Bundesregierung schiebt wieder nach Afghanistan ab

Obwohl der Krieg in Afghanistan intensiviert wird, will die deutsche Regierung die Sammelabschiebungen dorthin wieder aufnehmen. Der nächste Charterflug nach Kabul soll schon kommenden Mittwoch vom Flughafen Leipzig/Halle aus starten.

Das gaben der NDR, der Spiegel und die Tagesschau am Donnerstag bekannt. Das Bundesinnenministerium habe dies auf Nachfrage zwar weder bestätigt noch dementiert. Aber wie es in den Nachrichten heißt, bereitet sich auch die Bundespolizei auf den Einsatz vor.

Die Bundesregierung hat bei der italienischen Chartergesellschaft Meridiana 15 Flüge gebucht, von denen bisher fünf für Sammelrückführungen genutzt worden sind. 107 Personen wurden schon auf diese Weise deportiert. Am 1. Juni wurden die Abschiebungen kurzzeitig ausgesetzt, nachdem ein besonders schlimmer Anschlag in Kabul über 150 Menschen getötet und die deutsche Botschaft in Schutt und Asche gelegt hatte.

Am Donnerstag verteidigte der bayrische Innenminister Joachim Herrmann weitere Sammelabschiebungen. Darüber seien sich alle Innenminister im Bund und in den Ländern einig. Laut dem Bayernkurier sagte Herrmann: „Im Bundestag gibt es weit über die Union einen Konsens, dass es keine unbegrenzte Einwanderung nach Deutschland geben darf.“ Herrmann verteidigte auch die Abschiebungen von Jugendlichen direkt aus dem laufenden Schulbetrieb heraus. „Auch Schulen sind kein rechtsfreier Raum“, sagte Herrmann.

Tatsächlich sind die Deportationen nach Afghanistan ein barbarischer Akt. Westliche Truppen, darunter die Bundeswehr, halten das Land seit 16 Jahren besetzt und sind für die erneute Eskalation der Gewalt verantwortlich. Erst Donnerstag starben in der südafghanischen Provinz Helmand mindestens 36 Menschen als eine Autobombe vor einer Bank explodierte.

Das Auswärtige Amt rät deutschen Touristen eindringlich, das Land zu meiden. „Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt“, steht auf der Website des Außenamts. Und weiter: „Bombenanschläge, bewaffnete Überfälle und Entführungen gehören seit Jahren in allen Teilen von Afghanistan zum Angriffsspektrum der regierungsfeindlichen Kräfte“. In den letzten Monaten hätten „mehrere schwere Anschläge mit zahlreichen Opfern“ stattgefunden, heißt es dort.

Die USA sind gerade dabei, ihre Truppen in Afghanistan zu verstärken, und sie fordern dasselbe auch von ihren Partnern. Wie ein Sprecher in Brüssel der Zeitung Die Welt sagte, wollen mehrere Nato-Länder ihre Kontingente in Afghanistan aufstocken. Dies werde wohl kommende Woche beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel beschlossen. Um welche Länder es sich handelt, wollte der Sprecher nicht sagen. Es seien verschiedene Länder, die an der Ausbildungsmission „Resolute Support“ teilnehmen, an der auch die Bundeswehr mit hunderten Soldaten beteiligt ist.

Während also die Generäle von Bundeswehr, Nato und US-Armee neue Kriegseinsätze in Afghanistan vorbereiten, schickt die Merkel-Regierung gleichzeitig Afghanistan-Flüchtlinge, die dem Bombenhorror knapp entkommen sind, ins Kriegs- und Krisengebiet zurück.

Rund 250.000 Afghanen leben in Deutschland. Rund 12.500 von ihnen werden nur „geduldet“, müssen also jederzeit mit ihrer Abschiebung rechnen. Laut Pro Asyl sind in diesem Jahr bis Mai, also in nur fünf Monaten, schon 146.000 Asylanträge abgelehnt worden. Flüchtlinge aus Afghanistan waren davon schon 42.000 Mal betroffen. Die Bescheide, die sich meist nur aus vorgestanzten Textbausteinen zusammensetzen, sind sehr oft fehlerhaft. Allein im ersten Quartal dieses Jahres sollen schon 97.000 Klagen gegen Asylbescheide eingegangen sein.

Bundesinnenminister De Maizière versucht, die Deportationen damit zu rechtfertigen, dass angeblich nur Kriminelle abgeschoben würden. Die Abschiebung von „Straftätern, Gefährdern und Menschen, die ihre Identität nicht preisgeben wollen“, sei niemals ausgesetzt worden, hieß es im Bundesinnenministerium auf Nachfrage des NDR.

De Maizière wirft dabei „Straftäter“ in einen Topf mit „Ausreisepflichtigen, die ihre Identität nicht preisgeben wollen“. Dies ist ein höchst fragwürdiger Vorwurf, der pauschal alle Schutzsuchenden ohne Pass treffen kann. Tatsächlich ist die Ursache für fehlende Papiere oft in der traumatisierenden Fluchtgeschichte der Betroffenen zu suchen.

De Maizières Tiraden gegen „Straftäter“ und „Gefährder“ sind in Wirklichkeit nur der durchsichtige Versuch, die Akzeptanz für die Deportationen durch pauschale Beschuldigungen der Abgeschobenen zu erhöhen. Die Regierung weiß genau, dass der Widerstand in der Bevölkerung gegen Abschiebungen und Militarismus täglich wächst.

An vielen Orten gärt es, wie zum Beispiel in Nürnberg und Duisburg, wo Jugendliche und Anwohner dagegen schon auf die Straße gingen.

In Duisburg demonstrierten rund 1.000 Schülerinnen und Schüler für die Rückkehr ihrer Mitschülerin, der 14-jährigen Bivsi Rana. Die Ausländerbehörde hatte sie am 29. Mai mit einem massiven Polizeiaufgebot aus dem Unterricht herausholen lassen. Sie wurde am gleichen Tag mit ihren Eltern nach Nepal abgeschoben. Der zuständige Innenminister von Nordrhein-Westfalen war da noch Ralf Jäger von der SPD.

Nur zwei Tage später kam es in Nürnberg zur stundenlangen Auseinandersetzung von Berufsschülern mit der Polizei. Mit einer spontanen Sitzblockade wollten die Jugendlichen verhindern, dass ihr Mitschüler Asef N. deportiert wurde. Obwohl schwerbewaffnete Polizisten mit Knüppeln, Hunden und Pfefferspray gegen die Schüler vorgingen, stellten sich etwa 300 Jugendliche und Nachbarn auf ihre Seite.

Seither wehren sich auch in Wiesbaden und Offenbach Schulklassen und ganze Schulen gegen die Deportation von Mitschülern. An der August-Bebel-Schule in Offenbach setzen sich Lehrer und Schüler für Najib, Ahmad, Samsor und Nasser ein, vier 18-Jährige, denen schon der Abschiebungsbescheid zugestellt wurde. An der Frankfurter Philipp-Holzmann-Berufsschule sind mittlerweile schon 20 Schüler von Abschiebung bedroht.

Für Schlagzeilen sorgte ein Fall am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Gießen: Dort entscheidet ein bekannter Rechtsextremer über das Schicksal der Immigranten. Der Jurist Mark Olaf Enderes saß bis 2011 acht Jahre lang für die Republikaner im Wiesbadener Landtag. Er war sogar stellvertretender Vorsitzender dieser Partei, die in ihrem Programm das Grundrecht auf Asyl ausdrücklich abschaffen will.

Enderes arbeitet beim hessischen BAMF als Prüfer und Entscheider in Asylfragen. Das ist nicht etwa ein Versehen, sondern volle Absicht. Die Behörden verteidigen Enders und haben auf die Nachfrage eines Journalisten der Frankfurter Rundschau erklärt, es lägen keinerlei Erkenntnisse vor, dass sich seine Zugehörigkeit zu den Republikanern auf seine Entscheider-Tätigkeit auswirke. Im Übrigen würden die Republikaner schon seit 2007 nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet.

Enderes‘ Entscheidungen beim hessischen BAMF sprechen allerdings eine andere Sprache. Zum Beispiel wurde in Offenbach der Asylantrag des 18-jährigen Samir H. abgelehnt, den Enderes am 11. Mai angehört hatte. Samir ist schon drei Jahre in Deutschland, spricht fließend Deutsch, hat an der Gerhard-Hauptmann-Schule in Wiesbaden seinen Realschulabschluss gemacht und hat die Zusage für einen Ausbildungsplatz als Mechatroniker in der Tasche. Dennoch wurde sein Asylantrag am 30. Mai aufgrund von Enderes Empfehlung abgelehnt.

Der Fall widerspricht offensichtlich dem neuen Integrationsgesetz von 2016. Dieses besagt mit seiner „3+2-Regelung“, dass Flüchtlinge, die eine Ausbildung absolvieren, in diesen drei Jahren plus weiteren zwei Jahren Schutz vor Abschiebung genießen müssen.

Der Fall macht auch deutlich, dass die Abschiebungen ideologisch motiviert sind. Die Bundesregierung will überhaupt keine Integration. Alle Bundesländer setzen die Abschiebungen durch. Das gilt auch für das grün regierte Baden-Württemberg und für Thüringen mit seinem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der Linkspartei. Alle bundesdeutschen Parteien sind sich offenbar einig, dass der deutsche Staat die Anweisung von Bundeskanzlerin Merkel vom letzten Jahr, „Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung“, gnadenlos durchsetzen muss.

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