Katalanische Unabhängigkeitskrise

Spanische Regierung will nicht mit Puigdemont verhandeln

Am Montag wies die spanische Regierung der konservativen Partido Popular (PP) den Gesprächsaufruf des katalanischen Premierministers Carles Puigdemont zurück. Dieser hatte zu einer zweimonatigen Verhandlungsperiode mit Madrid aufgerufen, nachdem die katalanische Unabhängigkeitsabstimmung vom 1. Oktober ein „Ja“-Votum ergeben hatte. Spanien droht mit der Verhängung des Kriegsrechts und einem militärischen Einschreiten in Katalonien, auf das derzeit bewaffnete Streitkräfte und Tausende Polizisten vorbereitet werden.

Puigdemont hatte am 10. Oktober erklärt, Katalonien habe sich das Recht erwirkt, seine Unabhängigkeit auszurufen. Der spanische Premierminister Mariano Rajoy setzte Puigdemont daraufhin ein Ultimatum bis zum 16. Oktober und verlangte eine deutliche Erklärung, ob nun tatsächlich die katalanische Unabhängigkeit erklärt worden sei oder nicht. Weil Puigdemont in seiner Antwort weder mit Ja noch mit Nein antwortete, offensichtlich um eine Konfrontation zu vermeiden, eskalierte die PP am Montag den Konflikt. Sie wiederholte ihre Drohung, die katalanische Selbstverwaltung auszusetzen, verhaftete katalanisch-nationalistische Führer und bezeichnete die Volksabstimmung vom 1. Oktober als eine von Russland unterstützte Provokation.

In einem Brief stellte Puigdemont fest: „Als ich am 10. Oktober auf Anraten zahlreicher internationaler, spanischer und katalanischer Institutionen und Einzelpersonen ein aufrichtiges Dialogangebot machte, so war dies nicht etwa als Demonstration der Schwäche gedacht, sondern als ehrlich gemeinte Aufforderung, eine Lösung für die Beziehungen zwischen dem spanischen Staat und Katalonien zu finden, die seit vielen Jahren schwer belastet sind.“

Er rief zu zweimonatigen Gesprächen auf und sagte: „Die Priorität meiner Regierung ist es, mit all unserer Kraft einen Weg zum Dialog zu finden.“ Er kritisierte „die brutale Polizeigewalt, die am 1. Oktober gegen friedliche Menschen ausgeübt wurde“ und forderte Madrid auf, „die Unterdrückung der katalanischen Bevölkerung und Regierung zu beenden.“

Die PP-Regierung setzt nun Puigdemont ein zweites Ultimatum bis zum 19. Oktober und verlangt eine Erklärung, ob er sich an die spanische Verfassung hält. Entgegen aller demokratischen Rechte ließen spanische Gerichte Jordi Sanchez, den Führer des Katalanischen Nationalkongresses, und Jordi Cuixart, den Chef von Omnium Cultural, präventiv verhaften. Beiden katalanisch-nationalistischen Politikern wird Aufruhr vorgeworfen, weil sie zu Widerstand gegen das Durchgreifen der spanischen Polizei kurz vor dem Referendum am 1. Oktober aufgerufen haben sollen.

Vizepremierministern Soraya Sáenz de Santamaría mokierte sich auf einer Pressekonferenz über Puigdemont: „Es war nicht schwer, mit einem Ja oder einem Nein zu antworten, ob er die Unabhängigkeit erklärt hat oder nicht.“

Rajoy selbst wiederholte seine Drohung, Artikel 155 der spanischen Verfassung anzuwenden, mit dem die katalanische Regionalautonomie suspendiert würde. Rajoy erklärte, dass Puigdemont „der einzige Verantwortliche für die Ausschöpfung der Verfassung wäre“. Er sagte außerdem: „Ein Aufrechterhalten dieser unsicheren Situation begünstigt nur jene, die die bürgerliche Harmonie zerstören und ein radikales, Katalonien in Armut stürzendes Projekt durchsetzen wollen.“

Artikel 155 könnte in Verbindung mit Artikel 166 in Kraft treten, und den Belagerungszustand verhängen, grundlegende demokratische Rechte aussetzen und die Militärherrschaft einführen. Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal wird am Mittwoch das Arapiles-Regiment in Sant Climent de Sescebes nahe Girona, und Tags darauf Bruch nahe Barcelona besuchen. Die Tageszeitung El País bezeichnete vergangene Woche diese Streitkräfte als diejenigen, die Madrid mobilisieren wird, wenn man Militäroperationen gegen die katalanische Bevölkerung befehlen sollte.

Esteban Pons, der Sprecher der PP im europäischen Parlament, nannte Puigdemont in einer weiteren außergewöhnlichen und gefährlichen Provokation ein Werkzeug Russlands. Er forderte die Parlamentarier auf, „der national-populistischen Propaganda keinen Glauben zu schenken“ und versprach, in der nächsten Woche „Beweise“ vorzulegen, „dass russische Netzwerke Carles Puigdemont und die sezessionistische Bewegung unterstützen“.

Unbewiesene Vorwürfe bezüglich einer russischen Verwicklung in der katalanischen Krise tauchten zuvor in den US-amerikanischen Medien auf, namentlich in der Zeitschrift Politico und der Washington Times, und wurden von El País aufgegriffen. Indessen hat Madrid bislang in offiziellen Stellungnahmen solchen Behauptungen explizit widersprochen.

Als vergangene Woche der spanische Botschafter in Russland Ignacio Ibanez Rubio mit Russia Today sprach, sagte er: „Im Gegenteil, Spanien begrüßt Russlands offizielle Haltung. Von Anfang an hat Russland anerkannt, dass dies eine interne Angelegenheit unseres Landes ist.“ Er fügte hinzu, dass Spanien und Russland eine „großartige Beziehung“ pflegten. „Also sind wir über Russlands Haltung zur Krise in Katalonien sehr erfreut.“

Nun aber vollzieht die PP, ohne irgendeinen Beweis gegen Moskau vorzubringen, eine 180-Grad-Wende. Die provokativen Vorwürfe, die Pons gegen Moskau erhebt, haben zwar unklare, doch potenziell explosive Folgen. Falls die PP wirklich glaubt, dass sich Moskau mit katalanischen Separatisten verbündet hat, um Spaniens Territorium aufzuspalten, dann könnte sie dies als eine russische Aggression gegen Spanien anführen und sich auf die gemeinsamen Selbstverteidigungsbestimmungen der Nato berufen, um eine gemeinsame militärische Nato-Aktion gegen Russland zu fordern.

Zudem verstärkt dies den Verratsvorwurf, den der spanische König Felipe in seiner Ansprache vom 3. Oktober genauso wie Rajoy gegen die katalanischen Nationalisten erhoben hatte. Er liefert den spanischen Truppen in Katalonien eine weitere pseudo-juristische Rechtfertigung für Blutvergießen. Die PP-Regierung drohte Puigdemont indirekt bereits das Schicksal des katalanischen Führers Lluís Companys an, der im Jahr 1940 vom faschistischen Franco-Regime erschossen wurde.

Arbeiter müssen gewarnt sein: Es besteht die reale Gefahr eines militärischen Eingreifens von der Art, wie Spanien es seit dem Bürgerkrieg der Jahre 1936-1939 und der nachfolgenden Franco-Diktatur nicht mehr gesehen hat. Washington und Europäische Union arbeiten mit Rajoy zusammen und würden nicht einschreiten, um ein solches politisches Verbrechen zu verhindern. Tatsächlich tragen die unbewiesenen Behauptungen von Pons gegen Russland alle Merkmale einer politischen Operation, mit der den US-Medien ein Durchgreifen in Barcelona und eine Rückkehr zur Militärherrschaft rechtfertigen werden.

Nur die Arbeiterklasse kann eine Massenunterdrückung verhindern, sie muss unabhängig von und in Opposition zum gesamten herrschenden Establishment mobilisiert werden. Auch wenn Madrid unmittelbar Katalonien angreift, geht es darüber hinaus gegen die gesamte spanische und europäische Arbeiterklasse, und zwar unter den Bedingungen einer internationalen Krise des Kapitalismus, die es so seit den 1930er Jahren nicht mehr gab.

Nach einem Jahrzehnt tiefgreifender Sparprogramme und Wirtschaftskrise erreichen die Klassenspannungen explosive Ausmaße. Zig Millionen Arbeiter in ganz Europa sind arbeitslos. Eine große Mehrheit junger Menschen erklärte unter diesen Voraussetzungen bei der diesjährigen EU-Umfrage „Generation What“, dass sie einen Massenaufstand gegen die herrschende Ordnung unterstützen würde. Der Ausnahmezustand in Frankreich und Spaniens Rückkehr zur Militärherrschaft sind Maßnahmen, die präventiv getroffen werden, um den Weg zu autoritären Herrschaftsformen zu ebnen. Die europäische Bourgeoisie will auf diesem Wege den Gefahren einer revolutionären Mobilisierung der Arbeiter und Jugendlichen in ganz Europa entgegen treten.

Die spanischen Sozialdemokraten (PSOE) und Podemos haben bereits gezeigt, dass sie den Plänen von Rajoy und der EU für einen Militäreinsatz und eine Militärherrschaft nicht entgegentreten. PSOE-Generalsekretär Pedro Sánchez sagte der Tageszeitung El Diario, dass die Beziehungen zwischen der PSOE und der PP „in Bewegung“ sei und „fest in unserer gemeinsamen Beantwortung der separatistischen Herausforderung.“

Die PSOE ist kaum mehr als ein politisches Anhängsel der PP und unterstützt militärische Aktionen gegen Katalonien deutlicher als Rajoys Partei selbst. PSOE-Sprecher Oscar Puente erklärte: „Die Nichtbeantwortung des Ultimatums durch Puigdemont ist vollkommen inakzeptabel […] Wir fragen uns, ob Puigdemont uns mit seiner Haltung noch eine andere Wahl lässt als [Artikel] 155 in Kraft zu setzen.“

Puente sagte noch, Artikel 155 werde „einvernehmlich und vereinbarungsgemäß in Kraft gesetzt“, was offenbar eine enge Abstimmung zwischen PSOE und PP bedeutet.

Zwar kritisierte Podemos am Dienstag die Position von PSOE und PP zu Puigdemonts Stellungnahme, doch signalisiert die Partei auch, dass sie sich einem Militäreinsatz fügen werde. Pablo Echenique, der Organisationssekretär von Podemos, sagte, Puigdemont habe „erneut klargemacht“, dass es keine einseitige katalanische Unabhängigkeitserklärung gegeben habe. Er beklagte, dass es zwischen der PSOE und der PP „eine a-priori-Entscheidung“ gegeben habe, den Konflikt mit Barcelona zu eskalieren.

Dessen ungeachtet ließ Echenique die Möglichkeit offen, ob die Anwendung von Artikel 155 sowie vorgezogene Wahlen in Katalonien unter vorgehaltener Waffe die Krise lösen könnten. Er bezeichnete dieses Resultat als „weder schlecht noch gut“ und sagte, er hoffe, die Neuwahlen würden zu „besseren Verhandlungspartnern als Rajoy und Puigdemont“ führen.

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