Spanische Regierung droht Katalonien wegen Referendum mit Militärgewalt

Katalonien hat für den 1. Oktober das Referendum über seine Unabhängigkeit angesetzt, das die Regierung der konservativen Volkspartei (Partido Popular, PP) in Madrid mit allen Mitteln verhindern will. Am Mittwoch beschlagnahmte die Polizei rund neun Millionen Wahlzettel und führte in der katalanischen Hauptstadt Barcelona 41 Durchsuchungen durch.

Medienberichten zufolge waren dabei auch 14 Menschen festgenommen worden, darunter Josep Maria Jove, den engsten Mitarbeiter des stellvertretenden Regierungschefs Oriol Junqueras. Außerdem hat die Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen mehr als 700 katalanische Bürgermeister eingeleitet.

Um die Abstimmung zu verhindern, droht Premierminister Mariano Rajoy, eine Notfallklausel der spanischen Verfassung anzuwenden.

Am 15. September reiste Rajoy nach Barcelona und erklärte, an die Katalanen gewandt: „Ihr macht einen Fehler. Ihr zwingt uns, einen Weg zu gehen, den wir nicht gehen wollen.“ In der letzten Woche hatten der Sprecher der PP-Fraktion Rafael Hernando und Justizminister Rafael Catalá unabhängig voneinander verlangt, den entsprechenden Paragraphen 155 der Verfassung anzuwenden.

In Artikel 155, allgemein die „nukleare Option“ genannt, heißt es, wenn eine Regionalregierung „die Verpflichtungen nicht erfüllt, die die Verfassung oder andere Gesetze ihr auferlegen, oder auf eine Weise handelt, die die allgemeinen Interessen Spaniens ernsthaft beeinträchtigt“, dann könne „die Regierung“ die Kontrolle über die Regionalregierung übernehmen, um sie zu zwingen, „ihren Verpflichtungen“ nachzukommen, oder um „die allgemeinen Interessen“ zu verteidigen.

Der Artikel wurde noch nie angewandt. Bis vor kurzem haben selbst Rajoy und das spanische Militär gezögert, seine Anwendung zu fordern, weil sie befürchten, dass das eine soziale Explosion unter den Arbeitern in Katalonien und in ganz Spanien auslösen könnte.

Die Sozialistische Partei (PSOE) hat Angst davor, dass Spanien auseinanderbrechen könnte, und sie fürchtet auch, die Opposition gegen Rajoys diktatorische Drohungen könnte eine Form annehmen, die den Rahmen der spanischen bürgerlichen Politik sprengen würde. PSOE-Führer Pedro Sánchez unterstützte die Äußerungen von Rajoy mit den Worten: „Sie [Rajoy] werden tun, was sie tun müssen.“ In einem Leitartikel von Sonntag in der Zeitung El País, die traditionell der PSOE nahesteht, heißt es: „Die demokratische Ordnung und das Chaos können nicht nebeneinander existieren. Das ist nicht stabil. Das ist so nicht aufrechtzuerhalten. Und vor allem ist es nicht akzeptabel. Die Regierung kann nicht erlauben, dass diese parallele Legalität sich weiter einnistet …“

Die Hetztiraden und Maßnahmen aus Madrid erinnern an das brutale Vorgehen der Franco-Diktatur, die Spanien von 1939 – 1978 beherrscht hat. Das erhöht nur die Wahrscheinlichkeit, dass das Referendum Erfolg haben wird.

Laut dem spanischen Finanzminister Cristobal Montoro hat Madrid den beispiellosen Schritt unternommen und angekündigt, diese Woche die Finanzen Kataloniens zu übernehmen, um „sicherzustellen, dass kein Euro für illegale Aktivitäten ausgegeben wird“.

Der Vizepräsident der katalanischen Regierung und Führer der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), Oriol Junqueras, hat erklärt, diese Maßnahme ist „eine kaschierte Form der Abschaffung der Institutionen des Landes [d.h. Kataloniens] und eine versteckte Form der Anwendung des Verfassungsartikels 155“. Die Separatistenparteien, die Katalanische Europäische Demokratische Partei (PDeCAT), die ERC und die Kandidatur der Volkseinheit (Candidatura d’Unitat Popular, CUP) bereiten sich unterdessen weiterhin auf das Referendum vor und halten öffentliche Kundgebungen ab, auf denen zu einem „Ja“ beim Referendum aufgerufen wird.

Die paramilitärische Polizei Guardia Civil hat mindesten 1,3 Millionen Flugblätter und Poster aus Druckereien beschlagnahmt, die zum Referendum aufrufen. Außerdem hat sie zehn Webseiten geschlossen, die für das Referendum warben, sowie katalanischen Herausgebern mit Strafanzeigen gedroht, wenn sie Anzeigen für das Referendum in ihren Zeitungen oder auf ihren Webseiten veröffentlichen. Die lokale Polizei beschlagnahmt außerdem Material auf den Straßen, mit dem das Referendum unterstützt wird, und überprüft jeden, der dieses Material bei sich trägt.

Die 700 Bürgermeister, die öffentliche Räume für die Wahlurnen in ihren Gemeinden und Städten zur Verfügung stellen, werden jetzt bei Gericht vorgeladen, weil sie die Abstimmung öffentlich unterstützen. Ihnen wird Haft angedroht, wenn sie der Aufforderung nicht nachkommen.

Bis jetzt hat die Justiz nicht versucht, den Regierungschef Kataloniens, Carles Puigdemont, zu verhaften. Spaniens Generalstaatsanwalt José Manuel Maza hat in einem Interview mit der rechten Tageszeitung El Mundo aber damit gedroht und hinzugefügt: „Ich schließe nicht aus, dass ich Gefängnisstrafen fordern werde.“

Der einzige Präzedenzfall für so ein Vorgehen, den es bisher gibt, ist der aus der Zweiten Republik von Oktober 1934, der jetzt viel diskutiert wird. Diese Drohungen sind eine Warnung an die Arbeiterklasse, dass dem gegenwärtigen Konflikt enorme politische Spannungen zugrunde liegen. Im Jahr 1934 hatte die konservative Regierung Spaniens auf dem Hintergrund der Machtübernahme des Faschismus in Deutschland, Italien und Österreich faschistische Minister an die Macht gebracht und dadurch revolutionäre Kämpfe der Arbeiterklasse ausgelöst, speziell in Asturien, wo die Arbeiter eine Kommune errichteten.

In Katalonien riefen die regionalen Behörden dann einen katalanischen Staat im Rahmen des spanischen Bundesstaats aus. Die Initiative scheiterte, weil sie nicht genügend Unterstützung in der Bevölkerung hatte, und weil die Anarchosyndikalisten der CNT (Confederación Nacional del Trabajo), die die meisten Arbeiter in der Region auf ihrer Seite hatten, die katalanische Regierung nicht unterstützten.

Die anschließende Unterdrückung führte zur Verhaftung von Tausenden von Arbeitern und linken Führern. Politische Zentren wurden geschlossen, Zeitungen unterdrückt. In Katalonien wurde der regionale Regierungschef Lluis Companys verhaftet und das Statut, das der Region ein gewisses Maß an Autonomie gewährt hatte, annulliert.

Albert Rivera, der Führer der Partei Staatsbürger (Ciudadanos), die gegen die Abtrennung Kataloniens auftritt, und der ehemalige Außenminister der PP, Manuel Garcia Margallo, haben beide an die Ereignisse von 1934 erinnert.

Die rechte Presse verurteilt heute die katalanische Unabhängigkeitsbewegung in Artikeln wie „Die Republik hat bereits die Unabhängigkeit Kataloniens aufgehoben“ (OkDiario), „Der erste ,katalanische Staat‘ existierte elf Stunden und endete hinter Gittern“ (El Confidencial), „6. Oktober 1934: der Staatsstreich, der im Abwasserkanal endete“ (Libertad Digital) oder „Katalonien im Jahr 1934: von Companys bis Puigdemont“ (ABC).

Wie in den 1930er Jahren führt auch heute die Krise des Kapitalismus zu unablässigen Angriffen auf die Arbeiterklasse. Sie nehmen die Form von scharfen Sparmaßnahmen, Angriffen auf demokratische Rechte und wachsendem Militarismus an.

Die entscheidende Frage ist die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse sowohl gegen die herrschende Elite in Madrid als auch gegen die bürgerlichen Separatisten in Katalonien. Die spanische Arbeiterklasse muss sich mit ihren internationalen Klassenbrüdern und –schwestern zusammenschließen. Weder die Balkanisierung Spaniens noch der Ausbau des repressiven Polizeiapparats in Madrid sind im Interesse der Arbeiter.

Die katalanischen Separatisten reagieren, indem sie sich fälschlich als Verteidiger der demokratischen Rechte darstellen. Dieselben Kräfte, die zahllose Proteste und Streiks von Arbeitern und Jugendlichen gegen ihre wiederholten Sparmaßnahmen in der Region niedergeschlagen haben, präsentieren sich jetzt als Verteidiger der „Demokratie“ und Kämpfer gegen „Unterdrückung“. Puigdemont hat den Kampf seiner separatistischen Bewegung gegen Madrid mit dem spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 und sogar mit dem Vietnam-Krieg verglichen. In einem TV-Interview hat er erklärt: „Jeden Tag gibt es ein Vietnam.“

Die Partei Podemos ist zutiefst zerstritten und hält sich bis jetzt aus allem heraus. Die Partei tritt zwar gegen das rigorose Vorgehen von Rajoy auf, erklärt jedoch gleichzeitig, das Referendum sei nicht legal, obwohl sie es gleichzeitig als „Bürgermobilisierung“ begrüßt. Sie sind entschiedene Verteidiger des spanischen Imperialismus und seiner geopolitischen weltweiten Interessen, und deshalb lehnen sie den Separatismus ab. Aber wie die meisten europäischen und amerikanischen Medien schlagen sie vor, den katalanischen Nationalisten Zugeständnisse zu machen, um die Unabhängigkeitsbewegung zu stoppen.

Der Führer von Podemos, Pablo Iglesias, hat erklärt, dass die Maßnahmen der PP die spanischen Interessen gefährden. „Wir werden nicht nur von korrupten Menschen regiert, sie taugen auch nichts. Es sind Pyromanen, die unsere Demokratie in den Ausnahmezustand führen.“

Podemos hofft, dass sich die PP-Minderheitsregierung im Kampf gegen die Separatisten aufreibt und den Weg für eine „progressive“ Koalition aus Sozialistischer Partei und Podemos frei macht, die besser in der Lage wäre, die wachsende soziale Wut und die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen unter Kontrolle zu halten.

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