anzukurbeln. Dadurch ist die Produktion von TNT von einer halben Million Tonnen 1914 auf 76 Millionen Tonnen 1917 angestiegen.

Unter den Opfern sind auch elf Kinder, die in der Nähe gespielt hatten. Über 120 Menschen werden ins Krankenhaus eingeliefert, und mehrere hundert weitere erleiden leichtere Verletzungen.

London, 13. Juni: Deutscher Luftangriff fordert 162 Todesopfer und über 400 Verletzte

Zerstörtes Klassenzimmer nach dem Luftangriff vom 13. Juni 1917

Dem ersten großen Angriff der deutschen Luftwaffe auf die britische Hauptstadt fallen 162 Menschen zum Opfer, 432 werden verletzt. Dies sollte die größte Opferzahl eines einzelnen Luftangriffs im Ersten Weltkrieg in Großbritannien bleiben.

22 Langstreckenbomber des Typs Gotha G.V greifen an. Die ersten Bomben fallen um 11:30 Uhr in East Ham und in der Nähe der Royal Albert Docks. Drei Bomben werden später auf den Bahnhof Liverpool Street Station abgeworfen, wo es mindestens sechzehn Tote gibt. Berichten zufolge werfen die Flugzeuge insgesamt 126 Bomben hauptsächlich auf private Wohnhäuser, Ställe und Schulen ab.

Auch eine Schule in der Upper North Street im Stadtteil Poplar wird getroffen. Dort sterben achtzehn Kinder, sechzehn von ihnen im Alter von vier bis sechs Jahren. Dreißig weitere werden verstümmelt.

Der Angriff zeigt, dass die britischen Behörden zu schlecht vorbereitet waren. Es wurden einige Flugzeuge in den Kampf gegen die Angreifer geschickt, aber sie waren stark in der Unterzahl, und es gelang ihnen nicht, auch nur einen Bomber abzuschießen. Mehrere Flugzeuge und Geschütze waren in Bereitschaft, um die Hauptstadt vor Zeppelinangriffen, die es seit 1915 gab, zu schützen. Aber gegen größere deutsche Formationen gab es keinerlei Vorkehrungen.

Petrograd, 14. Juni. Provisorische Regierung weist Robert Grimm aus

Robert Grimm

Die Minister der Provisorischen Regierung Zeretelli und Skobeljew, beide Menschewiki, teilen dem Schweizer Sozialdemokraten Robert Grimm mit, er habe Russland unverzüglich zu verlassen. Zuvor haben sie ihn wegen seiner geheimen Kontaktaufnahme mit dem deutschen Oberkommando zur Rede gestellt. Vermittelt durch Schweizer Diplomaten hatte Grimm versucht, einen deutsch-russischen Separatfrieden einzufädeln.

Robert Grimm (1881-1958) ist als Organisator der Friedenskonferenzen von Zimmerwald (1915) und Kiental (1916) weltweit bekannt. Auch Lenin und Trotzki haben trotz politischer Differenzen mit Grimm an den Konferenzen teilgenommen.

In Petrograd wird Grimm am frühen Morgen des 15. Juni in Begleitung eines russischen Agenten in den nächsten Zug gesetzt und zur schwedischen Grenze gebracht. Der Sowjetkongress, der in Petrograd tagt, billigt die Ausweisung Grimms, des (in Trotzkis Worten) „kläglichen Schweizer Sozialisten, der versucht hatte, durch Kulissenverhandlungen mit der Hohenzollerndiplomatie die Russische Revolution und die deutsche Sozialdemokratie zu retten“. Lenin schreibt in einem Brief an Radek in Stockholm: „Dass der Schurke Grimm als Zentrist und Kautskyaner einer schändlichen Annäherung an ‚seinen‘ Minister fähig ist, wundert mich nicht: Wer nicht entschieden mit den Sozialchauvinisten bricht, der riskiert immer, in diese schändliche Lage zu geraten.“

Grimm steht seit Monaten mit der Schweizer Regierung und dem deutschen Oberkommando in Verbindung. Er hält sie auf dem Laufenden über seine Reise nach Russland, wo er an Versammlungen mit Arbeitern und Sowjetvertretern teilnimmt und auch die Matrosen in Kronstadt besucht. In einem chiffrierten Telegramm an den Schweizer Außenminister in Bern, Arthur Hoffmann (FDP), schreibt Grimm: „Friedensbedürfnis ist allgemein vorhanden […] Unterrichten Sie mich wenn möglich über die Ihnen bekannten Kriegsziele der Regierungen, da die Verhandlungen dadurch erleichtert würden.“ Darauf empfiehlt Hoffmann der deutschen Obersten Heeresleitung, „den durch Grimm zu den maßgeblichen Persönlichkeiten in Petersburg angeknüpften Faden weiterzuspinnen“.

London, 15. Juni: Britische Regierung verkündet Generalamnestie für politische Gefangene des Osteraufstands in Irland

Osteraufstand, Dublin

Im Unterhaus gibt Schatzkanzler Bonar Law für die Regierung eine Erklärung ab, die eine Generalamnestie für die mehr als einhundert irischen politischen Gefangenen beinhaltet. Diese sind seit ihrer Beteiligung am Osteraufstand von 1916 in Dublin in Haft. Die Regierung begründet ihren Schritt damit, dass sie wünscht, noch vor der Einberufung der Irish Convention im folgenden Monat ihren guten Willen zu beweisen. Die Aufgabe der Convention soll es sein, über die zukünftige Beziehung Irlands zu Großbritannien zu entscheiden, das Irland als eine Kolonie beherrscht.

Britische Soldaten hatten den Aufstand innerhalb von einer Woche brutal niedergeschlagen, und mehr als 3000 Menschen wurden inhaftiert. Das hat die Wut der irischen Bevölkerung gegen die britische Kolonialherrschaft weiter angeheizt. Auch der Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Krieg nimmt zu. Dass Iren eingezogen werden, um für ihre Kolonialherren zu kämpfen, stößt auf erbitterten Widerstand. Im Februar holt sich Sinn Fein bei einer Nachwahl den ersten Unterhaussitz. Die Partei verändert ihre bisherige Position der Befürwortung eines unabhängigen Irland unter dem Dach der britischen Krone schnell hin zur Forderung nach voller Unabhängigkeit.

Unter den Gefangenen, die die Regierung freilassen will, ist auch der bekannte Eamon de Valera, Kommandant einer Rebellenbrigade im Osteraufstand. Später wird er Präsident der Sinn Fein werden, im irischen Bürgerkrieg kämpfen und bei den Verhandlungen mit Großbritannien eine Rolle spielen, die schließlich zur Schaffung eines unabhängigen irischen Staates führen werden.

Siehe auch: „Hundert Jahre seit dem Osteraufstand in Irland

Petrograd, 15. Juni (2. Juni): Erste Ausgabe von Vperiod, der neuen Zeitung der Meschrayonzy

Die erste Ausgabe von Trotzkis neuer Zeitung Vperiod (Vorwärts) erscheint. Trotzki arbeitet zu dieser Zeit offiziell noch immer außerhalb der bolschewistischen Partei, da er versucht, die Mehrheit der Meschrayonzy (Interrayonisten) für einen Zusammenschluss mit Lenins Bolschewiki zu gewinnen.

Trotzkis Leitartikel in der ersten Ausgabe von Vperiod macht klar, dass er bereits für die gleiche Linie wie Lenin kämpft: gegen den opportunistischen, nationalistischen Verrat am Sozialismus durch die Menschewiki, Sozialrevolutionäre und andere Tendenzen, und für den Aufbau der Dritten Internationale, um die Weltrevolution anzuführen:

Unsere Zeitung soll das Organ des revolutionären Sozialismus sein. Eine solche Erklärung wäre noch vor kurzem ausreichend gewesen. Zum jetzigen Zeitpunkt haben diese Worte aber an Wert eingebüßt. Denn zu Sozialismus und Revolution bekennen sich heute auch solche Elemente, solche Klassen, die ihrer gesellschaftlichen Natur nach zum Lager der Feinde gehören, mit denen es keine Versöhnung geben kann […] Die Russische Revolution ist der Beginn der großen europäischen Flut. Die Bourgeoisie versucht mit allen Mitteln, die Russische Revolution zu zähmen und auf nationale Grenzen zu beschränken. Das ist der Grund, warum die Bourgeoisie sich hinter der sozialistischen Minderheit der Vaterlandsverteidiger versteckt. Die Diener der Bourgeoisie und ihrer politischen Agenten wenden all ihre Kraft auf, um das Proletariat im Namen von „nationaler Einheit und Verteidigung“ zu kastrieren, es von der Internationale wegzuzerren und in das Joch einer imperialistischen Kriegsdisziplin zu spannen. Eine solche Politik ist in unsern Augen der Todfeind der Interessen des Sozialismus. „Die revolutionäre Verteidigung“ – das ist unsere heimische Variante des Sozialpatriotismus. Unter der Maske des Populismus oder des „Marxismus“ bedeutet diese „revolutionäre Verteidigung“ in Wirklichkeit, dass man die unabhängige Politik des Proletariats ein für alle Mal aufgegeben hat. Sie beinhaltet das Gift des Chauvinismus und einer vollkommenen Entehrung der proletarischen Ideologie. Diese Zeitung hat sich in erster Linie zur Aufgabe gemacht, gegen den zersetzenden Einfluss des Sozialpatriotismus zu kämpfen und die Prinzipien des revolutionären Internationalismus zu verteidigen.

Die Zeitung erweist sich als kurzlebig. Nur sechzehn Ausgaben erscheinen, ehe Ende Juli 1917 nahezu alle Mitglieder der Interrayonisten den Bolschewiki beitreten und ihre Erklärungen fortan im Parteiorgan, der Prawda, veröffentlichen werden.

Washington, 15. Juni: Wilson unterzeichnet Spionagegesetz

„Muss die Fackel der Freiheitsstatue verlöschen?“ Karikatur von Winsor McCay im New York American, 3. Mai 1917

Nach mehrmonatigem Tauziehen mit dem Kongress unterzeichnet Wilson das Spionagegesetz, das im Namen der „nationalen Verteidigung“ jeden Widerstand gegen die amerikanische Beteiligung am Großen Krieg unter Strafe stellt.

Laut Paragraph 2 steht auf „absichtlicher“ Behinderung des amerikanischen Militärs oder Zusammenarbeit mit seinen Feinden die Todesstrafe oder Gefängnis bis zu dreißig Jahren. Paragraph 1 ist noch breiter gefasst und verordnet Gefängnisstrafen bis zu zwei Jahren für die Übermittlung von Informationen über die nationale Verteidigung der USA. Dies betrifft nicht nur ihre militärischen Anlagen, sondern auch Eisenbahnen, Fabriken und Bergwerke, wenn die Informationen „den Vereinigten Staaten schaden könnten“.

Paragraph 3 läuft auf die Knebelung von Opposition gegen den amerikanischen Imperialismus hinaus. Er schreibt Gefängnisstrafen von bis zu zwanzig Jahren für die Verbreitung falscher Nachrichten oder falscher Erklärungen mit der Absicht vor, das Funktionieren oder den Erfolg des Militärs zu behindern. Dasselbe gilt für den „Versuch der Insubordination, Dienstverweigerung in der Armee oder Marine der Vereinigten Staaten oder der Behinderung von Rekrutierung für das Militär der Vereinigten Staaten“.

Paragraph 6 erlaubt dem Präsidenten, Teile der USA zu „verbotenem Territorium“ im Sinne des Spionagegesetzes zu erklären.

Wilson hat schon 1915 in seiner Rede zur Lage der Nation ein solches Spionagegesetz vorgeschlagen.

Es gibt Bürger der Vereinigten Staaten, wie ich beschämt zugeben muss, die unter anderer Fahne geboren, aber durch unsere großzügigen Einbürgerungsrechte mit voller Freiheit und allen Chancen, die Amerika bietet, aufgenommen wurden, die aber das Gift der Illoyalität in die Arterien unseres nationalen Lebens träufeln, die versuchen, das Ansehen und den guten Namen unserer Regierung verächtlich zu machen, unsere Wirtschaft zu zerstören […] Solche Kreaturen der Leidenschaft, Untreue und Anarchie müssen ausgemerzt werden […]

Wilsons Warnungen vor Kritik an der amerikanischen Regierung und vor Gefahren für „unsere Wirtschaft“ sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Mit dem Spionagegesetz versuchen Wilson und die Führer beider Parteien, dem wachsenden Einfluss des Sozialismus inmitten der größten Streikwelle in der amerikanischen Geschichte entgegenzuwirken. Das Spionagegesetz zielt auf die Arbeiterklasse ab.

Wilson wollte ursprünglich noch viel weiter gehen, was die Verabschiedung verzögert hat. Er hat zum Beispiel das Recht verlangt, die Presse zu zensieren. Einem Ergänzungsvorschlag zum Spionagegesetz, der dem Präsidenten dieses Recht verliehen hätte, fehlte im Senat nur eine Stimme. Aber das Gesetz an sich ist schon enorm weitgehend. So kann es dahingehend interpretiert werden, dass der Postminister die Auslieferung von Zeitungen und Magazinen verbieten kann, die gegen den Krieg gerichtet sind. Schon bald müssen fremdsprachige Zeitungen erst eine englische Übersetzung einreichen, bevor sie ausgeliefert werden dürfen.

Am 16. Mai 1918 wird der Kongress dem Spionagegesetz mehrere weitere Bestimmungen hinzufügen, die ihm den inoffiziellen Namen als „Gesetz gegen Aufruhr“ (Sedition Act) verleihen. Demnach werden Meinungsäußerungen verboten, die sich als „illoyal, profan, skurril oder beleidigend erweisen […] was die Regierungsform der Vereinigten Staaten, ihre Fahne oder die Uniform von Armee oder Navy betrifft“.

Petrograd, 16. Juni (3. Juni): Erster gesamtrussischer Sowjetkongress der Arbeiter- und Soldatendeputierten

Taurisches Palais

Der erste gesamtrussische Sowjetkongress der Arbeiter- und Soldatendeputierten findet vom 16. Juni bis zum 7. Juli (3.–24. Juni) statt. Daran nehmen 1090 Delegierte teil. Sie vertreten 305 Arbeiter-, Soldaten und Bauernsowjets und Dutzende regionaler Sowjets, Armeeeinheiten, Marineorganisationen und andere Räte und Komitees. Unter den Delegierten sind 285 Sozialrevolutionäre (SR), 248 Menschewiki, 105 Bolschewiki und ein breites Spektrum weiterer politischer Tendenzen.

Die Hauptfrage auf dem Kongress ist die Haltung zur Provisorischen Regierung und zum Krieg. Die SR und Menschewiki unterstützen die Regierung und rufen dazu auf, die Armee zu stärken. Die Bolschewiki sind zusammen mit den Meschrayonzy und den Menschewiki-Internationalisten in der Minderheit. Sprecher dieses Flügels, zu denen auch Trotzki gehört, lehnen den imperialistischen Krieg ab und rufen dazu auf, dass der Sowjet der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten die Macht übernehmen soll.

Viele wichtige Protagonisten der Russischen Revolution sind anwesend, und der Kongress verläuft teilweise dramatisch. Den Vorsitz hat der Menschewik Nikolai Tschcheїdse. Die Menschewiki Fjodor Dan, Irakli Zeretelli und Georgi Plechanow befürworten in Redebeiträgen die Unterstützung der Provisorischen Regierung und des Kriegs, während Lenin und Trotzki dagegen argumentieren. An einer Stelle seiner Rede sagt Zeretelli, in Russland existiere keine politische Partei, die sich bereit erklären würde, die gesamte Macht zu übernehmen. Da unterbricht ihn Lenin und ruft laut: „Doch! Die gibt es!“

Am 17. Juni spricht Lenin. Er gibt eine umfassende Erläuterung der politischen Lage, analysiert die politischen Tendenzen und legt die bolschewistischen Grundsätze dar. Abschließend sagt Lenin:

Auf dem Papier kann man schreiben, was man will. Solange aber die Kapitalistenklasse in der Regierung die Mehrheit hat, wird der Krieg, was Sie auch schreiben mögen, welch schöne Reden auch gehalten werden, was für beinah-sozialistische Minister auch in der Regierung sein mögen – wird der Krieg ein imperialistischer Krieg bleiben. Das wissen und sehen alle …

Wir sind an einem Wendepunkt in der Geschichte der russischen Revolution angelangt. Die russische Revolution hatte zu Beginn von der imperialistischen Bourgeoisie Englands Hilfe erhalten, die glaubte, Russland sei eine Art China oder Indien. Stattdessen sind neben der Regierung, in der jetzt die Gutsbesitzer und Kapitalisten die Mehrheit haben, die Sowjets entstanden, eine Vertretungskörperschaft, wie sie die Welt so machtvoll noch nie gesehen, noch nie erlebt hat, die Sie aber durch Ihre Teilnahme an der Koalitionsregierung der Bourgeoisie zum Tode verurteilen. Stattdessen hat die russische Revolution bewirkt, dass sich die Sympathien für den von unten geführten revolutionären Kampf gegen die kapitalistischen Regierungen überall, in allen Ländern verdreifacht haben. Die Frage steht so: vorwärts- oder rückwärtsgehen. Man kann in einer revolutionären Zeit nicht auf ein und demselben Fleck stehenbleiben …

Der Übergang der Macht an das revolutionäre Proletariat, das von der armen Bauernschaft unterstützt wird, ist der Übergang zum revolutionären Kampf um den Frieden in den sichersten und schmerzlosesten Formen, die die Menschheit je gekannt hat, der Übergang dazu, dass die Macht und der Sieg der revolutionären Arbeiter in Russland und in der ganzen Welt gesichert werden.

Flandern, 17. Juni: Erste Kampfhandlungen portugiesischer Soldaten an der Westfront

Portugiesische Soldaten beim Ausschiffen in Brest

Truppen des portugiesischen Expeditionscorps (CEP) greifen zum ersten Mal an der Westfront an der Seite britischer Truppen in die Kämpfe ein. Ein Jahr zuvor, im März 1916, hat die Regierung in Lissabon den offiziellen Eintritt in den Krieg auf Seiten der Alliierten beschlossen.

Als der Krieg 1914 ausbricht, versucht die schwache portugiesische Regierung offiziell eine neutrale Position einzunehmen. Aber portugiesische und deutsche Truppen geraten mehrfach über koloniale Besitzungen in Afrika aneinander. Portugal schickt Truppen nach Angola an der Südwestküste Afrikas und nach Mozambik an der Südostküste, um die Kontrolle über seine Kolonien zu stärken. Von seiner Kolonie Südwestafrika aus stachelt Deutschland Unruhen unter afrikanischen Stämmen in Angola an. Die Berliner Regierung hat Angola schon seit langem im Visier. Sie hat schon 1912 einen Angola-Bund gebildet und Geheimgespräche mit Großbritannien geführt, um das Land noch vor Ausbruch des Kriegs von Portugal zu übernehmen.

Der Konflikt eskaliert im November 1915, als Portugal zusätzliche 1500 Soldaten nach Mozambik schickt, um Deutschland das Kionga-Dreieck zu entreißen, das es seit 1894 besetzt hält. Der Bruch kommt Anfang 1916, als Großbritannien Portugal bittet, deutsche Schiffe in portugiesischen Häfen zu konfiszieren. Die Lissaboner Regierung kommt der Bitte nach. Die Kriegserklärung folgt am 9. März 1916.

Die Entsendung von 55.000 Soldaten nach Frankreich zum Kampf an der Westfront provoziert massenhaften Widerstand. Streiks brechen aus und die Truppenentsendung kann erst nach der Verhängung des Kriegsrechts durchgeführt werden. Das erste Kontingent kommt im Februar an, und seit Anfang April befinden sich portugiesische Einheiten an der Front.

Moskau, 17. Juni (4. Juni): Sozialrevolutionäre beenden dritten Parteikongress

SR-Plakat von 1917. Schrift auf rotem Transparent: „Wer kämpft, wird seine Rechte durchsetzen“; auf dem Globus: „Land und Freiheit“

Am 17. Juni endet der Parteitag der Sozialrevolutionäre (SR) in Moskau. Die SR sind von allen Parteien am engsten mit der Tradition der Volksfreunde verbunden. Sie gelten als wichtigstes politisches Werkzeug der riesigen russischen Bauernschaft. Der Einfluss der SR hat seit der Februarrevolution stark zugenommen und erreicht im Frühsommer seinen Höhepunkt. Im Juni haben die SR bei den Wahlen zum Moskauer Stadtrat eine komfortable Mehrheit von 58 Prozent gewonnen, und die meisten russischen Städte werden zurzeit von einem SR-Bürgermeister regiert.

Wie die Menschewiki unterstützen die Sozialrevolutionäre die Provisorische Regierung und die Kriegspolitik. Der Kongress segnet offiziell die Teilnahme von Tschernow als Agrar- und Kerenski als Kriegsminister an der Provisorischen Regierung ab.

Trotz der offensichtlichen Erfolge der SR zeigt der dritte Parteikongress im Juni das Bild einer Partei, die hoffnungslos gespalten ist und am Rande des politischen Zusammenbruchs steht. Sie hat sich im Verlauf des Kriegs dem nationalen Chauvinismus und Konservatismus zugewandt, und so bekämpfen die Intellektuellen und Repräsentanten der Partei die um sich greifende Entwicklung auf dem Lande, wo die Bauern den Boden beschlagnahmen. Die SR haben das Herzstück und die populärste Komponente des SR-Programms in der Praxis aufgegeben: die Sozialisierung des Bodens.

Eine zunehmend militante linke Minderheit bekämpft diese Politik. In Kronstadt und anderen Regionen unterstützen die SR jetzt oft die Resolutionen der Bolschewiki und erweitern ihre Zusammenarbeit mit Lenins Partei. Sie weigern sich jedoch, mit den SR zu brechen. Auf der anderen Seite entsteht innerhalb der SR eine nicht weniger militante Rechte, die fast ungezügelt russischen Chauvinismus verbreitet und den Militarismus unterstützt.

Im verzweifelten Versuch, die Partei vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren, vermeidet der Kongress faktisch jede bindende Resolution und programmatische Entscheidung. Die konkrete Umsetzung der Landreform, wie auch zahlreiche weitere wichtige Punkte, werden bis zu einer Konstituierenden Versammlung aufgeschoben, die in unbestimmter Zukunft einberufen werden soll. Die Partei verzichtet auch darauf, ihre Haltung zur immer brennenderen Nationalitätenfrage zu klären. Führende Vertreter bestehen darauf, dass nur Polen, nicht aber die Ukraine, Finnland oder irgendeine andere größere Nationalität das Recht erhalten soll, sich offiziell von Russland loszulösen. Trotz zahlreicher neuer Mitglieder gelingt es dem Kongress nicht einmal, ein Prozedere für den Beitritt zu beschließen.

Zürich, 14. Juni: Vernissage der Ferdinand-Hodler-Ausstellung

Sonnenaufgang am Genfersee, von Caux aus, 1917

In Zürich öffnet die bis dahin umfangreichste Kunstausstellung mit Werken des Schweizer Malers Ferdinand Hodler (1853–1918). Er gehört zu den innovativsten und vielseitigsten Künstlern der frühen Moderne. Sein Werk reicht von realistischer Landschafts- und Porträtmalerei über Symbolismus und Jugendstil bis hin zu immer abstrakteren Darstellungen von Menschen und Landschaften. Das Spätwerk umfasst nicht nur Porträts und Landschaften von großer Leuchtkraft, sondern auch etliche Monumentalgemälde und Wandmalereien, in denen er sich historischen Themen mit einer neuen Bildsprache nähert. Seine Figuren und Menschengruppen bewegen sich in rhythmischen Wiederholungen und erinnern an den modernen Ausdruckstanz.

Hodler wuchs in sehr ärmlichen Verhältnissen auf und wurde bereits früh mit dem Tod konfrontiert, einem bis an sein Lebensende für sein Werk wichtigen Thema. Als er fünf war, starb sein Vater, ein Schreiner, an Tuberkulose. Als er dreizehn war, fiel seine Mutter, die an der gleichen Krankheit litt, auf dem Feld tot um. Der 14-jährige Hodler lud sie auf den Schubkarren und fuhr sie tränenüberströmt in die Stadt. Danach starben auch seine fünf Geschwister und sein Stiefvater. Hodler: „In der Familie war es ein allgemeines Sterben. Mir war schließlich, als wäre immer ein Toter im Haus, und als müsste es so sein.“ Als 12-Jähriger musste er bereits die Familie ernähren, indem er die Schildermaler-Werkstatt seines Stiefvaters weiterführte.

Zu seinen beeindruckendsten Bildern gehören die rund 100 Zeichnungen und Gemälde von der Krankheit und dem Tod seiner Geliebten, der Tänzerin Valentine Godé-Darel (1915).

1914 unterzeichnet Hodler einen Protestbrief gegen die Bombardierung der Kathedrale von Reims durch deutsche Truppen. Daraufhin kommt es in Deutschland zu einer wütenden Hetze gegen ihn. In der Universität Jena hängt ein Bild Hodlers, „Auszug der deutschen Studenten in den Freiheitskrieg von 1813“. Der Nobelpreisträger Rudolf Eucken und der Zoologe Ernst Haeckel fordern die Entfernung und letzterer den Verkauf des Bildes. Haeckel schreibt, Hodler habe durch seine „gehässige und verleumderische Erklärung“ das Ehrgefühl der Deutschen „auf das Tiefste verletzt“. Die deutschen Museen verbannen alle seine Bilder in ihre Keller.

USA, 17. Juni: Charlie Chaplins Film „The Immigrant“ kommt in die Kinos

Charlie Chaplin, „The Immigrant“

Charlie Chaplins 22-minütiger Film „The Immigrant“ (Der Einwanderer) kommt in Amerika ins Kino. Der bemerkenswerte Film, der für die Mutual Film Corporation gedreht wurde, weist komödiantische, romantische und sozialkritische Elemente auf.

The Immigrant“ ist der elfte Kurzfilm, den Chaplin 1916–1917 für Mutual dreht. Alle Folgen hat er selbst produziert, geschrieben, Regie geführt und auch gespielt. Zu der Serie gehören so unsterbliche Stücke wie „Der Vagabund“, „Ein Uhr nachts“, „Das Pfandhaus“ und „Die Rollschuhbahn“.

Chaplin lässt sich teilweise von seinen eigenen Erfahrungen als Außenseiter in den USA inspirieren. Der Film beginnt an Bord eines Schiffes voller armer Einwanderer; viele werden seekrank. In einem wunderbaren Gag versucht Chaplin seine Bewegungen mit denen des schlingernden Schiffs zu synchronisieren. Er freundet sich mit einer jungen Frau (gespielt von Edna Purviance) und ihrer kränklichen, mittellosen Mutter an.

Im Hafen von New York erblicken die Neuankömmlinge die Freiheitsstatue, doch schon bald sind sie hinter einem Seil abgesperrt und der Willkür der Einwanderungsbeamten ausgeliefert. Die Szene, bei der Chaplins Tramp einen Beamten in den Hintern tritt, sollte später, in der McCarthy-Ära der frühen 1950er Jahre, als Beweis seines „Anti-Amerikanismus“ herangezogen werden, und er sollte gezwungen sein, das Land zu verlassen.

Chaplin und die 21-jährige Purviance, zwischen denen sich ein romantisches Verhältnis entwickelt, treffen sich in einem Restaurant wieder. Er sucht nach einer Möglichkeit, trotz eines riesigen, einschüchternden Kellners (Eric Campbell) die Zeche zu prellen.

Für seinen „Einwanderer“ hat Chaplin so viel Filmmaterial produziert, wie andere Regisseure für einen abendfüllenden Spielfilm. Er belichtet etwa 30.000 Meter Negativfilm, wobei die finale Version des Films nur etwa 650 Meter lang ist. Beim abschließenden Schneiden des Films arbeitet Chaplin vier Tage und Nächte ohne Schlaf.

In seiner Autobiographie beschreibt Chaplin die Zeit bei Mutual als „die glücklichste Zeit meiner Karriere“.

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