Keine Fortschritte bei Brexit-Gesprächen zwischen EU und Großbritannien

Die dritte Runde der Verhandlungen über die Modalitäten des britischen EU-Austritts in der letzten Woche brachte kaum eine Annäherung.

Bei einer Pressekonferenz, die in angespannter Atmosphäre stattfand, zeigten sich der britische Brexit-Minister David Davies und EU-Chefunterhändler Michel Barnier uneins darüber, ob man überhaupt einen Schritt vorangekommen sei.

Davies gab sich optimistisch und behauptete, Großbritannien habe bewiesen, dass es „pragmatisch“ und „flexibel“ handeln könne, während Barnier keinen „entscheidenden Fortschritt in einer der wichtigen Fragen“ erkennen mochte. Barnier beklagte, England schwelge in „Nostalgie“, wenn es darauf bestehe, die „Kontrolle zurückzugewinnen“, gleichzeitig aber versuche, weiter von allen Vorzügen des EU-Binnenmarktes zu profitieren.

In Großbritannien befürchtet man, dass es bis März 2019, wenn die EU-Mitgliedschaft beendet sein wird, keine klare Regelung der künftigen Handelsbeziehungen gibt.

Der größte Knackpunkt sind die sogenannten Scheidungskosten, die finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens. Nach Schätzungen der EU belaufen sich die Kosten für den Austritt auf 60 bis 100 Milliarden Euro. Darin enthalten sind Pensionszahlungen an EU-Beamte, Verpflichtungen bei Budgets für Investitionen in Projekte, die bis 2020 laufen, und „Eventualverbindlichkeiten“.

Die britische Seite bezeichnet diese Forderungen als unberechtigt und argumentiert, dass ihre finanziellen Verpflichtungen mit dem Austritt enden. Großbritannien würde seine „moralischen Verpflichtungen“ anerkennen, meinte Davies, allerdings hänge dies davon ab, wie die Handelsbeziehungen nach dem EU-Austritt aussähen.

Die EU weist diese Position zurück. Zuerst müsse Großbritannien seinen Verpflichtungen nachkommen, ehe es weitere Gespräche über zukünftige Handelsbeziehungen geben könne.

Bei diesem Kräftemessen ist Großbritanniens Position geschwächt. Premierministerin Theresa May ist Führerin einer gespaltenen Partei und einer Regierung, deren Mehrheit stark geschrumpft ist, nachdem May den Wahltermin zwei Jahre vorgezogen hatte.

Die Bourgeoisie, die Banken und großen Unternehmen, die den Verbleib Großbritanniens in der EU unterstützt hatten, fordern mehrheitlich ganz offen, dass Mittel und Wege gefunden werden, wenigstens die Auswirkungen des Brexit deutlich abzuschwächen, wenn es schon unmöglich sein sollte, das Ergebnis des Referendums rückgängig zu machen.

Diese Stimmen melden sich seit Mays Japanbesuch letzte Woche stärker zu Wort. May wollte mit dem Besuch die globalen Möglichkeiten Großbritanniens nach dem Brexit demonstrieren. Doch die Regierung Japans gab deutlich zu verstehen, dass künftige Handelsverträge mit Großbritannien vom Inkrafttreten einer neuen Handelsvereinbarung zwischen Japan und der EU abhängen, über die im Juli Einvernehmen erzielt worden war.

Der Besuch habe der Regierung eine Lehre „über die wirkliche Lage Großbritanniens nach dem Brexit“ erteilt, kommentierte die Financial Times. Während die „Vorstellungen der Regierung über ein liberales globalisiertes Großbritannien vernünftig sein mögen… so ist Kontinentaleuropa doch der wichtigste Zugang zum internationalisierter Handel“, hieß es im Leitartikel.

Die Tories und die Labour Party verfolgen nun beide das Ziel einer „Übergangs“-Periode, während der Großbritannien für 2 Jahre (Tories) oder mindestens 4 Jahre (Labour Party) Mitglied des Binnenmarktes oder der Zollunion bliebe.

Letzte Woche schwor Labours Brexit-Sprecher Sir Keir Starmer die Partei darauf ein, Post-Brexit-Vereinbarungen zu unterstützen, die auf eine Fortführung der EU-Mitgliedschaft hinauslaufen. Labour würde „sich den gemeinsamen Regeln“ des Binnenmarktes und der Zollunion über einen längeren Zeitraum „fügen“, sagte Starmer, der dafür die Rückendeckung des Parteiführers Jeremy Corbyn hatte.

Die neu gebildete Parliamentary Group on EU Relations, in der Abgeordnete aller Parteien vertreten sind, und die von Chuka Umunna (Labour) und Anna Soubry (Tory) geführt wird, forderte daraufhin die Regierung auf, Pläne zu entwickeln, wie Großbritannien in irgendeiner Form Akteur im europäischen Binnenmarkt bleiben könne.

Mit diesen Manövern über die Parteigrenzen hinweg reagiert die herrschende Elite darauf, dass sie auf einem sozialen Pulverfass sitzt.

Seit Jahrzehnten sinken der Lebensstandard und die Löhne der britischen Arbeiter. In letzter Zeit ist das Pfund Sterling um 15 Prozent gegenüber dem Euro und um 13 Prozent gegenüber dem Dollar gefallen. Die britische Wirtschaft schwächelt, die Exporte sind im Mai um 2.8 Prozent zurückgegangen, der größte Rückgang in neun Monaten.

Darunter leiden Arbeiter und ihre Familien. Die Preise sind gestiegen und der Konsum ging zurück. Die Verschuldung der Privathaushalte in Großbritannien steht zum ersten Mal seit 2008 bei 200 Milliarden Pfund.

Wenn die May-Regierung überhaupt eine Strategie hat, mit der EU eine Übereinkunft zu erzielen, dann basiert sie auf dem Versuch, die 27 Mitgliedsstaaten auseinanderzudividieren. Mit ihrer unnachgiebigen Haltung hofft sie Berlin und Paris zu direkten Verhandlungen mit Großbritannien bewegen zu können, weil, so der frühere Führer der Konservativen, William Hague, beide ein Interesse an einem „offenen und liberalen Handel“ in Europa haben.

„Schon sehr bald werden die Regierungen führender EU-Länder entschlossen in die Gespräche eingreifen müssen, um ihre ureigensten Interessen zu wahren“, schrieb Hague im Telegraph.

Doch die EU, an erster Stelle Deutschland und Frankreich, beharrt darauf, dass Verhandlungen ausschließlich über Barnier laufen und seiner klaren Marschroute folgen, dass Großbritannien seinen Verpflichtungen zunächst nachkommen muss, ehe man sich anderen Themen zuwendet. Mit dieser Haltung will sie Spaltungen in der EU gerade verhindern.

Deshalb trat der französische Präsident Emmanuel Macron Gerüchten scharf entgegen, französische Vertreter hätten ihre Bereitschaft signalisiert, mit Großbritannien einen Kompromiss zu schließen. Macron betonte seine Unterstützung für Barnier und sagte: „Es gibt nur einen Unterhändler und Bevollmächtigten.“

Angela Merkel bekräftigte, dass Deutschlands rote Linie „die Verpflichtungen (sind), die Großbritannien eingegangen ist.“

Wegen den stockenden Gesprächen griffen deutsche Medien die britische Regierung an. Die Süddeutsche Zeitung nannte sie „ahnungslos“ und David Davies „außergewöhnlich faul“. Bild sprach von einem lahmen England, dem Brüssel „in den Hintern getreten“ habe, und Der Freitag monierte, Großbritannien leide „an Fantasien über seine Ausnahmestellung“.

Am Wochenende drohte Barnier: „Wer den Binnenmarkt verlässt, muss mit äußerst schweren Konsequenzen rechnen“, und „Wir wollen den Leuten klar machen, was es heißt, den Binnenmarkt zu verlassen.“

Die Arroganz und Schadenfreude der europäischen Bourgeoisie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Lage ähnlich unangenehm ist wie die ihrer britischen Gegenspieler.

In Deutschland gibt es vor den Bundestagswahlen am 24. September in breiten Kreisen der Bevölkerung Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien und wachsenden Zorn über die zunehmende soziale Ungleichheit. Die künftige Regierung wird mit Sicherheit höchst instabil sein.

Macron verdankt seine Mehrheit im Parlament einer massiven Wahlenthaltung und dem verdienten Kollaps der Sozialistischen Partei (PS). Sein Versuch, eine Arbeitsgesetzgebung durchzusetzen, die die Rechte der Arbeiter zerstört, ist äußerst unpopulär und trifft auf breiten Widerstand. Deshalb will er den Ausnahmezustand festschreiben.

Im eigenen Land sind Berlin und Paris mit einer aufbegehrenden Arbeiterklasse konfrontiert, während sie auf dem Kontinent weiter Sparmaßnahmen durchsetzen und ihre eigenen Aufrüstungs- und Kriegspläne vorantreiben und so die sozialen und politischen Spannungen immer mehr anheizen.

Diese Entwicklungen bestätigen die Kampagne der Socialist Equality Party für einen aktiven Boykott des EU-Referendums im letzten Jahr. Wir wiesen die Auffassung zurück, dass entweder die Befürworter oder die Gegner eines Austritts das „geringere Übel“ für Arbeiter darstellten und betonten, dass die Arbeiterklasse alle nationalen Spaltungen zurückweisen und ihre Kämpfe gegen ihren gemeinsamen Klassenfeind, die Bourgeoisie jeden Landes, im Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa vereinen muss.

Loading