Madrids Repression: Katalanische und spanische Arbeiter stehen vor großen Gefahren

Die katalanischen nationalistischen Parteien arbeiten offen mit der Regierung der Volkspartei (PP) in Madrid zusammen, in der Hoffnung, dadurch Zugeständnisse von der Europäischen Union zu erhalten. Das Ergebnis dieser Bemühungen ermöglicht dem spanischen Regime, einen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen, indem es seinen Willen mit Militär und Polizei und mit der vollen Unterstützung der oppositionellen Sozialistischen Partei (PSOE) durchsetzt.

Am vergangenen Freitag stimmte das katalanische Regionalparlament für die Unabhängigkeit von Spanien und für die Eröffnung eines Konstituierungsprozesses, d.h. für den Entwurf einer neuen Verfassung für eine Republik Katalonien. Von den 135 Abgeordneten in dem Parlament stimmten 70 von der Demokratischen Europäischen Partei (PDeCat), der Katalonischen Republikanischen Linken (ERC) und der pseudolinken Kandidatur der Volkseinheit (CUP) dafür.

Die nationalistischen Politiker versprachen, der Aktivierung des Artikels 155 der spanischen Verfassung durch die PP Widerstand zu leisten und die Versuche von Ministerpräsident Mariano Rajoy zu verhindern, den katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont und seine Regionalminister zu stürzen sowie das katalanische Parlament aufzulösen und vorzeitige Regionalwahlen abzuhalten.

Stattdessen haben die Nationalisten jetzt zugestimmt, an den für den 21. Dezember angesetzten Wahlen teilzunehmen. Diese Initiative verleiht der Suspendierung der katalanischen Autonomie und der Herrschaft mittels Dekreten in der Region eine gewisse Legitimität.

Puigdemont und andere entmachtete Minister der Regierung flohen nach Belgien, um der Verhaftung zu entgehen. Aber Puigdemont appellierte von dort aus weiter an die EU, in der Sezessionskrise zu vermitteln und einen Deal zwischen Madrid und seiner abgesetzten Regierung auszuhandeln. Als Zugeständnis gab er sich mit der Forderung Rajoys nach Neuwahlen zufrieden, die er als „demokratisches Plebiszit“ bezeichnete.

Dem Journalisten Ernest Marcià von Radio Catalunya zufolge ist Puigdemonts Akzeptanz der Wahlen ein Anzeichen dafür, dass es möglicherweise Geheimgespräche zwischen Puigdemont und Rajoy gibt, in denen die EU vermittelt. „Meiner Meinung nach“, sagte Marcia, „geht irgendetwas vor sich, von dem niemand etwas weiß. Wahrscheinlich interveniert Europa… öffentlich werden sie nichts zugeben. Aber Spanien hat etwas getan, was es vor wenigen Wochen noch nicht gesagt hat, und Katalonien erkennt die Autorität Spaniens an, was aus der Sichtweise der Sezessionisten schon recht seltsam ist“.

Tatsächlich ist an Puigdemonts Handeln gar nichts seltsam. Das Ziel der katalanischen Nationalisten war von Beginn an, Unterstützung in der Bevölkerung für eine Loslösung zum Teil dadurch zu wecken, dass sie berechtigte Beschwerden gegen Madrid vorbrachten und die soziale Unzufriedenheit über die Austeritätspolitik ausnutzten. Dabei stützten sie sich aber vor allem auf kleinbürgerliche Schichten und forderten, dass das relativ wohlhabende Katalonien nicht länger die ärmeren Teile Spaniens subventionieren müsse.

Katalonien ist Spaniens reichste Region. Es produziert zwanzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes. Das Ziel der separatistischen Parteien ist es, einen neuen Ministaat zu schaffen, oder Spanien zumindest soviel Unabhängigkeit abzutrotzen, um direkte Beziehungen zu den globalen Banken, transnationalen Konzernen und der EU anknüpfen zu können. Ihnen geht es darum, Katalonien als Steueroase und Freihandelsregion zu etablieren, das auf einer verschärften Ausbeutung der Arbeiterklasse beruht.

Ihre Mobilisierung der Straße war nie mehr als der Versuch der katalanischen Nationalisten, ihren Einfluss auszubauen, größere Rechte für die Festsetzung von Steuern und andere Zugeständnisse von Madrid zu erreichen. Die separatistischen Parteien haben selbst jahrelang brutale Kürzungsmaßnahmen durchgesetzt und mit der katalanischen Regionalpolizei Streiks und Proteste zerschlagen.

Doch sobald die Europäische Union und ihre Regierungen Rajoy unterstützten, war ein Rückzug nur eine Frage der Zeit. Am Montag gaben PDeCAT und ERC ihre Opposition gegen die Wahlen vom 21. Dezember auf, und kündigten an, eigene Kandidaten aufzustellen.

ERC-Sprecher Sergi Sabrià erklärte die Wahl zwar für „illegitim“ und „eine Falle“, fügte aber gleich hinzu, dass „wir deswegen trotzdem die Wahlurnen nicht scheuen.“

Die katalanische Nationalversammlung, deren Führer weiterhin wegen Meuterei im Gefängnis sitzt, erklärt nach wie vor, dass sie „nur die katalanische Republik anerkennt“. Sie wies den Artikel 155 zurück, nur um im nächsten Atemzug bekannt zu geben, dass sie „noch vor dem 3. November“ ein Treffen einberufen werde, um über eine „gemeinsame Strategie“ für den 21. Dezember zu beraten.

Die kleinbürgerliche Kandidatur der Volkseinheit (CUP), die die Koalition von ERC und PDeCAT im Amt gehalten hat, gab sich als hartnäckigste Vertreterin des bürgerlichen Nationalismus. Sie trug ihren linken Ruf vor sich her und war dabei noch deutlicher, ungenierter und krimineller. „Der spanische Staat hat uns mit Einschüchterung und Furcht neutralisiert“, beklagte sie.

Der Sprecher der CUP, Benet Salellas, schlussfolgerte, es habe „im letzten Monat zu viele Improvisationen gegeben.“ Er erneuerte seine Unterstützung für Puigdemont und lobte seinen Fokus auf Brüssel, der angeblich „die Verletzung der Menschenrechte internationalisiere“. Er schloss mit einem pathetischen Aufruf an Puigdemont, die ersten republikanischen Dekrete zu billigen.

Der Politische Rat der CUP beruft für den 4. November ein Treffen ein, um über die Teilnahme an Rajoys Wahlen zu entscheiden und sich gegebenenfalls vor der Deadline am 7. November zu registrieren.

Diejenigen Teile der katalanisch sprechenden Arbeiterklasse, die die Nationalisten unterstützt haben, haben bereits ihre ersten Schlussfolgerungen aus der sich hinziehenden Niederlage gezogen. Es wird berichtet, dass die meisten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes – darunter Lehrer, Feuerwehrleute und die Regionalpolizei – weitergearbeitet haben, obwohl sie anfänglich die Absicht hatten, sich in zivilem Ungehorsam zu üben. Die Gewerkschaftsbürokratie ist mehr als zufrieden mit dem Rückzug. Die Intersindical-CSC erklärte am Montag, dass sie einen angekündigten Generalstreik abgesagt habe.

Diese Situation ist sehr gefährlich.

Die Nationalisten mobilisierten erst für ein spalterisches Programm, das größtmögliche Verwirrung stiftete und sowohl katalanische und spanische Arbeiter insgesamt als auch Katalanen und Spanier in der Region spaltete – und das zu einer Zeit, in der die Kürzungsprogramme der Regierungen in Madrid und Barcelona durchgängig abgelehnt wurden.

Nachdem die PP die Gelegenheit ergriffen hat, die Armee und die Nationalgarde zu mobilisieren und die Herrschaft per Dekret durchzusetzen, bieten die katalanischen Nationalisten jetzt ihre Dienste als politischer Gendarm an, in der Hoffnung, ein Abkommen mit Madrid und Brüssel zu schließen.

Der Versuch von Madrid und der EU, ein diktatorisches Regime durchzusetzen – gleichgültig, ob es durch erzwungene Wahlen durchgesetzt wurde oder nicht – muss von der gesamten katalanischen und spanischen Arbeiterklasse zurückgewiesen werden. Die PP-Regierung wurde gestärkt, indem ihr ermöglicht wurde, repressive und antidemokratische Maßnahmen durchzusetzen, die sich unvermeidlich gegen die Arbeiter in ganz Spanien richten werden.

Doch ein entschiedener Kampf gegen Madrid und seine Hintermänner in der EU kann nur geführt werden, wenn er völlig unabhängig von den katalanischen bürgerlichen Parteien und ihrer reaktionären Agenda des nationalen Separatismus geführt wird.

Eine fortschrittliche Antwort auf die Krise, vor der die Arbeiterklasse steht, gleich welche Sprache sie spricht, verlangt ein Ende aller nationalen Spaltungen und eine Perspektive des sozialistischen Internationalismus. Gegen ein kapitalistisches Spanien und gegen den Plan, ein kapitalistisches Katalonien zu schaffen, muss die Arbeiterklasse einen vereinten Kampf zur Bildung von Arbeiterregierungen in Spanien und ganz Europa als Teil der sozialistischen Vereinigung des Kontinents führen.

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