Warnstreiks in den Kliniken: Wahlkampfmanöver für Martin Schulz

Zu Beginn dieser Woche wurde das Personal mehrerer Krankenhäuser zu Warnstreiks aufgerufen. Der Ausstand, der erneut Licht auf die unzumutbaren Bedingungen in den deutschen Kliniken wirft, diente den Gewerkschaften, der Linkspartei und der SPD als billiges Wahlkampfmanöver, um in letzter Minute für den SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz zu trommeln.

Die Situation in den Krankenhäusern und Pflegeheimen ist tatsächlich verheerend. Mehrere Gesundheits-„Reformen“ haben dazu geführt, dass zehntausende Fachkräfte fehlen, Kliniken zusammengeschlossen und privatisiert und ganze Bereiche ausgegliedert wurden. Der Pflegeberuf wird zum ausgebeuteten Knochenjob, mit verheerenden Konsequenzen für Personal und Patienten.

Demonstration durch Frankfurt-Höchst

Viele Beschäftigten berichten über grauenhafte Zustände. „Da wird ein Verband einfach drei Tage lang nicht gewechselt, weil wir keine Zeit haben“, sagte eine Krankenschwester des Rhön-Klinikums Gießen-Marburg am Dienstag der Hessenschau. Vom Uniklinikum Düsseldorf berichtet die Westdeutsche Zeitung: „In der Notaufnahme warten Patienten bis zu zehn Stunden. Eine Station ist beim Nachtdienst in der vergangenen Woche nicht besetzt gewesen. Zwei examinierte Pflegekräfte sind verantwortlich für 32 bis 36 schwerstkranke Patienten.“

Schon am Montag traten Pflegekräfte der Berliner Charité in Streik. Nach Angaben von Verdi beteiligten sich 300 Mitarbeiter am Ausstand, und an den drei Berliner Kliniken seien dadurch rund die Hälfte der planbaren Operationen abgesagt worden.

Am Dienstag hieß es zunächst, bundesweit würden 20 Kliniken streiken. Auf der Verdi-Website las man jedoch am Dienstagabend, in insgesamt acht Kliniken und Krankenhäusern sei gestreikt worden. Außer der Berliner Charité waren das in Hessen das Klinikum Frankfurt-Höchst und die Unikliniken Gießen und Marburg (heute Rhön-Klinikum), in Nordrhein-Westfalen das Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD) und in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen je ein weiteres Krankenhaus. In Baden-Württemberg wurden in mehreren Einrichtungen verlängerte Pausen organisiert.

Der Zeitpunkt der Aktionen wenige Tage vor der Bundestagswahl am kommenden Sonntag ist bezeichnend. Die SPD, Verdi und die Linke nutzen den berechtigten Ausstand gezielt als Wahlkampfhilfe für den SPD-Kandidaten Martin Schulz. Dies wurde in Frankfurt am Main sehr deutlich. Vom Klinikum Höchst führte Verdi die Streikenden in einer Demonstration zum Höchster Markt, wo die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen eine Rede hielt. Sie betonte, gegen den Pflegenotstand müsse dringend was geschehen, und Martin Schulz habe ja versprochen, schon in den ersten hundert Tagen „was in Bewegung zu bringen“.

Die Linke (Frankfurt), v.l.n.r.: Hermann Schaus, Volkhard Mosler, Janine Wissler, Monika Christann

Zahlreiche Prominente der Linkspartei applaudierten der Rede. Sie hatten sich in die erste Reihe der Demonstration eingereiht und teilweise Verdi-Westen übergezogen. Janine Wissler, die Fraktionsführerin der Linken im hessischen Landtag, trat ebenfalls ans Mikrophon, um ihre Solidarität mit dem Warnstreik zu betonen.

In Berlin stellte sich Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) auf der Pressekonferenz im Roten Rathaus hinter den Warnstreik an der Charité. Sie erklärte, sie unterstütze die Forderung der Gewerkschaft, und schob der Bundesregierung den Schwarzen Peter zu. „Es geht hier nicht nur um die Charité. Die Arbeitsbedingungen und die Personalausstattung in der Pflege an Krankenhäusern müssen bundesweit verbessert werden“, erklärte sie. Der Bund habe die Entwicklung der letzten Jahre „verpennt“. Auch Tobias Schulze von der Linkspartei begrüßte den Streik.

Verdi und Die Linke richten die Hoffnungen der Streikenden auf die Wahl der SPD. Diese trägt jedoch die Hauptverantwortung für die Misere im Gesundheitswesen.

Schon die rot-grüne Schröder-Fischer-Regierung hat mit den Hartz-Gesetzen die Voraussetzungen für Niedriglöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse geschaffen. In den letzten 19 Jahren war die SPD 15 Jahre lang in der Bundesregierung und leitete dort das Arbeits- und Sozialministerium und acht Jahre lang das Gesundheitsministerium. SPD-Minister haben auf dem Rücken des Personals und der Patienten eine „Gesundheitsreform“ nach der anderen verwirklicht.

Auf EU-Ebene hat Martin Schulz als Präsident des Europaparlaments eine aktive Rolle bei den bisher schlimmsten sozialen Kürzungen gespielt: beim Diktat des Sparpakets in Griechenland. Syriza, die Schwester der deutschen Linkspartei, hat diesen Sozialkahlschlag gegen den erbitterten Widerstand der griechischen Bevölkerung durchgesetzt.

In Berlin hat der rot-rote Senat aus SPD und Linkspartei von 2002 bis 2011 einen radikalen sozialen Kahlschlag verübt. Das Land Berlin trat aus dem Arbeitgeberverband der Länder aus, um dann die Löhne im öffentlichen Dienst drastisch zu senken. Alleine die Beschäftigten der Charité büßten nach dem Austritt Anfang 2003 jährlich rund 20 Millionen Euro ein. Zusätzlich kürzte der Senat die Landeszuschüsse für Forschung und Lehre um 98 Millionen Euro und forderte weitere 40 Millionen Euro Einsparungen pro Jahr von den Beschäftigten.

Im letzten Jahr würgte die Gewerkschaft dann den massiven Protest des Pflegepersonals ab und schloss einen Tarifvertrag ab, der die katastrophalen Arbeitsbedingungen zementierte.

Gewerkschaftsfunktionäre, die pseudolinken Gruppen wie Marx21 und Sozialistische Alternative Voran (SAV) angehören, haben aktiv zur Durchsetzung der Niedriglöhne und miserablen Arbeitsbedingungen beigetragen. Die Pseudolinken agieren als Hilfstruppe von Verdi und der Linkspartei.

Allein in den letzten Monaten hat Verdi zahlreiche Proteste organisiert, die dazu dienten, ihre Zusammenarbeit mit Management und Behörden zu verschleiern und weitere Verschlechterungen durchzusetzen. Beispielhaft ist dies bei der Charité-Tochter CFM (Charité Facility Management) zu sehen.

Die Charité Facility Management wurde 2006 unter der SPD-Linkspartei-Regierung in Berlin ausgegliedert, um Löhne zu senken und Kosten zu sparen. Dabei wurden diverse nicht-ärztliche und nicht pflegerische Berufsgruppen wie Wachleute und Reinigungskräfte aus dem Charité-Tarifsystem ausgegliedert und von der eigens gegründeten CFM beschäftigt. Die Tochter gehört zu 51 Prozent der Universitätsklinik, zu 49 Prozent einem Privatkonsortium aus Dussmann, Vamed und Hellmann. Ein Großteil der CFM-Mitarbeiter erhalten seither hunderte Euro weniger Lohn im Monat als die Kollegen, die nach dem Charité-Stammtarif bezahlt werden.

In diesem Jahr beschloss der rot-rot-grüne Berliner Senat dann den Rückkauf der CFM. Damit sollen jedoch nicht die prekären Arbeitsbedingungen der 2800 Beschäftigten verbessert werden, sondern Niedriglöhne und verschärfte Arbeitsbedingungen in der gesamten Charité festgeschrieben werden.

Die Gewerkschaften haben dies begrüßt und behauptet, damit würden die Gehälter der Beschäftigten steigen. Aber mittlerweile ist klar, dass dies nicht stimmt. Vor kurzem erklärte Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) und Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD), der Stundenlohn werde wohl bei elf Euro brutto bleiben – vier Euro niedriger als im Charité-Tarif. Weitere Erhöhungen „können wir uns nicht leisten“, betone Kollatz-Ahnen. Der stellvertretende Landesvorsitzende der Linkspartei Tobias Schulze stellte klar, dass die Charité nicht ins Minus geführt werden dürfe.

Inzwischen wird das Gesundheitswesen mehr und mehr zum Spekulationsobjekt von Hedgefonds, die enorme Renditeerwartungen haben, welche wiederum noch mehr Einsparungen beim Personal zur Folge haben. In diesem Sektor schreitet die Monopolisierung rasant voran. So wurden 2016 drei der vier größten Übernahmen von Private-Equity-Fonds im Gesundheitssektor getätigt. Insgesamt investierten Beteiligungsgesellschaften fast 60 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Für 2017 werden Rekordübernahmen börsennotierter Unternehmen erwartet.

Vor allem im Pflegemarkt schreitet die Monopolisierung voran. Dies zeigte beispielhaft ein Großeinkauf des Pflegeheimbetreibers Alloheim, der mittlerweile selbst wieder vor dem Verkauf steht. Dieser übernahm voriges Jahr die Kölner AGO-Gruppe. Hinter Alloheim steht das amerikanische Private-Equity-Haus Carlyle, das mit dem Zukauf nun über 17.000 Pflegeplätze vorweisen kann – rund doppelt so viel wie noch vor zwei Jahren. Der US-Investor Oaktree kaufte kürzlich die deutschen Pflegeheimbetreiber Vitanas und Pflegen & Wohnen Hamburg ein. Das Volumen der Deals betrug etwa 500 Millionen Euro. Oaktree verwaltet insgesamt etwa 100 Milliarden US-Dollar.

An der Charité wurde deutlich, wie die stetige Politik von Auslagerung, Lohnsenkung und steigender Arbeitshetze Geld in die Kassen spült. Die Klinik erzielte einen Überschuss von 3,8 Millionen Euro bei Gesamterträgen von rund 1,3 Milliarden Euro. Seit sechs Jahren fiel das Jahresergebnis in Folge positiv aus. Bürgermeister Michael Müller (SPD) sprach angesichts schwieriger Rahmenbedingungen von einem bemerkenswerten Ergebnis. Es liegt knapp über dem von 2015 – damals betrug das Plus etwa 3,7 Millionen Euro. 2008 hatte die Charité noch ein Minus von rund 57 Millionen Euro verbucht.

Die Gewinne sprechen eine deutliche Sprache. Sie werden ganz offensichtlich auf dem Buckel der Beschäftigten erzielt, und die Gewerkschaft Verdi, die praktisch in jedem Aufsichtsrat vertreten ist, spielt eine wichtige Rolle dabei. Der Umbau der Einrichtungen seit Jahrzehnten hat Methode, und die Mehrzahl der Beschäftigten ist mittlerweile so weit, dass sie den Gewerkschaften offen misstraut.

Das haben auch die jüngsten Warnstreiks gezeigt. Die Streikbeteiligung war generell im Verhältnis zu den Beschäftigtenzahlen sehr gering.

In Berlin streikten rund 300 Beschäftigte aus einer Belegschaft von insgesamt über 13.000 Mitarbeitern, davon über 4300 im pflegerischen Bereich. An der Demonstration vor dem Gesundheitsministerium beteiligten sich nur etwa 250 Menschen. In Gießen und Marburg beteiligten sich insgesamt 500 von über 9000 Beschäftigten und in Frankfurt gerade mal 100 von über 2000, während das Universitätsklinikum im Stadtzentrum mit 4000 Mitarbeitern überhaupt nicht aufgerufen wurde.

Viele Teilnehmer der Demonstrationen realisierten selbst den unlauteren Charakter der Mobilisierung. Lasse, ein Auszubildender in Berlin im zweiten Ausbildungsjahr, erklärte gegenüber Reportern der WSWS: „Von meinen Kollegen aus der Station ist heute niemand hier, da sie nach den Erfahrungen der letzten Jahre gefolgert haben, dass es nichts bringt.“ Andere beschwerten sich, sie seien erst wenige Stunden vor dem Warnstreik informiert worden.

Die jüngsten Warnstreiks machen erneut deutlich, dass ein Kampf für gute Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne in den Krankenhäusern und Pflegeheimen nur gegen SPD, Linke und Gewerkschaften geführt werden kann. Die Katastrophe im Pflegebereich kann nicht dadurch überwinden werden, dass man jene unter Druck setzt, die sie selbst angerichtet haben. Man muss ihnen im Gegenteil unversöhnlich den politischen Kampf ansagen.

Der Kampf für eine hochwertige Gesundheitsfürsorge, die nicht den Profitinteressen einer kleinen Minderheit geopfert wird, erfordert ein politisches Programm, wie es die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) vertritt. Die SGP, die bei den Bundestagswahlen am 24. September mit eigenen Kandidaten antritt, kämpft für die Enteignung großer Banken und Konzerne und für ein Gesundheitssystem unter demokratischer Kontrolle.

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