Britischer SEP-Vorsitzender begründet das Scheitern des Kapitalismus im Debattenclub der Saint Andrews Universität

Anfang November luden die „Debating Society“ und die „Economics Society“, zwei Studentenclubs an der schottischen Eliteuniversität Saint Andrews, zu einem Streitgespräch über den Kapitalismus ein. Dabei sollte eine Entschließung mit dem Wortlaut „Nach Auffassung dieser Versammlung ist der Kapitalismus gescheitert“ begründet oder widerlegt werden. Der Vorsitzende der britischen Socialist Equality Party Chris Marsden war geladen, die Entschließung zu begründen.

Die Veranstaltung fand in der „Lower Parliament Hall“ statt. Dieser traditionsreiche Saal verdankt seinen Namen dem schottischen Parlament, das in Saint Andrews 1645 vorübergehend zusammentrat. Während des damaligen Bürgerkriegs stand das schottische Parlament zusammen mit den sog. „Covenanters“ auf Seiten der englischen Revolutionäre unter Oliver Cromwell.

Die Debatte wurde unter strenger Beachtung eines demokratischen Reglements abgehalten, in Anwesenheit von engagierten und aufmerksamen Teilnehmern. Den Rednern wurde jeweils ermöglicht, sieben bis zehn Minuten lang ihre Auffassung darzulegen.

Marsden zitierte die Erklärung des utilitaristischen Philosophen Jeremy Bentham, dass der Maßstab dafür, was richtig oder falsch ist, im „größten Glück der größten Zahl“ besteht. Auf dieser Grundlage sei „das einzig mögliche Urteil“ über Erfolg oder Misserfolg des Kapitalismus, „dass er kläglich gescheitert ist“.

Marsden verdeutlichte anhand von Zahlen die außerordentlich starke soziale Polarisierung, wobei „das gesamtgesellschaftliche Vermögen auf Bankkonten und in Aktiendepots einer winzigen Schicht von Superreichen konzentriert ist“.

„Die Apologeten des Kapitalismus behaupten, dass das keine Rolle spielt, solange das Leben von uns Übrigen besser wird. Aber das Leben wird täglich schlechter“, merkte er an. „Fast die Hälfte der Weltbevölkerung – mehr als 3,5 Milliarden Menschen – leben von weniger als 1,25 $ pro Tag“.

Wie Marsden erklärte, ist die systematische Ausbeutung einer Klasse „die fundamentale Triebkraft dafür, dass die soziale Ungleichheit sprunghaft zunimmt, wobei die Kapitalistenklasse auf der Suche nach immer neuen Quellen für Extraprofite in einen rücksichtslosen weltweiten Wettlauf um Märkte und Ressourcen getrieben wird.“

„Der mörderische Wettbewerb zwischen den Großmächten, Aktiengesellschaften und Banken um die Beherrschung der Welt … gibt dem zweifachen Übel von Faschismus und Krieg Auftrieb“, fuhr er fort.

„Nicht weniger als 160 Millionen Menschen starben in den Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts … Und selbst der Schrecken dieser Zahl würde verblassen, wenn (US Präsident) Trump und sein Klüngel an Generälen mit uneingeschränkter Unterstützung der Demokraten die Drohungen gegen Nordkorea und China wahr machen würden.“

Marsden zog daraus den Schluss, dass „der Kapitalismus gescheitert ist. Die Frage ist, was man damit anstellen muss. Wodurch muss er abgelöst werden und wie?“

„In diesem Jahr ist der Jahrestag der Oktoberrevolution, welche in der Mitte eines Weltkriegs stattfand, und es war überhaupt das erste Mal, dass die Arbeiterklasse eine praktische Antwort auf den Bankrott des Kapitalismus gegeben und die Aussage von Marx bestätigt hat: ‚Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert – es kommt darauf an sie zu verändern‘.“

Angeblich als Befürworter der These von Marsden folgte dann Joshua Osborne, Wahlkampfmanager der Labour Partei an der Universität. Abweichend von der Rollenverteilung begann Osborne zu erklären, dass er mit Marsdens Argumentation nicht einverstanden sei.

Nicht der Kapitalismus habe versagt, betonte Osborne, nur ein bestimmtes Modell des Kapitalismus sei gescheitert. „Wir müssen verstehen, dass der Kapitalismus gegenwärtig nicht funktioniert, wir brauchen Reformen … eine Wirtschaft auf der Grundlage immer weiter steigender Immobilienpreise ist nicht nachhaltig und entfernt sich von einem Kapitalismus, der zuvor funktioniert hat.“

„Kapitalismus kann nur funktionieren, wenn er vom Staat reguliert wird. Dann kann er jedem gerechte Chancen bieten“, meinte er.

Drei Mal während seines neunminütigen Beitrags betonte er, weder Kommunist zu sein noch den Kommunismus zu befürworten. Damit blieb Marsden nichts anderes übrig, als gegen seinen nominellen Mitstreiter Stellung zu beziehen und die Studierenden auf das eigentliche Thema zurückzuführen.

Die beiden Sprecher, die gegen die These antraten, trugen rechtsgerichtete und wirtschaftsliberale Ansichten vor, verklausuliert als Behauptungen, dass uneingeschränkter Kapitalismus irgendwie der Weltbevölkerung nutze.

Malcolm Risk, ein Mitglied des Debattenteams, informierte seine Zuhörer, dass der Kapitalismus „Hunderte Millionen Menschen aus der Armut gehoben habe“. Aber um wirklich Nutzen aus dem Kapitalismus zu ziehen, müsse die demokratische Kontrolle eingeschränkt werden, denn „Regierungen sind in einer Weise empfänglich für Lobbyismus von Seiten der Bevölkerung, wie es der freie Markt nicht ist. Weil wir ja in Demokratien leben, werden Regierungen sich stets bei ihrem eigenen Volk anbiedern und nichts unternehmen, um den Armen und Besitzlosen anderswo in der Welt zu helfen.“

Ausgehend von der dreisten Behauptung, dass kapitalistische Konzernvorstände und Milliardäre die Armen der Welt unterstützen würden, kehrte Risk zu seiner Argumentation gegen die Demokratie zurück. „Regierungen“, so klagte er“, folgen letztlich dem Anreiz, kurzfristigen politischen Interessen zu folgen und Hypotheken auf die Zukunft ihrer Bevölkerungen aufzunehmen, so dass sie keinen langfristigen Erfolg haben können“. Risks Schlussfolgerung war, „diese Dinge den Regierungen aus der Hand zu nehmen“.

Ross K, Allan, der während des Referendums von 2016 für den Austritt aus der EU eingetreten war, sprach ebenso gegen die These.

Lässig über Jahrhunderte und Epochen hinwegschweifend versicherte Allan, dass „Kommando- und Kontrollsysteme, die als Faschismus und auch in Form von Feudalismus, Kommunismus oder Marxismus zu haben sind“ zu „schlechten Entscheidungen“ führten. Das liege daran, dass „jeder Tauschhandel freiwillig ist … beide Seiten haben einen direkten Nutzen davon und die Gesellschaft als Ganzes hat sich anhand solcher einzelner Handelsgeschäfte verbessert.“ Deshalb „muss jedes System, das nicht im Markt gründet … schädlich sein“.

Aus dem Plenum konnten zwei Minuten lange Beiträge abgegeben werden. Mehrere Teilnehmer äußerten ihre Bewunderung für ein System, aus dem sie persönlich großen Nutzen ziehen, während andere unter Hinweis auf den Labour Politiker Osborne zur Stimmenthaltung aufriefen.

Unter den Befürwortern des Resolutionsentwurfs wies ein Student die Behauptung zurück, dass Kapitalismus auf „dem freien Austausch“ gegründet sei ... „man kann sich nicht vom Verkauf der eigenen Arbeitskraft ausnehmen, es ist unmöglich nicht für jemanden zu arbeiten … Ich bin aus den Vereinigten Staaten, dem Land mit dem weltweit extremsten Kapitalismus. Ich fordere jeden von Ihnen auf sich vorzustellen, ohne eine Millionen Dollar Rücklagen in die Staaten zu gehen und weit entfernt vom (britischen) Nationalen Gesundheitssystem dort irgendwo zu stürzen und sich ein Bein zu brechen. Ich zahle 1.000 $ im Monat für Gesundheitsleistungen, welche hier als ein Recht auf Leben kostenlos sind.“

Ein anderer sagte, „Ich glaube ehrlich, dass der Kapitalismus gescheitert ist. Wenn man nach Hongkong schaut … dort gibt es eine Wohnungsnot. Es wird mich den Gegenwert von 200.000 Britischen Pfund kosten, eine 37 Quadratmeter große Wohnung zu kaufen. Wie kann das gerecht sein, wenn andererseits reiche Leute sich leisten können zu zahlen was sie wollen, um sich Penthäuser zu kaufen?“

Die Resolution wurde mit 28 gegen 52 Stimmen abgelehnt, bei 20 Enthaltungen – ein gewisser Erfolg angesichts der privilegierten Zusammensetzung der Studentenschaft von Saint Andrews und ein Zeichen für die wachsende politische Entfremdung und die oppositionelle Stimmung der heranwachsenden Generation.

Einige Studenten blieben, um mit Marsden und anwesenden SEP Mitgliedern zu diskutieren. Jacob war der Meinung, dass „Herr Marsden sich mit einem sachlichen und beweiskräftigen Vortrag gut geschlagen hat, wie das Versagen des Kapitalismus tatsächlich aussieht. Die Gegner konnten sich nur noch mit der Behauptung herausreden, dass man die systemischen Fehler des Kapitalismus wegreformieren kann. Nachdem sie auch hierbei nicht überzeugen konnten, fantasierten sie davon, dass der Kapitalismus das beste System sei, das es gibt. Solche abgedroschenen Phrasen stellen den völligen Bankrott der bürgerlichen Ideologie bloß: der Kapitalismus bietet keine Lösungen für die andauernden und immer intensiveren Krisen, in denen er verwickelt ist.“

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