Diese Woche in der Russischen Revolution

21.–27. August: Kerenski bereitet Konterrevolution vor

Mit der Ernennung General Kornilows zum Oberbefehlshaber der Armee hat sich Kerenski scharf nach rechts gewandt. Um alle konterrevolutionären Kräfte Russlands hinter sich zu vereinen, beruft er die Moskauer Staatsberatung ein. Dort bringt er die alten zaristischen Generäle, den Klerus, zaristische ex-Bürokraten und Kosaken-Warlords mit Banken- und Konzernherren, Großgrundbesitzern und Gewerkschaftsführern zusammen. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, die ebenfalls teilnehmen, applaudieren begeistert, sobald das selbsternannte „Oberhaupt“ des Landes (Kerenski) die Bühne betritt.

Moskau, 21.–23. (8.–10.) August: Wirtschaftsbosse, Generäle und Kadetten unterstützen Kornilow

Alexei Kaledin, Kosaken-Kavalleriegeneral, später Führer des Weißen Aufstands gegen die Bolschewiki

Etwa 400 führende Industrielle, Kadetten und Generäle nehmen an der „Konferenz der Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“ in Moskau teil. Um „Störungen“ zu vermeiden, sind die Sitzungen nicht-öffentlich. Es sind im Wesentlichen konspirative Debatten der russischen Militär-, Wirtschafts- und politischen Führer, die sich auf eine Militärdiktatur vorbereiten.

Unter den Delegierten befinden sich viele Kadetten, allen voran Pawel Miljukow, daneben reiche Industrielle wie Rjabuschinski, Tretjakow, Konowalow und Wischnegradski, sowie zahlreiche hochrangige Militärs, darunter die Generäle Alexejew, Brussilow, Judenitsch und der Kosakengeneral Kaledin. Um es mit Historiker William Rosenberg zu sagen: „Ausgeschlossen waren alle Beobachter, vor allem Arbeiter, Bauern und Soldaten, welche die linke Presse lasen. Keine Versammlung hätte besser die tiefe soziale Kluft, die nun die russische Gesellschaft zerriss, illustrieren können“ (William Rosenberg, „Liberals in the Russian Revolution“, 1974, S. 211, aus dem Englischen).

Am 22. August (9. August, greg. Kalender) spricht die Konferenz Kornilow offiziell ihr Vertrauen aus. Die entsprechende Deklaration bezeichnet alle Angriffe auf seine Autorität in der Armee und im Hinterland als „Verrat“ und bekräftigt, dass das „gesamte denkende Russland“ jetzt „mit Hoffnung und Vertrauen“ auf Kornilow blicke. (Siehe: „Die Kornilow-Bedrohung“)

Die Deklaration schließt mit einem Lobgesang auf Kornilow: „Möge Gott Ihnen beistehen bei Ihrer großen Aufgabe, wieder eine starke Armee herzustellen und Russland zu retten.“ Die Erklärung wird noch am selben Tag an Kornilow gesandt und weit verbreitet.

In einer andern Resolution, die der Kadettenführer Miljukow einbringt, fordern die Konferenzdelegierten die Entfernung aller sozialistischen Parteien aus der Regierung und der öffentlichen Politik. „Die Gründe und Wurzeln für Russlands schlechtes Befinden sind offensichtlich. Ihre Quelle liegt in der Unterordnung der großen nationalen Aufgaben der Revolution unter die visionären Aspirationen sozialistischer Parteien … Eine Verzögerung ist nicht mehr möglich. Im Namen von Russlands Errettung und der Wiedergeburt der Freiheit muss die Regierung sofort und entschieden mit allen Dienern Utopias brechen.“

Zum Ende der Konferenz findet eine private Sondersitzung der Wirtschaftsführer mit der Generalität statt. Sie diskutieren die Notwendigkeit für „strengste Maßnahmen“, um Militärdisziplin wiederherzustellen. Notwendig sei eine neue Regierung, „die endlich die Möglichkeit schafft, eine starke, unbefristete Staatsautorität zu errichten“, was ihrer Meinung nach „in der jetzigen Zeit … absolut notwendig“ sei (Zitiert nach W. Rosenberg, ibid.).

Am 23. (10.) August treffen sich Kerenski und Kornilow persönlich. Als Auftakt zu dem Treffen umzingeln Kornilow ergebene Soldaten das Winterpalais und platzieren in der Vorhalle ein Maschinengewehr. Am Treffen selbst legt Kornilow seine Forderungen dar, welche neben der Unterdrückung der Sowjets auch die Unterstellung der Eisenbahnen und Fabriken unter direkte Militärkontrolle umfassen. Kerenski antwortet ausweichend und unverbindlich, aber er scheint Kornilows Forderungen insoweit stattzugeben, als sie zur Restauration der zaristischen Disziplin in der Armee beitragen.

In Vorbereitung auf einen Staatsstreich verlegt Kornilow Truppen nach Petrograd. Am 24. (11.) August sagt er seinem Stabschef, es sei „hohe Zeit, die deutschen Spione und Schützlinge mit Lenin an der Spitze zu hängen“ und „den Arbeiter- und Soldatenrat auseinanderzutreiben, aber so, dass er nicht wieder zusammen tritt“. Kornilow äußert sich erfreut über die Ernennung des ultrakonservativen Generals Krymow zum Leiter der Militäroperationen gegen Petrograd, und er kommentiert beifällig, dass Krymow nicht lange zögern werde, „den ganzen Arbeiter- und Soldatenrat zu hängen“. (Zitiert nach Alexander Rabinowitch, „Die Sowjetmacht. Die Revolution der Bolschewiki 1917“, 2009, S. 158–159.)

Magdeburg, 21. August: Streikbewegung in Deutschland weitet sich aus

Streikende Arbeiter der Leunawerke, August 1917

Die Magdeburger Volksstimme berichtet unter der Überschrift „Drohender Weberstreik im Eulengebirge“, dass es in den Gebieten der schlesischen Hungeraufstände von 1844 zu einer „mächtigen Bewegung der Textilarbeiter und –arbeiterinnen gekommen“ sei, „die zu einem großen Streike zu führen droht“.

Die Arbeiter verlangen einen Mindestlohn, der ihnen einigermaßen das Auskommen ermöglicht, berichtet die Zeitung. Die Unternehmer wollen nur eine 25prozentige Lohnerhöhung zubilligen. Sie verlangen aber gleichzeitig die Anhebung der Arbeitszeit um 10 Stunden auf 55 Stunden pro Woche. Die Textilarbeiterinnen sehen sich jedoch außerstande, neben der Versorgung ihrer Kinder und sonstigen Familienangehörigen einen ganzen Tag länger in der Woche zu arbeiten. Die gesamte Bevölkerung des Gebiets leidet schon unter jahrelanger Unterernährung, wie es in dem Artikel heißt. Die Aufregung wächst mit jedem Tag. Darüber hinaus ist kriegsbedingt das Rohmaterial so schlecht, dass es die Arbeit am Webstuhl ungeheuer erschwert.

Seit dem Mai 1917 hat die Textilarbeitergewerkschaft mehrmals vergeblich mit den Unternehmern über Lohnerhöhungen verhandelt. Durch Verhandlungen mit dem Kriegsamt erreichen sie für einige kriegswichtige Betriebe, dass die dort Schwerstarbeit verrichtenden Arbeiter als Rüstungsarbeiter anerkannt werden. Alle, die „leichtere Arbeit“ verrichten, also die große Mehrheit der Textilarbeiterinnen und –arbeiter, bleiben von den Vergünstigungen ausgenommen. Das preußische Kriegsministerium setzt „zur Sicherstellung dringender Heereslieferungen in Leinensegeltuchen“ für bestimmte Fabriken die Erlaubnis für eine unbeschränkte Ausdehnung der Arbeitszeit durch. All das trägt zum Unmut der Belegschaften in den Textilfabriken bei.

Ende Juli bis Mitte August haben bereits rund 10.000 Bergarbeiter in Schlesien gestreikt. Anschließend treten 16.000 Arbeiter des Chemiegiganten Leunawerke und Tausende von Arbeitern anderer mitteldeutscher Industrieorte in den Ausstand. In den Städten mehren sich die Protestkundgebungen und Straßendemonstrationen.

Auch in der Rheinprovinz um Düsseldorf und im Ruhrgebiet nimmt die Unruhe täglich zu, wie ausländische Zeitungen berichten. Die Inlandspresse schweigt dazu – wegen der Zensur. In Essen fordern Arbeiter 10 Pfund Kartoffeln als Grundration pro Woche. Doch auf einem Treffen mit den Delegierten der Arbeiter teilt ihnen die Kriegsernährungsbehörde mit, in den kommenden 20 Wochen gäbe es nicht mehr als 8 Pfund pro Woche.

In den Streiks vom Sommer 1917 spielen zwar wie im April Nahrungsmittelsorgen und Lohnfragen die Hauptrolle. Da die Arbeiter und Arbeiterinnen begreifen, dass ihre Notlage vor allem aus der Kriegswirtschaft resultiert, drücken sie ihre politische Unzufriedenheit und ihre Ablehnung des Kriegs immer stärker aus und geraten mit der Politik des Burgfriedens von SPD und Gewerkschaftsführung in Konflikt. Diese haben mit der Obersten Heeresleitung und der Regierung vereinbart, keinerlei Arbeitskämpfe auszutragen oder zu unterstützen, solange der Krieg dauert. Politische Forderungen werden jetzt immer lauter vorgetragen.

Mitte August 1917 verteilen Mitglieder der USPD in Magdeburg einen Aufruf zum Generalstreik für den Frieden. Polizei und Militärbehörden reagieren mit scharfer Repression und verhaften mehrere bekannte Arbeiterführer. Einige hundert Arbeiter im Magdeburger Krupp-Gruson-Werk treten daraufhin wegen der Verhaftung ihrer Führer in den Streik. Dieser bleibt jedoch erfolglos, nicht zuletzt deshalb, weil die offizielle Gewerkschaftsführung eng mit den Militärbehörden zusammenarbeitet. Die Arbeiter sehen die Verhaftung als Disziplinierung an, schicken eine Delegation zum Stellvertretenden Oberkommandierenden und verlangen die Freilassung ihrer Führer. Dieser informiert die Delegation, dass der Mann des Hochverrats verdächtig sei, weil er Handzettel verteilt habe, die die Arbeiter zum Generalstreik aufriefen. Die Verhafteten werden zu 3 bis 9 Monaten Gefängnis verurteilt.

Turin, 22.–25. August: Generalstreik und Barrikadenkämpfe

Arbeiter beim Barrikadenbau in Turin, August 1917

Als 80 Bäckereien schließen, weil sie kein Brot mehr haben, demonstrieren am 22. August in der Industriestadt Turin tausende Frauen. Rasch verbreitet sich der Protest in den Arbeitervierteln und schließlich in der gesamten Arbeiterschaft.

Ein Arbeiter berichtet später: „Wir hörten auf zu arbeiten, versammelten uns vor dem Fabriktor und schrien: ‚Wir haben nichts gegessen. Wir können nicht arbeiten. Wir wollen Brot.’ Der Boss meiner Firma Pietro Diatto war sehr besorgt und schmierte den Arbeitern Honig um den Bart: ‚Ihr habt recht. Wie kann jemand arbeiten, ohne zu essen? Ich rufe gleich bei der Militärversorgung an und bestelle einen Lastwagen voll Brot. Unterdessen geht bitte zurück zur Arbeit, in eurem Interesse und im Interesse eurer Familien.’ Die Arbeiter wurden einen Moment still. Für einen Augenblick schauten sie einander an, als ob sie schweigend die Meinung der anderen abschätzten. Dann schrien alle gemeinsam: ‚Brot interessiert uns nicht. Wir wollen Frieden! Nieder mit den Profiteuren! Nieder mit dem Krieg!’“

Einen Tag später kommt es zum Generalstreik, in dem immer stärker politische Forderungen erhoben werden. Die Arbeiter fordern ein Ende des Kriegs.

Viele Teile der Stadt werden verbarrikadiert. Die Regierung schickt Truppen in die Stadt. Drei Tage lang kämpfen die Arbeiter in den Vororten auf den Barrikaden gegen das übermächtige, mit Panzern und Artillerie vorrückende Militär, bis ihr Aufstand in Blut erstickt wird.

Nach offiziellen Angaben kommt es zu 50 Todesopfern und 200 Verwundeten. 800 werden verhaftet. Die Führung der Sozialisten wird der Anstiftung zur Revolution angeklagt und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Direktion der Sozialisten wird durch ein zwölfköpfiges Komitee ersetzt, dem auch der junge Journalist Antonio Gramsci angehört.

Schon im Februar hatten die Turiner Fiat-Arbeiter die russische Revolution mit den Worten „Fare come in Russia!“ („Machen wir es wie in Russland!“) begrüßt. Trotz Streikverbots und Ausnahmezustand kommt es in diesem Jahr immer wieder zu Unruhen und Streiks in den Fabriken. Junge ländliche Arbeiter, auch diejenigen, die als unabkömmlich nicht in den Kriegsdienst müssen, und Frauen legen aus Protest ihre Arbeit nieder. Zu längeren Streiks kommt es in Mailand, Terni, Piombino, Neapel, Livorno und Prato. In Sestri Ponente findet ein monatelanger Streik in der Eisen- und Metallindustrie Liguriens statt. Insgesamt beteiligen sich 1917 fast 170.000 Arbeiter an Streiks und Aufständen gegen Teuerung, Versorgungsnotstand und die aufgeblähte Kriegsbürokratie. Aber auch ein Teil der Soldaten rebelliert in dieser Zeit. Desertionen nehmen zu.

23. (10.) August: Provisorische Regierung verbietet Rabotschi i soldat (Zeitung der Bolschewiki)

Titelseite der 10. Ausgabe von Proletari vom 6. September (26. August) 1917

Ununterbrochen versucht die Provisorische Regierung, die Bolschewistische Partei zum Schweigen zu bringen. Nachdem sie schon das bolschewistische Zentralorgan Prawda verboten hat, untersagt sie jetzt auch das Erscheinen von Rabotschi i soldat (Arbeiter und Soldat), die Zeitung, welche die Prawda ersetzt. Die Bolschewiki-Führung gibt jedoch dem Druck der Regierung nicht nach und bringt prompt ein neues Organ heraus: Proletari (Das Proletariat). Die erste Ausgabe von Proletari erscheint nur drei Tage nach dem Verbot von Rabotschi i soldat, am 26. (13.) August.

Houston (Texas), 23. August: Aufstand afroamerikanischer Soldaten gegen Stadtpolizei

Kriegsgericht für Mitglieder des 24. United States Infantry Regiment. Die weiße Bildunterschrift beginnt mit: „Größter Mordprozess in der Geschichte der Vereinigten Staaten …“

Eine Gruppe von 150 farbigen Soldaten empört sich über die Misshandlung durch Ortspolizisten und marschiert vom Camp Logan nach Houston. In der Nacht kommt es zu Kämpfen, in denen vier Soldaten und sechzehn Polizisten und Zivilisten sterben. Darauf werden neunzehn Soldaten vors Kriegsgericht gestellt und aufgehängt, weitere 41 kommen lebenslang hinter Gittern.

Die Wilson-Regierung hat in ihrem „Krieg für Demokratie“ alle Teile der amerikanischen Bevölkerung mobilisiert, und alle haben Väter, Brüder, Söhne im Krieg, die kämpfen und sterben. Aber Afroamerikaner werden in rein schwarze Einheiten gesteckt, wo sie erniedrigend behandelt werden und härter arbeiten und gefährlichere Aufgaben als die andern übernehmen müssen. Der Große Krieg hat gerade zur Zeit der rassistischen Jim Crow-Gesetze im Süden eingesetzt. In dieser Periode haben Polizisten und selbsternannte Bürgermilizen praktisch freie Hand, Farbige zu terrorisieren und umzubringen.

Houston, eine von Rassentrennung geprägte Metropole im Süden, ist keine Ausnahme. Die Soldaten des 24. United States Infanterieregiments im nahegelegenen Camp Logan erleiden jede Art von Demütigung. Der Siedepunkt ist erreicht, als Polizisten in Houston Soldaten mit Pistolen verprügeln. Im Camp Logan verbreitet sich das Gerücht, einer der Soldaten sei dabei umgekommen. Die Männer beschließen, sich Waffen aus dem Stützpunkt zu besorgen, und marschieren damit in die Stadt. Unterwegs üben sie an mehreren Polizisten und Zivilisten Rache. Nachdem sie versehentlich einen Soldaten getötet haben, zerstreuen sie sich. Houston wird unter Kriegsrecht gestellt.

Die Verfahren vor dem Kriegsgericht führen zu 29 Todesurteilen. Präsident Wilson überprüft die Urteile persönlich und hebt zehn Todesurteile wieder auf, aus Anerkennung für die „hervorragende Loyalität“ der Afroamerikaner im Krieg und als Ermutigung zu „zukünftigem Eifer im Dienst am Land“.

London, 23. August: Britische Regierung bildet jüdisches Bataillon im Kampf gegen Osmanen in Palästina

Wladimir (Ze’ev) Jabotinski in Uniform

Die Lloyd George-Regierung gibt die Bildung eines jüdischen Bataillons bekannt, das in der britischen Armee gegen die osmanischen Truppen in Palästina kämpfen soll. Zionisten wie Wladimir Jabotinski und Chaim Weizmann setzen sich seit 1915 für die Bildung einer solchen Truppe ein. Für sie ist das ein Schritt im Kampf für einen unabhängigen jüdischen Staat.

Die Initiative beginnt im Februar 1915, als Jabotinski sich gemeinsam mit Josef Trumpeldor einverstanden erklärt, in Palästina eine militärische Einheit aus emigrierten russischen Juden zu bilden. General Maxwell erklärt bei einem Treffen mit Jabotinski und Trumpeldor im März des Jahres, dass er keine Armeeeinheit aus Ausländern bilden könne, bietet aber an, ein Transportkorps zu gründen. Trumpeldor akzeptiert diesen Vorschlag und beginnt nun, ägyptische Juden zu rekrutieren, während Jabotinski nach Europa geht, um Unterstützung für eine Einheit zu mobilisieren.

Je weiter der Krieg voranschreitet, desto mehr gelangt der britische Imperialismus zu der Auffassung, dass eine Unterstützung des Zionismus im geostrategischen Interesse Großbritanniens in der Region liege. Premierminister Herbert Asquith ist gegen die Unterstützung der Forderung der Zionisten nach einer jüdischen Heimstatt, aber im Dezember 1916 wird er durch Lloyd George ersetzt, der ein Bündnis mit dem Zionismus befürwortet.

Die britische Politik ist stark widersprüchlich und legt die Grundlage für künftige Konflikte im Nahen Osten. Juden machen zu der Zeit nur zwölf Prozent der Bevölkerung Palästinas aus. Der britische Hochkommissar in Kairo, McMahon, stimmt Anfang 1916 zudem mit Hussein bin Ali, dem Scharifen von Mekka, überein, nach dem Krieg einen unabhängigen arabischen Staat zu unterstützen, wenn die Araber sich im Gegenzug gegen die Osmanen erheben. Auf dieser Grundlage führen zwei arabische Prinzen im Juni 1916 die Arabische Revolte gegen die osmanische Herrschaft an.

Gleichzeitlich schließt London das geheime Sykes-Picot Abkommen ab, dessen Bestimmungen den Arabern verschwiegen werden. Es regelt die britischen und französischen Einflusssphären. London bekommt den größten Teil des Irak zugesprochen, während Paris den größten Teil Syriens und Teile des Nordirak erhält. Auch spricht das Abkommen Haifa und Akkra Großbritannien zu, um den Briten Zugang zum Mittelmeer zu garantieren. Über die so genannte Braune Zone, d.h. die Region um Jerusalem, sollen hingegen später Verhandlungen stattfinden. London hofft, durch die Unterstützung einer zionistischen Kampfgruppe seine Position gegenüber Frankreich in der Region zu stärken.

Das neu gegründete jüdische Bataillon erhält die Bezeichnung 38th Battalion of the Royal Fusiliers. Das 39. Bataillon wird im April 1918 in Nova Scotia gebildet und besteht aus Juden aus Nordamerika. Die Bataillone werden gegen die Osmanen im Jordantal und im Norden von Jerusalem eingesetzt.

Butte (Montana), 23. August: Kupferhüttenstreik legt Anaconda-Konzern lahm

Zeitungskarikatur in Butte, zeigt die Macht des Bergbaukonzerns Anaconda von Standard Oil über den Staat

Ein Streik der Schmelzofenarbeiter von Anaconda in Butte (Montana) zwingt den Kupferbergbaukonzern, der zu Rockefellers Standard Oil gehört, die Produktion in der ganzen Region zu unterbrechen. 15.000 Arbeiter können nicht weiterarbeiten, und die gesamte Kupferherstellung wird gestoppt. Butte ist ein Zentrum des Klassenkampfs. Erst einen Monat vorher wurde der IWW-Gewerkschafter Frank Little brutal ermordet, und zwei Monate zuvor starben 160 Bergarbeiter bei einem Grubenbrand.

Moskau, 25.–28. (12.–15.) August: Konterrevolutionäre auf der Moskauer Staatsberatung

General Kornilow (vorne) und andere Offiziere, 1917

Etwa 2500 Vertreter der herrschenden Elite Russlands nehmen an der Konferenz teil, die Kerenski nach Moskau einberufen hat. Alle konterrevolutionären Kräfte Russlands sollen sich hinter einer Regierung „von Blut und Eisen“ versammeln, mit Kerenski als ihrem „Oberhaupt“.

Menschewiki und Sozialrevolutionäre (SR) haben Delegationen aus den Zentralexekutivkomitees der Sowjets geschickt, und diese applaudieren frenetisch, sobald Kerenski die Bühne betritt. Die Bolschewiki beabsichtigen, zur Konferenz zu kommen und sie bei erster Gelegenheit unter Protest zu verlassen, um den konterrevolutionären Inhalt und Rahmen anzuprangern. Die Menschewiki und SR-Führer verhindern dies, indem sie die Bolschewiki vorbeugend aus allen Sowjetdelegationen ausschliessen.

Auf der rechten Seite der Halle sind die Anhänger der Monarchie aufgereiht, der Klerus, die alten Tyrannen der Armee und der Landgüter, daneben die Vertreter der Schwarzhunderter. Diese Elemente, die sich seit der Februarrevolution versteckt hatten, sind jetzt äußerst begierig darauf, ihre Begeisterung für die blutige Unterdrückung der Massen offen zu zeigen. Auf dem „linken“ Flügel der Konferenz sitzen die Menschewiki und Sozialrevolutionäre. Bei jeder Gelegenheit loben sie die Provisorische Regierung und deren Politik und versuchen, sich den reaktionären Eliten anzupassen, indem sie sich vom Streben der Massen nach Frieden und Sozialismus klar distanzieren.

Kerenski betritt die Bühne, und um die monarchistische Rechte nicht zu reizen, verzichtet er in seiner Rede auf jede Erwähnung der „Republik“. Stattdessen schüttelt er zu Beginn seine Faust in Richtung imaginärer Bolschewiki, ohne sie beim Namen zu nennen, und warnt sie, jeder Widerstand gegen die Regierung werde „mit Eisen und Blut unterdrückt werden“. Die gesamte Konferenz, auch Menschewiki und Sozialrevolutionäre, brechen auf diese Drohung hin in frenetischen Beifall aus.

Kerenski fürchtet aber nicht nur die Bedrohung von unten, von Seiten der Bolschewiki und revolutionären Massen. Auch von der äußeren Rechten, die Kornilow repräsentiert, geht für ihn wachsende Gefahr aus. Entsprechend droht er auch dem rechten Flügel der Konferenz: „Welche Seite mir auch Ultimaten stellen sollte, ich werde in der Lage sein, sie dem Willen der obersten Staatsgewalt und mir, ihrem Oberhaupt, unterzuordnen.“ Diese Warnung wird etwas verhaltener aufgenommen, da ausschließlich die linke Saalhälfte applaudiert.

Kornilows Einzug in Moskau wirkt wie ein Stück aus dem Mittelalter. Als sein Zug im Bahnhof einrollt, springen rotgewandete turkmenische Wachen mit blankgezogenen Säbeln auf den Bahnsteig und stellen sich in zeremonieller Formation wie zum Empfang eines Zaren auf. Kornilow erscheint in prächtiger Uniform und wird beim Vorübergehen mit Blumen beworfen. Sein Auftreten auf der Staatsberatung schildert Trotzki in seiner „Geschichte der Russischen Revolution“:

Beim Erscheinen Kornilows in seiner Loge bereitet ihm der rechte Teil der Beratung stürmischen Empfang. Der linke Teil bleibt fast vollzählig sitzen. Rufe „Aufstehen“ werden durch rohe Schimpfworte aus der Offiziersloge ergänzt …

„Ihr Wort, General!“ Die Sitzung nähert sich dem kritischen Moment. Was wird der Höchstkommandierende sagen, dem Kerenski beharrlich, aber vergeblich zuredet, sich lediglich auf eine Skizzierung der Kriegslage zu beschränken? Miljukow berichtet als Augenzeuge: „Die kleine, untersetzte aber gedrungene Gestalt des Mannes mit der Kalmückenphysiognomie, dem scharfen, durchdringenden Blick der kleinen, schwarzen Augen, in denen böse Feuerchen aufflammten, erschien auf der Rampe.“ Der Saal erbebt von Applaus. Alle stehen, mit Ausnahme … der Soldaten. An die Adresse der sitzen gebliebenen Delegierten erschallen von rechts mit Schimpfworten vermischte Entrüstungsschreie. „Knoten! … Aufstehen!“ Von den Bänken, wo man nicht aufsteht, antworten Stimmen: „Knechte!“ Der Lärm geht in Sturm über. Kerenski beantragt, „den Ersten Soldaten der Provisorischen Regierung“ ruhig anzuhören.

Scharf, kurz, befehlend, wie es sich für einen General geziemt, der im Begriff ist, ein Land zu retten, verliest Kornilow einen Zettel, den der Abenteurer Sawojko unter dem Diktat des Abenteurers Filonenko für ihn niedergeschrieben hat. Nach dem aufgestellten Programm war der Zettel jedoch viel gemäßigter als jener Plan, zu dem er den Auftakt bilden sollte. Den Zustand der Armee und die Lage an der Front genierte Kornilow sich nicht in den düstersten Farben zu schildern mit der durchsichtigen Berechnung, zu schrecken. Den Kernpunkt der Rede bildete die Kriegsprognose: „… Der Feind klopft bereits an Rigas Tore, und wenn nicht die Standhaftigkeit unserer Armee die Möglichkeit schafft, uns an der Rigaer Küste zu halten, wird der Weg nach Petrograd offen sein.“ Kornilow versetzt hier der Regierung einen wuchtigen Hieb. „Durch eine ganze Reihe gesetzgebender Maßnahmen, nach der Umwälzung durchgeführt von Menschen, denen der Geist der Armee und das Verständnis für sie fremd, ist diese Armee in einen Haufen Wahnsinniger verwandelt worden, dem ausschließlich sein Leben wertvoll ist.“

Es ist klar: Für Riga gibt’s keine Rettung, und der Höchstkommandierende sagt es offen, herausfordernd, vor der ganzen Welt, gleichsam die Deutschen einladend, die schutzlose Stadt zu nehmen. Und Petrograd? Kornilows Gedanke ist der: Erhalte ich die Möglichkeit, mein Programm durchzuführen, so ist Petrograd vielleicht noch zu retten; aber sputet euch! Die Moskauer Zeitung der Bolschewiki schrieb: „Was ist das – Warnung oder Drohung? Die Tarnopoler Niederlage hatte Kornilow zum Höchstkommandierenden gemacht. Die Preisgabe Rigas kann ihn zum Diktator machen.“

Nun betritt Erzbischof Platon die Konferenzbühne, und er erklärt: „Ich bin hier heraufgekommen, um von dieser Stelle aus Russland zuzurufen: Gerate nicht in Verwirrung, Teures, fürchte dich nicht, Geliebtes. Sollte für Russlands Rettung ein Wunder nötig sein, dann wird auf die Gebete der Kirche hin Gott ein Wunder tun.“ Darauf greift er den linken Flügel der Konferenz an und beschwert sich, er habe in allen bisherigen Reden „nicht ein einziges Mal, auch nicht versehentlich, das Wort Gott vernommen“. Trotzki bemerkt dazu: „Die Kirchenmänner, die sich vor Rasputin im Staub gekrümmt hatten, wagten es jetzt öffentlich, der Regierung der Revolution Gott zu predigen.“

Indessen endet Kerenskis Versuch, alle konterrevolutionären Kräfte im Land zu vereinen, dem lautstarken Jubel zum Trotz in Chaos und Scheitern. Ein junger Kosakenoffizier erklärt in seinem Beitrag der Versammlung offen, dass die Frontkämpfer kein Vertrauen in die Offiziere hätten. Aus der Offiziersloge lässt sich eine Stimme hören: „Die deutsche Mark.“ Darauf explodiert die Konferenz in einem Höllenlärm von Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen, und unaufhörlich tönt die Glocke des Vorsitzenden. Offenbar steht ein Handgemenge kurz bevor, und auch Kerenskis Redekunst kann die Konferenz nicht mehr retten. Trotzki erzählt, auf welche schändliche Weise die Konferenz endet:

Nach all dem Vorgefallenen versicherte Kerenski in seiner Schlussrede: „Ich glaube und weiß sogar … es ist ein großes Verständnis füreinander erreicht worden, es ist eine große Achtung füreinander erreicht worden.“ Noch nie zuvor hatte sich das Doppelwesen des Februarregimes zu solch widerlicher und zweckloser Verlogenheit erhoben. Die Stimme des Redners, der selbst nicht imstande ist, diesen Ton durchzuhalten, schlägt plötzlich bei den letzten Sätzen um in einen Schrei der Verzweiflung und Drohung: „Mit versagender Stimme, die vom hysterischen Schrei bis zum tragischen Flüstern sinkt, droht Kerenski“, nach Miljukows Schilderung, „dem eingebildeten Gegner, den er mit flackerndem Blick im Saale sucht …“ In Wahrheit wusste Miljukow besser als sonst jemand, dass der Gegner kein eingebildeter war. „Heute, Bürger der russischen Erde, will ich nicht mehr träumen … Mag das Herz steinern werden …“ raste Kerenski, „mögen alle jene Blumen und Träume vom Menschen verdorren (eine Frauenstimme von oben: ‚Nicht doch!‘), die man heute, von diesem Katheder hinab, mit Füßen trat. So werde ich selbst zu treten beginnen. Sie sollen nicht mehr sein. (Eine Frauenstimme von oben: ‚Sie dürfen das nicht tun, Ihr Herz wird es Ihnen nicht erlauben!‘) Ich werde die Schlüssel zum Herzen, das die Menschen liebt, weit wegwerfen, ich werde nur noch an den Staat denken.“

Im Saal stand ein Schauder, der diesmal beide Hälften erfasst hatte. Die soziale Symbolik der Staatsberatung endete mit einem unerträglichen Monolog aus einem Melodrama. Die Frauenstimme, die sich zur Verteidigung der Blumen im Herzen erhob, erklang wie ein Notschrei, wie SOS-Rufe der friedlichen, sonnigen, unblutigen Februarrevolution. Über die Staatsberatung fiel endlich der Theatervorhang.

Während die Konterrevolutionäre auf der Staatsberatung Kerenski und Kornilow wie toll applaudieren, bricht ein gewaltiger Generalstreik in Moskau aus, an dem über 400.000 Arbeiter teilnehmen. Laut einem Eintrag in der späteren Sowjet-Enzyklopädie kommt es gleichzeitig auch in Kiew, Charkow, Jekaterinenburg, Wladimir, Saratow und Nischni Nowgorod zu Streiks und Massenkundgebungen.

Auf der Konferenz selbst jedoch wird mit keinem Wort die Partei erwähnt, die zwei Monate später die Macht übernehmen wird. Sie wird systematisch von allen Reden und Diskussionen ausgeschlossen. Die Vertreter des alten Regimes tun gemeinsam so, als gäbe es die Bolschewiki nicht.

(Siehe dazu: Leo Trotzki, „Geschichte der Russischen Revolution“, Bd. 2, „Die Staatsberatung in Moskau“.)

Wilhelmshaven, 26. August: Feldkriegsgericht verhängt Todesurteile gegen Führer der Antikriegsproteste

Max Reichpietsch (23) und Albin Köbis (25), exekutiert am 5. September 1917, weil sie einen Protest-Landgang organisierten, der das sofortige Kriegsende forderte

Ein Feldgericht der Deutschen Hochseestreitkräfte verhängt gegen die Matrosen und Heizer Bernhard Spanderen, Max Reichpietsch, Albin Köbis, Hans Beckers, Willi Sachse und Willi Weber die Todesstrafe wegen „vollendetem Landesverrat“ und „vollendeter kriegsverräterischer Aufstandserregung“. Bernhard Spanderen hatte am 1. August einen spontanen, nur 3-stündigen Landgang von 49 Matrosen aus Protest gegen willkürliche Schikane der Mannschaft durch den befehlshabenden Offizier organisiert. Den anderen Fünf wurde „vollendeter Aufstand“ vorgeworfen, weil sie nach der sofortigen Verhaftung und schweren Bestrafung ihrer 49 Kameraden am nächsten Tag ebenfalls einen Landgang organisiert hatten, an dem 600 Matrosen des IV. Geschwaders teilnahmen. Bei diesem größeren vierstündigen Landgang forderten die Matrosen nicht nur die Freilassung und Straffreiheit für die 49 Kameraden, sondern auch ein sofortiges Ende des Kriegs.

Alle Matrosen waren bei ihrer Protestaktion unbewaffnet und hatten sogar durch entsprechende Wachen für die Aufrechterhaltung der Gefechtsbereitschaft während des Protestes gesorgt. Dennoch verhängt die Militärjustiz die denkbar schärfsten Strafen, als ob die Angeklagten erfolgreich einen bewaffneten Aufstand durchgeführt hätten. Außer den 6 zum Tode Verurteilten werden 19 Matrosen zu schweren Zuchthausstrafen zwischen fünf und fünfzehn Jahren, weitere 56 zu Gefängnisstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt. Hunderte werden degradiert und zum Heer an die Front auf „Himmelfahrtkommandos“ geschickt.

Die Urteile lassen sich selbst mit den völlig undemokratischen Bestimmungen des Militärstrafgesetzbuches des Kaiserreiches nicht vereinen, da noch nicht einmal der Versuch eines Aufstandes nachgewiesen werden konnte. Zudem sind Geständnisse und belastende Zeugenaussagen von den ermittelnden Kriegsgerichtsräten Dr. Dobrindt und Dr. Breil erpresst worden, mit Hilfe vorgehaltener Schusswaffen und der Drohung, die Häftlinge würden sofort erschossen, wenn sie nicht aussagten. Zudem waren die beiden Kriegsgerichtsräte Ermittler, Ankläger und, im Falle von Dobrindt sogar auch Richter in einem.

Mehrere Gutachter und selbst die Leitung der Militärgerichtsbarkeit empfehlen daher, die Todesurteile nicht zu vollstrecken, sondern in lebenslängliche Zuchthausstrafen zu verwandeln. Sie befürchten, ein Bekanntwerden der Todesurteile würde „die Stimmung in der Bevölkerung gefährlich aufheizen“.

Aus demselben Grunde, nicht auf Grund von demokratischen Prinzipien, warnt auch der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert bereits am 9. August in einer Unterredung mit dem Reichsmarineminister vor Hinrichtungen. Um Unruhen in Heer und Marine entgegenzuwirken, verspricht er die strengste Geheimhaltung „der ganzen Angelegenheit“. Wie das Besprechungsprotokoll vermerkt, beeilt er sich gleichzeitig, auf das Ergebenste zu versichern, dass er die „Dummheiten der Matrosen“, bei denen es sich nur um „das Machwerk einer Ortsgruppe von rabiaten Gesellen“ handeln könne, als „krassen Landesverrat“ verurteile.

Am 2. September bestätigt der Oberbefehlshaber der Hochseestreitkräfte trotz der gegenteiligen Empfehlungen und Warnungen mehrerer Militärjuristen zwei der Todesurteile und ordnet die sofortige Vollstreckung an, um ein abschreckendes Exempel für alle Schiffsmannschaften zu setzen. Am frühen Morgen des 5. September werden Max Reichpietsch (23) und Albin Köbis (25) erschossen.

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